Leitsatz (amtlich)
Die Forderung einer GmbH auf Einzahlung ausstehender Einlagen auf das Stammkapital ist jedenfalls dann bewertungsfähig, wenn das ausstehende Kapital am maßgebenden Feststellungszeitpunkt aufgrund einer Satzungsbestimmung oder eines Gesellschafterbeschlusses eingefordert ist.
Normenkette
BewG 1965 § 97
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ist eine GmbH. Am 6. Dezember 1969 beschlossen ihre Gesellschafter eine Kapitalerhöhung durch Bareinlage um 32,4 Mio DM. Die Kapitalerhöhung wurde unter dem 30. Dezember 1969 in das Handelsregister eingetragen.
Auf das erhöhte Kapital wurden 1969 noch 9 Mio DM geleistet. Am 6. Januar 1970 wurden weitere 20 Mio DM und am 12. Februar 1970 die restlichen 3,4 Mio DM eingezahlt. Bezüglich des 1969 nicht geleisteten Restbetrages von 23,4 Mio DM wurde in der Gesellschafterversammlung vom 6. Dezember 1969 folgendes beschlossen: "Die Einzahlung der restlichen Bareinlagen erfolgt nach Beschlußfassung durch die Gesellschafterversammlung, jedoch spätestens bis zum 16. Februar 1970."
Am 29. Dezember 1969 veräußerten die Gesellschafter der Klägerin 74 v. H. ihres Anteilbesitzes an die X-AG.
Diese übernahm im Kaufvertrag an Stelle der Verkäufer die Verpflichtung zur Einzahlung des Kapitals. Diese Verpflichtung wurde auf den Kaufpreis angerechnet. Außerdem wurden in dem Kaufvertrag der X-AG die Verpflichtung auferlegt, die Restsumme auf die Kapitalerhöhung in zwei Raten am 6. Januar 1970 und am 15. Februar 1970 einzubezahlen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1970 auf ...Mio DM fest. Bei dieser Einheitswertfeststellung hat das FA eine Forderung für ausstehende Einlagen in Höhe von 23,4 Mio DM berücksichtigt.
Die Sprungklage, mit der sich die Klägerin gegen den Ansatz der Forderung auf Einzahlung der ausstehenden Einlagen wandte, hat das FG abgewiesen.
Die Revision der Klägerin rügt, die bewertungsrechtliche Behandlung der sogenannten Resteinzahlungsforderung auf nichteingezahltes Kapital habe in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis eine Fehlentwicklung genommen. Dies sei darin begründet, daß diese Forderung von der Rechtsprechung schon frühzeitig normalen Forderungen gleichgestellt worden sei. Vor der entscheidenden Wende in der Handhabung der Resteinzahlungsforderung aufgrund des Gutachtens des RFH vom 13. April 1928 habe jedoch die Verwaltung deren Erfassung abgelehnt. Das FG habe sich kritiklos auf den Boden der bisherigen Rechtsprechung gestellt, ohne aufgrund des Vortrags der Klägerin den Fragenkreis neu zu durchdenken.
Nach Abschn. 85 Abs. 3 VStR sei die Resteinzahlungsforderung nur dann mit 0 DM zu bewerten, wenn mit der Einzahlung der noch ausstehenden Einlage nicht mehr zu rechnen sei. Damit werde der Ansatz dieser Forderung von der Wahrscheinlichkeit der Einzahlung abhängig gemacht, ohne daß der Grad dieser Wahrscheinlichkeit näher bestimmt sei. Dies führe dazu, daß der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verlassen werde.
Die Rechtsauffassung des RFH gehe davon aus, daß Resteinzahlungsforderungen dann nicht als Vermögensposten angesetzt werden könnten, wenn sie nach der Verkehrsanschauung kein Aktivum seien. Damit werde praktisch nur bei Versicherungsgesellschaften die Forderung nicht angesetzt, weil bei diesen Gesellschaften erfahrungsgemäß mit der Einzahlung des Restkapitals nicht zu rechnen sei. Der BFH habe dagegen die Auffassung vertreten, daß die Resteinzahlungsforderung dann wertlos sei, wenn am Stichtag keine Tatsachen vorlägen, die nach vernünftiger kaufmännischer und wirtschaftlicher Überlegung auf eine alsbaldige Einzahlung schließen ließen. Der BFH habe damit das Regel-/Ausnahmeverhältnis im Vergleich zur Auffassung des RFH umgekehrt, ohne daß dies in seinen Entscheidungen ausdrücklich ausgesprochen würde. Die angefochtene Entscheidung des FG und die Vermögensteuer-Richtlinien entsprächen nicht dieser neuesten Rechtsauffassung, denn sie stellten auf die Wahrscheinlichkeit der Einziehung des Restkapitals ab.
Die Klägerin vertritt weiter die Auffassung, die Resteinzahlungsforderung sei zu Unrecht den übrigen zivilrechtlichen Forderungen gleichgestellt worden. Weder das Aktiengesetz (AktG) noch das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) bezeichnet den Tatbestand noch ausstehender Einlagen als Forderung der Gesellschaft. Dies sei nicht auf eine Nachlässigkeit in der Formulierung zurückzuführen. Außerdem könne sowohl nach Aktiengesetz als auch nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung die ausstehende Einlage erst dann eingeklagt werden, wenn die Gesellschafter vom Vorstand bzw. der Geschäftsführung zur Einzahlung aufgefordert worden seien. Die Einforderung sei damit konstitutive Voraussetzung dafür, eine eintreibbare und verzinsliche Forderung anzunehmen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Feststellungsbescheid das FA aufzuheben und bei der Einheitswertfeststellung zum 1. Januar 1970 die Resteinzahlungsforderung von 23,4 Mio DM außer Ansatz zu lassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 des BewG 1965 gehören zum Betriebsvermögen einer GmbH alle Wirtschaftsgüter, die der Gesellschaft gehören. Forderungen sind Wirtschaftsgüter i. S. des Bewertungsrechts. Damit gehört auch eine bewertbare Forderung auf Einzahlung ausstehenden Kapitals zum Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft.
2. Seit dem Gutachten des RFH vom 13. April 1928 I D 1/28 (RFHE 23, 212, auszugsweise RStBl 1928, 171) wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß Ansprüche einer Kapitalgesellschaft auf Leistung des noch nicht eingezahlten Kapitals grundsätzlich zum steuerbaren Vermögen der Gesellschaft gehören. Ausnahmsweise sind diese Ansprüche nicht als Vermögen zu betrachten, wenn am maßgebenden Stichtag die Resteinzahlung weder eingefordert ist noch feststeht, ob und wann mit der Einforderung zu rechnen ist, und die Verkehrsanschauung das Nachforderungsrecht nicht als einen Vermögenswert ansieht. Der RFH war seinerzeit der Meinung, daß danach regelmäßig bei Versicherungsgesellschaften das Nachforderungsrecht auf nichteingezahlte Einlagen kein Aktivum sei. In den Entscheidungen vom 21. Dezember 1928 I A 227/28 (RStBl 1929, 212) und vom 6. August 1929 I A b 438/29 (RStBl 1929, 581) faßte der RFH seine Rechtsauffassung dahin zusammen, daß nach ständiger Rechtsprechung der Anspruch auf das noch ausstehende Kapital auch dann zum Vermögen einer Kapitalgesellschaft gehöre, wenn ein Beschluß, es einzufordern, am Bewertungsstichtag noch nicht vorliege. Für die Höhe des Ansatzes dieses Anspruchs sei die Wahrscheinlichkeit maßgebend, mit der nach den Verhältnissen vom Stichtag mit der Einforderung zu rechnen gewesen sei; unter Umständen sei danach das ausstehende Kapital auch mit 0 anzusetzen. Mit Urteil vom 30. Januar 1930 III A 63/29 (RStBl 1930, 137) hat der RFH entschieden, daß das noch nicht eingezahlte Kapital nicht zu bewerten sei, weil nach den Verhältnissen vom Bewertungsstichtag keine bestimmten Tatsachen vorgelegen hätten, die bei vernünftiger kaufmännischer Erwägung die Einforderung derart zweckmäßig erscheinen ließen, daß mit ihr ernstlich zu rechnen gewesen sei. An dieser Rechtsprechung hat der RFH in dem zur Anteilsbewertung ergangenen Urteil vom 14. Oktober 1937 III A 147/37 (RStBl 1937, 1223) und in der zum Schuldabzug eines Gesellschafters wegen nicht vollständig eingezahlten Kapitals ergangenen Entscheidung vom 12. Januar 1939 III 14/38 (RStBl 1939, 605) festgehalten.
Der BFH hat sich dieser Rechtsprechung des RFH mit Urteil vom 13. Mai 1960 III 354/57 U (BFHE 71, 400, BStBl III 1960, 400) angeschlossen. Mit der weiteren Entscheidung vom 23. Oktober 1964 III 365/61 U (BFHE 81, 178, BStBl III 1965, 64) hat der BFH für die Anteilsbewertung entschieden, daß eine Forderung auf einen Teil des noch nicht geleisteten Stammkapitals für die Ermittlung des Vermögenswerts der Gesellschaft anzusetzen sei, weil mit dessen alsbaldiger Einzahlung mit Gewißheit zu rechnen gewesen sei.
3. Die ausstehende Einlage auf das Kapital einer Kapitalgesellschaft stellt rechtlich eine Forderung der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter dar, die unabhängig davon besteht, ob sie bereits eingefordert und fällig ist oder nicht. Sie ist im Sinn des bürgerlichen Rechts ein echter Vermögensgegenstand. Dies ergibt sich auch daraus, daß die Gesellschaft auf die ausstehende Einlage nicht verzichten kann (§ 19 Abs. 2 GmbHG, § 66 Abs. 1 AktG). Allerdings bildet die Forderung auf die ausstehende Einlage bilanzrechtlich einen Korrekturposten zum Kapital der Gesellschaft, das in der Bilanz in Höhe des vollen Nennbetrags auszuweisen ist (vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 151 Anm. 40; Mellerowicz in Großkommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 151 Anm. 15). Dementsprechend ist die noch ausstehende Einlage auf der Aktivseite der Bilanz gesondert auszuweisen. Dies gilt nicht nur für Aktiengesellschaften (vgl. § 151 Abs. 1 AktG), sondern auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., § 42 Anm. 3 und 18; vgl. auch den Referentenentwurf eines Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 1969, § 129 Abs. 1 und die Begründung hierzu auf S. 287). Soweit nach § 151 Abs. 1 AktG die eingeforderten Einlagen auf das Kapital gesondert auszuweisen sind, hat das nur die Bedeutung, die Liquidität der Gesellschaft in der Bilanz besser zu kennzeichnen (Mellerowicz, a. a. O.).
Der Senat stimmt der Klägerin zu, daß die im Steuerrecht aufgrund § 1 Abs. 2 StAnpG in besonderem Maße gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise für die Besteuerung eine Beurteilung der ausstehenden Einlage unter Betonung ihrer wirtschaftlichen Komponente erfordert. Dies hat die Rechtsprechung der Vergangenheit aber beachtet, denn sie hat die ausstehende Einlage nicht unterschiedslos unter Berufung auf deren bürgerlich-rechtlichen Forderungscharakter als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens angesehen. Für die Entscheidung dieses Falles muß es offenbleiben, ob der Senat der bisherigen Abgrenzung zwischen einer ausstehenden Einlage, die als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens zu behandeln ist, und einer ausstehenden Einlage, die mit 0 DM zu bewerten ist, in jeder Hinsicht folgen würde; denn eine ausstehende Einlage, die am Bewertungsstichtag eingefordert ist, ist grundsätzlich auch steuerrechtlich als Forderung zu behandeln, die einen Vermögenswert besitzt. Dies gilt auch dann, wenn der Zeitpunkt, zu dem das Kapital eingefordert ist, nach dem Bewertungsstichtag liegt. Die ausstehende Einlage auf die Kapitalerhöhung der Klägerin vom 6. Dezember 1969 war aber am 1. Januar 1970 eingefordert.
4. Nach § 46 Nr. 2 GmbHG unterliegt die Einforderung von Einzahlungen auf das Stammkapital mit Ausnahme des einzuzahlenden Mindestbetrags von 25 v. H. (vgl. § 57 Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 2 GmbHG) der Bestimmung der Gesellschafter. Diese Vorschrift ist jedoch nicht zwingendes Recht, wie sich aus § 45 Abs. 2 GmbHG ergibt. Eines besonderen Gesellschafterbeschlusses auf Einforderung der noch ausstehenden Einlage bedarf es dann nicht, wenn im Beschluß über die Kapitalerhöhung im voraus der Termin für die Leistung der ausstehenden Einlage bestimmt worden ist (vgl. Entscheidung des Reichsgerichts vom 18. Oktober 1932 II 91/32, RGZ 138, 106 [110/111]). Denn in diesem Fall ist der Einforderungsbeschluß mit dem Kapitalerhöhungsbeschluß verbunden. Dieser Sachverhalt ist nach den unangefochtenen und damit für den Senat verbindlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) bei der Klägerin gegeben.
In dem vor dem 1. Januar 1970 ergangenen Beschluß über die Kapitalerhöhung wurde vereinbart, daß die noch nicht eingezahlte Bareinlage nach Beschluß der Gesellschafterversammlung, jedoch spätestens bis zum 16. Februar 1970 zu leisten sei. Aus diesem Beschluß ergibt sich, daß eine Einforderung vor dem 16. Februar 1970 zwar eines Gesellschafterbeschlusses bedurfte, daß aber, wenn ein Gesellschafterbeschluß nicht erging, die Einzahlung jedenfalls bis spätestens 16. Februar 1970 zu leisten sei. Daß auch nach Auffassung der Gesellschafter der Klägerin nach den Verhältnissen vom 1. Januar 1970 die ausstehende Einlage eingefordert war, ergibt sich auch aus den Verkaufsverträgen über einen wesentlichen Anteil der Gesellschafterbeteiligung, die am 29. Dezember 1969 geschlossen wurden. Denn die von der Käuferin der Anteile übernommene Verpflichtung zur Einzahlung der ausstehenden Einlage wurde auf den Kaufpreis angerechnet.
Die Klägerin meint schließlich, daß jedenfalls bei einer GmbH die Forderung auf Einzahlung des ausstehenden Kapitals erst bewertungsfähig sei, wenn aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses die Geschäftsführung die Gesellschafter zur Zahlung aufgefordert habe; denn erst von diesem Zeitpunkt an sei die Forderung verzinslich und einklagbar. Die Klägerin verkennt mit diesem Einwand, daß es für die Bewertungsfähigkeit einer Forderung nicht darauf ankommt, daß sie fällig ist. Entscheidend für ihre Behandlung als Wirtschaftsgut ist vielmehr, daß sie am maßgebenden Feststellungszeitpunkt schon entstanden war. Es genügt für den Ansatz einer Forderung auf Einzahlung ausstehenden Kapitals aber jedenfalls, wenn am maßgebenden Feststellungszeitpunkt aufgrund der Satzung oder eines Gesellschafterbeschlusses feststeht, daß sie eingefordert wird und bis wann sie spätestens einzuzahlen ist.
5. Das FG hat damit zu Recht entschieden, daß der Feststellungsbescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1970 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Fundstellen
Haufe-Index 71655 |
BStBl II 1976, 5 |
BFHE 1976, 83 |