Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff der Kleinwohnung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG richtet sich nach dem Bundesrecht der jeweils geltenden Fassung.
2. Dem Begriff eines Kleinwohnungsbaus steht nicht jede gewerbliche Nutzung entgegen. Jedoch muß der Wohnzweck eindeutig überwiegen und das Gesamtbild des Gebäudes prägen; die gewerblich genutzten Flächen dürfen nur Nebensache sein und nicht mehr als ein Drittel der Gesamtfläche bedecken.
2. Für den begünstigten Zweck ist die beabsichtigte und durchgeführte Ausgestaltung und Verwendung des Gebäudes maßgebend, aber nicht das Motiv des Erwerbs.
Normenkette
GrEStG § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c
Tatbestand
Die Klägerin ist eine gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft. Sie hat im Jahr 1958 für 7 000 DM ein 70 qm großes Grundstück mit Wohnhaus gekauft; es liegt an einer Geschäftsstraße einer Kreisstadt mittlerer Größe. Die Klägerin wollte das Gebäude abreißen und das Grundstück neu bebauen. Gemäß ihrer Erklärung, auf dem Grundstück einen Kleinwohnungsbau zu errichten, hat ihr das FA (Beklagter) Grunderwerbsteuerbefreiung gewährt.
Die Klägerin ließ das erworbene Gebäude abreißen. Dafür hat sie 7 746 DM aufgewandt. Das auf Rechnung der Kaufanwärter errichtete neue Gebäude wurde Ende des Jahres 1962 bezugsfertig. Es besteht aus einem Erdgeschoß, zwei Obergeschossen und einem ausgebauten Dachgeschoß. Das Erdgeschoß enthielt ein Ladengeschäft; die übrigen Geschosse dienen Wohnzwecken. Nach den - vom FG nicht ausdrücklich übernommenen - Feststellungen des FA beträgt die gewerblich genutzte Fläche 35,55 qm, die Wohnfläche 103,92 qm. Für die Einheitsbewertung wurde der Wertanteil der gewerblichen Räume auf 43 v. H. festgestellt.
Das FA hat wegen Aufgabe des begünstigten Zwecks (§ 4 Abs. 2 GrEStG) Grunderwerbsteuer nachgefordert. Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Das FG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG ist beim Kleinwohnungsbau im Sinne der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen von der Besteuerung ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von Kleinwohnungen durch ein Unternehmen, das als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen oder als Organ der staatlichen Wohnungspolitik anerkannt ist (gemeinnützige Bauträger). Die letztgenannte subjektive Voraussetzung ist erfüllt. Der Begriff der Kleinwohnungen richtet sich, obschon das GrEStG 1940 Landesrecht geworden ist (Urteil II 88/62 vom 13. Oktober 1965, BFH 83, 538 [542], BStBl III 1965, 694), wegen seiner Pauschalverweisung in den der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterliegenden Bereich des Wohnungswesens (Art. 74 Nr. 18 GG) nach dem Bundesrecht der jeweils geltenden Fassung (Urteil II 171/62 vom 19. Januar 1966, BFH 85, 38 [39 f], BStBl III 1966, 226). Demnach gilt für die Wohnflächenbegrenzung nicht mehr § 10 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) vom 23. Juli 1940 (RGBl I 1940, 1012), sondern § 11 WGGDV vom 25. April 1957 (BGBl I 1957, 406) mit der Folge, daß die dort in Abs. 1 Satz 1 beschriebene Wohnflächenbegrenzung für nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz (I. WoBauG) oder Zweiten Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) öffentlich geförderte und steuerbegünstigte Wohnungen entfällt (? 11 Abs. 1 Satz 2 WGGDV 1957) und für diese die Flächenbegrenzungen der Wohnungsbaugesetze Platz greifen. Das hat das FG nicht verkannt; es hat vermerkt, daß das errichtete Gebäude gemäß § 92 Abs. 1 des II. WoBauG vom 27. Juni 1956 (BGBl I 1956, 523) steuerbegünstigt war.
Die Nachforderung der Grunderwerbsteuer ist gerechtfertigt, wenn das errichtete Gebäude nicht den Kleinwohnungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG zuzurechnen ist (§ 4 Abs. 2 GrEStG).
Zutreffend ist das FG unter Hinweis auf die nur beispielhafte Aufzählung des § 11 Abs. 6 WGGDV, das Urteil des BGH V ZR 157/54 vom 2. Mai 1956 (DB 1956, 568; BB 1956, 514), das Urteil des RFH II A 388/28 vom 6. November 1928 (StuW 1929 Nr. 90) und das Urteil des BFH II 203/60 U vom 17. Oktober 1962 (BFH 76, 50, BStBl III 1963, 19) davon ausgegangen, daß nicht jede gewerbliche Nutzung dem Begriff eines Kleinwohnungsbaus entgegensteht (vgl. Urteil II 171/62 vom 19. Januar 1966, BFH 85, 38, BStBl III 1966, 226). Zwar ist nicht schlechthin jedes Eigenheim ein Kleinwohnungsbau, wohl aber jedes unter § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GrEStG fallende Eigenheim wegen der dort enthaltenen Einschränkung auf Kleinwohnungen. Wegen des sozial- und siedlungspolitischen Zwecks des § 4 Abs. 1 GrEStG können kleine, für die Siedlung erforderliche Läden nicht schädlich sein (vgl. RFH a. a. O.). Die Begrenzung ergibt sich aus dem Wort "Kleinwohnungsbau".
Demnach ist das FG mit Recht davon ausgegangen, daß unter der Voraussetzung, daß sich das Gebäude im ganzen als Kleinwohnungsbau darstelle, eine gewerbliche Nutzung der Steuerbefreiung nicht schade, sofern der Wohnzweck eindeutig überwiegt, die gewerblich gentutzten Flächen nur Nebensache sind und nicht mehr als ein Drittel der Gesamtfläche betragen. Die Ausführungen, mit denen das FG die Nebensächlichkeit der gewerblichen Nutzung und das Überwiegen der Wohnzwecke verneint, halten dagegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das FG weist darauf hin, daß sich aus Kaufpreis und Abbruchkosten für jeden Quadratmeter des erworbenen Grundstücks ein Preis von mehr als 200 DM ergibt. Aus diesem - zweifelsohne sehr hohen - Quadratmeterpreis schließt es, daß für den Erwerb des Grundstücks in erster Linie die Geschäftslage (zum Betrieb des Ladens als Existenzgrundlage der Kaufanwärter), also gewerbliche Zwecke bestimmend waren. Das FG verkennt dabei den Unterschied zwischen dem begünstigten Zweck und dem Motiv des Erwerbs.
Der erste Erwerb eines von einem gemeinnützigen Bauträger geschaffenen Wohnhauses, das den für Kleinwohnungen geltenden Bestimmungen entspricht, durch eine Person, die das Grundstück als Eigenheim übernimmt, ist, sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, auch dann gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit, wenn den Erwerber ausschließlich gewerbliche Gründe zum Kauf gerade dieses (und nicht eines anderen) Wohnhauses veranlaßt haben. Handelt es sich wirklich um ein als Eigentum genutztes Kleinwohnungshaus, ist es unschädlich, wenn der Erwerber - etwa ein Handwerker - dieses Haus trotz höheren Preises allein deshalb gekauft hat, weil es neben seinem Betrieb liegt und er so die Buchhaltungsarbeiten bequem zu Hause verrichten kann. Das gleiche gilt bei einem anderen Erwerber, der keine besonderen Gewerberäume braucht (Heimarbeiter, Handelsvertreter, Versicherungsagent), wenn er hofft, von dieser Stelle aus seine Erzeugnisse besser absetzen oder seine Leistungen besser anbieten zu können als von einer anderen. Die Motive des Erwerbers sind also selbst im Falle des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GrEStG unerheblich; es kommt allein darauf an, ob die beabsichtigte und durchgeführte Ausgestaltung oder Verwendung des Gebäudes diesem entweder den Charakter einer Kleinwohnung und eines Eigenheims beläßt oder nimmt. Daraus folgt, daß es für § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG erst recht nicht auf die Motive des Nacherwerbers ankommen, kann. Maßgebend ist, ob die errichteten Wohnungen Kleinwohnungen sind oder nicht.
Der Grundstückspreis - hier einschließlich der Abbruchkosten - als solcher ist für die Befreiung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unerheblich, unbeschadet des Ausschlusses der sogenannten Luxuswohnungen durch § 11 Abs. 4 WGGDV 1957. Ein hoher Grundstückspreis kann allerdings - und insofern ist dem FG beizutreten - bei Hinzutreten gewerblicher Nutzung ein Indiz dafür sein, daß diese nicht mehr "Nebensache" ist und der Wohnzweck zurücktritt. Das ist aber durch Tatsachen zu belegen, die sich auf das errichtete Gebäude selbst beziehen; es folgt nicht schon aus dem Erwerbsaufwand. Bei einem kleinen Gebäude in der Geschäftsstraße einer Mittelstadt ist der gezogene Schluß nicht zwingend.
Das FG hat noch erwogen, der "Fall wäre möglicher weise anders zu beurteilen, wenn das Gebäude mit den gleichen Nutzungsverhältnissen in einer Siedlung errichtet und in seiner Bauweise den übrigen Siedlungshäusern angepaßt worden wäre". Zufolge des erstgenannten Gesichtspunktes kann nicht ausgeschlossen werden, daß das FG unter Beachtung der vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkte anders entschieden hätte. Dem zweitgenannten Argument könnte allerdings entnommen werden, daß das FG der Ansicht war, das errichtete Gebäude sei seiner Baustruktur nach und im Verhältnis zu den umgebenden Bauten kein Wohngebäude mit einem kleinen Laden, sondern ein Geschäftshaus mit einer kleinen Wohnung. Dazu ist jedoch keine Feststellung getroffen außer der des (unerheblichen) Fehlens eines Gartens oder einer Grünfläche.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Mangels tatsächlicher Feststellungen über das Erscheinungsbild des Gebäudes und über seine Umgebung kann der BFH zur Abgrenzung im einzelnen nichts Näheres ausführen. Das FG wird zunächst feststellen müssen, wie das errichtete Gebäude nach Grundriß und äußerem Bilde zu beurteilen ist.
Nicht maßgebend sind - zumal im Falle des Buchst. a des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG - ergänzende Ausgestaltungen, mit denen der Nacherwerber das Gebäude versieht (z. B. eine Lichtreklame), selbst wenn diese im Einzelfall dem Gebäude einen eindeutig gewerblichen (oder im umgekehrten Falle: nichtgewerblichen) Anstrich verleihen sollte. Dagegen wird das Gesamtbild wesentlich bestimmt durch die - bereits im Bauplan auszuweisende - Gestaltung des Ladens, insbesondere seiner Fensterfläche. Die Größe eines Ladens (aus den tatsächlichen Feststellungen ist nicht zu ersehen, ob die gesamten 35,55 qm auf diesen entfallen) und dessen Ausgestaltung können den Charakter eines Gebäudes derart prägen, daß es auch dann nicht mehr als Wohngebäude mit nebensächlicher gewerblicher Nutzung anzusprechen ist, wenn die gewerblich genutzte Fläche weit unter einem Drittel der anrechenbaren Gesamtfläche des Gebäudes bleibt. Die Tatsachen, welche ein solches Bild ergeben, müssen jedoch festgestellt werden.
Demnach kann der weitergehenden Ansicht der Klägerin nicht gefolgt werden, die Eigenschaft eines Kleinwohnungsbaus bestimme sich allein nach dem Verhältnis der Quadratmeterfläche des gewerblich genutzten Raumes einerseits, des zu Wohnzwecken bestimmten Raumes andererseits. Denn § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG befreit nur den Erwerb "zur Schaffung von Kleinwohnungen", nicht aber auch den Erwerb zu der den gemeinnützigen Bauträgern in § 9 Abs. 1 Buchst. g WGGDV unter bestimmten Voraussetzungen zugelassenen Errichtung von Gewerberäumen. Solche können also nur insoweit in § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG Geinbezogen werden, als sie den Charakter des Gebäudes als Kleinwohnungsbau, den Charakter der Wohnungen als Kleinwohnungen nicht stören. Das trifft schon bei enger Auslegung der Befreiungsvorschrift für solche gewerblich genutzten Räume zu, die ebensogut als Wohnräume verwendet werden könnten, so das Arbeitszimmer des Schriftstellers oder des Handelsvertreters. Für die Abgrenzung des Kleinwohnungsbaus ist folglich nicht die einkommensteuerrechtliche Grenze zwischen privatem Wohnen und gewerblicher (oder freiberuflicher) Nutzung maßgebend. Deshalb ist auch der Einbau eines kleinen Ladens unschädlich, wenn Wohnfläche und Laden insgesamt bei nicht allzu engherziger Betrachtung noch als Kleinwohnung angesprochen werden können.
Im gleichen Umfang, in dem der Begriff der Kleinwohnung selbst ausgeweitet worden ist (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 WGGDV auf Grund des Art. I Nr. 6 der Änderungsverordnung vom 25. April 1957, BGBl I 1957, 401), war zwangsläufig auch insoweit ein großzügigerer Standpunkt geboten. Deshalb können gewerblich genutzte Räume bis zu einem Drittel der Gesamtfläche unschädlich sein. Daß heißt aber nicht, daß sie stets unschädlich sein müssen. Vielmehr ist nach wie vor zu fordern, daß der Wohnzweck überwiegt und ihm gegenüber der gewerblich genutzte Raum Nebensache ist. Das trifft z. B. nicht mehr zu, wenn etwa im Geschäftszentrum einer Großtadt ein Geschäftshaus mit beschränkter Grundfläche (z. B. in der Altstadt) erbaut wird, das zwar infolge dieser kleinen Grundfläche im Erdgeschoß nur einen kleinen Laden erhält, der aber das äußere Bild und den Hauptverendungszweck des Gebäudes bestimmt, und wenn die oberen Geschosse nur aus baurechtlichen Gründen oder um der besseren Flächennutzung willen errichtet und mit Kleinwohnungen versehen worden sind.
Es ist nicht zu verkennen, daß das "Gesamtbild" des Gebäudes als Abgrenzungsmerkmal nicht von der begrifflichen Schärfe ist, wie es für eine zweifelsfreie Gesetzesauslegung wünschenswert wäre. Wortlaut und Sinn des Gesetzes lassen aber nicht zu, die Befreiung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG auch dem Grundstückserwerb zur Errichtung von Geschäftsbauten zu gewähren, wenn sie unter anderem auch eine Kleinwohnung enthalten. Andererseits kann die Befreiung zur Errichtung von Kleinwohnungen nicht daran scheitern, daß in einer solchen nebenbei ein Kleingewerbe betrieben wird. Der offenbar soziale Zweck der Befreiungsvorschrift würde verletzt, wenn bereits der nebenher beabsichtigte Betrieb eines Kleingewerbes - etwa einer allein vom Kaufanwärter ohne Gehilfen betriebenen Flickschneiderei oder Flickschusterei - oder von Heimarbeit steuerschädlich wäre, selbst wenn mit Rücksicht auf diese gewerbliche Betätigung das Gebäude geringfügig anders gestaltet würde als ein reines Wohngebäude.
Geht auch infolge der Entwicklung der Verhältnisse diese Art von Kleingewerbe zurück, so rechtfertigt § 1 Abs. 2 StAnpG doch nicht, den Definitionsbereich der Befreiungsvorschrift auf einen Bereich auszuweiten, für den sie nicht bestimmt ist (vgl. Urteil II 109/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 250, BStBl II 1970, 600). Die schon ursprünglich im Gesetz und in der in Bezug genommenen Durchführungsverordnung zum Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz enthaltenen normativen Merkmale können nicht von ihrem Sinngehalt abweichend in deskriptive Tatbestandsmerkmale verwandelt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 69416 |
BStBl II 1971, 340 |
BFHE 1971, 305 |