Entscheidungsstichwort (Thema)
Finanzgerichtsordnung. Keine Verfahrensunterbrechung bei Tod eines Beteiligten mit Prozeßbevollmächtigtem. Inhalt der Revisionsbegründung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verfahren wird durch den Tod eines Beteiligten nur unterbrochen, wenn der Verstorbene nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war.
2. Über eine Revision kann auch entschieden werden, ohne daß die Erben des verstorbenen Klägers bekannt oder benannt sind. Für und gegen wen das Urteil wirkt, ist durch die allgemeine Angabe der Erben des Erblassers auch ohne deren namentliche Bezeichnung hinreichend bestimmt.
3. Der Zweck des § 120 Abs. 2 FGO besteht darin, das Revisionsgericht zu entlasten, den Inhalt des Revisionsangriffs klar herauszustellen. Dadurch soll erreicht werden, daß mit der Revisionsbegründung ein Beitrag zur zutreffenden Rechtsfindung geleistet und eine unbedachte Revision vermieden wird. Der Revisionsbegründung muß eindeutig zu entnehmen sein, welche Norm verletzt ist. Ausreichen kann, die Tatsachen anzugeben, in denen die Verletzung einer Norm gesehen wird. Im Streitfall reichten die Ausführungen in der Revisionsbegründung, daß das FG den Hinweisen auf eine Prozeßfähigkeit des Klägers nicht nachgegangen sei, zur Begründung der geltend gemachten Verfahrensmängel nicht aus.
Normenkette
FGO §§ 155, 105, 120 Abs. 2; ZPO §§ 239, 246 Abs. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) nahm den während des Revisionsverfahrens verstorbenen früheren Kläger und Erblasser (Erblasser) mit einem Bescheid vom 25. März 1971 als Zollschuldner auf Zahlung von Eingangsabgaben (Zoll, Monopolausgleich und Ausgleichsteuer) in Höhe von insgesamt 241.041,50 DM, mit drei weiteren Bescheiden vom 25. März 1971 als Haftungsschuldner auf Zahlung von Eingangsabgaben (Zoll, Monopolausgleich und Ausgleichsteuer) in Höhe von 282.978,50 DM, 133.354,20 DM und 133.054,30 DM und mit einem weiteren Bescheid vom 25. März 1971 als weiteren Abgabenschuldner nach § 57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) auf Zahlung von Eingangsabgaben (Zoll, Monopolausgleich und Ausgleichsteuer) in Höhe von insgesamt 133.354,20 DM in Anspruch. Die Einsprüche und Klagen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in den Gründen seiner Urteile u.a. folgendes aus:
Der Prozeßbevollmächtigte des Erblassers habe darauf hingewiesen, er könne eine mündliche Verhandlung nicht sinnvoll wahrnehmen, weil der Erblasser prozeßunfähig geworden sei. Trotz wiederholter Versuche habe er keinerlei sachbezogenen Kontakt mit dem Erblasser aufnehmen können. Fürsorglich beantrage er die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Erblassers.
Das Verfahren sei nicht entsprechend dem fürsorglich gestellten Antrag des Klägers auszusetzen gewesen. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) setze eine Aussetzung voraus, daß die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhänge, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bilde. Das Strafverfahren sei nicht vorgreiflich in diesem Sinne; ein anderes Verfahren mit einer derartigen Wirkung auf dieses Verfahren sei nicht bekannt. Die geltend gemachte Prozeßunfähigkeit des Erblassers stehe der Fortsetzung des Verfahrens ebenfalls nicht entgegen (§§ 241, 246 der Zivilprozeßordnung – ZPO– i.V.m. § 155 FGO). Es sei daher auch kein Gutachten zur Frage der Prozeß- bzw. der Geschäftsfähigkeit des Erblassers einzuholen gewesen (§§ 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO, 104 BGB).
Der Erblasser legte gegen die Urteile des FG Revision ein. Zur Begründung führt er aus: Als Verfahrensmangel werde geltend gemacht, daß das FG sich über den Einwand der Prozeßunfähigkeit mit der Begründung hinweggesetzt habe, der Erblasser sei durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten, ohne zu beachten, daß der Prozeßbevollmächtigte durch den Erblasser überhaupt nicht mehr habe informiert werden können, da eine Aussprache mit diesem verbal und geistig nicht möglich gewesen sei. Der Erblasser habe nicht mehr sprechen und einem Gespräch auch geistig nicht mehr folgen können. Es sei nicht sinnvoll und auch nicht möglich gewesen, auf frühere Aussagen oder Bekundungen von Beteiligten oder Zeugen, die viele Jahre zurücklägen, allein zurückzugreifen, da der Prozeßbevollmächtigte nie Gelegenheit gehabt habe, sich mit dem Erblasser über inzwischen erfolgte Zeugenvernehmungen oder dergleichen zu unterhalten oder sich darüber zu verständigen. Der Prozeßbevollmächtigte könne nicht aus sich heraus dem Gericht gegenüber verantwortlich Stellungnahmen abgeben. Insofern würden auch Verfahrensmängel gerügt, weil das Gericht nicht einmal den Versuch unternommen habe, den von dem Prozeßbevollmächtigten geltend gemachten Ausführungen über die Verhandlungs- und Prozeßunfähigkeit nachzugehen. Die Kläger beantragen, die Urteile des FG und die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Das HZA beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Der Tod des Erblassers rechtfertigt es nicht, von einer Entscheidung über die Revisionen abzusehen oder die Entscheidung über die Revisionen hinauszuschieben. Nach § 239 ZPO, der nach § 155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist (vgl. List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 74 FGO Anm. 13, 14), wird das Verfahren zwar durch den Tod eines Beteiligten unterbrochen. Die Unterbrechung ist im Streitfall jedoch nach § 246 Abs. 1 ZPO, der nach § 155 FGO ebenfalls sinngemäß anzuwenden ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 74 FGO, Tz. 6), nicht eingetreten, weil der Verstorbene durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH– vom 26. Oktober 1970 IV 101/65, BFHE 100, 433, BStBl II 1971, 105; vom 14. Juli 1971 I B 57/70, BFHE 103, 118, BStBl II 1971, 774, und vom 9. Februar 1977 I R 60–68/73, BFHE 121, 381, BStBl II 1977, 428).
An der Entscheidung über die Revisionen ist der erkennende Senat auch nicht dadurch gehindert, daß ihm die Erben des Erblassers nicht benannt worden sind. Der Rechtsstreit kann durchgeführt werden, ohne daß die Erben bekannt oder benannt sind (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH– vom 5. Februar 1958 IV ZR 204/57, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, ZPO § 325 Nr. 10). Für und gegen wen das Urteil wirkt, ist durch die allgemeine Angabe der Erben des Erblassers auch ohne deren namentliche Bezeichnung hinreichend bestimmt.
2. Die Revisionen sind nicht zulässig, da sie nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form begründet worden sind (§ 124 FGO).
Dazu ist nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm erforderlich. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 23. März 1976 VII R 64/73 (BFHE 118, 424, BStBl II 1976, 456) ausgeführt, daß der Zweck dieser Vorschrift darin besteht, das Revisionsgericht zu entlasten und den Inhalt des Revisionsangriffs klar herauszustellen (vgl. auch BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, 118, BStBl II 1969, 84). Dadurch soll gleichzeitig erreicht werden, daß mit der Revisionsbegründung ein Beitrag zur zutreffenden Rechtsfindung geleistet und eine unbedachte Revision vermieden wird (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts – BAG– vom 4. September 1975.3 AZR 230/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1976 S. 130– HFR 1976, 130–).
Um den Revisionsangriff klar erkennen zu können und die Rechtsverletzung, auf die die Revision gestützt werden soll, aufzuzeigen, ist zwar nicht unbedingt die Bezeichnung einer bestimmten Rechtsnorm erforderlich. Der Revisionsbegründung muß aber gleichwohl eindeutig zu entnehmen sein, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält (Beschluß des erkennenden Senats vom 12. Februar 1975 VII R 5/72, BFHE 115, 180, BStBl II 1975, 609). Dazu kann es auch ausreichen, die Tatsachen anzugeben, in denen die Verletzung einer Norm gesehen wird. Je weniger klar jedoch eine bestimmte Norm bezeichnet wird, um so mehr wird die Angabe von Tatsachen erforderlich, denen die Verletzung der Rechtsnorm entnommen werden soll (BFHE 94, 116, 118, BStBl II 1969, 84).
Diesen Anforderungen genügen die Revisionsbegründungen in den Streitfällen nicht. Darin wird geltend gemacht, daß Verfahrensmängel vorlägen. Rechtsnormen, die verletzt sein sollen, werden nicht angegeben. Auch die aufgeführten Tatsachen lassen nicht klar und eindeutig erkennen, welche Verfahrensvorschriften vom FG verletzt worden sein sollen.
Zur Begründung der Verfahrensrügen wird in den Revisionsbegründungen ausgeführt, daß das FG den Hinweisen auf eine Prozeßunfähigkeit des Erblassers nicht nachgegangen sei. Nach diesen Ausführungen können als Verfahrensmängel ein Verstoß gegen § 246 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO, eine Versagung des rechtlichen Gehörs nach § 96 Abs. 2 FGO und eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 76 FGO in Betracht kommen. Die Ausführungen in den Revisionsbegründungen reichen aber nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Revisionsangriff darauf gerichtet ist, einen Verstoß gegen die eine oder andere der genannten Verfahrensvorschriften oder gar gegen alle zu rügen.
Um die Rüge eines Verstoßes gegen § 246 ZPO eindeutig feststellen zu können, fehlt schon die Angabe der Tatsachen, daß in den Verfahren vor dem FG eine Aussetzung dieser Verfahren angestrebt und die dazu erforderlichen Anträge gestellt worden sind. Auch die Ausführungen des FG in den Urteilsgründen lassen nicht erkennen, daß solche Anträge gestellt worden sind. Aus diesen Ausführungen kann allenfalls entnommen werden, daß die Aussetzung der Verfahren bis zum Abschluß des vom FG erwähnten Strafverfahrens begehrt worden ist.
Selbst wenn aber angenommen wird, daß in den Verfahren vor dem FG Anträge auf Aussetzung der Verfahren wegen Prozeßunfähigkeit des Erblassers gestellt worden sind, reicht auch das nicht aus, um zweifelsfrei annehmen zu können, daß als Verfahrensmangel ein Verstoß gegen § 246 ZPO gerügt werden soll. Den Revisionsbegründungen ist nämlich nicht einmal eindeutig und klar zu entnehmen, ob überhaupt gerügt werden soll, daß das FG die Verfahren nicht wegen Prozeßunfähigkeit des Erblassers ausgesetzt hat. Die Ausführungen in den Revisionsbegründungen deuten darauf hin, daß eine Vernachlässigung der Hinweise auf die Prozeßunfähigkeit des Erblassers in den Vorverfahren deshalb gerügt wird, weil der Prozeßbevollmächtigte sich wegen der schlechten geistigen Verfassung des Erblassers daran gehindert gesehen hat, gegenüber dem FG sachgerechte Stellungnahmen abzugeben. Den Ausführungen ist aber nicht zu entnehmen, daß dieser Mangel durch eine Aussetzung der Verfahren hätte behoben werden können. Danach bleibt zweifelhaft, ob ein Verfahrensmangel überhaupt darin erblickt wird, daß die Verfahren vor dem FG nicht wegen Prozeßunfähigkeit des Erblassers ausgesetzt worden sind.
Auch die Rüge einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann den Angaben in den Revisionsbegründungen nicht zweifelsfrei entnommen werden. Sie enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die Behinderung des Prozeßbevollmächtigten zur sachgerechten Stellungnahme infolge Prozeßunfähigkeit des Erblassers verbessert worden wäre, wenn das FG Feststellungen über die geistige Verfassung des Erblassers getroffen hätte. Schon aus diesen Gründen erscheint es fraglich, ob mit den Revisionen geltend gemacht werden soll, das FG habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen.
Ein Mangel der Sachaufklärung käme nach den Ausführungen der Revisionsbegründungen allenfalls in Betracht, wenn Feststellungen des FG über den Geisteszustand des Erblassers geeignet gewesen wären, die Aufklärung des Sachverhalts, der der Inanspruchnahme des Erblassers zugrunde lag, zu fördern. Auch das kann den Ausführungen in den Revisionsbegründungen nicht entnommen werden, so daß schon aus diesem Grunde zweifelhaft erscheint, ob mit den Revisionen eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG gerügt werden soll.
Darüber hinaus ergeben sich auch aus den Revisionsanträgen der Kläger Zweifel daran, ob Verstöße gegen eine der aufgezeigten Verfahrensvorschriften gerügt werden sollten. Mit den Revisionsanträgen wird die Aufhebung der Vorentscheidungen und der angefochtenen Bescheide begehrt. Wenn das FG jedoch eine der genannten Verfahrensvorschriften verletzt hat und die Vorentscheidungen darauf beruhen, so kann ein solcher Mangel nur zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung an das FG führen.
Fundstellen