Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat verbleibt bei seiner bisherigen Rechtsprechung zum Begriff der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG, daß sich der in dieser Vorschrift bezeichnete Gewinnverteilungsbeschluß auf den nach handelsrechtlichen Vorschriften auszuweisenden Gewinn bezieht (vgl. zuletzt Urteile I R 88/69 vom 18. November 1970, BFH 100, 400, BStBl II 1971.73; I R 22/68 vom 3. Februar 1971, BFH 101, 364, BStBl II 1971, 406).
2. Das Gericht hat die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren, verletzt, wenn es seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen Verfahren nicht erörtert worden ist und nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens von dem Prozeßbeteiligten, zu dessen Nachteil sich die Unterlassung des Hinweises auswirkt, auch nicht erörtert zu werden brauchte.
Normenkette
KStG § 19 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Abs. 3; FGO § 119 Nr. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin - eine AG - hat zum Schluß des Wirtschaftsjahres 1962 von einem Aktionär, der 91 v. H. der Aktien hielt, einen Zuschuß erhalten. Diesen Zuschuß hat sie in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung nicht als besonderen Posten ausgewiesen; einen Teil des Zuschusses hat sie im Rahmen eines auf den Namen des Aktionärs lautenden Kontokorrentkontos zur Deckung von Aufwendungen und den Restbetrag zur Deckung von Teilwertabschreibungen auf Vorräte verbucht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) minderte im Anschluß an eine Betriebsprüfung den Bilanzgewinn der Klägerin um den erwähnten Zuschuß. Dem Antrag der Klägerin, ihr den Steuersatz für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 KStG) zu gewähren, entsprach das FA nur insoweit, als es den Steuersatz von 15 % nur auf den Teil des Einkommens anwandte, der dem um den Betrag des Zuschusses geminderten Handelsbilanzgewinn der Klägerin entsprach; der Gesellschafterzuschuß gehöre nicht zum handelsrechtlichen Gewinn. Den verbleibenden Teil des Einkommens unterwarf das FA dem Regelsteuersatz.
Die Klage, mit der die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiterverfolgte, hat das FG abgewiesen (EFG 1971, 97). Das FG folgte nicht der Ansicht, "Gewinn" im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG könne nur sein, was zugleich Teil des steuerrechtlichen Einkommens sei. Ausgeschütteter Gewinn im Sinne der Vorschrift sei nur der Handelsbilanzgewinn; worauf der ausgeschüttete Gewinn im einzelnen beruhe, z. B. auf der Auflösung von Rücklagen, aus Gewinnvorträgen oder aus steuerfreien Einnahmen, sei in der Regel gleichgültig. Jedoch beruhe im Streitfall die Gewinnausschüttung nicht auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß. Der Jahresabschluß der Klägerin sei nichtig; der die Nichtigkeit auslösende Mangel sei darin zu sehen, daß die Klägerin den umstrittenen Zuschuß entgegen § 132 Abs. 3 Nr. 14 AktG 1937/1959 nicht unter den sonstigen Erträgen ausgewiesen habe. Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses erstrecke sich auf den auf ihm beruhenden Beschluß über die Gewinnverwendung.
Mit der Revision rügt die Klägerin als wesentlichen Verfahrensmangel, das FG habe seine Entscheidung völlig überraschend auf die Ansicht gestützt, der Jahresabschluß und damit auch die Gewinn- und Verlustrechnung seien nichtig. Keiner der Beteiligten habe vor oder in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Art der Sachverhaltswürdigung und der daraus abgeleiteten Rechtsauffassung des FG zu äußern. Im übrigen lehnt die Klägerin die Ansicht ab, der Jahresabschluß für 1962 sei nichtig.
Der BMWF ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 FGO). Er hält die vom FG zum Begriff der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen vertretene Ansicht nicht für richtig. Zu der Frage, ob der Gewinnverteilungsbeschluß den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprochen hat, äußerte sich der BMWF nicht; er erklärte jedoch, dies sei nicht in dem Sinne zu verstehen, daß er insoweit der Rechtsauffassung der Klägerin zustimme.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Auf die Rüge der Klägerin, das FG habe ihr durch eine Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör verweigert, kann es nur dann ankommen (vgl. dazu Urteile des BFH III 70/63 vom 30. September 1966, BFH 87, 60, BStBl III 1967, 25; III 343/60 vom 20. Dezember 1967, BFH 90, 519, BStBl II 1968, 208), wenn die Ansicht des FG zutrifft, ausgeschütteter Gewinn im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG könne nur Handelsbilanzgewinn sein. Wäre diese Ansicht unrichtig, wäre die Revision schon aus diesem Grunde unbegründet (§ 126 Abs. 4 FGO). In diesem Falle käme es auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs für die Entscheidung über die Revision unter keinem denkbaren Gesichtspunkt an. Ist die Ansicht des FG hingegen richtig, muß der Senat prüfen, ob die in gehöriger Form und Frist erhobene Rüge begründet ist.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
I. Gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung vom 13. September 1961 (BGBl I. 1722) sind berücksichtigungsfähige Ausschüttungen die bei unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind. Der BFH hat die Vorschrift in ständiger Rechtsprechung in dem Sinne gedeutet, daß sich der Gewinnverteilungsbeschluß auf den gemäß der für die betreffende Kapitalgesellschaft geltenden Gewinnermittlungsvorschriften ermittelten Handelsbilanzgewinn bezieht und demzufolge ausgesprochen, daß dieser Gewinn mit dem Einkommen im Sinne des Körperschaftsteuerrechts nichts zu tun hat (BFH-Urteile I 86/61 U vom 26. April 1963, BFH 76, 834 [836], BStBl III 1963, 303; I R 10/67 vom 14. Mai 1969, BFH 95, 534 [536], BStBl II 1969, 503; I R 92/67 vom 16. Juli 1969, BFH 96, 310 [313], BStBl II 1969, 634; I R 88/69 vom 18. November 1970, BFH 100, 400, BStBl II 1971, 73). Diese Ansicht liegt auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde. Sie wird vom BMWF angegriffen. Das FA meint, der BFH habe seine Rechtsprechung dahin eingeschränkt, daß es sich um "erwirtschaftete Gewinne" handeln müsse. Solche lägen hier aber nicht vor, vielmehr ein Zuschuß, den die Klägerin unzulässig in verschleierter Form zurückgewährt habe.
1. Der BMWF vertritt die Ansicht, berücksichtigungsfähige Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG könnten nur solche sein, die aus den nach steuerrechtlichen Vorschriften ermittelten Gewinnen des laufenden Jahres oder früherer Jahre herrührten; die Ansicht des FG, für die Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG komme es in der Regel nicht darauf an, worauf der ausgeschüttete Gewinn im einzelnen beruhe, sei nicht richtig. Die Meinung des FG lasse sich allenfalls auf den Wortlaut des Gesetzes stützen, stehe aber im Widerspruch zu Sinn und Zweck der in Frage stehenden Vorschriften.
Gegen die Ansicht des BMWF spricht zunächst der Wortlaut des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG. Die durch diese Vorschrift ausgedrückte Definition bezieht sich u. a. auf Gewinnausschüttungen, die aufgrund eines gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommen werden. Aus dem Wortlaut kann nicht geschlossen werden, daß sich die Vorschrift auf den nach steuerrechtlichen Vorschriften ermittelten Gewinn bezieht.
Gesellschaftsrechtliche Vorschriften, denen der Gewinnverteilungsbeschluß entsprechen muß, sind in den Gesetzen und in Satzungsvorschriften enthalten, die die für die betreffende Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG maßgebende Ordnung regeln (vgl. z. B. §§ 11, 52, 126 AktG 1937; §§ 58 Abs. 4, 59, 60, 174, 175 AktG 1965; §§ 29, 46 Nr. 1 GmbHG). Es bedarf keines weiteren Belegs dafür, daß sich der aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses zu verteilende Gewinn auf den nach Gesellschaftsrecht verteilungsfähigen Gewinn - als einer formal errechneten Größe - beziehen muß. Verteilungsfähig ist nur der Gewinn, der nach Maßgabe der für die betreffende Kapitalgesellschaft geltenden Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt ist; das ist grundsätzlich der Reingewinn bzw. Bilanzgewinn (vgl. z. B. §§ 52, 126 Abs. 1, 130, 131 Abs. 3, 132 Abs. 2 Nr. 18, Abs. 3 Nr. 33 AktG 1937/1959; §§ 58 Abs. 4, 151 Abs. 1, Passivseite Ziff. VIII; 157 Abs. 1 Nr. 32 AktG 1965, §§ 29, 41, 42, 46 Nr. 1 GmbHG). Das KStG enthält keine Vorschriften darüber, wie dieser verteilungsfähige und zu verteilende Gewinn zu ermitteln ist; es bezieht sich für die Bestimmung dieses Gewinnes auf die für die betreffende Kapitalgesellschaft maßgebenden handelsrechtlichen Vorschriften.
2. Abgesehen davon, daß die Auffassung des BMWF im Wortlaut des § 19 Abs. 3 KStG keine Stütze findet, ergibt sie sich auch nicht aus der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 19 KStG. Der Ansicht des BMWF, nicht der Einkommensbesteuerung unterliegende Vermögensmehrungen dürften bei der Bemessung der Steuer nicht berücksichtigt werden, die Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 KStG stelle darauf ab, ob einem Teil des Einkommens entsprechender Gewinn ausgeschüttet worden ist, kann schon im Hinblick auf den durch § 19 Abs. 3 KStG definierten Begriff der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen nicht gefolgt werden.
a) Das gemäß §§ 5 ff. KStG ermittelte Einkommen ist schlechthin - von § 19 Abs. 5 bis 7 KStG abgesehen - die Grundlage für die Bemessung der Körperschaftsteuer. § 5 Abs. 1 KStG bestimmt das innerhalb eines Kalenderjahres bezogene Einkommen als Bemessungsgröße für die Höhe der Steuer. § 19 Abs. 1 und 2 KStG (1961) sieht verschiedene Maßstäbe für die Bemessung der Körperschaftsteuer vor. Diese Maßstäbe sind auf bestimmte oder bestimmbare Teile des Einkommens anzuwenden. Sie werden jeweils durch einen Hundertsatz des Einkommens ausgedrückt. Die Summe der einzelnen Bezugsgrößen (Teile des Einkommens), für deren jede ein besonderer Maßstab für die Bemessung der Körperschaftsteuer gilt, ist das Einkommen im Sinne des § 5 Abs. 1 KStG. Das Einkommen bzw. die Teile des Einkommens, die die jeweilige Bezugsgröße für die in der Tarifvorschrift enthaltenen Maßstäbe sind, stellen - in diesem gedanklichen Zusammenhang gesehen - nur Rechnungsgrößen für die Errechnung der Steuerschuld dar. Sie sind im Hinblick auf die Höhe der Steuerschuld - von den gesetzlich angeordneten Ausnahmen des § 19 Abs. 2 KStG (1961) abgesehen - einer materialen Qualifikation im Hinblick auf die Zusammensetzung des Einkommens bzw. Einkommensteils nicht zugänglich. Dies gilt auch für den Teil des Einkommens, der dem ermäßigten Steuersatz des § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG unterliegt.
Das Gesetz bezeichnet entgegen der Ansicht des BMWF nicht den begünstigten Teil des Einkommens in der Weise, daß sich die Auslegung des Begriffes der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen an dem Begriffsinhalt des Einkommens zu orientieren hat. § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG schreibt die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die Bemessungsgrundlage "Einkommen" insoweit vor, als sich das Einkommen rechnerisch mit dem Betrag der durch die Verweisung auf § 19 Abs. 3 KStG begrifflich umschriebenen berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen deckt (vgl. auch Grieger-Brockhoff, DStZ A 1953, 217 [229]). Insofern kann man von begünstigtem Einkommen oder einem begünstigten Teil des Einkommens sprechen, weil sich die Körperschaftsteuer nach dem Einkommen bemißt, die Steuermaßstäbe des § 19 KStG - von den Absätzen 5 bis 7 abgesehen - auf das Einkommen bezogen sind. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob berücksichtigungsfähig nur solche Ausschüttungen sind, die Teil des Einkommens im Sinne der §§ 5 ff. KStG waren.
Der Wortlaut des § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG enthält in dieser Hinsicht keine eindeutige Aussage; von § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG mag in diesem Zusammenhang einmal abgesehen werden. Man könnte die Ansicht vertreten, da § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG die Ermäßigung der Körperschaftsteuer "für" die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen vorschreibt, verstehe es sich von selbst, daß nur solche Ausschüttungen in Betracht kommen, die Teil des Einkommens waren; für den Teil des Einkommens, der ausgeschüttet werde, solle die Steuerermäßigung des Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 gelten. Dagegen kann eingewandt werden, da sich die Körperschaftsteuer nach dem Einkommen bemesse, sei der Ausdruck "ermäßigt sich für die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen" in dem Sinne zu verstehen, daß der Steuersatz von 15 v. H. des Einkommens auf den Teil des Einkommens anzuwenden sei, der betragsmäßig den berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen entspreche.
Es wäre indessen verfehlt, den Inhalt des Begriffes der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 KStG in Verbindung mit dem Begriff des Einkommens ableiten zu wollen. Sowohl die erwähnte Vorschrift als auch § 19 Abs. 1 Nr. 2 letzter Satz und Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 KStG verweisen wegen des Begriffes der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen auf § 19 Abs. 3 KStG. Diese Norm steht weder mittelbar noch unmittelbar in einem systematischen Zusammenhang mit Vorschriften des KStG, die sich auf den Begriffsinhalt des Einkommens (II. Abschnitt des KStG, §§ 5 ff.) beziehen. § 19 Abs. 3 knüpft für den Begriff der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen nur an außersteuerrechtliche Normen an. Der Reingewinn oder der Bilanzgewinn (vgl. dazu oben I 1), die die Grundlage für die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen darstellen, sind formal ermittelte Rechnungsgrößen. Teile dieses Rein- oder Bilanzgewinnes, die aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (vgl. dazu oben I 1) entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses ausgeschüttet werden, nicht aber Teile des als Einkommen im Sinne der §§ 5 ff. KStG ermittelten Betrages, sind unter den weiteren Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 KStG und des § 29 KStDV berücksichtigungsfähige Ausschüttungen. Soweit in den Urteilen des BFH I R 88/69, a. a. O. (BFH 100, 403), und I R 22/68 vom 3. Februar 1971 (BFH 101, 364 [366], BStBl II 1971, 406) der Anschein erweckt wird, daß sich die Vergünstigung des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes nur auf den "erwirtschafteten" Gewinn in dem Sinne beziehe, daß der Gewinn im Unternehmen selbst erwirtschaftet sein müsse, bemerkt der Senat zur Klarstellung, daß eine solche Einschränkung aus § 19 Abs. 3 KStG nicht abgeleitet werden kann.
Die Rechtsauffassung des Senats wird indirekt durch § 9 Abs. 3 KStG bestätigt. Auf die Beteiligung entfallende Gewinnanteile jeder Art (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KStG) können nur Teile des von der Gesellschaft nach Maßgabe der handelsrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Gewinnes sein. Dies setzt § 9 Abs. 3 KStG voraus, wenn er den Teil auf die Beteiligung entfallender Gewinnanteile jeder Art, die bei der ausschüttenden Gesellschaft berücksichtigungsfähige Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG sind, der Nachsteuer unterwirft (vgl. hierzu das Urteil des BFH I R 22/68, a. a. O.). Den Begriff des gesellschaftsrechtlichen Gewinnanteils als Teil des Gewinnes der Gesellschaft regelt das Handelsrecht und nicht das Steuerrecht. Sind aber die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen Teil des Gewinns, den die Gesellschafter aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses beziehen, so kann für sie nichts anderes gelten.
b) Dem BMWF kann nicht in der Ansicht gefolgt werden, die vom FG und vom BFH vertretene Rechtsauffassung stehe "im Widerspruch zu Sinn und Zweck der hier in Frage stehenden Vorschriften". Der BMWF führt in diesem Zusammenhang aus, der gespaltene Körperschaftsteuersatz habe der Förderung des Kapitalmarkts dienen sollen. Der ermäßigte Steuersatz habe die mehrfache Belastung der ausgeschütteten Gewinne mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer mildern und damit den Kapitalgesellschaften einen Anreiz geben sollen, höhere Dividenden auszuschütten. Dadurch habe man erreichen wollen, das Interesse des Publikums am Aktienerwerb zu wecken und die Kapitalgesellschaften in den Stand zu setzen, ihre Investitionsbedürfnisse über die Neuzuführung haftenden Kapitals zu decken. Man habe einen Anreiz schaffen wollen, daß Kapitalgesellschaften ihre Eigenkapitalbasis nicht durch Thesaurierung der Gewinne, sondern durch Finanzierung über den Anteilseigner verstärken.
Diese Ausführungen geben indessen den vom Gesetz selbst zum Ausdruck gebrachten Zweck (vgl. hierzu Entscheidungen des BVerfG 1 BvL 10/55 vom 15. Dezember 1959, BVerfGE 10, 234 [244]; 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE 11, 126 [130]; 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 261 [268]; BStBl I 1962, 486; BFH-Urteile II 210/65 vom 21. Oktober 1969, BFH 97, 147 [149], BStBl II 1969, 736; II 109/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 250 [252], BStBl II 1970, 600) nur insoweit wieder, als es sich darum handelt, daß der ermäßigte Steuersatz die Mehrfachbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer habe mildern sollen. Aus diesem, im Gesetz selbst zum Ausdruck kommenden Zweck ist indessen nicht zu folgern, daß berücksichtigungsfähige Ausschüttungen nur solche Gewinnteile sein können, die als Einkommen im Sinne der §§ 5 ff. KStG der Körperschaftsteuer unterlegen haben. Dagegen spricht außer dem klaren Wortlaut des § 19 Abs. 3 KStG der Umstand, daß die Doppelbelastung von Einkommensteilen mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer auch bei der vom Senat vertretenen Meinung gemildert wird. Mit dem ermäßigten Steuersatz "für die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen" wird Einkommen der ausschüttenden Gesellschaft bis zur Höhe des für die Ausschüttung bestimmten Betrages besteuert. Der ausgeschüttete Betrag unterliegt in der Person des Gesellschafters der Einkommensteuer oder, wenn dieser eine Kapitalgesellschaft ist, der Körperschaftsteuer (gegebenenfalls steuerfrei nach Maßgabe des § 9 KStG); dies gilt auch insoweit, als die Mittel für die Gewinnausschüttung aus einem Zuschuß eben dieses Gesellschafters stammen.
Die weiteren Ausführungen des BMWF beziehen sich auf den mit der Vorschrift nach der Entstehungsgeschichte beabsichtigten, nicht aber auf den durch das Gesetz zum Ausdruck gebrachten Zweck. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt jedoch für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den anderen Auslegungskriterien ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (BFH-Urteil II 210/65, a. a. O., mit Nachweisen; vgl. auch BVerfG-Urteil 2 BvL 6/59, a. a. O.). Solche Zweifel bestehen, wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich, nicht.
3. Dem FA kann nicht darin gefolgt werden, daß in Höhe des Zuschusses berücksichtigungsfähige Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG deshalb nicht vorliegen, weil es sich insoweit um eine Einlage eines Gesellschafters handelt, die die Klägerin - unter Verstoß gegen § 52 AktG 1937 (§ 57 Abs. 1 AktG 1965) - als Gewinnausschüttung verschleiert zurückgewährt hat. Der Senat hätte keine Bedenken gegen die Ansicht der beklagten Behörde, wenn im Streitfall entgegen dem aktienrechtlichen Verbot - verdeckt - Einlagen zurückgewährt worden wären; denn dann lägen keine aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommene Gewinnausschüttungen vor.
Der Begriff der Einlage im Sinne des AktG (§§ 1, 49, 50, 52, 53, 55 AktG 1937; §§ 2, 54, 55, 57 AktG 1965) ist nicht identisch mit dem des Ertragsteuerrechts. Im vorliegenden Zusammenhang mag dahingestellt bleiben, ob die Gewährung eines Zuschusses durch einen Aktionär an die AG aktienrechtlich als Einlage zu verstehen ist. Selbst wenn ein solcher Zuschuß - wie es in der Praxis geschieht - auch im Bereich des Aktienrechts als Einlage zu bezeichnen sein sollte, so handelte es sich doch nicht um eine den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechende Einlage (vgl. BFH-Urteil I R 24/67 vom 19. Februar 1970, BFH 98, 254 [257], BStBl II 1970, 442). Nur auf solche Einlagen bezieht sich indessen § 52 AktG 1937 (§ 57 AktG 1965).
Ein Zuschuß der im Streitfall vorliegenden Art ist in der Gewinn- und Verlustrechnung als sonstiger Ertrag auszuweisen (§ 132 Abs. 2 Abschn. II Nr. 11, Abs. 3 Nr. 14 AktG 1937/1959, § 157 Abs. 1 Nr. 14 AktG 1965). Für diese Vermögensmehrung kann, muß aber nicht, wie das FA meint, eine Rücklage gebildet werden (vgl. Döllerer, BB 1971, 1245, 1246 zu der insoweit gleichen Rechtslage nach dem AktG 1965). Der durch Verrechnung verbrauchte Gegenwert des Zuschusses hat, da durch ihn Aufwand der Klägerin bedeckt worden ist, im Umfange der Leistung den Reingewinn (Bilanzgewinn) der Klägerin erhöht, auf den die Aktionäre nach Maßgabe des Gewinnverteilungsbeschlusses Anspruch haben (§ 52 Satz 1, 2. Halbsatz, § 126 AktG 1937; §§ 58 Abs. 4, 174 AktG 1965).
In diesem Zusammenhang sei im Hinblick auf die vom FA im Schriftsatz vom 4. Mai 1971 vertretene Ansicht bemerkt, daß die Frage, ob eine "wirtschaftliche Veranlassung" für den Zuschuß des Hauptaktionärs bestanden hat, in erster Linie dessen und der Beurteilung der AG unterliegt. Der Senat versteht diese Äußerung in Verbindung mit der Erklärung des FA, die Klägerin habe die Maßnahme des Vorjahres bewußt wiederholt, nicht als Hinweis auf einen Rechtsmißbrauch im Sinne des § 6 StAnpG. Entsprechende Tatsachen, die die Anwendung dieser Vorschrift rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
II. Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihr nicht in ausreichendem Umfange rechtliches Gehör gewährt, ist begründet; die Voraussetzungen des § 119 Nr. 3 FGO sind erfüllt.
1. Die Klägerin trägt vor, das FG habe in seinem Urteil überraschend die Behauptung aufgestellt, der Jahresabschluß - und zwar die Gewinn- und Verlustrechung für 1965 - und damit auch der Gewinnverteilungsbeschluß für dieses Jahr seien nichtig. Diese andere Würdigung des Sachverhaltes und seine andere Rechtsansicht habe das Gericht den Prozeßbeteiligten weder vor noch in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht; damit sei der Klägerin die Möglichkeit genommen worden, sich zur Frage der Nichtigkeit des Jahresabschlusses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern.
a) Die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren, ist verletzt, wenn einem Prozeßbeteiligten nicht die Möglichkeit gegeben worden ist, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend zu äußern (vgl. dazu mit Nachweisen BFH-Urteile III 70/63 vom 30. September 1966, BFH 87, 60, BStBl III 1967, 25; I R 110/68 vom 18. Juni 1969, BFH 96, 54, BStBl II 1969, 569). Zwar ist das Gericht nicht schlechthin verpflichtet, seiner Entscheidung nur solche Rechtsauffassungen zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten geäußert haben (BFH-Urteil I R 110/68, a. a. O.), mit den Prozeßparteien ein umfassendes "Rechtsgespräch" zu führen (Beschluß des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Vf 12-VI-63 vom 31. August 1964 - NJW 1964, 2295 -). Doch kann das Gericht in gewissen Fällen verpflichtet sein, die Prozeßparteien auf bestimmte rechtliche Gesichtpunkte hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu äußern. der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat im Beschluß Vf 139-VI-61 vom 15. Mai 1962 (NJW 1962, 1387) eine solche Pflicht des Gerichts bejaht, wenn es in einem früheren Verhandlungstermin eine Rechtsauffassung geäußert hat, an der es später nicht mehr festhalten will, oder wenn es von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen will. Zu einem vorherigen Hinweis ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn es seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützen will, der im bisherigen Verfahren nicht erörtert worden ist und nach dem bisherigen Verlauf des Verwaltungsvorverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens von dem Prozeßbeteiligten, zu dessen Nachteil sich die Unterlassung des Hinweises auswirkt, auch nicht erörtert zu werden brauchte (vgl. Urteil des BFH II R 121/68 vom 22. März 1972, BFH 105, 515, BStBl II 1972, 637). Wenn das Gericht seine Entscheidung überraschend und für die Prozeßbeteiligten unvorhersehbar auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen Verfahren noch nicht behandelt worden ist, so hat es den Prozeßbeteiligten nicht in ausreichendem Umfange Gelegenheit gegeben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (vgl. dazu auch den in § 265 der Strafprozeßordnung zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken).
b) Das angefochtene Urteil beruht auf der Rechtsauffassung, der Jahresabschluß der Klägerin sei nichtig, weil diese den umstrittenen Zuschuß entgegen § 132 Abs. 3 Nr. 14 AktG 1934/1959 nicht unter den sonstigen Erträgen ausgewiesen, ihn vielmehr mit Aufwendungen saldiert hat. Das FG hat sich nicht dazu geäußert, ob die von ihm bejahte Nichtigkeit des Jahresabschlusses gemäß § 21 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz 1965 geheilt worden ist. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Akten ist die Frage der Verbuchung des Zuschusses erstmals in der (einzigen) mündlichen Verhandlung vor dem FG angeschnitten worden. Das FA hatte § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG nicht angewandt, weil es der Ansicht war, in Höhe des Gesellschafterzuschusses lägen keine berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen vor. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG heißt es nach Wiedergabe der Klageanträge:
"Sodann wurde die Streitsache verhandelt. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin kündigte an, im unmittelbaren Anschluß an die mündliche Verhandlung noch eine maschinenschriftlich anzufertigende Unterlage über die besprochene kontenmäßige Verbuchung der Gesellschafterzuschüsse von ... im Streitjahr zu den Akten zu geben."
Im Beschluß vom 27. Oktober 1970, durch den das FG einen Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Tatbestandes des angefochtenen Urteils abgelehnt hat, heißt es u. a. :
"..., hat der Vorsitzende des Senats an den Klägervertreter die Frage gerichtet, ob der streitige Gesellschafterzuschuß im Rohertrag der Klägerin für das Streitjahr 1962 enthalten sei ... Die zahlenmäßige und kontenmäßig genaue Verbuchung konnte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht sofort angeben. Sie sagte deshalb - wie in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 3.9.1970 festgehalten ist - zu, die entsprechenden Unterlagen schriftlich unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung zu den Akten zu geben."
Bei den Akten des FG befindet sich folgende schriftliche Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 3. September 1970:
"Wunschgemäß teilen wir dem Senat im Anschluß an die mündliche Verhandlung vom 3.9. noch folgendes mit.
Der Zuschuß des Hauptgesellschafters ... ist zu Lasten eines für den Hauptgesellschafter bei der Klägerin geführten Kontokorrentkontos unmittelbar zur Deckung von Aufwendungen ... und von Teilwertabschreibungen auf Vorräte ... verbucht worden."
Aufgrund eines Vermerks des Berichterstatters des FG auf dieser Erklärung vom 4. September 1970 und einer Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 17. September 1970 ist die Abschrift dieser Erklärung dem beklagten FA zusammen mit dem Urteil des FG zugestellt worden.
c) Der dargestellte Geschehensablauf erweist die Richtigkeit der Darstellung der Klägerin, daß ihr im Verfahren vor dem FG keine Gelegenheit gegeben worden ist, sich zur Frage der Nichtigkeit des Jahresabschlusses unter dem Gesichtspunkt des § 202 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 197 Abs. 3 AktG 1937 (vgl. dazu v. Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 202 Anm. 4; Schilling in Großkommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 202 Anm. 6; Schlegelberger-Quassowski, Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 202 Rdnr. 8) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Das FG hat seine Entscheidung über die Nichtigkeit des Jahresabschlusses auf die nach der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung der Klägerin über die Verbuchung des Zuschusses gestützt, ohne die Klägerin zuvor darauf hingewiesen zu haben, daß diese Art der Verbuchung möglicherweise geeignet sei, die - bisher nicht erörterte - Nichtigkeit des Jahresabschlusses zu begründen und damit die Anwendung des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG auszuschließen. Dadurch ist der Klägerin nicht nur die Möglichkeit genommen worden, sich zu den oben erwähnten Gesichtspunkten zu äußern; sie hatte auch keine Gelegenheit, zur Frage der Heilung einer eventuellen Nichtigkeit aufgrund des § 21 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz 1965 Stellung zu nehmen.
2. Durch die hiernach gebotene Aufhebung und Zurückverweisung an das FG (§§ 118 Abs. 1 Satz 1, 119 Nr. 3, 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO) erlangt die Klägerin Gelegenheit, im erneuten Verfahren vor dem FG ihrer Ansicht nach gegen die Nichtigkeit des Jahresabschlusses sprechende Gründe vorzutragen. Das FG wird andererseits erwägen, ob eine Prüfung in dieser Hinsicht noch erforderlich ist, weil möglicherweise Tatsachen festgestellt werden können, aus denen sich ergibt, daß eine eventuelle Nichtigkeit gemäß § 21 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz 1965 geheilt worden wäre. Mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen kann sich der Senat hierzu nicht äußern.
Fundstellen
Haufe-Index 70238 |
BStBl II 1973, 59 |
BFHE 1973, 186 |