Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandsbeziehungen
Leitsatz (NV)
Das Verlangen, bei Auslandsvorgängen (Erbfall) Bescheinigungen der ausländischen Steuerbehörde beizubringen, aus denen sich ergibt, daß sich der Nachweispflichtige im Ausland gesetzestreu verhalten hat, stellt eine zusätzliche Verschärfung der Nachweispflicht dar, die sich aus § 90 Abs. 2 AO 1977 nicht entnehmen läßt.
Normenkette
AO 1977 § 90 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger (Ehemann) ist seit 1952 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) selbständig tätig. Der Kläger sowie seine Brüder R und M sind Teppichhändler. Sie wirkten in der Weise zusammen, daß der Kläger über seine Hamburger Einzelfirma für die iranische Abladerfirma seiner Brüder Teppiche gegen Provision an den Großhandel vertrieb. Die Provision betrug zunächst 2 v. H.; später, und zwar auch in den Streitjahren 1975 und 1976 etwa 2,5 v. H., ab dem Streitjahr 1977 etwa 3,5 v. H.
Mitte 1977 schied R unter Übernahme eines großen Teils des in Hamburg lagernden Teppichbestandes aus der iranischen Abladerfirma aus. Der in der Firma verbleibende M überwies am . . . 1977 dem Kläger auf dessen bei einer inländischen Bank geführten Firmenkonto . . . DM, die dort nach Abzug von . . . DM Kosten am . . . 1977 gutgeschrieben wurden.
Der Kläger behandelte die Gutschrift nicht als Betriebseinnahme. Seine Ehefrau - die Klägerin - gab gegenüber einem Hamburger Finanzamt eine Erbschaftsteuererklärung ab, wonach es sich bei der Zahlung um die Auskehrung ihres Erbanteils an dem Nachlaß ihres am . . . 1975 im Iran verstorbenen Vaters handle.
Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, die auf das betriebliche Bankkonto des Klägers überwiesenen . . . DM seien eine Betriebseinnahme. Es sei nicht durch amtliche Bestätigungen nachgewiesen, daß es sich um Zahlungen aus einer Auseinandersetzung nach dem Tode des Vaters der Klägerin gehandelt habe. Es handle sich um nachträgliche Vergütungen oder Provisionen an den Kläger für dessen geschäftliche Betätigung. Der streitige Betrag werde zu gleichen Teilen auf die Streitjahre 1975 bis 1977 verteilt, da davon auszugehen sei, daß der Kläger in diesen Jahren zu niedrige Provisionen erhalten habe.
Der Einspruch der Kläger gegen die berichtigten Einkommensteuerbescheide 1975 und 1976 sowie gegen den Einkommensteuerbescheid 1977 blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies ihre Klage ab. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 293 veröffentlicht.
Das FG kam zu dem Ergebnis, bei den zur Verfügung stehenden Beweismitteln lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, ob es sich bei der Gutschrift von . . . DM auf dem Firmenkonto des Klägers um eine Provisionszahlung oder eine Erbteilsauszahlung gehandelt habe. Für beide Möglichkeiten ließen sich jeweils eine Reihe gewichtiger Gründe anführen. Sie seien jdoch nicht ausreichend, um die jeweils andere Möglichkeit auszuschließen. Im Hinblick auf die Auslandsbeziehungen dieses Vorgangs sei es Sache der Kläger gewesen, den insoweit maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Ein Nachweis wäre ohne weiteres möglich gewesen, wenn die Klägerin unmittelbar nach dem Tod ihres Vaters den Anfall der Erbschaft den iranischen Steuerbehörden gemeldet hätte.
Gegen die Entscheidung des FG wenden sich die Kläger mit der Revision. Die Kläger rügen vornehmlich, das FG habe zu Unrecht eine Unsicherheit in den tatsächlichen Verhältnissen angenommen und diese den Klägern unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 AO 1977 angelastet. Die Auffassung des FG sei unzutreffend, die Klägerin sei gehalten gewesen, den Erbfall bei den iranischen Steuerbehörden zu melden, um hierdurch dem deutschen Fiskus genehme Nachweise zu schaffen. Das FG verlange damit, daß allein zum Nachweis vor deutschen Steuerbehörden ein Steuerpflichtiger behördliche Verfahren im Ausland in Gang setze, die mit den inländischen steuerlichen Angelegenheiten des Steuerpflichtigen nichts zu tun hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Beweiswürdigung des FG enthält insofern einen Fehler, als das FG entscheidend darauf abgestellt hat, daß die Klägerin den Anfall der Erbschaft nicht den iranischen Steuerbehörden gemeldet und damit gegen iranische Steuergesetze verstoßen hat.
Das nach § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bei der Beweiswürdigung zu verarbeitende Gesamtergebnis des Verfahrens muß vollständig und einwandfrei, d. h. ohne Verletzung von verfahrensrechtlichen Grundsätzen, zustande gekommen sein (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 96 Anm. 2). Das FG ist als Tatsacheninstanz gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erforschen. Die Verfahrensbeteiligten haben bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu geben (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Bei Auslandsbeziehungen trifft den Steuerpflichtigen nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO 1977 eine erweiterte Mitwirkungspflicht. § 90 Abs. 2 AO 1977 betrifft steuerrechtlich relevante Sachverhalte aus einer Sphäre, die eher dem Steuerpflichtigen als den Finanzbehörden und dem FG zugänglich ist. Das Gesetz ordnet deshalb zur Abwendung eines Beweisnotstandes die Sachaufklärung durch den betreffenden Beteiligten, insbesondere auch die Beschaffung, nicht bloß die Benennung der Beweismittel, an. Der Steuerpflichtige hat alle zur Sachaufklärung und zur Beweismittelbeschaffung bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und mögliche Beweisvorsorge zu treffen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 90 AO 1977 Tz. 6). Dadurch ist aber auch die Grenze für die Aufklärungspflicht des FG abgesteckt. Sie liegt dort, wo es sich um Verhältnisse handelt, die ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. April 1980 I R 75/78, BFHE 133, 19, BStBl II 1981, 492).
Das FG ist zu der Überzeugung gelangt, daß die von den Klägern vorgelegten Beweise keine hinreichende Grundlage für die Entscheidung der Rechtsfrage darstellen, ob es sich bei dem überwiesenen Betrag von . . . DM um die Auskehrung eines Erbanteils an die Klägerin und damit um eine in den privaten Bereich fallende Zahlung oder um eine im Geschäftsbetrieb des Klägers anfallende Zahlung (Betriebseinnahme) gehandelt hat. Für das Vorliegen einer Betriebseinnahme sprechen einige Indizien. Der Betrag ist von einem Geschäftspartner des Klägers auf dessen betriebliches Bankkonto überwiesen worden, und der Zeitpunkt der Überweisung fällt in etwa zusammen mit dem Ausscheiden des aus dem iranischen Abladerunternehmen (unter Übernahme eines großen Teils der in Hamburg lagernden Teppiche). Nach der Auffassung des FG kann es sich um eine Provisionsnachzahlung gehandelt haben, die darauf beruht hat, daß dem Kläger in der Vergangenheit nur verhältnismäßig niedrige Verkaufsprovisionen eingeräumt worden waren und dessen Gewinne kaum ausreichten, um eine vielköpfige Familie zu unterhalten. Um das beurteilen zu können, bedurfte es entgegen der Auffassung der Kläger keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn das FG bei diesen für eine Betriebseinnahme sprechenden Beweisanzeichen den Schreiben und Bestätigungen von Verwandten und Verschwägerten der Kläger nicht das Gewicht beigelegt hat, um eine einigermaßen sichere Überzeugung zu erlangen, es habe sich um die der Privatsphäre zuzurechnende Überweisung des Erbanteils der Klägerin gehandelt. Das FG konnte unter diesen Umständen in die Beweiswürdigung miteinbeziehen, daß die Kläger die erhöhte Nachweispflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO 1977 trifft. In diesem Zusammenhang hat das FG auf Seite 8 seiner Entscheidung ausgeführt, der Klägerin als einer der Erben nach ihrem verstorbenen Vater wäre ein dem § 90 Abs. 2 AO 1977 genügender Nachweis möglich gewesen, wenn sie, wie es Art. 184 des Iranischen Gesetzes über die direkten Steuern vorsehe, den Anfall der Erbschaft der iranischen Steuerbehörde gemeldet hätte; sie könne sich nicht darauf berufen, daß heute dieser Weg mit Rücksicht auf ihren im Iran lebenden Bruder verbaut seit. Diese Ausführungen lassen erkennen oder erwecken zumindest den Eindruck, daß das FG den Nachweis eines unter den Privatbereich einzuordnenden, aber sich im Ausland abspielenden Vorgangs (Erbfall) nur als erfüllt ansieht, wenn der zum Nachweis Verpflichtete sich entsprechend den steuerrechtlichen Vorschriften seines Heimatstaates verhalten und diesbezügliche Bescheinigungen der ausländischen - hier iranischen - Steuerbehörde vorlegen kann. Diese zusätzliche Verschärfung der Nachweispflicht bei Auslandsbeziehungen und die Einengung der beizubringenden Beweise auf Bescheinigungen der ausländischen Steuerbehörden, woraus hervorgeht, daß sich der Nachweispflichtige im Ausland gesetzestreu verhalten habe, läßt sich dem § 90 Abs. 2 AO 1977 nicht entnehmen. Das Gesetz spricht nur davon, daß bei Vorgängen im Ausland die Beteiligten den Sachverhalt aufzuklären haben und die erforderlichen Beweismittel beschaffen müssen.
Da das FG im Rahmen der Beweiswürdigung eine Rechtsnorm rechtsfehlerhaft angewendet hat und es sich hierbei nicht um einen untergeordneten oder nebensächlichen Gesichtspunkt handelt, ist die Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Beweiswürdigung gehört zur tatsächlichen Feststellung, die dem BFH als Revisionsgericht versagt ist. Hat sich ein Element der Beweiskette als nicht tragfähig erwiesen, muß dem FG die Möglichkeit gegeben werden, die Sache erneut zu würdigen.
Sollte sich das FG nach einer erneuten Würdigung keine hinreichende Überzeugung über den wirklichen Geschehensablauf bilden können, stellt sich die Frage, wer die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt (BFH-Urteil vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, BStBl II 1980, 402). Eine gesetzlich festgelegte Regel über die Verteilung der Feststellungslast fehlt für den Steuerprozeß (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482). Im Regelfall trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für die Tatsachen, die den Steueranspruch begründen oder erhöhen; für die den Steueranspruch mindernden, vernichtenden oder hemmenden Tatsachen trägt sie der Steuerpflichtige. Diese Regeln gelten aber nicht ohne Ausnahme. Für die Verteilung der objektiven Beweislast können noch andere Kriterien eine Rolle spielen, wie die Beweisnähe (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760) und - was im Streitfall insbesondere eine Rolle spielen kann - eine unzureichende Erfüllung der Nachweispflicht bei Auslandsbeziehungen nach § 90 Abs. 2 AO 1977.
Fundstellen
Haufe-Index 414013 |
BFH/NV 1986, 249 |