Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Ersetzung eines unrichten Fortschreibungsbescheids durch einen Nachfeststellungsbescheid
Leitsatz (NV)
1. Hat das FA anstelle von zwei wirtschaftlichen Einheiten (zwei Einfamilienhäusern = Eigentumswohnungen) objektiv unzutreffend in einem Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf einen bestimmten Stichtag (hier: 1. Januar 1974) zugunsten der Kläger nur eine wirtschaftliche Einheit (Zweifamilienhaus) angenommen, so kann der unrichtige Fortschreibungsbescheid unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 durch die Aufhebung des Einheitswerts auf denselben Stichtag beseitigt und durch zwei Nachfeststellungsbescheide ersetzt werden.
2. Der Aufhebungsbescheid und die Nachfeststellungsbescheide können auch dann noch erlassen werden, wenn bereits sämtliche einheitswertabhängigen Steuern für das Kalenderjahr, auf dessen Beginn die Aufhebung und die Nachfeststellungen vorzunehmen sind, verjährt sind. Solchenfalls müssen die Bescheide jedoch den Hinweis enthalten, daß ihre Wirkungen erst auf den Beginn des Kalenderjahres eintreten, für das eine Verjährung der vom Einheitswert abhängigen Steuern noch nicht eingetreten ist.
3. Konnte das FA gemäß § 21 Abs. 3 BewG i. d. F. des VStRG 1974 i. V. m. § 225 a Abs. 2 Satz 3 AO und § 24 Abs. 3 BewG i. d. F. des BewÄndG 1965 Einheitswertbescheide (Aufhebungsbescheid und Nachfeststellungsbescheide) auf den 1. Januar 1974 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 erlassen, so sind die entsprechenden Bescheide nicht deshalb rechtswidrig, weil sie - ohne Hinweis auf den 1. Januar 1974 - auf den 1. Januar 1981 ergehen.
Normenkette
BewG 1974 § 21 Abs. 3, § 24 Abs. 3; AO § 225a Abs. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1 (Kläger zu 1) erwarb 1967 das Grundstück . . . , auf dem er im Jahre 1972 ein Gebäude mit zwei Wohnungen errichtete. Mit notarieller Urkunde vom 26. September 1972 räumte er seinen Eltern, dem inzwischen verstorbenen X und dessen Ehefrau - der Klägerin und Revisionsbeklagten zu 2 (Klägerin zu 2) -, zunächst einen Miteigentumsanteil von 1/3 und mit Nachtragsurkunde vom 1. Dezember 1972 einen Miteigentumsanteil von ‹ an dem Grundstück ein. Die Übertragung erfolgte zu dem Zweck, X die Aufnahme eines zinsgünstigen Staatsbediensteten-Darlehens zu ermöglichen. Nach Rückzahlung dieses Darlehens, spätestens nach dem Tode beider Elternteile, sollte deren Miteigentumsanteil auf den Kläger zu 1 zurückübertragen werden. Mit notarieller Urkunde vom 2. März 1973 vereinbarten die Vertragspartner die Umwandlung des bisherigen Bruchteilseigentums in Wohnungseigentum. Mit dem Hälfteanteil der Eltern sollte fortan das Sondereigentum an der im Kellergeschoß des Gebäudes gelegenen Wohnung und mit dem Hälfteanteil des Klägers zu 1 das Sondereigentum an der im Erdgeschoß befindlichen Wohnung verbunden sein.
Mit Bescheid vom 17. März 1975 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) eine Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1974 durch, womit der Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart ,,Zweifamilienhaus" festgestellt sowie dem Kläger zu 1 ein Miteigentumsanteil von ‹ und seinen Eltern ebenfalls ein Miteigentumsanteil von ‹ zugerechnet wurden.
Der 1981 verstorbene X wude von seiner Ehefrau (Klägerin zu 2) und seinen Kindern (Kläger zu 1 sowie Kläger und Revisionsbeklagte - Kläger - zu 3 bis 5) beerbt.
Mit notarieller Urkunde vom 14. Mai 1985 übertrug die Erbengemeinschaft nach X die Eigentumswohnung im Kellergeschoß auf den Kläger zu 1. Aufgrund des Inhalts der entsprechenden Veräußerungsanzeige hob das FA mit Bescheid vom 7. August 1985 den Einheitswert für das bislang als Zweifamilienhaus bewertete Grundstück auf den 1. Januar 1981 auf. Dieser Aufhebungsbescheid bildet den Gegenstand des gesonderten Revisionsverfahrens II R 23/89, über den der erkennende Senat mit Urteil ebenfalls vom heutigen Tage entschieden hat.
Mit dem angefochtenen Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1981 vom 7. August 1985 rechnete das FA die Wohnung im Erdgeschoß des Hauses dem Kläger zu 1 zu und stellte die Grundstücksart ,,Einfamilienhaus" sowie den Einheitswert auf . . . DM fest.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger zu 1 Klage. Während des Klageverfahrens holte das FA die Hinzuziehung der Kläger zu 2 bis 5 gemäß § 360 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Einspruchsverfahren nach und gab auch ihnen die Einspruchsentscheidung bekannt. Sodann erhoben auch die Kläger zu 2 bis 5 Klage. Die Kläger begehrten, den angefochtenen Nachfeststellungsbescheid aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) verband die Verfahren der Kläger zu 1 bis 5 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung und gab der Klage statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Senat vermag dem FG nicht darin zu folgen, daß eine Aufhebung des bisher festgestellten Einheitswerts auf den 1. Januar 1974 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 und die damit einhergehende Nachfeststellung für das Wohnungseigentum gleichfalls auf den 1. Januar 1974 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 selbst dann nicht in Betracht kommen, wenn der Kläger zu 1 und seine Eltern im Jahre 1973 steuerlich wirksam Wohnungseigentum begründet haben (unten 1.), in bezug auf diese Tatsache die Voraussetzungen des § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i. V. m. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 vorliegen (unten 2.) und der Nachholung der Nachfeststellung zeitliche Schranken nicht entgegenstehen (unten 3. b).
1. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Nachfeststellungsbescheids setzt zunächst - in materiell-rechtlicher Hinsicht - voraus, daß eine entsprechende wirtschaftliche Einheit durch die Begründung von Wohnungseigentum im Jahre 1973 neu entstanden ist (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -).
Dies ist aufgrund der vom FG getroffenen und den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen zu bejahen. Der Einwand der Kläger, das Wohnungseigentum sei lediglich zum Schein begründet worden, greift nicht durch. Kennzeichnend für das Scheingeschäft (§ 117 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) ist das Fehlen eines Rechtsbindungswillens (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Oktober 1961 V ZR 103/60, BGHZ 36, 84, 87 f.). Kein Scheingeschäft liegt vor, wenn der von den Vertragsparteien erstrebte Rechtserfolg gerade die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraussetzt (BGH-Urteil in BGHZ 36, 84, 88; Palandt / Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 50. Aufl., § 117 BGB Rdnr. 4, m. w. N.). So lag es im Streitfall. Der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin zu 2 und Vater der Kläger zu 1 und 3 bis 5 konnte das zinsgünstige Staatsbediensteten-Darlehen nur erlangen, wenn das Wohnungseigentum wirksam begründet wurde. Dementsprechend war der Wille der Vertragspartner auf die wirksame Begründung des Wohnungseigentums gerichtet. Auch die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für die wirksame Bestellung des Wohnungseigentums (notarielle Beurkundung, vgl. § 4 Abs. 2 und 3 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG - i. V. m. §§ 313, 925 BGB; Eintragung im Grundbuch, § 4 Abs. 1 WEG) lagen vor.
2. Das FA durfte die angefochtene Nachfeststellung und die damit einhergehende Aufhebung des Einheitswerts für die bisherige wirtschaftliche Einheit nur dann vornehmen, wenn diesen Maßnahmen nicht der für die Kläger günstige und von ihnen verteidigte Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1974 vom 17. März 1975 entgegensteht. Dieser Fortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1974 und die auf denselben Zeitpunkt vorzunehmende, wenn auch erst ab 1. Januar 1981 wirksam werdende Nachfeststellung treffen einander widerstreitende, miteinander unvereinbare Regelungen. Der Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 greift daher ab dem Zeitpunkt seines Wirksamwerdens (1. Januar 1981) in den Regelungsbereich des für die Kläger günstigen Fortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1974 ein. Ein derartiger Eingriff wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen für eine Korrektur (Änderung bzw. Aufhebung; vgl. §§ 172 ff., 129 AO 1977) des Fortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1974 vorlägen. In Betracht zu ziehen ist im Streitfall eine Änderung des Fortschreibungsbescheids nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (zur Anwendbarkeit dieser Vorschriften im vorliegenden Fall vgl. Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
Das FG wird daher die von ihm bislang - von seinem Standpunkt aus zu Recht - offengelassene Frage prüfen müssen, ob dem FA die im Jahre 1973 eingetretene Tatsache der Neubegründung einer wirtschaftlichen Einheit (vgl. oben 1.) erst nachträglich, d. h. nach Erlaß des Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1974 vom 17. März 1975, bekannt wurde und dem FA insoweit auch keine - die Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ausschließende - Verletzung der Ermittlungspflicht zur Last fällt (zum letzteren vgl. z. B. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 28 ff.).
3. a) Sollte das FG nach diesen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, daß die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall nicht vorgelegen haben, so wäre der angefochtene Nachfeststellungsbescheid rechtswidrig und daher aufzuheben. In diesem Fall könnte das FA die Korrektur des Fortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1974 vom 17. März 1975 lediglich durch eine - im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte - ,,Nachfeststellung zur Beseitigung eines Fehlers" (vgl. Gürsching / Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 23 BewG Rdnr. 32 bis 35) herbeiführen. Hinsichtlich des Korrekturzeitpunkts wäre § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG entsprechend anzuwenden (Gürsching / Stenger, a. a. O., § 23 BewG Rdnr. 35).
b) aa) Sollten hingegen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall vorgelegen haben, so erwiese sich der angefochtene Nachfeststellungsbescheid als Rechtens. Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung hätte das FA in diesem Fall die Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 mit Wirkung auf den 1. Januar 1981 noch im Jahre 1985 nachholen können (vgl. unten bb). Wäre dies aber möglich gewesen, so ist der angefochtene Nachfeststellungsbescheid rechtmäßig. Denn es macht weder einen wirtschaftlichen noch einen rechtserheblichen Unterschied, ob das FA in einem solchen Fall den Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 mit Wirkung auf den 1. Januar 1981 oder - wie hier geschehen - auf den 1. Januar 1981 erläßt.
bb) Die Ersetzung (,,Korrektur") des Fortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1974 vom 17. März 1975 durch den angefochtenen Nachfeststellungsbescheid in seinem Zusammenwirken mit dem auf den gleichen Zeitpunkt erlassenen Aufhebungsbescheid konnte noch im Jahre 1985 nachgeholt werden. Dies folgt aus § 225 a Abs. 2 Satz 3 der Reichsabgabenordnung i. V. m. § 21 Abs. 3 BewG i. d. F. des Vermögensteuerreformgesetzes 1974. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in seinem Urteil vom heutigen Tage II R 23/89, unter I. 3. b und c, aa und cc).
Fundstellen
Haufe-Index 418067 |
BFH/NV 1992, 583 |