Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansatz des Anspruchs auf Erstattung von Vorruhestandsleistungen im Baugewerbe bei der Vermögensaufstellung
Leitsatz (amtlich)
Hat die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes dem Arbeitgeber gemäß § 6 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe mitgeteilt, dass der Anspruch auf Erstattung der einem bestimmten Arbeitnehmer zu erbringenden Vorruhestandsleistungen dem Grunde nach besteht, ist der Erstattungsanspruch gemäß § 95 Abs. 1 BewG i.d.F. vor In-Kraft-Treten des StÄndG 1992 bei der Vermögensaufstellung auf den nachfolgenden Stichtag zu erfassen.
Normenkette
BewG § 95 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Bauunternehmen. Ihre Arbeitnehmer haben ab 1984 von der Möglichkeit des Vorruhestandes Gebrauch gemacht. Mit dem Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (TVV) haben die Tarifpartner des Baugewerbes die Voraussetzungen geregelt, unter denen Vorruhestandsleistungen zu erbringen sind. Er sieht in § 10 vor, dass der Arbeitgeber die von ihm erbrachten Vorruhestandsleistungen durch die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Bau) als Ausgleichskasse ganz oder teilweise erstattet bekommt, und zwar monatlich im Nachhinein. Die dafür erforderlichen Mittel bringen die Arbeitgeber des Baugewerbes auf, indem sie 1 v.H. der lohnsteuerpflichtigen Bruttolohnsumme an die ZVK-Bau abführen.
Das Erstattungsverfahren ist in dem Tarifvertrag über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe vom 12. Dezember 1984 (TVVV) geregelt. Der TVVV sieht ein zweistufiges Erstattungsverfahren vor. Sobald ein Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber schriftlich die Zahlung des Vorruhestandsgeldes beantragt und den vom Arbeitgeber auszuhändigenden Wartezeitennachweis ausgefüllt hat, kann der Arbeitgeber durch Vorlage des Wartezeitennachweises bei der ZVK-Bau den Antrag auf Anerkennung der Erstattungspflicht stellen. Die ZVK-Bau prüft sodann die Wartezeitenvoraussetzungen. Sind sie erfüllt oder können sie bis zu dem gewünschten Eintritt in den Vorruhestand noch erfüllt werden, teilt die ZVK-Bau dem Arbeitgeber gemäß § 6 Abs. 1 TVVV durch einen sog. Vorbescheid ―ggf. unter dem Vorbehalt, dass die Wartezeitenvoraussetzungen bis zum Beginn des Vorruhestandes tatsächlich erfüllt werden― mit, dass der Erstattungsanspruch dem Grunde nach besteht. Der Arbeitnehmer erhält eine Kopie des Bescheides. Anderenfalls werden der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber aufgefordert, etwa noch fehlende Nachweise vorzulegen, oder darüber informiert, dass die Voraussetzungen für einen Vorruhestand nach dem TVV nicht erfüllt sind und daher ein Erstattungsanspruch nicht besteht.
Die zweite Stufe beginnt mit dem Erstattungsantrag, den der Arbeitgeber gemäß § 7 Abs. 3 TVVV nach der letzten zu berücksichtigenden Lohn- oder Gehaltsabrechnung für den konkreten Arbeitnehmer bei der ZVK-Bau zu stellen hat. Diese soll dem Arbeitgeber dann gemäß § 8 Abs. 1 TVVV binnen zwei Wochen durch den sog. Erstattungsbescheid die Höhe der zu erstattenden Vorruhestandsleistungen mitteilen. Der Erstattungsbetrag wird gemäß § 15 TVVV frühestens mit dem 15. des Folgemonats fällig, wenn der Arbeitgeber die Vorruhestandsleistung erbracht und bestimmte Formerfordernisse eingehalten hat.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in den Vermögensaufstellungen zur Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985, 1986 und 1987 die Erstattungsansprüche gegen die ZVK-Bau bereits dann als Aktivposten anzusetzen hat, wenn die ZVK-Bau sie durch Vorbescheid dem Grunde nach anerkannt hat.
In ihren Vermögensaufstellungen auf den 1. Januar 1985 bis 1987 hat die Klägerin abweichend von der Handelsbilanz als Schuldposten eine Rückstellung auch bezüglich solcher Arbeitnehmer angesetzt, die am Stichtag von der Möglichkeit des Vorruhestandes hätten Gebrauch machen können, aber noch keine Bereiterklärung abgegeben hatten. Ein Besitzposten wegen der Erstattungsansprüche war nicht gebildet worden. Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Ansicht, sobald die Erstattungsansprüche gegen die ZVK-Bau durch Vorbescheid dem Grunde nach anerkannt worden seien, seien sie in der Vermögensaufstellung als Besitzposten zu erfassen. Dadurch erhöhe sich das Betriebsvermögen an den streitigen Stichtagen um 332 163 DM bzw. 1 230 182 DM und 1 237 610 DM. Dies führte neben weiteren Änderungen zu gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheiden vom 13. Dezember 1991, mit denen der Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1985 auf …DM, zum 1. Januar 1986 auf …DM und zum 1. Januar 1987 auf …DM festgestellt wurde.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend gemacht hatte, die Erstattungsansprüche stellten noch kein Wirtschaftsgut dar, bevor der Arbeitgeber nicht die zu erstattenden Vorruhestandsleistungen erbracht habe, und könnten aufgrund des Prinzips der Einzelbewertung auch nicht rückstellungsmindernd berücksichtigt werden, blieben erfolglos. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1234 veröffentlichten Urteil führte das Finanzgericht (FG) aus, mit dem Erlass des Vorbescheides sei der einzelne Erstattungsanspruch bereits als bewertbares Wirtschaftsgut anzusehen. Die Auszahlung der Erstattungsbeträge sei danach nur noch eine Formsache gewesen. Die "einzig wirkliche Ungewissheit", ob es zu einer Erstattung kommen werde, habe darin bestanden, ob der jeweilige Arbeitnehmer die Vorruhestandsleistungen tatsächlich erlebe. Diese Ungewissheit betreffe aber gleichermaßen die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Vorruhestandsleistungen zu erbringen. Es müsse sich bewertungsrechtlich niederschlagen, dass der Betrieb durch den Vorruhestand letztlich nur in Höhe der Differenz zwischen den Vorruhestandsleistungen und den Erstattungen belastet ist.
Mit der Revision rügt die Klägerin die fehlerhafte Anwendung des § 4 des Bewertungsgesetzes (BewG). Sie geht im Anschluss daran, dass Rückstellungen auch bezüglich solcher Arbeitnehmer zugelassen werden, die am Stichtag noch keine Erklärung abgegeben haben, von der Möglichkeit des Vorruhestands Gebrauch zu machen, davon aus, dass auch die streitigen Erstattungsansprüche diesen Personenkreis betreffen und macht geltend, bei der Möglichkeit handele es sich um ein Wahlrecht, dessen Ausübung ein ungewisses künftiges Ereignis i.S. des § 4 BewG sei. Weiter trägt sie vor, es stehe nicht fest, ob nicht der einzelne Arbeitnehmer nach Eintritt in den Vorruhestand den Anspruch auf Vorruhestandsleistungen dadurch zum Ruhen bringe, dass er über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus anderweitig gegen Entgelt tätig werde. Auch insoweit habe der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, das sich auf die Erstattungsansprüche des Arbeitgebers auswirke.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Bescheide über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985, 1986 und 1987 vom 2. Dezember 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 1996 dahin zu ändern, dass der Einheitswert auf den 1. Januar 1985 um 332 162 DM, zum 1. Januar 1986 um 1 230 182 DM und zum 1. Januar 1987 um 1 237 610 DM gemindert wird.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des FG ist im Ergebnis zutreffend; die Revision war daher zurückzuweisen. Soweit die ZVK-Bau bereits durch Vorbescheide gemäß § 6 TVVV Ansprüche der Klägerin auf Erstattung der von ihr zu erbringenden Vorruhestandsleistungen dem Grunde nach anerkannt hatte, sind diese Ansprüche bei der Ermittlung des Betriebsvermögens zu Recht als Kapitalforderungen erfasst worden.
1. Nach der im Streitfall noch maßgeblichen Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Steueränderungsgesetzes 1992 (StÄndG 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I, 297, BStBl I 1992, 146) gehören nur solche Kapitalforderungen zum Betriebsvermögen i.S. des § 95 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchst. a BewG a.F., die bereits entstanden, aber noch nicht erfüllt sind. Sie müssen rechtlich begründet und ihre Realisierung möglich sein (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796, sowie vom 18. März 1998 II R 52/95, BFH/NV 1998, 1332). Das Betriebsvermögen soll nur in dem Umfang erfasst werden, wie es am Stichtag mit Sicherheit vorliegt. Bedingungen, Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten sollen nicht einbezogen werden (BFH-Urteil vom 12. Juli 1968 III 181/64, BFHE 93, 323, BStBl II 1986, 794, 797). Die §§ 4 ff. BewG gelten auch für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens (BFH-Urteil vom 5. März 1997 II R 92/94, BFH/NV 1997, 551, 552).
2. Gemäß diesen Grundsätzen sind die Erstattungsansprüche der Klägerin bereits zu dem Stichtag beim Einheitswert des Betriebsvermögens zu erfassen, der auf ihre Anerkennung durch die ZVK-Bau folgt (§ 106 Abs. 1 und 2 BewG a.F.). Mit dem Vorbescheid gemäß § 6 Abs. 1 TVVV, der zeitlich der Entscheidung des einzelnen Arbeitnehmers für den Vorruhestand stets nachfolgt und damit erst nach Ausübung des von der Klägerin als Wahlrecht bezeichneten Optionsrechts für den Wechsel in den Vorruhestand ergeht, stehen die Ansprüche dem Grunde nach fest. Dies gilt für die Erstattungsansprüche nicht nur bezüglich der Arbeitnehmer, die bei Ergehen des jeweiligen Vorbescheides die Voraussetzungen eines Eintritts in den Vorruhestand bereits erfüllt hatten, sondern auch bezüglich solcher Arbeitnehmer, bei denen die Voraussetzungen erst zu dem zwar schon beantragten bzw. mit dem Arbeitgeber vereinbarten, aber noch bevorstehenden Eintrittstermin erfüllt werden.
a) Ereignisse, die bis zum tatsächlichen Übergang in den Vorruhestand oder bis zur Auszahlung des Vorruhestandsgeldes eintreten können und eines von beidem oder beides verhindern, stellen auflösende Bedingungen dar, die gemäß § 5 Abs. 1 BewG an Stichtagen vor ihrem Eintritt unberücksichtigt zu bleiben haben. Für den Fall, dass der Vorbescheid erst nach dem beantragten bzw. mit dem Arbeitgeber vereinbarten Tag des Übergangs in den Vorruhestand ergeht, kommt als derartiges Ereignis das Ableben des Arbeitnehmers in Betracht. Für den Fall, dass der Übergang in den Vorruhestand dem Vorbescheid nachfolgt, sind weitere, den angenommenen Geschehensablauf beeinflussende Ereignisse denkbar. Ein solches Ereignis wäre etwa die einvernehmliche Fortsetzung oder die zwischenzeitliche anderweitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder ―wenn bei Ergehen des Vorbescheides die Voraussetzungen für den Vorruhestand noch nicht erfüllt waren― der Umstand, dass diese Voraussetzungen wider Erwarten bis zum vorgesehenen Tag des Übergangs in den Vorruhestand nicht erfüllt werden.
b) Die vorbezeichneten ungewissen Ereignisse sind nach den beiden Tarifverträgen nicht als aufschiebende Bedingungen i.S. des § 4 Abs. 1 BewG anzusehen. Dagegen spricht bereits die von den Tarifvertragsparteien in § 6 Abs. 1 TVVV verwendete Formulierung, wonach mitzuteilen ist, dass "der Erstattungsanspruch dem Grunde nach besteht". Darüber hinaus ergibt der gesamte Regelungsgehalt des § 6 TVVV, dass die Tarifvertragsparteien den genannten Ereignissen nicht die Wirkung aufschiebender Bedingungen beimessen wollten. Das zweistufige in den Vorbescheid und sodann in den Erstattungsbescheid mündende Verfahren nach dem TVVV regelt zwar in Bezug auf einen konkreten Arbeitnehmer die mit dem Vorruhestand verbundenen Ansprüche zunächst nur im Verhältnis des Arbeitgebers zur ZVK-Bau. Ihm kommt aber auf der ersten Stufe auch Bedeutung im Verhältnis des jeweiligen Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber zu. Auf dieser von § 6 TVVV bestimmten Stufe handelt die ZVK-Bau im Verhältnis zu dem einzelnen Arbeitnehmer nämlich zugleich stellvertretend für den Arbeitgeber, der ansonsten die Voraussetzungen für den Eintritt in den beantragten Vorruhestand selbst prüfen müsste. Dem Arbeitnehmer, für den die Entscheidung, in den Vorruhestand zu gehen, von einschneidender Bedeutung ist, kommt es aber darauf an, hinsichtlich des zu erwartenden Vorruhestandsgeldes eine soweit wie möglich verfestigte Rechtsposition zu haben. Diesem Bedürfnis trägt § 6 TVVV dadurch Rechnung, dass es den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers ―und damit incidenter den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Vorruhestandsleistungen― ungeachtet der bestehenden Ungewissheiten dem Grunde nach feststellt.
c) Es liefe dem Sinn dieser Feststellung der Ansprüche dem Grunde nach zuwider, die Ansprüche als durch die genannten Ereignisse aufschiebend bedingt zu beurteilen. Dass die Tarifvertragsparteien, die mit § 6 TVVV erkennbar alle denkbaren Fallgestaltungen regeln wollten, etwa der nahe liegenden Ungewissheit, ob der einzelne Arbeitnehmer den Vorruhestand bzw. die Auszahlung des Vorruhestandsgeldes überhaupt erlebt, keine Beachtung geschenkt haben, ist nur so zu verstehen, dass das ungewisse Erleben keine aufschiebende Bedingung für das Entstehen der festgestellten Ansprüche sein sollte. Die genannten Ungewissheiten konnten vor dem Hintergrund des Bemühens der Tarifvertragsparteien um eine möglichst umfassende Regelung und um möglichst verfestigte Rechtspositionen nur dann ―wie geschehen― unerwähnt bleiben, wenn ihnen lediglich anspruchsvernichtende Wirkung zukommen sollte.
d) Der vom Arbeitgeber noch zu stellende sog. Erstattungsantrag geht als Verfahrenshandlung über das bloße Geltendmachen des ―im Übrigen bestimmbaren― Erstattungsanspruchs nicht hinaus. Soweit § 15 TVVV regelt, dass der Erstattungsanspruch erst fällig werden soll, wenn der Arbeitgeber die Vorruhestandsleistung tatsächlich erbracht hat, handelt es sich lediglich um eine Fälligkeitsbestimmung, die einen bereits entstandenen Erstattungsanspruch betrifft.
Fundstellen
Haufe-Index 937949 |
BFH/NV 2003, 968 |
BStBl II 2003, 563 |
BFHE 2003, 536 |
BFHE 201, 536 |
BB 2003, 1271 |
DB 2003, 1307 |
DStRE 2003, 810 |
HFR 2003, 764 |