Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers bei Auswahl der Überweisungsaufträge durch die Bank
Leitsatz (NV)
Der Geschäftsführer einer Kapital- oder Personengesellschaft haftet auch dann für die nicht abgeführte Lohnsteuer, wenn er sich stillschweigend damit einverstanden erklärt, daß die kreditgebundene Bank durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge das FA gegenüber den Arbeitnehmern benachteiligt.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits geschäftsführende Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Die im Sommer 1978 beantragte Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der KG wurde zunächst mangels Masse abgelehnt; später wurde das Konkursverfahren eröffnet und schließlich mangels Masse wieder eingestellt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger u. a. wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer der KG für die Monate März und April 1978 gemäß §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch und die Klage des Klägers blieben insoweit erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Der Geschäftsführer habe bei Auszahlung von Löhnen dafür Sorge zu tragen, daß die betrieblichen Mittel auch zur Abführung der auf die gezahlten Löhne entfallenden Steuern ausreichten. Er sei zu einer Prognose auf den Abführungszeitpunkt verpflichtet. Falls nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Lohnzahlung zweifelhaft sei, ob bei Zahlung der vollen Löhne die im Abführungszeitpunkt voraussichtlich noch vorhandenen Gelder zur Abführung der auf jene entfallenden Steuern ausreichten, müßten die Lohnzahlungen entsprechend gekürzt werden. Könne die einbehaltene Lohnsteuer im Fälligkeitszeitpunkt nicht abgeführt werden, so sei der Geschäftsführer nur dann entschuldigt, wenn er im Zeitpunkt der Lohnzahlung und Einbehaltung der Lohnsteuer bei Beachtung der Sorgfalt, die von jedem Geschäftsmann erwartet werde, mit entsprechender Liquidität im Abführungszeitpunkt habe rechnen dürfen. Dies sei z. B. dann zu bejahen, wenn bei der Einbehaltung ausreichende Mittel vorhanden gewesen seien, danach aber die Liquidität überraschend zusammengebrochen sei (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364, und vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521).Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß der Kläger bei Zahlung der März- und April-Löhne nicht damit habe rechnen dürfen, die auf sie entfallenden Steuern zum 10. des Folgemonats zahlen zu können. Die KG habe zu diesem Zeitpunkt über keine eigenen Mittel mehr verfügt. Ihr Kreditrahmen sei um mehrere 100 000 DM überzogen und alle Außenstände seien an die Sparkasse abgetreten gewesen. Den über den ordentlichen Kreditrahmen hinausgehenden Kredit habe die Sparkasse nur mit Rücksicht auf eine erwartete Landesbürgschaft gewährt. Dabei habe sie nicht mehr alle Verbindlichkeiten erfüllt, sondern ohne Rücksprache mit der KG selbst Prioritäten gesetzt.
Bei dieser Finanzlage hätte sich der Kläger als Geschäftsführer vor Auszahlung der Löhne vergewissern müssen, ob die Sparkasse die Mittel für die am 10. des Folgemonats fällig werdenden Steuern auch zur Verfügung stellen werde. Nur bei einer verpflichtenden Zusage hätte er die Löhne auszahlen dürfen. Der Kläger habe sich aber, wie die als Zeugen vernommenen Sparkassenangestellten bekundet hätten, diese Gewißheit nicht verschafft. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß der KG eine Zusage über die Zahlung der Steuern im Fälligkeitszeitpunkt nicht gemacht worden sei. Mit der Auszahlung der Löhne ohne Aussicht, die auf sie entfallenden Steuern abführen zu können, habe der Kläger seine Pflichten als Geschäftsführer zumindest grob fahrlässig verletzt.
Er wäre auch nicht entschuldigt, wenn sein ursprüngliches Vorbringen zuträfe, für ihn habe festgestanden, daß die Sparkasse Mittel für die Zahlung von Steuern nicht zur Verfügung stellen werde. Er hätte dann einen Überweisungsauftrag bezüglich der Löhne nicht erteilen dürfen, da festgestanden habe, daß er die mit der Lohnzahlung entstehenden steuerlichen Verpflichtungen nicht würde erfüllen können. Daß die Beachtung seiner steuerlichen Pflichten zur Stillegung des Betriebes geführt hätte, hätte den Kläger von ihrer Einhaltung nicht befreit.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 34, 69 AO 1977 durch das FG. Er macht geltend, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß er seine Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet würden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), nicht habe erfüllen können, weil solche Mittel nicht existiert hätten. Der vorliegende Sachverhalt entspreche nicht dem, über den der Senat im Beschluß vom 12. Juli 1983 VII B 19/83 (BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655) zu entscheiden gehabt habe. Während im dort entschiedenen Falle dem Geschäftsführer von der Bank eine (Kredit-)Linie zur Verfügung gestellt worden sei, über deren Verteilung und Inanspruchnahme er selbständig und verantwortlich habe verfügen können, habe er abwarten müssen, ob und in welchem Umfang die Sparkasse vorgelegte Zahlungsanweisungen und Schecks honorieren würde oder nicht.
Bei dieser Situation hätte es nichts genützt, wenn die Zahlungsanweisungen für die auszubezahlenden Löhne anteilig gekürzt worden wären, um dann aus den gekürzten Mitteln die Lohnsteuern abführen zu können. Hätte er dies getan, dann wäre die gleiche Situation bei Vorlage des Sammelüberweisungsauftrags für die Lohnsteuer entstanden. Wenn in einer solchen Situation ein Geschäftsführer versuche, zur möglichen Rettung des Betriebs und der Arbeitsplätze der kreditgebenden Bank wenigstens die Mittel für die Zahlung von Nettolöhnen ,,abzuringen", so könne darin keine grob fahrlässige Verletzung steuerlicher Verpflichtungen gesehen werden.
Die These des FG, der Geschäftsführer müsse es hinnehmen, daß der Betrieb dann stillgelegt werden müsse, werde vom Gesetz nicht mehr gedeckt. Aus der Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ergebe sich, daß die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers dort ende, wo er keinen eigenen Spielraum in der Verwaltung von Mitteln habe, die der Gesellschaft tatsächlich zur Verfügung stünden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den geänderten Haftungsbescheid vom 17. April 1984 aufzuheben.
Das FG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat nach dem seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt, an den der Senat mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, die Haftung des Klägers zu Recht bejaht.
Der Kläger hat den Haftungstatbestand der §§ 34 Abs. 1, 69 AO 1977 erfüllt, weil er als Geschäftsführer der KG die ihm obliegende Pflicht zur Abführung der einbehaltenen und dem FA angemeldeten Lohnsteuern und Lohnkirchensteuern für die Monate März und April 1978 zumindest grob fahrlässig verletzt hat und dadurch Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht erfüllt worden sind. Die Ausführungen des FG zu den lohnsteuerlichen Pflichten des Geschäftsführers, insbesondere zu der Verpflichtung zur Kürzung der auszuzahlenden Löhne zum Zwecke anteiliger Befriedigung des FA und der Arbeitnehmer bei nicht ausreichenden Mitteln der Gesellschaft, sind zutreffend und entsprechen der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Begründung des FG und die dort zitierten BFH-Entscheidungen Bezug genommen.
Im Streitfall bestand bereits bei Auszahlung der Löhne eine Verpflichtung des Klägers, für die spätere Abführung der Steuern im Fälligkeitszeitpunkt Sorge zu tragen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), weil nach den Feststellungen des FG die KG bereits seit längerer Zeit nicht mehr über eigene Mittel verfügte und der Kläger nicht davon ausgehen konnte, daß die die Löhne kreditierende Sparkasse auch einen Überweisungsauftrag hinsichtlich der Steuerabzugsbeträge ausführen werde. In dieser Situation durfte der Kläger die Löhne nicht ungekürzt auszahlen und damit Lohnsteuerverbindlichkeiten begründen, mit deren fristgerechter Tilgung er nicht rechnen konnte.
Selbst wenn nach dem Vorbringen des Klägers auch eine Auszahlung gekürzter Löhne ihn nicht in die Lage versetzt hätte, seine Verpflichtung zur Abführung der anteiligen Lohnsteuern zu erfüllen, weil die Sparkasse auch in diesem Falle die darauf entfallenden Steuern nicht überwiesen hätte, kann ihn dies nicht entlasten. In diesem Falle hätte er - gegebenenfalls unter Einschaltung und mit Unterstützung des für den Betrieb der KG zuständigen FA - die Sparkasse auf seine lohnsteuerlichen Verpflichtungen als Geschäftsführer hinweisen und auf eine gleichmäßige Erfüllung der Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern und dem FA drängen müssen. Wie der Senat in BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655 entschieden hat, darf ein Geschäftsführer einer GmbH nicht einer Vereinbarung mit einer Bank seine Zustimmung geben, die einseitig den Fiskus schlechterstellt als die Arbeitnehmer. Entgegen der Auffassung der Revision muß die vorgenannte Entscheidung, die sogar im Falle der ausdrücklichen Weisung der Bank, Kreditmittel nur für Nettolohnzahlungen zu verwenden, die Entlastung des Geschäftsführers verneint, auch für den Streitfall Berücksichtigung finden, in dem die Sparkasse eine solche Kreditauflage zwar nicht ausdrücklich erteilt hat, mit der Überweisung der Lohnsteuer durch diese aber nach den Feststellungen des FG nicht gerechnet werden konnte. Der Geschäftsführer verletzt seine öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Abführung der einbehaltenen Lohnsteuern zu sorgen, auch dann, wenn er sich stillschweigend damit einverstanden erklärt, daß die Bank durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge das FA gegenüber den Arbeitnehmern benachteiligt.
Schließlich muß der Geschäftsführer, wenn er auf anderem Wege keine Möglichkeit findet, seine rechtliche Stellung zu verwirklichen und seine Pflichten zu erfüllen, sogar von seinem Amt zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1963 V 45/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 96).
Entgegen der Meinung der Revision ist der Geschäftsführer von der Einhaltung steuerlicher Verpflichtungen auch dann nicht befreit, wenn diese - etwa durch Arbeitsniederlegung seitens der Arbeitnehmer bei Auszahlung gekürzter Nettolöhne - die Gefahr der Betriebsstillegung mit sich bringt. Wie der Senat entschieden hat, rechtfertigen es auch das natürliche Bestreben des Unternehmers oder Geschäftsführers, zunächst die für den Fortbestand des Betriebs unumgänglichen Verpflichtungen zu befriedigen, und der hohe Rang, der der Erhaltung des Betriebs und seiner Arbeitsplätze nach der bestehenden Rechts- und Sozialordnung zukommt, nicht, die Abführung der auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuer an das FA zurückzustellen (Beschluß des Senats vom 17. Juli 1984 VII S 9/84, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 69, Rechtsspruch 7). Im Hinblick auf die dargestellten verschiedenen Möglichkeiten und Obliegenheiten des Klägers, bei deren Beachtung die eingetretene Steuerverkürzung vermieden worden wäre, stellt die Hinnahme der Nichtüberweisung der Steuerabzugsbeträge durch die Sparkasse jedenfalls eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar.
Fundstellen
Haufe-Index 415331 |
BFH/NV 1988, 345 |