Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerrechtliche Behandlung von Aufwendungen bei Abbruch eines selbst genutzten Gebäudes
Leitsatz (amtlich)
Die vom Großen Senat des BFH im Beschluss vom 12. Juni 1978 GrS 1/77 (BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620) zur steuerrechtlichen Behandlung von Abbruchkosten getroffene Unterscheidung danach, ob das Gebäude in Abbruchabsicht oder ohne Abbruchabsicht erworben wurde, gilt nicht, wenn das später abgerissene Gebäude zuvor nicht zur Erzielung von Einkünften genutzt wurde; in diesem Fall stehen die durch den Abbruch des Gebäudes veranlassten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Errichtung des Neubaus und bilden Herstellungskosten des neu errichteten Gebäudes.
Normenkette
EStG § 7 Abs. 1 S. 5, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 7, § 10e Abs. 1, 6; EStG 1987 § 21 Abs. 2, § 21a; HGB § 255 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die durch den Abriss eines eigengenutzten Wohngebäudes verursachten Kosten abziehbar sind.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Sie erwarben 1984 ein Grundstück, das mit einem 1960 errichteten Einfamilienhaus bebaut war. Die Kläger nutzten das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken. 1990 zeigten sich am Gebäude Senkungsschäden, die sich schnell vergrößerten. Auf Grund eines Gutachtens, das erhebliche Sanierungskosten veranschlagte, entschlossen sich die Kläger, das Gebäude wegen nicht mehr gewährleisteter Standfestigkeit abzureißen und ein neues Haus zu errichten. 1993 wurde das Gebäude abgerissen. Die Kläger errichteten statt dessen zwei Doppelhaushälften, von denen sie eine veräußerten. Die Wohnfläche der zurückbehaltenen Doppelhaushälfte beträgt 227 qm; davon vermieten die Kläger eine Wohnung mit 44 qm; eine Wohnung mit 100 qm nutzen sie selbst; die dritte Wohnung überlassen sie unentgeltlich der Mutter des Klägers.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1993) machten die Kläger die Kosten des Abrisses des Gebäudes und den Gebäudewert vor dem Schadenseintritt mit insgesamt 230 535,20 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) erkannte die Aufwendungen nicht an.
Hiergegen erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage, der das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 675 veröffentlichten Urteil überwiegend statt gab. Es berücksichtigte die Abbruchkosten und den Restbuchwert des Gebäudes in Höhe von insgesamt 51 440,38 DM als sofort abziehbare Aufwendungen, und zwar zu 35 722,49 DM als Vorkosten gemäß § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG), soweit die Kläger das neu errichtete Doppelhaus selbst nutzen und zu 15 717,90 DM als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung, soweit die Kläger das Haus vermieten. Im Übrigen, also soweit die Aufwendungen der veräußerten Doppelhaushälfte und der unentgeltlich überlassenen Wohnung zuzurechnen sind, seien die geltenden gemachten Kosten steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 10e Abs. 6 und der §§ 9 und 21 EStG. § 10e Abs. 6 EStG berechtige zum Abzug von Aufwendungen als Vorkosten, die im Falle der Vermietung der Wohnung als Werbungskosten abziehbar wären. Allerdings müsse das abgebrochene Objekt in der Absicht erworben worden sein, es zur Einkünfteerzielung zu nutzen. Die Abziehbarkeit der Abbruchkosten sei abhängig von der bisherigen Nutzung des abgerissenen Objekts. Da das (abgebrochene) Wohngebäude im Streitfall ausschließlich selbst genutzt worden sei, könnten die Kläger die Aufwendungen weder als Vorkosten noch als Werbungskosten geltend machen.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil ist nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG hat die Kosten des Abbruchs des Gebäudes und dessen restliche Herstellungskosten unzutreffend steuermindernd als Vorkosten gemäß § 10e Abs. 6 EStG und als Werbungskosten in Gestalt von Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG berücksichtigt (1.). Die Aufwendungen bilden vielmehr Herstellungskosten des neu errichteten Gebäudes (2.).
1. Nach § 10e Abs. 6 Satz 1 EStG können Aufwendungen, die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, unmittelbar mit der Herstellung des Gebäudes zusammenhängen, nicht zu den Herstellungskosten der Wohnung gehören und im Falle der Vermietung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten, wie Sonderausgaben abgezogen werden. Zu Aufwendungen in diesem Sinne gehören auch AfaA gemäß § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG (so Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. Juni 2001 IX R 22/98, BFH/NV 2002, 16). AfaA und Abrisskosten wären aber nicht gemäß § 9 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen gewesen, soweit die Kläger die eine Wohnung des neu errichteten Gebäudes, statt sie selbst zu nutzen, vermietet hätten. In gleicher Weise entfällt auch ein Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG, soweit die Kläger eine Wohnung des neu errichteten Hauses vermietet haben. Es fehlt in beiden Fällen an einem steuerrechtlich erheblichen Zusammenhang mit der bisherigen Nutzung des (abgerissenen) Gebäudes.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschluss vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, 523, BStBl II 1978, 620; Urteile in BFH/NV 2002, 16, und vom 6. Dezember 1995 X R 116/91, BFHE 179, 331, BStBl II 1996, 358) kommt es für eine Berücksichtigung von AfaA und Abrisskosten als Werbungskosten statt als Herstellungskosten darauf an, dass das abgerissene Gebäude nicht in der Absicht erworben wurde, es abzureißen. Die Unterscheidung der Fälle danach, ob das Gebäude mit oder ohne Abbruchabsicht erworben wurde, hat der Große Senat (in BFHE 125, 516, 523 ff., BStBl II 1978, 620) vor dem Hintergrund der bisherigen Nutzung des abgerissenen Gebäudes getroffen: Diente die Anschaffung des abgebrochenen Gebäudes allein dem Ziel der Nutzung durch den Betrieb oder durch Vermietung oder Verpachtung, so ist es nicht gerechtfertigt, nachträglich einen steuerrechtlich bedeutsamen Zusammenhang zwischen Anschaffung des später abgebrochenen Gebäudes und der Herstellung des neuen Gebäudes hervorzuheben (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 125, 516, 523 ff., BStBl II 1978, 620 unter D.II.1.b der Gründe). Hieraus folgt: Wurde das später abgebrochene Gebäude zuvor auf einkommensteuerrechtlich bedeutsame Weise genutzt, so tritt der Zusammenhang des Abbruchvorgangs mit der Herstellung des neuen Gebäudes in den Hintergrund. Maßgeblich für die Abziehbarkeit bleibt die vorherige Nutzung des (abgebrochenen) Objekts.
b) AfaA und Abbruchkosten sind folgerichtig nicht als sofort abziehbare Aufwendungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige mit der bisherigen Nutzung des Gebäudes keinen Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. In diesem Fall bilden seine Aufwendungen Kosten der Lebensführung (BFH-Urteil vom 11. Juli 2000 IX R 48/96, BFHE 192, 311, BStBl II 2001, 784). Daran ändert auch die vom Gesetz in § 10e Abs. 6 EStG angestellte Parallelwertung zu den Werbungskosten nichts; denn diese bezieht sich ―worauf das FA zutreffend hinweist― nur auf den Fall der Vermietung der neu errichteten Wohnung, nicht aber auf das bisher eigengenutzte und nunmehr abgebrochene Gebäude. Ein Übertragen dieser hypothetischen Betrachtung auf die bisher genutzte Wohnung sieht das Gesetz nicht vor.
2. Fehlt es an einem steuerrechtlich bedeutsamen Zusammenhang der durch den Abbruch bedingten Aufwendungen mit der Nutzung des Altgebäudes, so finden die vom Großen Senat des BFH (in seinem Beschluss in BFHE 125, 516, 523 ff., BStBl II 1978, 620) entwickelten Grundsätze zur steuerrechtlichen Behandlung von Abbruchkosten und die dort enthaltene Unterscheidung der Fälle danach, ob der Steuerpflichtige das später abgerissene Gebäude mit oder ohne Abbruchabsicht erworben hatte, keine Anwendung. In diesem Fall stehen die Abrisskosten und die AfaA ausschließlich im Zusammenhang mit dem Neubau und bilden Herstellungskosten des neuen Gebäudes (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 16). Denn Herstellungskosten sind Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen (§ 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs ―HGB―). Dieser handelsrechtliche Herstellungskostenbegriff gilt auch für das Einkommensteuerrecht (BFH-Beschluss vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830). Zu den Herstellungskosten gehören nicht nur die unmittelbar der Herstellung dienenden Aufwendungen, sondern auch solche, die zwangsläufig im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes anfallen. Ohne den Abbruch ist kein Neuerrichten möglich. Mit dem Abbruch beginnt die Herstellung des neuen Gebäudes. Daher sind die Abbruchkosten Herstellungskosten des Neubaus, wenn der Altbau nicht der Einkünfteerzielung diente (so auch BFH in BFHE 179, 331, BStBl II 1996, 358).
3. Hieraus folgt für den Streitfall: Die Abrisskosten und die AfaA können in Höhe von 35 722,49 DM nicht als Vorkosten i.S. des § 10e Abs. 6 EStG bei der selbstgenutzten Wohnung und in Höhe von 15 717,90 DM nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG bei der vermieteten Wohnung berücksichtigt werden. Zwar haben die Kläger das abgerissene Haus zunächst auf steuerrechtlich bedeutsame Weise genutzt. Sie haben es ab Erwerb 1984 selbst bewohnt und damit den Tatbestand der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erfüllt (§ 21 Abs. 2 EStG a.F.). Diese Vorschrift war aber letztmals für den Veranlagungszeitraum 1986 anzuwenden (§ 52 Abs. 21 Satz 1 EStG 1987). Die Kläger waren auch nicht berechtigt, über die große Übergangsregelung des § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1987 weiterhin die Nutzungswertbesteuerung in Anspruch zu nehmen; denn im Veranlagungszeitraum 1986 bestanden bei ihrem Einfamilienhaus nicht die Voraussetzungen für die Ermittlung des Nutzungswerts als Überschuss des Mietwerts über die Werbungskosten. Sie konnten deshalb Werbungskosten unter Geltung des § 21a Abs. 3 EStG a.F. nur begrenzt abziehen.
Diente ab Veranlagungszeitraum 1987 der Altbau nicht (mehr) der Einkunftserzielung, so kommt es unbeschadet der Abzugsbeschränkung des § 21a Abs. 3 EStG a.F. nicht mehr auf den Zusammenhang mit der vorherigen Nutzung des abgebrochenen Einfamilienhauses an, und zwar auch deshalb nicht, weil der maßgebliche Grund für den Abriss des Gebäudes, die mangelnde Standfestigkeit, erst ab 1990 und damit in einem Zeitraum auftrat, in dem die Nutzung des Gebäudes in den Bereich der Lebensführung fiel. Mithin ist auf den Zusammenhang zwischen den Abbruchkosten und der Herstellung des Neubaus abzustellen, so dass die Aufwendungen als Herstellungskosten anzusehen sind. Demgemäß sind die Herstellungskosten der selbst genutzten Wohnung im neu errichteten Haus um 35 722,49 DM und die Herstellungskosten der vermieteten Wohnung um 15 717,90 DM zu erhöhen.
4. Weil die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig noch nicht geprüft, ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 33 EStG erfüllt sind. Das wird das FG in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachholen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 781171 |
BFH/NV 2002, 1380 |
BStBl II 2002, 805 |
BFHE 199, 120 |
BFHE 2002, 120 |
BB 2002, 1849 |
DB 2002, 1809 |
DStR 2002, 1478 |
DStRE 2002, 1164 |
DStZ 2002, 684 |
HFR 2002, 880 |