Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff des Pflegekindes
Leitsatz (NV)
Mit Wirkung ab 1986 kann ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG in aller Regel nicht mehr angenommen werden, wenn die Kindesmutter zusammen mit ihrem Kind im Haushalt ihrer Eltern lebt (Anschluß an BFH-Urteil vom 9. März 1989 VI R 94/88, BFHE 157, 66, BStBl II 1989, 680).
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist verheiratet. Er bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seine 1964 geborene Tochter (T) studierte ab 1987 . . . Im Streitjahr 1988 wohnte sie im Haushalt ihrer Eltern, hatte weder eigene Einkünfte noch eigenes Vermögen und war finanziell vom Kläger abhängig. T hat im Jahr 1987 das Kind E geboren, das ebenfalls im Haushalt des Klägers lebt. Das Sorgerecht für das Kind steht der Mutter zu. Der Vater des Kindes kam im Streitjahr seiner Verpflichtung zum Unterhalt nicht nach. T erhielt deshalb vom Jugendamt für E Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder Ausfalleistungen (Unterhaltsvorschußgesetz - UVG -, BGBl I 1979, 1184) in Höhe von 203 DM monatlich. Außerdem erhielt sie für E das staatliche Kindergeld.
Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für das Jahr 1988 beantragte der Kläger, ihm für E als seinem Pflegekind einen zusätzlichen Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen. Er trug vor, seine Tochter sei aufgrund ihres Studiums tagsüber häufig nicht zu Hause. Während dieser Zeit werde das Kind von seiner Frau beaufsichtigt und erzogen. Außerdem wachse das Kind in seinem Haushalt auf und werde im wesentlichen von ihm finanziell unterhalten.
Hilfsweise begehrte der Kläger die Eintragung eines Freibetrages wegen außergewöhnlicher Belastung (§ 39 a Abs. 1 Ziff. 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1987). Dadurch, daß er seinem Enkelkind Unterkunft gewähre, für seine Ernährung und Bekleidung aufkomme sowie die Beiträge für die Krankenversicherung zahle, sei er in Höhe von monatlich 450 DM gemäß § 33 EStG außergewöhnlich belastet.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Eintragung eines Freibetrages für E - auch im Einspruchsverfahren - ab.Das Finanzgericht (FG) gewährte dem Kläger den beantragten Kinderfreibetrag nicht. Nach seiner Auffassung besteht das Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen E und seiner Mutter weiterhin fort, obwohl letztere studienbedingt zeitweise abwesend war.
Die Klage hatte - auch hinsichtlich der hilfweise beantragten Eintragung eines Freibetrages gemäß § 39 a Abs. 1 Ziff. 5 EStG wegen außergewöhnlicher Belastung - keinen Erfolg. Typische Unterhaltsaufwendungen seien aufgrund der Regelung des § 33 a Abs. 5 EStG von einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG ausgeschlossen.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 32 und 33 EStG.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
1. Die Revision ist zulässig.
Obwohl die begehrte Eintragung auf der Lohnsteuerkarte beim Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber wegen Zeitablaufs nicht mehr berücksichtigt werden kann (§ 42 b Abs. 3 Satz 1 EStG), hat der Senat noch über die Revision zu entscheiden; denn der Kläger hat gemäß § 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil eine im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergangene Entscheidung aus prozeßökonomischen Gründen für das Einkommensteuerveranlagungsverfahren beachtlich ist, sofern sich der zu beurteilende Sachverhalt zwischenzeitlich nicht verändert (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juni 1989 X R 12/84, BFHE 157, 370, BStBl II 1989, 976, m. w. N.).
2. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Gemäß § 39 Abs. 3 Nr. 3 EStG 1987 bescheinigt die Gemeinde auf der Lohnsteuerkarte die Zahl der Kinderfreibeträge für die dem Arbeitnehmer zuzurechnenden Kinder mit Ausnahme u. a. der Pflegekinder. Hat der Arbeitnehmer Pflegekinder, so ist die Zahl der Kinderfreibeträge vom FA auf Antrag entsprechend zu ändern (§ 39 Abs. 3 Satz 4 EStG). Zwischen dem Kläger und seinem Enkelkind bestand jedoch im Streitjahr kein Pflegekindschaftsverhältnis.
Pflegekinder sind gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1986 Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist und die er in seinen Haushalt aufgenommen hat. Weitere Voraussetzung ist, daß das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige das Kind mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält.
Die Regelung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1986 enthält insofern eine Änderung gegenüber der bis einschließlich 1985 geltenden Rechtslage, als ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des EStG jetzt nur noch dann angenommen werden kann, wenn das Kind außerhalb der Obhut und Pflege seiner leiblichen Eltern steht. Dem liegt die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, daß ohne Lösung der Verbindung zu den leiblichen Eltern nicht gleichzeitig ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band zu einer neuen Bezugsperson entstehen kann (vgl. BTDrucks. 10/2884, S. 102).
Der VI. Senat des BFH hat in seiner Entscheidung vom 9. März 1989 VI R 94/88 (BFHE 157, 66, BStBl II 1989, 680) die geänderte Fassung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG für verfassungsgemäß gehalten und entschieden, daß mit Wirkung ab 1986 ein Pflegekindschaftsverhältnis in aller Regel nicht mehr angenommen werden kann, wenn die Kindesmutter zusammen mit dem Kind im Haushalt ihrer Eltern lebt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Daraus folgt, daß im Streitfall ein Pflege- und Obhutsverhältnis i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zwischen dem Kläger und seinem Enkelkind nicht begründet wurde. T war in den Haushalt ihrer Eltern aufgenommen und hatte demgemäß die Möglichkeit, sich um ihr Kind zu kümmern. Ihr stand das elterliche Sorgerecht zu, das sie infolge der Abwesenheit des Kindesvaters allein auszuüben berechtigt war (§ 1678 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Hierzu war sie aufgrund der räumlichen Nähe grundsätzlich auch jederzeit in der Lage. In welchem Umfang T das Obhuts- und Pflegeverhältnis tatsächlich unterhalten hat, ist dabei jedenfalls solange ohne Bedeutung, als der Mutter eine Betreuung ihres Kindes nicht völlig unmöglich ist. Wegen der Begründung im einzelnen verweist der Senat auf das Urteil in BFHE 157, 66, BStBl II 1989, 680.
3. Ohne Erfolg ist die Revision auch, soweit der Kläger die steuerliche Berücksichtigung seiner Aufwendungen für E als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG begehrt.
Aufwendungen für den Unterhalt einer Person können als außergewöhnliche Belastung steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Kinderfreibetrag für den Unterstützungsempfänger haben (§ 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG). Eine Steuerermäßigung gemäß § 33 EStG kann der Steuerpflichtige wegen der in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG bezeichneten Aufwendungen nicht in Anspruch nehmen (§ 33 a Abs. 5 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH werden durch die Regelung des § 33 a Abs. 1 EStG allerdings nur die typischen Unterhaltsaufwendungen von der steuerlichen Berücksichtigung gemäß § 33 EStG ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1990 III R 30/87, BFHE 162, 52, BStBl II 1991, 73). Atypische Unterhaltsaufwendungen können nach § 33 EStG abgezogen werden.
Bei den vom Kläger zugunsten von E erbrachten Leistungen handelt es sich jedoch um typische Unterhaltsaufwendungen. Ausgaben für Unterkunft, Ernährung und Kleidung sind ebenso typische Unterhaltsaufwendungen wie die vom Kläger zugunsten von E erbrachten Krankenversicherungsbeiträge (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1973 VI R 206/70, BFHE 110, 547, BStBl II 1974, 86). Eine steuerliche Berücksichtigung dieser Kosten gemäß § 33 EStG ist daher ausgeschlossen. Da T für ihr Kind nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG einen Kinderfreibetrag erhalten hat, sind die Aufwendungen des Klägers für E auch nicht nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Das FA hat die vom Kläger hilfsweise begehrte Eintragung eines Freibetrages wegen außergewöhnlicher Belastung (§ 39 a Abs. 1 Ziff. 5 EStG) somit zu Recht verweigert.
4. Da im Streitfall die Voraussetzungen für die Eintragung der begehrten Vergünstigungen auf der Lohnsteuerkarte nicht vorliegen, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 417845 |
BFH/NV 1992, 164 |