Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen Inhaftierung
Leitsatz (NV)
Stellt der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren den Antrag, ihm im Hinblick auf seine Inhaftierung gemäß § 78 b ZPO einen Rechtsanwalt beizuordnen, so muß hierüber im Beschlußverfahren gesondert entschieden werden; eine Verbescheidung dieser Frage in den Urteilsgründen genügt nicht.
Normenkette
ZPO § 78b; FGO § 62
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in der Vergangenheit als Fachanwalt für Steuerrecht tätig. Er hielt sich später in der Schweiz auf. Hier ist er im Jahre 1982 wegen Betruges zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Der Kläger lebt heute in Kanada.
Im Jahre 1972 wurden gegen den Kläger Steuerfahndungsmaßnahmen eingeleitet; dies wurde ihm im Jahre 1973 durch ein Auskunftsverlangen erkennbar. Die Steuerfahndung kam zu dem Ergebnis, daß der Kläger in den Jahren 1963 bis 1970 rund 505 000 DM Honorar von der X-AG und in der Zeit von 1966 bis 1970 jährlich 36 000 sfrs Honorar von ihrem Hauptaktionär Y erhalten und nicht verbucht habe. Die Steuerfahndung setzte die ermittelten Beträge nach Umrechnung der sfrs in DM den bisher berücksichtigten Praxiserlösen hinzu und errechnete daraus neue Umsatz- und Gewinnbeträge für 1963 bis 1970. Der Kläger hatte die Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen für 1966 im September 1968, die späteren Erklärungen in den Folgejahren abgegeben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) änderte aufgrund des Fahnundgsergebnisses die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide 1966 bis 1970.
Gegen diese 1978 ergangenen Änderungsbescheide erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im Dezember 1982 ab.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Der Kläger beantragt, die Einkommen- und Umsatzsteueränderungsbescheide für die Jahre 1966 bis 1970 aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des Klägers muß das angefochtene Urteil wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem FG beantragt, ihm im Hinblick auf die Behinderungen durch seine Inhaftierung einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beizuordnen. Eine derartige Möglichkeit ist in § 78 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) vorgesehen. Danach hat das Prozeßgericht, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Wie das FG in den Gründen seines Urteils zu Recht ausgeführt hat, kommt diese Vorschrift wegen der Unterschiede der Verfahrensarten (§ 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) im Verfahren vor dem FG grundsätzlich nicht zur Anwendung; denn hier ist eine Vertretung durch Anwälte oder Angehörige der steuerberatenden Berufe nicht geboten. Das FG hat jedoch nicht berücksichtigt, daß es dem Kläger durch Beschluß vom 22. Januar 1979 aufgegeben hat, sich durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen; der Kläger hat diesen Beschluß nicht mit der Beschwerde angefochten und kann ihn deswegen nicht mehr in Frage stellen. Es ist streitig, ob nach Ergehen eines solchen Beschlusses die Vorschrift des § 78 b ZPO im Verfahren vor dem FG entsprechende Anwendung findet (so Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 62 FGO Anm. 4; Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 62 FGO Anm. 6) oder ob dem entgegensteht, daß sich der Beteiligte weiterhin auch von einer Person vertreten lassen kann, die nicht Rechtsanwalt ist und auch nicht den steuerberatenden Berufen angehört (so Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 62 Anm. 8).
Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage hätte das FG über das Verfahrensgesuch des Klägers, wie in § 78 b ZPO vorgesehen, gesondert im Beschlußverfahren entscheiden müssen; eine Beschäftigung mit dieser Frage in den Urteilsgründen genügt in einem derartigen Fall nicht (vgl. Stein / Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., vor § 511 Anm. 40; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 43. Aufl., Grundzüge vor § 511 Anm. 4 D; Urteil des Reichsgerichts vom 7. Februar 1905 II 225/04, RGZ 60, 110). Daß das FG mit der Entscheidung in der Hauptsache bis zur Bestandskraft eines derartigen Beschlusses zuwarten muß, ist damit nicht entschieden (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Der Senat hat erwogen, ob das angefochtene Urteil dahin verstanden werden kann, daß das FG den Beiordnungsantrag des Klägers abgelehnt und gleichzeitig über seine Klage entscheidet. Da die Entscheidung über den Beiordnungsantrag durch Beschluß ergeht, würde es sich insoweit um eine sog. inkorrekte Entscheidung handeln, die mit dem Rechtsmittel für das vom Gericht gewählte Verfahren angegriffen werden kann, vom Rechtsmittelgericht aber im korrekten Verfahren weiterzuführen ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. November 1963 VII ZR 182/62, BGHZ 40, 265; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1982 9 S 484/82, Neue Juristische Wochenschrift 1982, 2460). Eine derartige Entscheidung wäre jedoch nur anzunehmen, wenn sie auch im Urteilsausspruch des FG ihren Niederschlag gefunden hätte; dies aber ist nicht geschehen.
Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Beiordnungsantrag des Klägers Erfolg gehabt und der beigeordnete Prozeßbevollmächtigte den Sachverhalt zugunsten des Klägers aufgeklärt hätte, so daß das Urteil des FG anders ausgefallen wäre. Ob der Kläger, dem durch den Gerichtsbeschluß vom 22. Januar 1979 die Postulationsfähigkeit genommen war, danach noch nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war (§ 119 Nr. 4 FGO), braucht bei dieser Sachlage nicht erörtert zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414860 |
BFH/NV 1988, 441 |