Leitsatz (amtlich)
Bewerber für die Steuerbevollmächtigtenprüfung haben keinen Rechtsanspruch darauf, bei einer krankheitsbedingten nur vorübergehenden Behinderung in den Genuß besonderer Erleichterungen für die Fertigung der Klausurarbeiten zu gelangen.
Normenkette
DVStBerG 1962 § 15 Abs. 3, § 18 Abs. 1, § 23 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) nahm an der Steuerbevollmächtigtenprüfung 1979 teil. Kurz vor Beginn der ersten Klausur legte die Klägerin dem aufsichtsführenden Beamten eine ärztliche Bescheinigung mit folgendem Wortlaut vor.'
"Frau X... steht wegen Tendovaginitis am rechten Handgelenk in meiner ärztlichen Behandlung. Sie wurde angehalten, um eine Verschlechterung des Zustandes zu vermeiden, die Hand nicht zu überanstrengen."
Das Begehren der Klägerin, ihr eine angemessene Verlängerung der Prüfungszeit zu gewähren, lehnte der aufsichtsführende Beamte mit dem Hinweis ab, daß das Attest zu spät vorgelegt worden sei. Die Klägerin nahm dennoch an allen drei Klausuren teil, wobei sie einmal die Note sechs und zweimal die Note fünf erzielte. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1979 teilte ihr die Beklagte und Revisionsklägerin (die Oberfinanzdirektion - OFD -) mit, daß sie nach § 19 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962 (DVStBerG) die Prüfung nicht bestanden habe.
Das FG hob die Verfügung der OFD über das Nichtbestehen der Prüfung auf und verpflichtete die Behörde, der Klägerin Gelegenheit zu geben, den schriftlichen Teil dieser Prüfung erneut abzulegen. Zur Begründung führte es aus:
Nach § 15 Abs. 3 DVStBerG seien körperbehinderten Personen die ihrer Behinderung entsprechenden Erleichterungen für die Fertigung der Klausurarbeiten auf Antrag durch den Zulassungsausschuß zu gewähren. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sei der Antrag mit dem Antrag auf Zulassung zur Prüfung zu stellen. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin ihren Antrag beim aufsichtsführenden Beamten gestellt. Dies habe jedoch keinen Einfluß auf die Wirksamkeit des Antrages. Nach dem Sinn des § 15 Abs. 3 DVStBerG müsse die Möglichkeit einer Prüfungszeitverlängerung auch dann gegeben sein, wenn eine vorübergehende Behinderung nach Prüfungszulassung eintrete. Insbesondere in Anbetracht des Umstandes, daß die Prüfung nur im jährlichen Abstand abgehalten werde, sei es nicht gerechtfertigt, in derartigen Fällen den Prüfungskandidaten die Möglichkeit einer Prüfungszeitverlängerung zu versagen. In Anbetracht des Fehlens einer gesonderten Belehrung für derartige Eilfälle und der sich aus dem Prüfungsdruck und der unerwartet aufgetretenen Behinderung ergebenden Notsituation habe die Klägerin den aufsichtsführenden Beamten als Repräsentanten der OFD und damit auch des Zulassungsausschusses ansehen können.
Es sei auch tatsächlich möglich gewesen, kurzfristig eine Entscheidung über den Antrag durch den Zulassungsausschuß herbeizuführen. Es erscheine auch nicht ausgeschlossen, daß eine Entscheidung über den Antrag der Klägerin vor Ablauf der Bearbeitungszeit der ersten Klausur zumindest aber vor Beginn der zweiten Prüfungsarbeit am nächsten Tag, hätte getroffen werden können. Schließlich könne auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Zulassungsausschuß möglicherweise dem Begehren der Klägerin stattgegeben hätte und daß dann die Prüfungsleistungen besser ausgefallen wären. Die schriftliche Prüfung der Klägerin leide somit an einem Verfahrensfehler.
Entscheidungsgründe
Die Revision der OFD führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Zu Recht hat das FG entschieden, daß unter körperbehinderten Personen i. S. des § 15 Abs. 3 DVStBerG nur solche zu verstehen sind, die an einer nicht nur vorübergehenden Körperbehinderung leiden. Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich nicht nur aus dem Begriff der Körperbehinderung, wie er im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird. Sie wird darüber hinaus auch dadurch belegt, daß nach der genannten Regelung der Antrag, eine der Behinderung entsprechende Erleichterung zu gewähren, bereits mit dem Antrag auf Zulassung zur Prüfung zu stellen ist. Da zwischen der Stellung dieses Antrags und der Durchführung der Prüfung in der Regel ein Zeitraum von vielen Wochen liegt, können vorübergehende Behinderungen nicht gemeint sein. Daß die Klägerin nicht dauernd behindert war, hat das FG festgestellt. Die Revision hat diese Feststellung nicht angegriffen.
Im Gegensatz zur Auffassung des FG ist die Regelung des § 15 Abs. 3 DVStBerG dahin zu verstehen, daß sie abschließend, d. h. der Analogie nicht zugänglich ist. Das ergeben die folgenden Überlegungen.
Nach § 18 Abs. 1 DVStBerG gilt eine Prüfung als nicht abgelegt, wenn ein Bewerber aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund an der Fertigung von Klausurarbeiten verhindert war; besteht dieser Grund in einer Erkrankung, so ist diese auf Verlangen durch ein amtsärztliches Zeugnis nachzuweisen. Ähnlich regelt § 23 Abs. 1 DVStBerG den Fall der Erkrankung bei der Ablegung der mündlichen Prüfung. Der Verordnungsgeber hat also den Fall der (vorübergehenden) Erkrankung eines Bewerbers kurz vor oder während der Prüfung bedacht. Er hat dafür aber nur die Möglichkeit des Rücktritts eröffnet mit der Folge, daß die Prüfung als nicht abgelegt gilt. Hätte der Verordnungsgeber darüber hinaus ermöglichen wollen, daß die Verwaltung solchen Bewerbern Erleichterungen für die Fertigung der Klausur gewährt, so hätte es nahegelegen, dies ebenfalls in § 18 Abs. 1 DVStBerG zu regeln. Das Fehlen einer solchen Regelung und die Beschränkung der Regelung des § 15 Abs. 3 DVStBerG auf dauernd Behinderte legt daher den Schluß nahe, daß der Verordnungsgeber von einer solchen Regelung bewußt Abstand genommen hat, d. h. sie ausschließen wollte.
Für diese Auslegung spricht, daß eine Regelung, die auch für nur vorübergehend Behinderte grundsätzlich die Gewährung von Erleichterungen für die Fertigung der Klausuren vorsehen würde, die Chancengleichheit der Bewerber gefährden würde. Die Wahrung der Chancengleichheit ist aber ein wesentliches Element jeder Prüfung. Es besteht die Gefahr, daß die Zulassung der Gewährung von Erleichterungen wegen einer nur vorübergehenden Behinderung über Gebühr ausgenutzt würde.
Zahlreiche Ursachen für eine solche Behinderung sind denkbar. In vielen Fällen wäre es tatsächlich schwierig, das Vorliegen solcher Behinderungen objektiv festzustellen oder auszuschließen. Es müßte also damit gerechnet werden, daß Prüflinge in den Genuß von solchen Erleichterungen gelangten, die in Wirklichkeit nicht entsprechend behindert sind. Diese erlangten damit einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Bewerbern.
Es ist zwar richtig, daß die so verstandene Regelung des Verordnungsgebers die nur vorübergehend Behinderten vor die Alternative stellt, entweder sich der Prüfung ohne irgendeinen Ausgleich für die Behinderung zu unterziehen oder zurückzutreten mit der Folge eines Zeitverlustes von einem Jahr. Im Hinblick auf die geschilderten Nachteile einer anderen Regelung kann diesem Argument jedoch keine entscheidende Bedeutung zukommen. Der Verordnungsgeber konnte ohne Rechtsverstoß die Frage so regeln, wie er das getan hat. Die Regelung steht auch in Einklang mit der Ermächtigung des § 158 Nr. 1 b des Steuerberatungsgesetzes.
Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Da die Klägerin im übrigen die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung nicht angegriffen hat und Anhaltspunkte für ihre Fehlerhaftigkeit nicht vorliegen, war die Sache entscheidungsreif und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 413449 |
BStBl II 1981, 113 |
BFHE 1981, 549 |