Entscheidungsstichwort (Thema)
AfA-Bemessungsgrundlage nach Betriebsaufgabe ohne Aufdeckung stiller Reserven
Leitsatz (NV)
Gelangt ein Gebäude im Rahmen einer Betriebsaufgabe in das Privatvermögen, ohne daß die stillen Reserven aufgedeckt werden, und kommt eine Versteuerung der stillen Reserven wegen Verjährung nicht mehr in Betracht, richtet sich die Gebäude-AfA fortan nicht nach dem fiktiven Aufgabewert, sondern nach den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (im Anschluß an BFH-Urteil vom 9.8. 1983 VIII R 177/80, BFHE 139, 187, BStBl II 1983, 759; unter Abgrenzung zu dem BFH-Urteil vom 29.4. 1992 XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl II 1992, 969).
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 7 Abs. 1, 4, § 16 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erbte im Jahre 1956 das von seinem verstorbenen Vater betriebene Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft. Zu dessen Betriebsvermögen gehörte das bebaute Grundstück X-Straße; in dem Gebäude befanden sich die Geschäftsräume nebst einer Garage und zwei fremdvermietete Wohnungen.
Der Kläger erklärte seit Anfang der 70er Jahre gewerbliche Einkünfte aus einem ruhenden (verpachteten) Gewerbebetrieb. Er erstellte weiterhin Bilanzen. Zu der Art der Verpachtung gab er vor dem Finanzgericht (FG) folgende Darstellung: Er habe zunächst das Lebensmittelgeschäft einschließlich Gebäude an einen Lebensmitteleinzelhändler verpachtet. Dieser habe den Lebensmittelhandel aufgegeben. Daraufhin sei das leere Ladenlokal an ein Reinigungsunternehmen verpachtet worden. Zuvor sei die bisherige Ladeneinrichtung entfernt worden. Die Verpachtung an das Reinigungsunternehmen, das die Räume mit eigenem Inventar ausgestattet habe, habe bis zur Veräußerung des Grundstücks im Jahre 1987 angedauert.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Einkünfte des Klägers für das Streitjahr 1985. Der Einspruch blieb erfolglos. Nach Rechtshängigkeit reichte der Kläger am 25. Februar 1988 die Einkommensteuererklärung für 1985 ein. Er erklärte darin die Aufgabe des ruhenden Gewerbebetriebs zum 1. Januar 1985. Das FA wandte zunächst ein, der Entnahmewert sei in etwa mit dem höheren Grundstücksveräußerungspreis vom 12. Juni 1987 anzusetzen. Späterhin stellte es sich auf den Standpunkt, die Betriebsaufgabeerklärung sei für das Streitjahr unbeachtlich, weil sie erst 1988 eingegangen sei; es sei - allerdings erst bei der Veranlagung 1987 - auf den Veräußerungserlös abzustellen. Das FA erließ einen Änderungsbescheid, der zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde. In dem Änderungsbescheid wurden die Grundstückseinkünfte in der erklärten Höhe erfaßt (unter Beibehaltung der Absetzungen für Abnutzung - AfA - der Vorjahre von 945 DM); der Aufgabegewinn wurde außer Ansatz gelassen. Der Kläger vertrat daraufhin die Auffassung, daß der ruhende Gewerbebetrieb bereits anläßlich der Verpachtung an das Reinigungsunternehmen aufgegeben worden sei; das Grundstück sei schon damals in das Privatvermögen gelangt; der Teilwert des Grund und Bodens habe seinerzeit 80000 DM, derjenige des Gebäudes 220000 DM betragen, so daß nunmehr eine AfA von 4400 DM (anstelle von 945 DM) zu gewähren sei.
Das FG wies die Klage, die sich zuletzt nur noch auf Erhöhung der AfA um 3455 DM richtete, mit der Begründung ab, die AfA-Bemessungsgrundlage habe sich gegenüber den Vorjahren nicht verändert. Der Gewerbebetrieb des Klägers habe mangels einer Aufgabeerklärung noch im Streitjahr fortbestanden. Es brauche nicht abschließend entschieden zu werden, ob das Grundstück nach der Verpachtung an das Reinigungsunternehmen noch eine wesentliche Betriebsgrundlage eines Lebensmittelgeschäfts hätte sein können und ob diese Verpachtung die Voraussetzungen für die Fortführung des ruhenden Gewerbebetriebs erfüllt habe. Die seinerzeit vom Kläger geäußerte Auffassung, es liege ein ruhender Gewerbebetrieb vor, sei jedenfalls vertretbar gewesen. Das FA habe sich dieser Auffassung angeschlossen. Danach sei Einvernehmen darüber erzielt worden, daß ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzung eines unbestimmten Rechtsbegriffs (hier: wesentliche Betriebsgrundlage) erfüllt habe. Davon könne der Steuerpflichtige nach Ablauf der Festsetzungsfrist oder Eintritt der Verjährung wegen des Verbots des venire contra factum proprium nicht mehr abrücken. Ungeachtet dessen, daß Vergleiche über Rechtsfragen unzulässig sein sollen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354), erfordere es die Rechtssicherheit, daß darüber, ob ein feststehender Sachverhalt das Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffs erfülle, verbindliche Verständigungen getroffen werden könnten.
Der Kläger rügt mit der Revision: Zu Unrecht habe das FG das Verpächterwahlrecht (BFH-Urteil vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) auch auf Fälle angewendet, in denen rechtsirrig eine Verpachtung erklärt worden sei. Im Streitfall hätte ab der Verpachtung an das Reinigungsunternehmen die Voraussetzungen für eine Fortführung des ruhenden Gewerbebetriebs nicht mehr vorgelegen. Der Lebensmitteleinzelhandel hätte in den für Zwecke des Reinigungsunternehmens umgebauten Ladenräumen nicht wieder aufgenommen werden können. Selbst eine einvernehmliche rechtsirrige Beurteilung schaffe keine Besteuerungsgrundlage. Er, der Kläger, habe nicht gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen, als er von seiner rechtsirrigen Auffassung abgerückt sei. Eine Bindung könne allenfalls dann angenommen werden, wenn er die Gestaltung und deren Hinnahme durch das FA sehenden Auges herbeigeführt hätte. Er habe sich auf seinen damaligen Steuerberater verlassen, dem offensichtlich ein Fehler unterlaufen sei. Das FG hätte Anlaß gehabt, die näheren Umstände der Verpachtung aufzuklären.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Lebensmittelgeschäft des Klägers schon Anfang der 70er Jahre aufgegeben wurde und ob der Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) gehindert ist, sich auf diese Betriebsaufgabe zu berufen (dazu BFH-Urteil vom 22. Oktober 1992 III R 7/91, BFH/NV 1993, 358). Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, daß Anfang der 70er Jahre anläßlich der Vermietung des Gebäudes an ein Reinigungsunternehmen eine Betriebsaufgabe stattfand und der Kläger nicht durch Treu und Glauben gehindert ist, sich auf die Betriebsaufgabe zu berufen, hat die Revision keinen Erfolg.
Mit der Revision wird ausschließlich eine Erhöhung der Gebäude-AfA erstrebt. Das FA hat dem Kläger in dem angegriffenen Steuerbescheid lediglich eine Gebäude-AfA von 945 DM zugestanden, der die ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten zugrunde liegen. Eine Anhebung der Bemessungsgrundlage auf den gemeinen Wert des Gebäudes im Zeitpunkt der unterstellten Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) kommt nicht in Betracht, weil seinerzeit die stillen Reserven des Gebäudes - mögen sie in der vom Kläger angenommenen oder einer anderen Höhe bestanden haben - steuerlich nicht erfaßt worden sind und wegen Verjährung auch nicht mehr erfaßt werden können.
Der VIII.Senat des BFH hat mit Urteil vom 9. August 1983 VIII R 177/80 (BFHE 139, 187, 189, BStBl II 1983, 759) entschieden, daß nach der Überführung eines Gebäudes aus einem Betriebsvermögen in das Privatvermögen der Entnahmewert oder der Aufgabewert AfA-Bemessungsgrundlage für das fortan privat genutzte Gebäude ist. Der Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) im Entnahmefall und der gemeine Wert (§ 16 Abs. 3 Satz 3 EStG) im Betriebsaufgabefall sind den Anschaffungskosten i.S. des § 7 Abs. 4 EStG gleichzusetzen. Die Anhebung der Bemessungsgrundlage auf den Teilwert bzw. auf den gemeinen Wert setzt jedoch, wie der VIII.Senat ausdrücklich bemerkt, voraus, daß das Gebäude mit diesen Werten steuerlich erfaßt wurde. Noch deutlicher fordert der Leitsatz des Urteils die Bemessung der weiteren AfA nach dem Teilwert oder gemeinen Wert, mit dem das Gebäude bei der Überführung steuerlich erfaßt wurde (ebenso Abschn. 43 Abs. 6 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1990).
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des VIII.Senats an (so schon der III.Senat in seinem Urteil vom 2. Februar 1990 III R 173/86, BFHE 159, 505, 512, BStBl II 1990, 497). § 7 EStG kennt als Bemessungsgrundlage der AfA lediglich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Die §§ 7, 10, 10a, 11d der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) nennen für einige hier nicht interessierende Sonderfälle Werte, die an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten treten. Gesetzlich nicht geregelt ist, welche Werte anläßlich des Übergangs eines abnutzbaren Anlageguts aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen (Entnahme oder Betriebsaufgabe) anzusetzen sind. Einerseits sind in diesen Fällen die stillen Reserven aufzudecken (Bewertung der Entnahme mit dem Teilwert nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG und der Betriebsaufgabe mit den gemeinen Werten nach § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG). Andererseits scheint § 7 EStG nach seinem bloßen Wortverständnis nur eine Fortführung der ursprünglichen (im Betrieb aufgewandten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten als AfA-Bemessungsgrundlage des nunmehr privat genutzten Wirtschaftsguts zu gestatten. Der VIII.Senat kommt zutreffend zu dem Ergebnis, daß es in diesen Fällen dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die AfA (§§ 7ff. EStG) entspricht, die Bemessungsgrundlage für die weiteren AfA ... mit dem Teilwert oder dem gemeinen Wert im Zeitpunkt der Überführung anzusetzen. Der VIII.Senat bezeichnet die Überführung des Gebäudes in das Privatvermögen als einen anschaffungsähnlichen Vorgang und setzt Teilwert i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG und gemeinen Wert i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG den Anschaffungskosten i.S. des § 7 Abs. 4 EStG gleich.
Der hier gezogene Analogieschluß setzt indessen voraus, daß die stillen Reserven durch die Entnahme oder die Betriebsaufgabe tatsächlich aufgedeckt werden. Die Gleichsetzung des Teil- bzw. gemeinen Werts mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten erfordert grundsätzlich eine steuerliche Erfassung der stillen Reserven bis zur Höhe des Teil- bzw. gemeinen Werts. Gleichermaßen werden im Regelfall des § 7 EStG die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nur dann AfA-Bemessungsgrundlage, wenn ihnen tatsächliche Aufwendungen zugrunde liegen. Zumindest wird zu verlangen sein, daß die Entnahme oder Betriebsaufgabe verfahrensrechtlich noch steuerlich erfaßt werden kann.
Der XI.Senat des BFH hat es für möglich erachtet, daß der Steuerpflichtige bei späteren Einkommensteuerveranlagungen geltend macht, bei der Ermittlung des Entnahme- oder Aufgabegewinns sei ein zu niedriger Gebäudewert zugrunde gelegt worden (Urteil vom 29. April 1992 XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl II 1992, 969; dazu BMF-Nichtanwendungsschreiben vom 30. Oktober 1992, BStBl I 1992, 651). Der XI.Senat begründet seine Meinung vor allem mit der Überlegung, nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung bestehe in späteren Jahren keine Bindung an die Ermittlung eines Entnahme- oder Aufgabegewinns. Dem könnte entgegengehalten werden, daß die analoge Anwendung des § 7 EStG auf die steuerlich erfaßten Entnahme- und Aufgabewerte lediglich die Veranlagung des Jahres betrifft, für das die AfA geltend gemacht wird.
Der erkennende Senat kann unentschieden lassen, ob er der Auffassung des XI.Senats folgen könnte. Sie berührt nicht den Streitfall. Sie betrifft allein die Frage, ob die fehlerhafte Bewertung eines Aufgabewertes für AfA-Zwecke in einem späteren Besteuerungszeitraum korrigiert werden darf. Im Streitfall geht es jedoch darum, ob für die AfA ein Aufgabewert auch dann zu berücksichtigen ist, wenn die Aufgabe steuerlich überhaupt nicht erfaßt worden ist. Der Streitfall unterscheidet sich von dem Fall des XI.Senats auch darin, daß hier Verjährung eingetreten ist, während im Falle des XI.Senats nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Zeitpunkt der Geltendmachung der angehobenen AfA (für 1984) noch eine Änderung der Veranlagung des Betriebsaufgabejahres (1981) in Betracht kam.
Fundstellen
Haufe-Index 64510 |
BFH/NV 1994, 476 |