Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Voraussetzungen der Haftung für die Lohnsteuer.
Normenkette
AO §§ 103, 109; EStG § 38 Abs. 3; LStDV § 46
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) war Geschäftsführer der Baugesellschaft mbH in X. über das Vermögen der Gesellschaft wurde am 19. September 1951 das Konkursverfahren eröffnet. Das Finanzamt hat den Bf. für die in der Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 18. September 1951 einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer, und Währungsnotopfer persönlich haftbar gemacht.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Gericht hat ausgeführt, daß der Bf. seiner ihm als Geschäftsführer nach § 103 der Reichsabgabenordnung (AO) obliegenden Pflicht, für die Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer und des Währungsnotopfers zu sorgen, nicht genügt habe. Er habe dadurch eine Steuerverkürzung bewirkt. Diese liege immer dann vor, wenn geschuldete Steuern nicht bezahlt würden. Die pflichtwidrige Nichtabführung sei ein grobfahrlässiges, also schuldhaftes Verhalten des Klägers. Der Bf. und die Baugesellschaft seien Gesamtschuldner. Das Finanzamt habe von seinem Ermessen den richtigen Gebrauch gemacht, indem es sich an den Bf. gehalten habe. Sein Verhalten könne nicht mit der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage des Baugewerbes entschuldigt werden. Der Einwand des Bf., das Finanzamt habe stillschweigend eine Stundung der Steuerbeträge gewährt, sei unbegründet. Das Finanzamt habe vielmehr wiederholt die Stundungsanträge abgelehnt.
Der Bf. könne dem Finanzamt auch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß es entgegenkommenderweise die Steuer nicht schon früher beigetrieben habe.
Der Vertreter des Bf. bestreitet im Rechtsbeschwerdeverfahren das Vorliegen eines wesentlichen Verschuldens. Er gibt zu, daß der Anspruch des Staates auf die Steuerabzugsbeträge nicht von den Auswirkungen der jeweiligen Wirtschaftslage eines Gewerbezweiges abhängig sein könne. Die überlegung müsse jedoch gegenüber den besonderen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der Stadt X zurücktreten. Die vom Gericht angeführten Jahrzehnte zurückliegenden Entscheidungen seien nicht geeignet, das Urteil zu tragen. Der Bf. habe sich trotz der schwierigen Lage des Unternehmens zur Vermeidung der Vergrößerung der Arbeitslosigkeit nicht zu einer Liquidation der Firma entschließen können, obwohl ihm effektive Mittel zur Abführung der angefallenen Steuerbeträge fehlten. Das Finanzamt habe nicht im Rahmen billigen Ermessens gehandelt, als es den Bf. in Anspruch nahm. Wenn auch eine ausdrückliche schriftliche Stundung der geschuldeten Beträge nicht erfolgt sei, so habe doch der Bf. auf Grund des Verhaltens des Finanzamts der berechtigten Meinung sein dürfen, man habe ihm stillschweigend die Stundung eingeräumt. Das Gericht hätte hierfür Ermittlungen anstellen müssen. Wenn das Finanzamt wegen der Steuerreste nicht befriedigt worden sei, so sei dies allein auf den Umstand zurückzuführen, daß die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen unterblieben bzw. später trotz des ausdrücklichen Verlangens des Bf. nur in unzureichender Weise erfolgt sei.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist unbegründet.
Bei der Lohnsteuer stellt die nicht rechtzeitige Abführung im allgemeinen auch ohne weiteres eine schuldhafte Verletzung der Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Person dar, dafür zu sorgen, daß die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet wird. Da die abzuführende Steuer nur ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes der Arbeitnehmer ist, kann die Nichtabführung niemals damit entschuldigt werden, daß die Mittel des Arbeitgebers nicht ausreichten. Soweit tatsächlich Lohn ausgezahlt wird, darf der dem Lohnabzug entsprechende Teil den Arbeitnehmern nicht ausgehändigt werden. Er muß zurückbehalten und an die Finanzkasse abgeführt werden. Die Verletzung dieser Verpflichtung ist regelmäßig auch schuldhaft; denn die ordnungsmäßige Beachtung der gesetzlichen Vorschriften muß von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 106/28 vom 8. August 1928, Reichssteuerblatt - RStBl - 1929 S. 59). Wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat, war der Bf. als Geschäftsführer nach § 103 AO für die Entrichtung der Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln verpflichtet. Er ist über seine Pflichten in dem Schreiben des Finanzamts vom 2. August 1949 belehrt worden.
Die Einwendungen des Bf. laufen in der Hauptsache darauf hinaus, daß er infolge der schlechten finanziellen Lage seines Unternehmens berechtigt gewesen sei, die einbehaltenen Steuern im Interesse des Unternehmens zu verwenden. Das ist grundsätzlich unzulässig. Wie der Reichsfinanzhof in dem Urteil V A 695/26 vom 4. Januar 1927 (Amtl. Slg. Bd. 20 S. 199) zutreffend ausgeführt hat, dürfen die Steuerschulden grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden, als andere Schulden. Obgleich die Stundungsanträge abgelehnt worden waren, hat der Bf. weiterhin die von den Arbeitnehmern einbehaltenen Steuerabzugsbeträge nicht abgeführt, sondern im Betriebe verwendet. Hierin liegt ein wesentliches Verschulden.
Die sowohl vom Gericht wie von dem erkennenden Senat in Bezug genommene Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs fußt auf den Vorschriften der Reichsabgabenordnung und des Lohnsteuerverfahrens, die in ihrem Wesen keine Veränderung erfahren haben. Die Auffassung des Bf., daß die Rechtsprechung veraltet sei, ist daher abzulehnen. Wenn das mit den Verhältnissen vertraute Gericht in den Besonderheiten der politischen und wirtschaftlichen Lage von X keinen Anlaß zu einer anderen Auslegung der Steuergesetze gesehen hat, so ist dies nicht zu beanstanden. Ob es sich um einen Einzelfall oder um eine Vielzahl von Fällen handelt, niemals kann die schwierige Lage eines Unternehmens dem verantwortlichen Inhaber oder Geschäftsführer die Berechtigung geben, die einbehaltenen Steuern eigenmächtig im Interesse des Betriebs zu verwenden. Es darf hierbei nicht übersehen werden, daß - wie oben bereits ausgeführt - die einbehaltenen Steuern Gehalts- und Lohnteile der Arbeitnehmer des Betriebs, also - wirtschaftlich gesehen - fremde Geldmittel sind. Die Angestellten und Arbeiter des Betriebs müssen den Steuerabzug vom Arbeitslohn hinnehmen, gleichgültig, ob sie selbst in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen sind. Auch mit Rücksicht hierauf kann dem Inhaber eines Unternehmens oder seinem Vertreter keinesfalls zugestanden werden, die von den Arbeitnehmern einbehaltenen Lohn- und Gehaltsteile, statt sie als Steuern an das Finanzamt abzuführen, im Interesse des Betriebs zu verwenden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine den wirtschaftlichen Belangen des Unternehmens Rechnung tragende Stundung überhaupt geeignet wäre, die Haftbarkeit des Bf. auszuschließen. Mindestens dürfte die Stundung in der Regel dann unerheblich sein, wenn sie erst erfolgt, nachdem der zur Abführung von Steuern Verpflichtete es im Zeitpunkt der Fälligkeit schuldhaft versäumt hatte, seiner Pflicht zu genügen.
Die vom Bf. vertretene Gesellschaft hat bis kurz vor der Konkurseröffnung immer wieder versucht, Stundung der Steuern zu erhalten, um eine Zwangsvollstreckung abzuwenden. Der Bf. kann unter diesen Umständen jetzt nicht mit dem Einwand gehört werden, das Finanzamt habe es infolge Unterlassung rechtzeitiger Vollstreckungsmaßnahmen selbst verschuldet, daß es im Konkursverfahren mit seinen Steuerforderungen ausgefallen ist.
Aus dem Schreiben des Vertreters der Gesellschaft vom 22. August 1951 geht hervor, daß sie zu dieser Zeit bereits ihre Zahlungen eingestellt und Konkursantrag gestellt hatte. Nachdem die Gesellschaft noch am 9. Juli 1951 das Finanzamt um ein Moratorium von drei Jahren gebeten hatte, hat sie vier Tage später eine Pfändung zur Sicherung der Forderungen des Finanzamts angeregt. Das Finanzamt hat noch am gleichen Tage eine der Gesellschaft gehörige Baracke verpfändet, mußte sie jedoch am 19. Juli 1951 wieder freigeben, weil sie bereits einem anderen Gläubiger zur Sicherung übereignet war. Der Konkurs ist am 19. September 1951 eröffnet worden. Die Haftbarmachung des Bf. erfolgte durch Bescheid vom 20. November 1951.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände kann dem Bf. nicht zugegeben werden, daß das Finanzamt es schuldhaft versäumt hat, rechtzeitig Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen, und daß seine Haftbarmachung billigem Ermessen widerspreche.
Fundstellen
Haufe-Index 407593 |
BStBl III 1953, 161 |
BFHE 1954, 412 |
BFHE 57, 412 |