Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer führt ein für seinen Betrieb errichtetes Verwaltungsgebäude nicht schon dadurch der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zu, daß er mit der Einrichtung dieses Gebäudes beginnt.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2 S. 1, Abs. 6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Bauunternehmen. In den Jahren 1969/1970 errichtete sie ein Verwaltungsgebäude zur Unterbringung ihrer Geschäftsführung und Bauleitung, des Lohnbüros, der Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie der technischen Zeichner. Nach Abschluß der Bauarbeiten begann die Klägerin noch im Dezember 1970 mit der Einrichtung des Gebäudes. Der Einzug fand am 1. Februar 1971 statt.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat die Auffassung, daß die Klägerin den Selbstverbrauch im Dezember verwirklicht habe und setzte im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid Dezember 1970 u. a. aus den bis Ende 1970 angefallenen Gebäudeherstellungskosten 6 v. H. Selbstverbrauchsteuer fest. Das Beschwerdeverfahren, in dem sich die Klägerin gegen diese Steuerfestsetzung wandte, blieb erfolglos. Dagegen war das FG mit der Klägerin der Ansicht, daß diese das Bürogebäude erst am 1. Februar 1971 der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt habe, und gab der Klage statt. Seine Entscheidung ist in den EFG 1972, 569 veröffentlicht.
Gegen dieses Urteil hat das FA Revision eingelegt. Es rügt unrichtige Anwendung des § 30 Abs. 2 UStG 1967. Im einzelnen trägt es vor: Der Selbstverbrauch werde zwar nicht schon verwirklicht, wenn ein Wirtschaftsgut als Anlagevermögen im Unternehmen vorhanden sei, sondern erst in dem Zeitpunkt, in dem es erstmals betrieblich verwendet oder genutzt werde. Als eine solche Verwendung sei aber bereits das Einrichten der Räume eines zum Anlagevermögen gehörenden Bürogebäudes zu beurteilen. Es komme nach dem Gesetzeswortlaut nicht darauf an, wann das Wirtschaftsgut zur Erfüllung seiner eigentlichen bestimmungsmäßigen Aufgabe in Gebrauch genommen werde. Vielmehr reiche jede Verwendung oder Nutzung aus, die über die reine Bereithaltung des Wirtschaftsguts für einen späteren betrieblichen Einsatz hinausgehe. Dazu gehöre bereits das Einrichten als notwendige vorbereitende Maßnahme für eine bestimmungsmäßige Nutzung.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Die Selbstverbrauchsteuerschuld entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem der Unternehmer den Selbstverbrauch ausgeführt hat (§ 30 Abs. 6 UStG 1967), Selbstverbrauch liegt vor, wenn ein Unternehmer bestimmte körperliche Wirtschaftsgüter im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt (§ 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967).
Entgegen der Auffassung des FA wird der Selbstverbrauchstatbestand nicht schon dadurch erfüllt, daß ein unter § 30 UStG 1967 fallendes Wirtschaftsgut in irgendeiner beliebigen Weise in betrieblichem Zusammenhang verwendet wird. Denn der Gesetzgeber hat auf die Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen abgestellt. Die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind dadurch gekennzeichnet, daß sie dazu bestimmt sind, dem Betrieb des Unternehmers dauernd zu dienen. Dies folgt aus der ertragsteuerrechtlichen (Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG Anm. 24 [1], und Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., 1971/1972, §§ 4, 5 Anm. 212) und handelsrechtlichen (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 1 AktG 1965) Bestimmung des Begriffs des Anlagevermögens, die auch für die Anwendung des § 30 UStG 1967 gilt (vgl. Urteile des BFH vom 1. Oktober 1970 V R 49/70, BFHE 100, 272, BStBl II 1971, 34, und vom 13. Januar 1972 V R 47/71, BFHE 106, 142, BStBl II 1972, 744). Allerdings reicht es zur Erfüllung des Selbstverbrauchstatbestands nicht aus, daß ein Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen gehört, d. h. dem Betrieb dauernd zu dienen bestimmt ist. Vielmehr muß das Wirtschaftsgut tatsächlich als Anlagevermögen verwendet oder genutzt werden (Eckhardt-Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 30 Tz. 20), d. h. es muß in dem Betrieb in einer Weise Verwendung finden, durch welche die genannte Zweckbestimmung verwirklicht wird. Maßgebend für die Ausführung des Selbstverbrauchs ist daher der Zeitpunkt, in dem das Wirtschaftsgut tatsächlich in Betrieb genommen wird.
Diese Beurteilung entspricht nicht nur der Auffassung der vom FG zitierten Literatur, sondern ist bereits in der Rechtsprechung des Senats zum Ausdruck gekommen. In dem Urteil V R 47/71 und dem Urteil vom 21. Oktober 1971 V R 53/71 (BFHE 103, 291, BStBl II 1972, 79), in denen allerdings der Zeitpunkt des Selbstverbrauchs nicht streitig war, hat der Senat das die Selbstverbrauchsteuer auslösende Ereignis als "Inbetriebnahme" bzw. "Ingebrauchnahme" bezeichnet. Nach dem Urteil vom 19. August 1971 V R 48/71 (BFHE 103, 286, BStBl II 1972, 76) wird der Selbstverbrauch mit Beginn der Verwendung "für einen betrieblichen Dauerzweck" verwirklicht. Zu Unrecht meint das FA, dieses Urteil enthalte keine Aussage zu der Frage, welche Maßnahmen eine Verwendung im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 darstellen. Denn die das Anlagevermögen charakterisierende Zweckbestimmung ist nicht nur - wie das FA meint - für die Beurteilung bedeutsam, ob ein Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen oder zum Umlaufvermögen gehört. Vielmehr bildet sie auch den Ausgangspunkt zur Beantwortung der durch § 30 UStG 1967 aufgeworfenen Frage, ob ein Wirtschaftsgut tatsächlich als Anlagevermögen verwendet wird.
Ohne Erfolg hebt das FA den Unterschied zwischen dem Einbau von Bestandteilen eines Gebäudes zu dessen Herstellung und der Einrichtung der Räume mit selbständigen Wirtschaftsgütern hervor. Der Senat stimmt zwar der Auffassung des FA zu, nach der die Erfüllung des Selbstverbrauchstatbestands für jedes einzelne selbständige Wirtschaftsgut gesondert zu beurteilen ist. Doch schließt dies nicht aus, daß ein Wirtschaftsgut nur dann der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt werden kann, wenn dies gleichzeitig oder vorher mit anderen Wirtschaftsgütern geschieht.
Zum Zeitpunkt der Ausführung des Selbstverbrauchs hat das FG festgestellt, im Jahre 1970 sei das Chefbüro fertig eingerichtet, die Gardinen in den zur Straße gelegenen Räumen angebracht und die Fernsprechanlage installiert, aber - da sie erst am 30. Januar 1971 an das Fernsprechnetz angeschlossen worden sei - noch nicht benutzbar gewesen. In einigen Räumen seien gelieferte Büromöbel abgestellt gewesen. Die übrigen Zimmer hätten leergestanden. Sie seien erst im Januar 1971 eingerichtet worden. Diese Umstände rechtfertigen die Schlußfolgerung des FG, daß die Klägerin im Dezember 1970 das Verwaltungsgebäude nicht schon in Betrieb genommen, sondern die Inbetriebnahme lediglich vorbereitet hat.
Fundstellen
BStBl II 1973, 255 |
BFHE 1973, 547 |