Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich muß nicht unterschrieben sein - Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung bei Steuererklärungen - Bevollmächtigung nach § 80 Abs. 1 AO 1977 - Nichtigkeitsfeststellung eines Verwaltungsaktes hat nur deklaratorischen Charakter
Leitsatz (amtlich)
Ein Bescheid über einen Lohnsteuer-Jahresausgleich ist nicht deshalb nichtig, weil dem Antrag die eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen fehlt.
Orientierungssatz
1. Die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung bei Steuererklärungen soll dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Erklärung bewußt machen; es soll sichergestellt werden, daß sich der Steuerpflichtige über die Lückenlosigkeit und die Richtigkeit der ggf. von einer dritten Person, insbesondere seinem steuerlichen Berater, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissern kann (vgl. BFH-Urteil vom 8.7.1983 VI R 80/81).
2. Die Wirksamkeit der Vollmacht nach § 80 Abs. 1 AO 1977 setzt nicht ihre Schriftlichkeit voraus.
3. Hat der Steuerpflichtige seinen Einspruch gegen den Bescheid über einen Lohnsteuer-Jahresausgleich (LStJA) zurückgenommen, nachdem das FA wegen fehlender Unterschrift auf dem Antrag auf LStJA --zu Unrecht-- unanfechtbar die Nichtigkeit des Bescheides festgestellt hatte, ist der Bescheid über den LJA bestandskräftig geworden. Die Mitteilung des FA im Nichtigkeitsfeststellungsschreiben, daß der Bescheid unwirksam sei, hat nur deklaratorischen Charakter und ist lediglich als Äußerung einer Rechtsansicht zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 17.10.1985 VII R 185/83; Literatur).
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, § 80 Abs. 1, § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 3, § 125 Abs. 1-2, 5; EStG § 42 Abs. 2; AO 1977 § 362 Abs. 2, § 150 Abs. 2-3
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger. Er erzielte im Jahr 1983 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ging ein auf den Namen des Klägers lautender Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich ein, der keine Unterschrift trug und den Stempelaufdruck eines Lohnsteuerhilfevereins enthielt. Das FA forderte vom Kläger persönlich Unterlagen an, die der Kläger übersandte.
Das FA gab den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 vom 21.August 1984 dem Lohnsteuerhilfeverein bekannt und erstattete den festgesetzten Erstattungsbetrag an den Kläger. Der Lohnsteuerhilfeverein legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein.
Das FA wies den Lohnsteuerhilfeverein während des Einspruchsverfahrens darauf hin, daß der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht unterschrieben worden und die Unterschrift nachzuholen sei; anderenfalls müsse der Erstattungsbetrag zurückgefordert werden.
Mit Schreiben vom 14.Dezember 1984 teilte das FA dem Lohnsteuerhilfeverein mit, daß der Bescheid über den Lohnsteuer- Jahresausgleich unwirksam sei, da der Kläger die Unterschrift nicht nachgeholt habe. Der Einspruch sei damit erledigt und der erstattete Betrag zurückzuzahlen. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Kläger zahlte den geforderten Betrag zurück.
Mit Schreiben vom 1.Juli 1985 nahm der Kläger seinen Einspruch gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 zurück und erhob gleichzeitig Einspruch "gegen die Rückforderung vom 14.Dezember 1984". Er vertrat die Ansicht, der Rückforderung fehle nach Rücknahme des Einspruchs gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 die Rechtsgrundlage, da der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich rechtswirksam ergangen sei. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der auf Aufhebung des Rückforderungsbescheides gerichteten Klage statt und führte aus: Der Rückforderung des erstatteten Betrages fehle die Rechtsgrundlage. Der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1983 sei aufgrund der Rücknahme des gegen ihn gerichteten Einspruchs bestandskräftig geworden. Deswegen sei das FA zur Auszahlung des festgesetzten Erstattungsbetrages verpflichtet. Die fehlende Unterschrift auf dem Antrag führe zwar zur Fehlerhaftigkeit des Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983. Bei Würdigung aller Umstände sei aber keine Nichtigkeit anzunehmen, weil selbst dann, wenn der Mangel als besonders schwerwiegend anzusehen wäre, keine Offenkundigkeit gegeben wäre. Durch den Rückforderungsbescheid vom 14.Dezember 1984 sei der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich weder geändert noch aufgehoben worden.
Das FA stützt seine vom FG zugelassene Revision auf eine unzutreffende Anwendung der §§ 37 Abs.2, 118, 124 Abs.3, 125 Abs.1 und 125 Abs.5 der Abgabenordnung (AO 1977) und macht geltend, die fehlende Unterschrift auf dem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bewirke die Nichtigkeit des auf einen solchen Antrag ergangenen Bescheides. Außerdem habe es, das FA, in dem Schreiben vom 14.Dezember 1984 die Nichtigkeit des Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 festgestellt. Die Zusammenfassung dieses Verwaltungsakts mit der Rückforderung der Lohnsteuererstattung sei unschädlich. Der Kläger habe nur den Bescheid über die Rückforderung der Lohnsteuererstattung, nicht aber den Bescheid über die Feststellung der Nichtigkeit angefochten.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Rückforderungsbescheid der Rechtsgrundlage entbehrt. Die nach § 37 Abs.2 AO 1977 für einen Rückforderungsanspruch erforderliche Voraussetzung, daß ein Betrag ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist, ist im Streitfall bezüglich der Erstattung des FA an den Kläger nicht erfüllt.
1. Der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 vom 21.August 1984 ist durch Rücknahme des Einspruchs mit Schreiben vom 1.Juli 1985 bestandskräftig geworden, so daß die Erstattung zu Recht erfolgt ist.
Die Rücknahme des Einspruchs gegen diesen Bescheid war nicht etwa deshalb unerheblich, weil das FA zuvor unanfechtbar die Nichtigkeit dieses Bescheides festgestellt hatte. Die in dem Schreiben vom 14.Dezember 1984 enthaltene Mitteilung, daß der Bescheid unwirksam sei, hatte nur deklaratorischen Charakter und ist lediglich als Äußerung einer Rechtsansicht zu verstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.Oktober 1985 VII R 185/83, BFH/NV 1986, 720; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 125 AO 1977 Anm.5). Das FG hat deshalb zu Recht die Auffassung vertreten, daß durch dieses Schreiben eine Veränderung der Rechtslage bezüglich des Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 nicht herbeigeführt worden ist.
2. Der Wirksamkeit des Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 (§ 124 Abs.1 AO 1977) steht nicht entgegen, daß er dem Lohnsteuerhilfeverein und nicht dem Kläger bekanntgegeben worden ist. Gemäß § 122 Abs.1 Satz 2 AO 1977 kann die Bekanntgabe auch gegenüber einem Bevollmächtigten erfolgen. Der Lohnsteuerhilfeverein war Bevollmächtigter des Klägers (§ 80 Abs.1 AO 1977). Es ist unerheblich, daß die Vollmacht wegen der fehlenden Unterschrift des Klägers auf dem Antragsformular nicht schriftlich erteilt worden war. Denn die Wirksamkeit der Vollmacht nach § 80 Abs.1 AO 1977 setzt nicht ihre Schriftlichkeit voraus. Gemäß § 80 Abs.1 Satz 3 AO 1977 hat der Bevollmächtigte lediglich auf Verlangen die Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Einen solchen Nachweis hat das FA im Streitfall nicht verlangt.
3. Der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich war entgegen der Auffassung des FA auch nicht deswegen nichtig und mithin gemäß § 124 Abs.3 AO 1977 unwirksam, weil der Kläger den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht eigenhändig unterschrieben hatte. Nach § 125 Abs.1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Es braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden, ob ein Bescheid über einen Lohnsteuer-Jahresausgleich dann nichtig i.S. des § 125 Abs.1 AO 1977 ist, wenn er ergangen ist, ohne daß überhaupt --wie § 42 Abs.2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) es verlangt-- ein Antrag des Arbeitnehmers vorliegt. Denn es liegt wegen der Bevollmächtigung des Lohnsteuerhilfevereins ein mit Wissen und Wollen des Klägers gestellter Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich vor. Unerheblich ist, daß der Antrag keine eigenhändige Unterschrift aufweist. Die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung bei Steuererklärungen (vgl. § 150 Abs.2 i.V.m. Abs.3 AO 1977) soll dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Steuererklärung bewußt machen; es soll sichergestellt werden, daß sich der Steuerpflichtige über die Lückenlosigkeit und die Richtigkeit der ggf. von einer dritten Person, insbesondere seinem steuerlichen Berater, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissern kann (vgl. BFH-Urteil vom 8.Juli 1983 VI R 80/81, BFHE 139, 158, BStBl II 1984, 13, 14). Unter Berücksichtigung dieser Zweckbestimmung der eigenhändigen Unterschrift kann deren Fehlen auf dem Antragsformular auch im Vergleich mit den in § 125 Abs.2 Nrn.1 bis 4 AO 1977 beispielhaft aufgezählten Fällen für die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nicht als besonders schwerwiegender Mangel i.S. des § 125 Abs.1 AO 1977 gewertet werden. Der Gesetzgeber hat in den aufgezählten Fällen Maßstäbe dafür aufgezeigt, welche Mängel als besonders schwerwiegend anzusehen sind. Gemessen an den konkret im Gesetz aufgezählten Beispielen --Unklarheit über die erlassende Behörde, objektive Unmöglichkeit, Aufforderung zur Begehung einer rechtswidrigen Tat oder Verstoß gegen die guten Sitten-- ist das Fehlen der eigenhändigen Unterschrift auf dem Antragsformular kein gravierender Mangel des Verwaltungsakts.
Der Senat pflichtet deshalb der Vorinstanz in der Wertung bei, daß das Fehlen der eigenhändigen Unterschrift auf dem Antragsformular jedenfalls dann nicht zur Nichtigkeit des Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich führt, wenn der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich vom Arbeitnehmer oder für ihn mit seinem Wissen und Wollen beim FA eingereicht worden ist (vgl. auch Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 42 Anm.2). Soweit das FG Düsseldorf (Urteile vom 24.Oktober 1985 II 718/79 L und II 765/79 L, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 312 und 323) demgegenüber eine andere Ansicht vertreten hat, vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen.
Fundstellen
Haufe-Index 63805 |
BFH/NV 1992, 13 |
BStBl II 1992, 224 |
BFHE 165, 566 |
BFHE 1992, 566 |
BB 1992, 617 |
BB 1992, 617-618 (LT) |
DB 1992, 512 (L) |
DStR 1992, 573 (KT) |
DStZ 1992, 220 (KT) |
HFR 1992, 335 (LT) |
StE 1992, 217 (K) |
WPg 1992, 259 (S) |
StRK, R.5 (LT) |
FR 1992, 173 (KT) |
Information StW 1992, 233 (KT) |
NJW 1992, 2175 |
NJW 1992, 2175-2176 (LT) |
NWB 1993, 362 |
RWP 1992, 1215 SG 1.3 3904 (KT) |
Stbg 1992, 179 (KT) |
GdS-Zeitung 1992, Nr 6, 14 (KT) |