Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende eigenhändige Unterschrift bei Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. Veranlagung: Unzulässigkeit der sog. verdeckten Stellvertretung, keine Wiedereinsetzung bei Untätigkeit eines Lohnsteuerhilfevereins trotz Hinweises des FA
Leitsatz (amtlich)
Dem Erfordernis der in einem Steuergesetz angeordneten Eigenhändigkeit der Unterschrift ist nicht genügt, wenn ein Bevollmächtigter mit dem Namen des Antragstellers oder Steuerpflichtigen ohne jeden Zusatz oder sonstigen Hinweis auf eine Bevollmächtigung unterschreibt.
Orientierungssatz
1. Eigenhändigkeit der Unterschrift bedeutet, daß sie "von der Hand" des Antragstellers bzw. des Steuerpflichtigen stammen muß. Eine ausnahmsweise zulässige Unterschrift durch einen Bevollmächtigten erfordert, daß die Bevollmächtigung offenzulegen ist. Eine sog. verdeckte Stellvertretung reicht nicht aus (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Hat ein Lohnsteuerhilfeverein mangels eigenhändiger Unterschrift des Steuerpflichtigen unwirksame Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich bzw. Veranlagung zur Einkommensteuer abgegeben und hat er auf eine entsprechende Mitteilung des FA nicht reagiert, so kann ihm hinsichtlich der Versäumung der Antragsfrist nicht Wiedereinsetzung gewährt werden. Dieses Verschulden ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 dem Steuerpflichtigen zuzurechnen, denn Vertreter i.S. dieser Vorschrift ist nicht nur ein gesetzlicher, sondern auch ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter, also ein Bevollmächtigter i.S. von § 80 AO 1977. Zu dem Verschulden des Vertreters, das sich der Vertretene zurechnen lassen muß, gehört auch das Verschulden des Vertreters des Vertreters oder eines Unterbevollmächtigten des Bevollmächtigen.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1 S. 2, § 150 Abs. 3, § 80; EStG 1990 § 25 Abs. 3 S. 4 Fassung 1990-09-07, § 42 Abs. 2 S. 4 Fassung 1990-09-07, § 46 Abs. 1 Fassung 1990-09-07, Abs. 2 Nr. 8 Fassung 1990-09-07
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ungarischer Staatsangehöriger. Er hielt sich in den Streitjahren 1990 und 1991 in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmer auf. Seit dem Jahre 1992 lebt er wieder in Ungarn.
Am 30. Dezember 1992 gingen beim Finanzamt X. ein Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1990 sowie eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1991 ein. Die Steuererklärungen waren mit dem Namen des Klägers ohne einen Zusatz unterschrieben worden. Darin war erklärt, daß bei ihrer Anfertigung ein Lohnsteuerhilfeverein mitgewirkt habe, dem die Steuerbescheide auch zugeschickt werden sollten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Bearbeitung der Anträge mit der Begründung ab, daß die Vordrucke nicht eigenhändig vom Kläger unterschrieben worden seien, da die Unterschriften von denjenigen bei der Meldebehörde abwichen. Der Lohnsteuerhilfeverein legte dagegen Einspruch ein, den er nicht begründete. Das FA wies die Einsprüche als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem Begehren, das FA zu verpflichten, den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1990 und die Einkommensteuerveranlagung 1991 durchzuführen, statt. Es stellte fest, daß die Unterschrift nicht vom Kläger, sondern von dem von diesem bevollmächtigten ungarischen Dolmetscher Y. stammte. Es entschied, daß eine verdeckte Stellvertretung beim Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. bei der Einkommensteuererklärung ausnahmsweise dann wirksam sein könne, wenn der ausländische Vertreter die Unterzeichnung im fremden Namen für zulässig gehalten habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1193 veröffentlicht.
Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung der § 42 Abs. 2 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990, § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG 1991 und § 150 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Entgegen der Auffassung des FG haben ein wirksamer Antrag auf Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs für 1990 und ein wirksamer Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 1991 nicht vorgelegen. Die Weigerung des FA, den Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Einkommensteuerveranlagung durchzuführen, war deshalb rechtmäßig.
1. Der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1990 war gemäß § 42 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. vom 7. September 1990 (BGBl I, 1898, BStBl I, 453) eigenhändig zu unterschreiben. Er war nach § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG bis zum Ablauf des Kalenderjahres 1992 zu stellen.
Da das Einkommen des Klägers im Jahre 1991 unter 27 000 DM lag, wurde eine Veranlagung nur auf Antrag durchgeführt (§ 46 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 27 a und 29 EStG i.d.F. vom 25. Februar 1992, BGBl I, 297, BStBl I, 146, 156). Der Antrag für die im Streitfall allein in Betracht kommende Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG war nach Satz 2 dieser Vorschrift bis zum Ablauf des Jahres 1993 zu stellen. Nach § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG war die Steuererklärung eigenhändig zu unterschreiben.
Eigenhändigkeit der Unterschrift bedeutet, daß sie "von der Hand" des Antragstellers bzw. des Steuerpflichtigen stammen muß. Ein Verzicht auf die in einem Steuergesetz angeordnete Eigenhändigkeit der Unterschrift ist nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 nur dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist; in diesem Fall ist die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten erlaubt. Eine nach dieser Vorschrift zulässige Unterschrift durch einen Bevollmächtigten erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß die Bevollmächtigung offenzulegen ist (vgl. Urteil vom 16. Juni 1989 III R 173/85, BFHE 157, 287, BStBl II 1989, 807; Beschluß vom 19. November 1990 III B 120/89, BFH/NV 1991, 349). Das bedeutet, daß dem in einem Steuergesetz bestimmten Formerfordernis der eigenhändigen Unterschrift i.V.m. § 150 Abs. 3 AO 1977 nicht genügt ist, wenn eine sog. verdeckte Stellvertretung in der Weise erfolgt ist, daß ein Bevollmächtigter mit dem Namen des Steuerpflichtigen oder Antragstellers ohne jeden Zusatz oder sonstigen Hinweis auf eine Bevollmächtigung unterschreibt. Nur durch eine Offenlegung der Bevollmächtigung wird es der Finanzbehörde ermöglicht zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 für einen Verzicht auf eine eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen oder Antragstellers vorliegen. Der Senat teilt die Auffassung des Niedersächsischen FG (Urteil vom 2. Februar 1981 IX L 77/77, EFG 1981, 418), daß ein Antrag, der nach den gesetzlichen Vorschriften eigenhändig zu unterzeichnen ist, tatsächlich aber nicht vom Antragsteller bzw. Steuerpflichtigen, sondern von einem Bevollmächtigten mit fremdem Namen ohne Offenlegung der Bevollmächtigung unterschrieben ist, nicht wirksam ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen, unter denen nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 eine Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten zulässig ist, im konkreten Fall vorgelegen haben oder nicht. Denn wäre auch eine Unterzeichnung in verdeckter Stellvertretung wirksam, könnte die Finanzbehörde nicht darauf vertrauen, daß eine Unterschrift mit dem Namen des Antragstellers oder Steuerpflichtigen auch tatsächlich von diesem und nicht von einem Dritten stammt. Sie müßte vielmehr jeweils vorsorglich gesondert nachfragen, welche Person unterschrieben hat und ob im Falle der Vertretung die Voraussetzungen für eine Unterzeichnung nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 vorgelegen haben. Gerade diese Situation soll aber durch das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift vermieden werden. Auch in seinem Urteil vom 10. Oktober 1986 VI R 208/83 (BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77) hat der Senat angenommen, daß ein wirksamer Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich nur vorliegt, wenn dem gesetzlich vorgeschriebenen Formerfordernis der eigenhändigen Unterschrift genügt ist.
Im Streitfall steht aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG fest, daß nicht der Kläger, sondern Y. mit dem Namen des Klägers unterschrieben hat. Da durch diese Schriftstücke keine wirksamen Anträge gestellt worden sind, liegen fristgemäße Anträge des Klägers nicht vor.
2. Die Weigerung des FA, den Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1990 gemäß § 42 EStG und die Veranlagung zur Einkommensteuer für 1991 gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG durchzuführen, wäre gleichwohl rechtswidrig, wenn dem Kläger wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 zu gewähren wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Nach § 110 Abs. 1 AO 1977 ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ist der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Nach Satz 3 ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen.
Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand selbst dann nicht vor, wenn zugunsten des von dem Kläger bevollmächtigten Y. unterstellt wird, daß dieser in entschuldbarem Rechtsirrtum mit dem Namen des Klägers und nicht mit seinem eigenen Namen unter Offenlegung der Bevollmächtigung unterschrieben hat. Denn das FA hat den Lohnsteuerhilfeverein mit Schreiben vom 10. Dezember 1993 darauf hingewiesen, daß die vorliegende Unterschrift eines Dritten mit dem Namen des Klägers nicht ausreicht. Jedenfalls mit dem Zugang dieses Schreibens war ein Rechtsirrtum darüber, daß die geleistete Unterschrift ausreichend sei, nicht mehr entschuldbar und das Hindernis für eine rechtswirksame Antragstellung weggefallen (vgl. dazu auch das Senatsurteil in BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77, 78, letzter Absatz der Entscheidungsgründe). Dabei ist unerheblich, ob der Lohnsteuerhilfeverein das Schreiben des FA überhaupt an Y. weitergeleitet und dieser Kenntnis davon erlangt hat, daß seine Unterschrift nicht wirksam ist. Denn spätestens mit dem Zugang des Schreibens waren auch dem Lohnsteuerhilfeverein die Mängel der Unterschrift bekannt und dieser hätte Sorge dafür tragen müssen, daß nunmehr eine wirksame Unterschrift erfolgt. Tatsächlich ist in der Folgezeit jedoch weder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt noch die versäumte Handlung --Unterzeichnung unter Offenlegung der Bevollmächtigung oder eigenhändig durch den Kläger-- nachgeholt worden.
Das Unterlassen des Lohnsteuerhilfevereins war schuldhaft. Dieses Verschulden ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auch dem Kläger zuzurechnen, denn Vertreter i.S. dieser Vorschrift ist nicht nur ein gesetzlicher, sondern auch ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter, also ein Bevollmächtigter i.S. von § 80 AO 1977 (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Juni 1988 III B 90/87, BFH/NV 1988, 769, 770). Es kann offenbleiben, ob der Lohnsteuerhilfeverein vom Kläger persönlich oder nur von dessen Bevollmächtigten Y. bevollmächtigt war. Denn zu dem Verschulden des Vertreters, das sich der Vertretene gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zurechnen lassen muß, gehört auch das Verschulden des Vertreters des Vertreters oder eines Unterbevollmächtigten des Bevollmächtigen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 22 b; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 110 AO 1977 Rz. 73).
Fundstellen
Haufe-Index 66285 |
BFH/NV 1998, 378 |
BFH/NV 1998, 378-379 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 54 |
BFHE 184, 381 |
BFHE 1998, 381 |
BB 1998, 198 |
BB 1998, 198-199 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1998, 352 |
DB 1998, 352 (Leitsatz) |
DStR 1998, 679-680 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1998, 132 |
DStRE 1998, 132-134 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1998, 442 |
DStZ 1998, 442-443 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 168 |