Leitsatz (amtlich)
Art. 6 GG gebietet nicht, in jedem Fall die vom Mutterschutzgesetz gewährten Schonfristen auf die praktische Bewährungs- oder Vorbereitungszeit zur Erlangung eines künftigen Berufs anzurechnen. War eine Bewerberin infolge einer Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes etwa fünf Monate lang verhindert, ihren Dienst zu versehen, scheidet diese Zeit für die Berechnung der als Voraussetzung für die Befreiung von der Steuerbevollmächtigtenprüfung verlangten fünfjährigen Tätigkeit als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens aus.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 4; StBerG a.F. § 8 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde nach bestandener Steuerinspektorenprüfung ab 1. April 1967 bei mehreren Finanzämtern als Sachbearbeiterin in Veranlagungsstellen, in der Bewertungsstelle und in der Vermögensabgabestelle beschäftigt. Im Januar 1972 beantragte die Klägerin, die inzwischen zur Steueroberinspektorin ernannt worden war, die Entlassung aus dem Dienst zum 30. April 1972. Die Entlassung wurde ihr antragsgemäß gewährt. Noch Ende Januar 1972 stellte die Klägerin den Antrag, sie von der Steuerbevollmächtigtenprüfung zu befreien. Der Zulassungsausschuß der Beklagten und Revisionsbeklagten (OFD) lehnte ihren Antrag mit der Begründung ab, die nach § 8 Abs. 2 StBerG geforderte Sachbearbeitertätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens. von mindestens fünf Jahren sei nicht erfüllt, da die Klägerin wegen zahlreicher Erkrankungen und wegen der ihr zustehenden Schonfrist aufgrund des Mutterschutzgesetzes während der Fünfjahresfrist an insgesamt 282 Arbeitstagen ihren Dienst nicht ausgeübt habe und somit nur eine anrechenbare Zeit im Sinne des § 8 Abs. 2 StBerG von etwa drei Jahren und zehn Monaten verbleibe.
Ihre Klage hatte keinen Erfolg.
Das FG führte aus: Die Klägerin habe zwar in der Zeit vom 1. April 1967 bis zum 30. April 1972, insgesamt also fünf Jahre und einen Monat, verschiedene Sachbearbeiterstellen innegehabt; damit sei jedoch die in § 8 Abs. 2 StBerG geforderte Voraussetzung, daß sie als Sachbearbeiterin mindestens fünf Jahre lang auf dem Gebiet des Steuerwesens "tätig gewesen" sei, nicht erfüllt. Der Bewerber müsse die vorgeschriebene Zeit über tatsächlich die Aufgaben eines Sachbearbeiters wahrgenommen haben. Er solle sich hierdurch ein bestimmtes Maß besonderer Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erwerben, das ihn zur Ausübung eines steuerberatenden Berufs befähige. Dieses Ziel könne jedoch nicht erreicht werden, soweit der Bewerber während der vom Gesetz für erforderlich erachteten fünf Jahre wegen Einziehung zum Wehrdienst, langfristiger Beurlaubung - oder wie im Streitfall - wegen nicht nur vorübergehender Erkrankung keinen Dienst in der Finanzverwaltung geleistet habe. Im vorliegenden Fall sei zwar der Fünfjahreszeitraum nicht um sämtliche Krankheitstage der Klägerin zu kürzen. Jedoch könne das Jahr 1971 nicht in vollem Umfang als Zeit der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 StBerG in Betracht kommen, auch nicht unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Klägerin über fünf Jahre hinaus noch einen weiteren Monat als Sachbearbeiterin tätig gewesen sei. Die Klägerin habe im Jahre 1971 nämlich nur an wenig mehr als einem Drittel der möglichen Arbeitstage des Jahres gearbeitet, d. h. an 81 Tagen, die nach Abzug der 155 Fehltage von den 236 möglichen Arbeitstagen (365 Tage abzüglich Samstage, Sonntage, Feiertage und Urlaubstage) verblieben seien. Selbst wenn man die übrigen 49 Krankheitstage mit Abwesenheiten zwischen einem Tag und dreieinhalb Wochen noch als unschädlich ansehen könnte, so sei zumindest die fast fünfmonatige Abwesenheit vom 11. Mai 1971 bis zum 8. Oktober 1971 wegen einer Schwangerschaft als nicht nur vorübergehende Erkrankung anzusehen. Zumindest diese Zeit sei von der Dienstzeit der Klägerin als Sachbearbeiterin von fünf Jahren und einem Monat abzuziehen.
Dieses Ergebnis stehe nicht im Widerspruch zum Gebot des Mutterschutzes. Nach dem Grundgedanken des Mutterschutzgesetzes dürfe der Mutter durch die Schwangerschaft kein Nachteil in ihrem bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnis erwachsen. Wenn jedoch eine ganz bestimmte praktische Tätigkeit die Voraussetzung für einen anderen Beruf sei, so könne hierauf die Zeit der Schwangerschaft - nicht anders als bei Männern die Zeit des Wehrdienstes - nicht angerechnet werden, da hier aus tatsächlichen Gründen die Möglichkeit fehle, die geforderten Erfahrungen zu sammeln.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Die Klägerin rügt die unrichtige Anwendung des § 8 Abs. 2 StBerG. Es sei dort nur gemeint, daß der Bewerber eine beamtenrechtliche Position innegehabt haben müsse, und zwar unter all den Umständen und Imponderabilien, die mit einer solchen Position verbunden seien. Es sei dem Wortlaut "tätig gewesen" somit auch dann Genüge getan, wenn Ausfallzeiten während des Innehabens dieser Position vorkämen, die bei objektiver Würdigung noch als normal zu betrachten seien. Hierzu rechneten bei einer jungverheirateten Frau die Ausfallzeiten wegen der Geburt eines Kindes. Die Klägerin sei während ihrer gesamten Dienstzeit immer bei der Finanzbehörde angestellt gewesen. Eine Unterbrechung ihrer Tätigkeit habe es nicht gegeben. Auch sei es nicht erforderlich gewesen, daß die Klägerin sich nach den vorgekommenen Ausfallzeiten wieder völlig neu mit dem Dienstbetrieb habe vertraut machen und sich neu habe einarbeiten müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Nach § 8 Abs. 2 StBerG in der vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 11. August 1972 (BGBl I, 1401 BStBl I, 432) geltenden Fassung konnten von der Steuerbevollmächtigtenprüfung nur solche Beamte und Angestellte der Finanzverwaltung befreit werden, die während der letzten zehn Jahre vor dem Ausscheiden aus dem Dienst mindestens fünf Jahre lang auf dem Gebiet des Steuerwesens als Sachbearbeiter oder in mindestens gleichwertiger Stellung tätig gewesen sind. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, daß die betreffenden Beamten und Angestellten nicht nur eine bestimmte Dienststellung im Rahmen der Geschäftsverteilung einer Finanzbehörde innegehabt haben müssen, sondern sie müssen darüber hinaus die damit verbundenen Aufgaben auch tatsächlich wahrgenommen haben. Diese Wortauslegung wird durch den Sinn und Zweck des Steuerberatungsgesetzes bestätigt. Der Bewerber soll sich während eines längeren Zeitraums, den der Gesetzgeber auf eine ganz bestimmte Anzahl von Jahren festgelegt hat, durch die Ausübung der Tätigkeit als Sachbearbeiter ein bestimmtes Maß besonderer Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten angeeignet haben, das ihn zur Ausübung eines steuerberatenden Berufs befähigt. Es ist immerhin zu bedenken, daß eine wenn auch qualifizierte Tätigkeit von wenigen Jahren die im Regelfall gesetzlich erforderliche Steuerbevollmächtigtenprüfung ersetzen soll. Der erkennende Senat hat in mehreren Entscheidungen (Urteile vom 5. Mai 1964 VII R 287/63 U, BFHE 79, 443, BStBl III 1964, 393, und vom 5. Mai 1964 VII 52/63, HFR 1965, 42) ausgesprochen, daß das vom Gesetz verfolgte Ziel nicht erreicht werden kann, wenn die Bewerber vor Vollendung der für erforderlich erachteten fünf Jahre wegen Einziehung zum Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft, langfristiger Beurlaubung oder wegen nicht nur vorübergehender Erkrankung keinen Dienst in der Finanzverwaltung geleistet haben. Solche Zeiten sind für die Berechnung der gesetzlich verlangten fünfjährigen Tätigkeit als Sachbearbeiter auf dem Gebiet des Steuerwesens auszuscheiden ohne Rücksicht darauf, ob die Unterbrechung der Tätigkeit von dem Bewerber zu vertreten ist oder nicht. An dieser Auslegung hält der Senat fest.
Es ist zwar richtig, daß in den Fällen, über die der Senat in den angeführten Urteilen zu entscheiden hatte, die an den gesetzlich verlangten fünf Jahren fehlende Zeit größer als diejenige war, die das FG im Falle der Klägerin als entscheidungserheblich - hier die Fehlzeiten des Jahres 1971 - angesehen hat. Auch dann aber, wenn die wegen Krankheit und wegen der nach dem Mutterschutzgesetz zu gewährenden Schonfristen ausgefallenen Tage sich so summiert haben, daß die Tätigkeit als Sachbearbeiter, wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat, praktisch nur an wenig mehr als einem Drittel der möglichen Arbeitstage des Jahres 1971 ausgeübt worden ist, kann das Ausmaß, um das die Zeit der praktischen Tätigkeit hinter der gesetzlichen Mindestzeit zurückbleibt, nicht mehr als unerheblich angesehen werden. Es läßt sich dann kaum noch von einem nur vorübergehenden Ausfall an Arbeitszeit und an tatsächlicher Ausübung der Tätigkeit als Sachbearbeiter sprechen. Ein so häufig fehlender Sachbearbeiter hat es schwerer als ein anderer, sich die für die Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten erforderlichen praktischen Erfahrungen und Fertigkeiten anzueignen. Ist sogar, wie im vorliegenden Fall, unter den Ausfallzeiten eine ununterbrochene Abwesenheit von nahezu fünf Monaten zu verzeichnen, so wird das noch augenscheinlicher. Während einer solchen langen Abwesenheit verblaßt das theoretische und praktische Wissen erheblich. Hat daher die Klägerin im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Zulassungsausschusses den Dienstposten eines Sachbearbeiters insgesamt nur fünf Jahre und einen Monat innegehabt, bleibt die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiter immer noch mehrere Monate unter der Zeit von fünf Jahren, die § 8 Abs. 2 StBerG a. F. als Mindestzeit für den Erwerb der Fähigkeit für einen steuerberatenden Beruf vorgeschrieben hat. Von dieser vom Gesetz ausdrücklich festgelegten Mindestzeit können die Gerichte selbst dann nicht abgehen, wenn sie im Einzelfall die Überzeugung erlangen, der Bewerber habe sich die für einen Steuerbevollmächtigten erforderlichen Erfahrungen und Kenntnisse möglicherweise in einer kürzeren Zeit erworben.
Da es nach den aufgezeigten Grundsätzen auf die tatsächliche Ausübung einer bestimmten Tätigkeit ankommt, ist es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entscheidend, wie lange sie geschäftsplanmäßig den Dienstposten eines Sachbearbeiters bei der Finanzverwaltung innegehabt oder ihr Beamtenverhältnis gedauert hat und ob Ausfallzeiten wegen einer Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes im Lebenslauf einer Frau als normal anzusehen sind. Es braucht in diesem Zusammenhang auch nicht entschieden zu werden, ob der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht gehalten war, die Klägerin darauf hinzuweisen, daß möglicherweise die in § 8 Abs. 2 StBerG a. F. verlangten Voraussetzungen noch nicht vollständig erfüllt waren.
Auch der Gesichtspunkt des Mutterschutzes vermag nicht durchzugreifen. Wenn der Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 StBerG a. F. keine Ausnahmeregelung zugunsten derjenigen weiblichen Angehörigen der Finanzverwaltung getroffen hat, die durch Schwangerschaft und durch die Geburt eines Kindes an der tatsächlichen Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens gehindert sind, vermag der erkennende Senat hier weder eine Gesetzeslücke noch einen Verstoß gegen den durch Art. 6 Abs. 4 GG gewährleisteten Mutterschutz zu sehen. Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der in einem besonderen Gesetz näher ausgestaltete Mutterschutz (vgl. Mutterschutzgesetz in der Bekanntmachung der Neufassung vom 18. April 1968, BGBl I, 315) den Zweck hat, durch Beschäftigungsverbote eine gesundheitliche Gefährdung der schwangeren Frau zu verhindern und sie vor wirtschaftlichen Nachteilen zu bewahren, damit sie in der Zeit der Schwangerschaft und unmittelbar nach der Niederkunft von der Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz befreit ist. Ihre Rechte aus dem bisherigen Arbeits- oder Dienstverhältnis sollen selbst dann erhalten bleiben, wenn sie während der Schutzfrist gekündigt hat und innerhalb eines Jahres nach der Entbindung in ihrem bisherigen Betrieb wieder eingestellt wird. Der verfassungsrechtliche Anspruch einer Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft beinhaltet hingegen nicht, daß die vom Mutterschutzgesetz gewährten Schonfristen in jedem Fall auf die praktische Bewährungs- oder Vorbereitungszeit zur Erlangung eines künftigen Berufs angerechnet werden müßten. Wird nun in § 8 Abs. 2 StBerG a. F. für die prüfungsbefreite Bestellung zum Steuerbevollmächtigten die tatsächliche Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens während einer bestimmten Mindestzeit verlangt, so dient diese Bestimmung, wie das FG in diesem Zusammenhang weiterhin zu Recht ausführt, gleichzeitig auch dem Schutz der Allgemeinheit davor, daß die Verwaltungsbehörden unter Umständen ehemalige Bedienstete der Finanzverwaltung zu Steuerbevollmächtigten bestellen müßten, von denen nicht sicher ist, ob sie sich die für diesen Beruf erforderliche Qualifikation schon angeeignet haben. Im übrigen muß in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, daß das Steuerberatungsgesetz in § 8 Abs. 2 a. F. die Angehörigen der Finanzverwaltung dadurch, daß es ihnen nach vorangegangener fünfjähriger Ausübung einer bestimmten Tätigkeit in der Finanzverwaltung den Zugang zu einem qualifizierten Beruf ohne Prüfung gewährt, in besonderem Maße begünstigt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 70554 |
BStBl II 1973, 749 |
BFHE 1974, 98 |