Leitsatz (amtlich)
1. Die ununterbrochene Belassung desselben Kapitals kann nicht unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten der Kapitalzuführung - also doppelt - zur Gesellschaftsteuer herangezogen werden.
2. Gewährt ein Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ein zinsloses Darlehen, ist die Zinslosigkeit dieses Darlehens insoweit, als die Darlehnsgewährung als eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung der Gesellschaftsteuer unterworfen wird, keine selbständig der Gesellschaftsteuer unterliegende Leistung des Gesellschafters.
2. War die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens an die Kapitalgesellschaft als Ersatz einer durch die Sachlage gebotenen Kapitalzuführung zur Gesellschaftsteuer herangezogen worden und verzichtet der Gesellschafter nachträglich auf die ursprünglich vereinbarte Verzinsung, unterliegt der Verzicht auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht unbedingt entstandenen Zinsansprüche für die Zukunft nicht der Gesellschaftsteuer.
Normenkette
KVStG §§ 3, 2; KVStG 1934/1955 § 2 Nr. 3 Buchst. b
Tatbestand
Der Alleingesellschafter der Klägerin, damals einer Aktiengesellschaft, hatte dieser am 21. Juli 1953 ein Darlehen gewährt, das zum jeweiligen Diskontsatz der Bank Deutscher Länder, höchstens aber mit 5 v. H. jährlich verzinst werden sollte. Dieses war der Gesellschaftsteuer unterworfen worden. Am 15. November 1954 vereinbarten die Klägerin und ihr Gesellschafter, daß das Darlehen für die Jahre 1954 bis 1957 zinsfrei gewährt werden solle. Das beklagte FA hatte zunächst den "Zinsverzicht" für die Jahre 1954 und 1955 zur Gesellschaftsteuer herangezogen. Durch Bescheide vom 12. Februar 1959 forderte der Beklagte wegen der Nichtverzinsung des Darlehens in den Jahren 1956 und 1957 von der Klägerin Gesellschaftsteuer an.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Grundlage der angefochtenen Steuerbescheide (§ 44 Abs. 2 FGO) ist § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934/1955. Nach dieser Vorschrift unterliegen der Gesellschaftsteuer "freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft, wenn die Leistungen geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen"; als Beispiele sind u. a. angeführt der "Verzicht auf Forderungen" und die "Überlassung von Gegenständen an die Gesellschaft zu einer den Wert nicht erreichenden Gegenleistung".
Die Eignung, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen, kommt der Zinslosigkeit eines Darlehens zu, wenn sie im Vergleich zu einer gegebenen oder gedachten Zinspflicht gesehen wird; ob besondere Umstände ihr diese Eignung nehmen können, kann dahingestellt bleiben. Nicht klar zu erkennen ist aber, worin die Leistung gesehen wurde, welche die Zinslosigkeit herbeiführte. Anders als bezüglich der Darlehnszinsen für die Zeit vom 1. Januar 1954 bis zum 15. November 1954 kann es sich nicht um den Verzicht auf eine bereits unbedingt entstandene (wenn auch möglicherweise noch nicht fällige) Forderung handeln; denn die Vereinbarung vom 15. November 1954 verhinderte für die Zukunft bereits die Entstehung eines Zinsanspruchs (zur Unterscheidung vgl. Urteil des BFH II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129 [136], BStBl II 1969, 550). Somit kann also eine der Gesellschaftsteuer etwa unterliegende Leistung nur noch entweder darin gesehen werden, daß der Alleingesellschafter am 15. November 1954 den Darlehnsbetrag für den Rest dieses Jahres und die Jahre 1955 bis 1957 unter Wert, nämlich zinslos überließ, oder darin, daß er vorweg auch auf die gemäß dem Darlehnsvertrag von 1953 erst künftig entstehenden (im Zweifel jeweils mit Jahresablauf fälligen; § 608 BGB) Zinsannuitäten dieser Kalenderjahre verzichtete.
Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen keinen zwingenden Schluß zu, welcher der beiden Fälle gegeben ist. Doch kann dahingestellt bleiben, ob im ersterwähnten Falle der einmalige Rechtsvorgang einer Änderung der Darlehnsbedingungen eine einheitliche Leistung des Gesellschafters dargestellt hätte, und ob diesfalls die unanfechtbar gewordene Besteuerung dieser Leistung hinsichtlich ihrer Auswirkungen in den Jahren 1954 und 1955 wegen § 222 AO (vgl. BFH-Urteil II 53/63 vom 15. Oktober 1968, BFH 94, 79 [81], BStBl II 1969, 86) einer weiteren Steuerfestsetzung für die Jahre 1956 und 1957 entgegengestanden hätte. Denn auch wenn der zweitgenannte Fall gegeben und auf die einzelnen Zinsannuitäten verzichtet worden wäre, wären die angefochtenen Steuerbescheide aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO).
Auch hinsichtlich künftiger Forderungen ist allerdings der Verzicht eine Leistung, die geeignet sein kann, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen, und die deshalb gemäß § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934/1955 der Gesellschaftsteuer unterliegen könnte. Eine Steuer ist aber nicht entstanden, weil mit der Besteuerung der Darlehnsgewährung im Jahr 1953 auch die etwaige Zinslosigkeit des Darlehens versteuert war, obschon diese damals noch nicht vereinbart war.
Gegenteiliger Auffassung war allerdings das BFH-Urteil II 186/57 vom 23. Juli 1958 (DStR 1958, 499); es hat die Steuerpflicht allein daraus gefolgert, daß es sich bei dem "nachträglichen Verzicht auf Zinsen" - anders als bei der von vornherein vereinbarten Zinslosigkeit eines Darlehens (BFH-Urteil II 45/57 U vom 14. August 1957, BFH 65, 335, BStBl III 1957, 360) - "um einen neuen gesellschaftsteuerlichen Rechtsvorgang handelt". Dem ist zwar zuzustimmen; die daraus gezogene Konsequenz der Steuerpflicht kommt aber in Konflikt mit der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH, wonach eine ununterbrochene (vgl. RFH-Urteil II 87/42 vom 6. Mai 1943, RFH 53, 150, RStBl 1943, 595; BFH-Urteil II 69/53 U vom 3. September 1953, BFH 57, 747, BStBl III 1953, 284) Belassung desselben Kapitals nicht unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten der Kapitalzuführung - also doppelt - zur Gesellschaftsteuer herangezogen werden darf, auch wenn zeitlich nacheinander verschiedene Tatbestände des KVStG verwirklicht werden (vgl. Egly, Gesellschaftsteuer-Kommentar, 2. Aufl. 1968, Teil II Abschn. 51 S. 184 ff.). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß die einzelnen Tatbestände der §§ 2 und 3 KVStG nur unterschiedliche Ausprägungen eines einheitlichen Prinzips sind, zufolge dessen die Kapitalzuführung an die Gesellschaft besteuert werden soll (vgl. RFH-Urteile II A 314/28 vom 17. August 1928, Mrozek-Kartei, Kapitalverkehrsteuergesetz, § 6 Allg., Rechtsspruch 1; II 324/39 vom 12. Juli 1940, RFH 49, 65, RStBl 1940, 847; BFH-Urteil II 225/61 vom 22. Dezember 1965, HFR 1966, 122 [124]). Diese Grundauffassung trifft zu (vgl. BFH-Urteile II 176/61 vom 8. November 1967, BFH 91, 172 [176], BStBl II 1968, 213; II 162/65 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 59 [64], BStBl II 1970, 279); inwieweit Ergebnis und Begründung der - teilweise zu anderer Gesetzeslage ergangenen - Entscheidungen im übrigen heute noch gefolgt werden könnte, kann dahingestellt bleiben.
Für die hier zu entscheidende Frage ist unerheblich, welcher der verwirklichten Tatbestände bei der sukzessiven Verwirklichung eines Ersatz-, Neben- und Haupttatbestandes im konkreten Falle zu besteuern ist; die Steuer wird jedenfalls nur einmal erhoben. Deshalb fallen nicht zwei Steuern an, wenn zunächst ein kapitalersetzendes Darlehen (§ 3 Abs. 1 KVStG) gewährt und alsdann auf dessen Rückzahlung verzichtet wird (RFH-Urteil II A 194/29 vom 30. Juli 1929, RFH 25, 272, RStBl 1929, 527) oder der Gesellschafter die zuvor durch kapitalersetzende Darlehnsgewährung (§ 3 KVStG) eingebrachten Mittel bei der Kapitalerhöhung zum Erwerb neuer Gesellschaftsrechte (§ 2 Nr. 1 KVStG 1959) benutzt (BFH-Urteil II 225/61 vom 22. Dezember 1965, HFR 1966, 122). Die vorangegangene Besteuerung aus § 3 KVStG steht entgegen, die Erfüllung eines der in § 2 KVStG umschriebenen Tatbestände zu besteuern, soweit sie mittels des als Darlehen gewährten und belassenen Betrags verwirklicht worden sind (RFH-Urteile II A 234/26 vom 20. Juli 1926, RFH 19, 229, RStBl 1926, 268; II 3/43 vom 11. März 1943, RFH 53, 78).
Der hier zu entscheidende Sachverhalt liegt den zuletzt beschriebenen nicht völlig gleich. Denn die künftig entstehenden Zinsansprüche, auf welche der Gesellschafter gegebenenfalls verzichtet hat, sind nicht Teil des als Darlehen gewährten Betrags. Ihr Rechtsgrund ist aber Bestandteil der Darlehnsbedingungen und damit nur ein unselbständiger Teil der "Darlehnsgewährung". Da bei der von vornherein vereinbarten Zinslosigkeit eines Darlehens diese in der Besteuerungsgrundlage (§ 8 Nr. 5 KVStG) nicht neben dem Wert des Darlehnsbetrages angesetzt werden kann (BFH-Urteil II 45/57 U vom 14. August 1957, BFH 65, 335, BStBl III 1957, 360), weil mit dem Ansatz der Darlehnssumme (ohne Abzug der Rückzahlungspflicht) die Kapitalzuführung in ihrem vollen Umfang versteuert ist, kann an der Rechtsansicht des Urteils II 186/57 vom 23. Juli 1958 (DStR 1958, 499) nicht festgehalten werden, soweit dieses nicht nur den Verzicht auf bereits unbedingt entstandene, sondern auch den Verzicht auf künftig entstehende Zinsansprüche eines bereits gemäß § 3 Abs. 1 KVStG besteuerten Darlehens der Gesellschaftsteuer unterwirft. Denn die Besteuerung aus §§ 3, 8 Nr. 5 KVStG hat - wie sich aus den Darlegungen des vorangehenden Abschnitts ergibt - zur Folge, daß das von der Gesellschaft als Darlehen empfangene Geld (§ 607 Abs. 1 BGB), solange es noch nicht zurückbezahlt ist, wie Eigenkapital behandelt wird, im besonderen bei der Frage, ob eine spätere Darlehnsgewährung eine Eigenkapitalzuführung ersetzt (§ 3 Abs. 1 KVStG) oder nicht (BFH-Urteil II 268/60 U vom 22. Mai 1963, BFH 77, 176 [186], BStBl III 1963, 382 [385], das in diesem Punkte durch die seit dem BFH-Urteil II 162/65 vom 3. Dezember 1969, BFH 98, 59, BStBl II 1970, 279, veränderte Auslegung des § 3 KVStG nicht berührt wird).
Dieser Gesichtspunkt schließt zwar nicht aus, den Verzicht auf bereits unbedingt entstandene (fällige oder nicht fällige) Zinsforderungen gemäß § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934/1959 der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen, weil diese Zinsforderungen - obschon auf dem Darlehnsvertrag beruhend - im Zeitpunkt des Verzichtes zusätzliche, neben der Darlehnsforderung (§ 607 Abs. 1 BGB) stehende Forderungen sind, das Eigenkapital der Gesellschaft also durch den Verzicht über den Betrag der in dieser - nicht in jeder (BFH-Beschluß II B 3/71 vom 30. März 1971, BFH 101, 430, BStBl II 1971, 336) - Beziehung wie Eigenkapital zu behandelnden Darlehnssumme hinaus erhöht wird. Es steht aber entgegen, den Verzicht auf erst künftig entstehende Früchte (§ 99 Abs. 3 BGB) eines bereits versteuerten Darlehens (§§ 607, 608 BGB) selbständig zur Gesellschaftsteuer heranzuziehen. Denn deren Wert ist zu diesem Zeitpunkt noch im versteuerten Wert des Darlehens (§ 8 Nr. 5 KVStG) enthalten.
Fundstellen
Haufe-Index 425923 |
BStBl II 1972, 186 |
BFHE 1972, 106 |