Leitsatz (amtlich)
Der Verlustrücktrag (§ 10 d EStG 1975) ist bei der Bemessung der vom Rohvermögen (§ 118 Abs. 1 BewG) abzuziehenden Einkommensteuerschuld für den Veranlagungszeitraum, auf den der Verlust zurückgetragen wurde, nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
BewG § 118 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
In ihrer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1976 machten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) u. a. im Jahre 1977 veranlagte Einkommen- und Kirchensteuer 1975 in Höhe von 200 000 DM zum Abzug geltend.
Im Rahmen der Vermögensteuerneuveranlagung auf den 1. Januar 1976 zog der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Ermittlung des Wertes des Gesamtvermögens vom Rohvermögen lediglich 50 000 DM Einkommen- und Kirchensteuerschuld 1975 ab. Auf diesen Betrag hatte das FA im Wege einer Berichtigungsveranlagung im Jahre 1978 die Einkommensteuer- und Kirchensteuerschuld herabgesetzt. Die Minderung war darauf zurückzuführen, daß das FA einen Verlust gemäß § 10 d des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) im Wege des sog. Verlustrücktrags vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1975 abgezogen hatte. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 219 (EFG 1980, 219) abgedruckten Gründen abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, 105 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Sie sind der Ansicht, daß die durch den Verlustrücktrag bedingte steuerliche Entlastung nicht bereits am Stichtag 1. Januar 1976 berücksichtigt werden könne. Vielmehr sei der einkommensteuerliche Entlastungsanspruch bewertungsrechtlich als gesonderter Vermögenswert zu behandeln und erst mit Ablauf des maßgeblichen Verlustjahres als entstanden anzusehen. Das FG habe sich zur Begründung seiner Entscheidung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) berufen. Diese Rechtsprechung habe sich nämlich auf Sachverhalte bezogen, die am maßgeblichen Bewertungsstichtag bereits verwirklicht gewesen seien. Daran fehle es aber im Streitfall.
Die Kläger beantragen, die Vermögensteuer 1976 auf ... DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Bereits entstandene, aber noch nicht getilgte Steuerschulden, die nicht schon bei der Ermittlung des Betriebsvermögens berücksichtigt werden konnten, sind gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG zur Ermittlung des Wertes des Gesamtvermögens von dem Rohvermögen abzuziehen. Bei der Bewertung von Schulden aus laufend veranlagten Steuern, wie der Einkommen- und Kirchensteuer, ist § 105 BewG entsprechend anzuwenden (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BewG). Dies bedeutet, daß die Schulden aus Einkommen- und Kirchensteuer nur abgezogen werden können, wenn die Steuern entweder spätestens im Feststellungszeitpunkt fällig geworden sind, oder für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat. Nach der Rechtsprechung des Senats können allerdings solche Steuerschulden nicht als abzugsfähig anerkannt werden, für die am maßgeblichen Feststellungszeitpunkt zwar formell sämtliche Voraussetzungen für den Abzug gegeben sind, die aber für den Steuerschuldner deshalb keine wirtschaftliche Last bedeuten, weil er mit deren Einforderung nicht zu rechnen brauchte (vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 7. Mai 1971 III R 53/70, BFHE 102, 553, BStBl II, 1971, 681; Urteil vom 18. September 1975 III R 76/74, BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87 für vorsätzlich verkürzte Steuern).
2. Sind nach § 10 d EStG 1975 rückwirkend in einem Veranlagungszeitraum Verluste abzuziehen, so ist an dem Stichtag, der unmittelbar dem Veranlagungszeitraum folgt, auf den der Verlust zurückgetragen wurde, die Schuld aus der Steuer abzugsfähig, die für den Veranlagungszeitraum ohne Berücksichtigung des Verlustrücktrags zu erheben wäre.
a) Nach dem bei der Vermögensbesteuerung geltenden Stichtagsprinzip (vgl. § 5 des Vermögensteuergesetzes - VStG -) kommt es für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitpunkt an. Dementsprechend sind für den Abzug einer Steuerschuld die Voraussetzungen maßgebend, die bis zu diesem Zeitpunkt eingetreten sind.
b) Die Einkommensteuer entsteht grundsätzlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 EStG 1975), und zwar grundsätzlich in der Höhe, in der sie nach dem bis zum Schluß dieses Veranlagungszeitraums erzielten steuerpflichtigen Einkommen festzusetzen ist. Entsprechendes gilt für die Kirchensteuer (vgl. § 5 des im Streitfall anzuwendenden Niedersächsischen Kirchensteuerrahmengesetzes vom 10. Februar 1972, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1972 S. 109 - GVBl 1972, 109 -). Der Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einkünfte wird gemäß § 10 d EStG 1975 nachträglich durch den sog. Verlustrücktrag gemindert. Dabei handelt es sich darum, daß Verluste, die im Jahr ihrer Entstehung bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, bis zu einem Betrag von 5 Mio. DM durch Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte des dem Verlustjahr vorangegangenen Veranlagungszeitraumes berücksichtigt werden.
Das vermögensteuerrechtliche Stichtagsprinzip läßt seinem Wesen nach nur die Berücksichtigung der Einkommensteuerschuld zu, wie sie nach den bis zum Stichtag vorliegenden Verhältnissen entstanden war. Dem Verlustrücktrag liegen Verhältnisse zugrunde, die erst nach dem Stichtag abgeschlossen waren. Erst nach Abschluß des fraglichen Wirtschaftsjahres steht fest, ob ein rücktragsfähiger Verlust i. S. des § 10 d EStG 1975 entstanden ist.
Der erkennende Senat hat zwar die Auffassung vertreten, daß durch ein Gesetz, das in verfahrensrechtlich zulässiger Weise die Steuerbelastung rückwirkend ändert, das Stichtagsprinzip "modifiziert" werde, mit der Folge, daß die rückwirkende Verminderung der Einkommensteuer sich auch auf die Einheitsbewertung und Vermögensteuer auswirkt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1974 III R 150/73, BFHE 114, 379, BStBl II 1975, 284). Dabei ging der Senat davon aus, daß in derartigen Fällen das Stichtagsprinzip nach dem Willen des Gesetzgebers aufgrund der Vorschrift über die Abzugsfähigkeit der Einkommensteuerschuld mittelbar und zwangsläufig betroffen werde. Eine Verletzung des Stichtagsprinzips liege insoweit nicht vor. Diese Grundsätze sind jedoch auf den Streitfall nicht anwendbar. In dem der Entscheidung in BFHE 114, 379, BStBl II 1975, 284 zugrunde liegenden Fall war der Sachverhalt, der der Besteuerung zugrunde zu legen war, im Feststellungszeitpunkt bereits in vollem Umfang verwirklicht. Lediglich die steuerliche Beurteilung konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend erfolgen. Die dem rücktragsfähigen Verlust im Sinne des § 10 d EStG 1975 zugrunde liegenden Verhältnisse sind aber erst nach dem maßgeblichen Feststellungszeitpunkt abgeschlossen und können daher zu diesem Zeitpunkt vermögensteuerrechtlich noch nicht beurteilt werden. In dem späteren Verlustrücktrag kann insbesondere nicht ein "Aufhellen" des Sachverhalts vom Stichtag gesehen werden.
c) Ob in dem nach dem Feststellungszeitpunkt endenden Wirtschaftsjahr ein Verlust entsteht, kann abschließend erst nach Beendigung dieses Wirtschaftsjahres beurteilt werden. Der Steuerpflichtige konnte daher am Stichtag damit rechnen, daß er allein auf der Grundlage des in dem vorangegangenen Veranlagungszeitraum erzielten steuerpflichtigen Einkommens der Steuer unterworfen werde. Insoweit bestand für ihn am Stichtag eine wirtschaftliche Belastung.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Bei der Vermögensteuerneuveranlagung der Kläger auf den 1. Januar 1976 sind weitere Steuerschulden von 150 000 DM gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG zum Abzug zuzulassen.
Das steuerpflichtige Vermögen errechnet sich danach wie folgt: (Wird ausgeführt).
Fundstellen
Haufe-Index 74122 |
BStBl II 1982, 54 |
BFHE 1981, 355 |