Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung zugunsten des Finanzamtes
Leitsatz (NV)
Auch eine Behörde ist zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet; Erledigung und Absendung muss durch jemanden kontrolliert werden, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die Postausgangsstelle reicht nicht aus; diese ist auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstückes hinzuweisen.
Normenkette
FGO §§ 56, 97, 121
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat die am 1. August 2005 abgelaufene Revisionsbegründungsfrist versäumt. Nachdem dies von der Senatsvorsitzenden am 10. August 2005 mitgeteilt worden war, beantragte das FA am 24. August 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug zur Begründung vor, die Revisionsbegründung am 21. Juli 2005 zur Post gegeben zu haben, das Schreiben sei offensichtlich auf dem Postweg verloren gegangen. Beigefügt war das Original der Revisionsbegründung. Aus diesem ergibt sich, dass die Reinschrift am 20. Juli 2005 ausgedruckt, dem Amtsvorsteher zur Unterschrift vorgelegt und von diesem unterzeichnet worden ist. Die Absendung wurde vom Bearbeiter am 21. Juli 2005 vermerkt.
Das FA trug dazu vor, der Bearbeiter, Regierungsdirektor W, habe die Revisionsbegründung am 21. Juli 2005 persönlich zur Poststelle gebracht und die Bediensteten dort auf das fristwahrende Schriftstück ausdrücklich hingewiesen. Es bestehe die Anweisung, die Bediensteten der Poststelle auf die Eilbedürftigkeit der Gerichtspost hinzuweisen und erst danach die Übergabe an die Poststelle auf der Verfügung zu vermerken. Die Bediensteten der Poststelle seien angewiesen, die ihnen übergebenen Gerichtsschreiben unverzüglich zu bearbeiten und in den Postausgang zu geben. Die arbeitstäglich ausgehende Post werde gegen 13.00 Uhr von der Deutschen Post AG beziehungsweise von einem privaten Zustelldienst abgeholt. Ein zentrales Fristenkontrollbuch werde nicht geführt. Da zwischen dem Absendetag und dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ein Zeitraum von 11 Tagen gelegen habe, hätte der Schriftsatz bei normalem Postlauf rechtzeitig beim Gericht eingehen müssen. Deshalb sei auch --anders als bei der kurz vor Fristablauf eingelegten Revision-- davon abgesehen worden, die Begründungsschrift vorsorglich zusätzlich per Fax zu versenden.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist der Auffassung, es sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist zulässig. Dem FA wird nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, weil es kein Verschulden an der Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist trifft. Der Senat entscheidet über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Zwischenurteil (§§ 121, 97 FGO; vgl. Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juni 1999 V R 33/97, BFHE 189, 573, BStBl II 2000, 235).
Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt nach § 56 Abs. 2 FGO in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb von zwei Wochen, bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489; vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, und vom 24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für ein Wiedereinsetzungsgesuch des Steuerpflichtigen entwickelt worden sind (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946, und vom 8. September 1998 VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73).
Bei Berufung auf den Verlust eines Schriftsatzes bei der Postbeförderung, wie er hier vorgetragen wird, sind die Tatsachen, aus denen sich die rechtzeitige Absendung bzw. Aufgabe zur Post ergibt, detailliert anzugeben. Die Rechtsprechung verlangt dabei vom Steuerpflichtigen bzw. seinem Bevollmächtigten, dass er die Versendungsart bezeichnet und darlegt, zu welchem Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) der Briefumschlag mit dem betreffenden Schriftsatz von welcher Person und auf welche Weise (Abgabe beim Postamt oder Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) zur Post aufgegeben worden ist (BFH-Beschluss vom 13. Januar 2004 VII B 127/03, BFH/NV 2004, 655).
Auch eine Behörde ist zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229, und vom 7. Juli 2003 II B 5/03, BFH/NV 2003, 1440). Dabei muss die Erledigung und Absendung durch jemanden kontrolliert werden, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (BFH-Beschlüsse vom 26. August 1997 VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, und vom 6. November 1997 VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709, m.w.N.). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reicht hierfür nicht aus, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt. Vielmehr muss derjenige, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war, die mit der Absendung beauftragte Poststelle auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstückes hinweisen (BFH-Beschlüsse vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; vom 10. Juli 1996 II R 12/96, BStBl II 1997, 253, BFH/NV 1997, 47, und vom 7. Juli 2003 II B 5/03, BFH/NV 2003, 1440). Dies hat das FA im Streitfall glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 2003 IX R 41/01, BFH/NV 2004, 1267, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 143 Rz. 2).
Fundstellen
Haufe-Index 1571973 |
BFH/NV 2006, 2082 |