Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Senat tritt den Rechtsgrundsätzen der Entscheidung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 darin bei, daß auch Angehörige der freien Berufe im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG unter bestimmten Voraussetzungen gewillkürtes Betriebsvermögen bilden können.
Das betriebliche Interesse an der Einlage von Wirtschaftsgütern kann aber nicht nur damit begründet werden, daß der Steuerpflichtige durch die Einlage Entnahmen im Laufe des Jahres habe ausgleichen müssen, um der Nachversteuerung eines früher steuerfrei gebliebenen nicht entnommenen Gewinns (§ 10a EStG) zu entgehen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 10a; StAnpG § 6
Tatbestand
Die Bgin. eine Sozietät von zwei Wirtschaftsprüfern, ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. Der Gesellschafter A. hatte im Jahre 1950 von der Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns Gebrauch gemacht. Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1952 nahm das Finanzamt an, A. habe im Jahre 1952 mehr als seinen Gewinnanteil entnommen und müsse daher den nicht versteuerten Betrag von 13 267 DM nachversteuern. Das Finanzamt erkannte dabei eine von A. gemachte Einlage von Wertpapieren im Nennwert von 20 000 DM und Kurswert von 18 975 DM nicht als solche an. Es führte aus, die Wertpapiere seien kein Betriebsvermögen geworden; Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten, könnten kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben. Die Bgin. behauptete demgegenüber, die Wertpapiere seien notwendiges Betriebsvermögen geworden; denn ein Auftraggeber, die X-AG, habe im Jahre 1952 die Betrauung der Bgin. mit der Prüfung ihrer Geschäftsabschlüsse davon abhängig gemacht, daß sich die Bgin. mit einem Kapital in Höhe des Mindestkapitals einer AG von 100 000 DM ausstatte; überdies hätten sich die Teilhaber untereinander verpflichtet, das Betriebsvermögen auf der Höhe von mindestens 100 000 DM zu halten und es im Falle höherer Entnahmen alsbald wieder aufzufüllen. Im übrigen könnten auch Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 gewillkürtes Betriebsvermögen haben.
Das Finanzgericht stellte auf die Sprungberufung in dem angefochtenen Zwischenurteil fest, daß die Entnahmen um 18 975 DM niedriger seien; seine Entscheidung ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 48 veröffentlicht. Es führte im wesentlichen aus: Auch Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten, könnten Wertpapiere des Privatvermögens in das Betriebsvermögen einbringen. Im Streitfall gehe es nicht um notwendiges Betriebsvermögen. Die Wertpapiere seien aber gewillkürtes Betriebsvermögen geworden. Die früher herrschende Auffassung, daß es bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG gewillkürtes Betriebsvermögen nicht gebe, sei nicht zutreffend. Diese Auffassung würde auch zu ungerechten Ergebnissen führen. Das Gesetz behandle die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns bei den Gewinnermittlungsarten der §§ 4 Abs. 1 und 5 EStG gleich. Da Vollkaufleute im Sinne des § 5 EStG regelmäßig am Jahresende ihre zu hohen Entnahmen ausglichen, um in den Genuß der Steuervergünstigung zu gelangen, könnte auch Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten, diese Möglichkeit nicht versagt werden. Die Ansicht, daß bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG gewillkürtes Betriebsvermögen nicht möglich sei, habe auch in den letzten Jahren an Geltung verloren. Nachdem im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 19/55 U vom 12. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 205, Slg. Bd. 61 S. 18) anerkannt worden sei, daß die Angehörigen der freien Berufe einen Personenkraftwagen als gewillkürtes Betriebsvermögen haben könnten, sei auch in der Rechtsprechung anderer Gerichte (z. B. Entscheidung des Finanzgerichts Stuttgart in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1957 S. 80) und im Schrifttum (z. B. Kaatz, Finanz-Rundschau 1956 S. 63; Höfer im Kommentar von Hartmann-Böttcher, Anm. 19 zu §§ 4, 5 EStG) angenommen worden, daß das EStG nur einen einheitlichen Begriff des Betriebsvermögens kenne und daß daher Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG in gleicher Weise und in demselben Umfang gewillkürtes Betriebsvermögen bilden könnten wie Vollkaufleute im Sinne des § 5 EStG. Bei Angehörigen freier Berufe seien allerdings Beschränkungen denkbar; so z. B. könne die Standesehre verbieten, beruflich zu spekulieren, so daß dann zu Spekulationszwecken verwendete Wertpapiere notwendiges Privatvermögen seien. Eine solche Einschränkung komme aber im Streitfalle nicht in Betracht. Die Bgin. und ihre Teilhaber hätten an der Einbringung der privaten Wertpapiere in das Betriebsvermögen ein betriebliches Interesse gehabt. Im Wirtschaftsprüferberuf sei aus Gründen des Wettbewerbs mit den großen Prüfungs- und Treuhand-Aktiengesellschaften ein Bedürfnis anzuerkennen, daß Einzel- oder Mitunternehmer den Auftraggebern einen entsprechenden Haftungsfonds betrieblicher Art nachwiesen. Der vom Finanzamt angedeutete Gesichtspunkt der Steuerumgehung (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) schließe die steuerliche Anerkennung der Wertpapiereinlage nicht aus. A. habe zwar die Ende 1952 eingelegten Wertpapiere Ende Juli 1953 wieder entnommen. Die Bgin. trage aber vor, A. habe alsbald andere Wertpapiere im gleichen Nennwert, wenn auch mit rund 9000 DM geringerem Kurswert, wieder eingelegt. Auf diese Frage komme es jedoch nicht an; denn die Wiederentnahme der Wertpapiere mache die Einlage nicht zu einer Umgehung im Sinne des § 6 StAnpG, selbst wenn man annehmen könnte, daß die Einlage von vornherein nur als vorübergehend gedacht gewesen sei, um die Steuervergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn zu erlangen (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 107/55 U vom 9. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 258, Slg. Bd. 65 S. 63).
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß auch Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln, insbesondere also auch die Angehörigen der freien Berufe im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG, gewillkürtes Betriebsvermögen bilden können. Die Voraussetzungen sind im einzelnen in der Entscheidung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 484) dargestellt. Der Senat tritt dieser Entscheidung bei.
Ob nach den Rechtsgrundsätzen dieser Entscheidung die von A. eingebrachten Wertpapiere Betriebsvermögen der Bgin. werden konnten, ist auf Grund der bisherigen Feststellungen des Finanzgerichts nicht abschließend zu beurteilen, so daß die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Finanzgericht zurückverwiesen werden muß.
Nach der Entscheidung des VI. Senats können Angehörige der freien Berufe ein Wirtschaftsgut nur dann zum Gegenstand ihres Betriebsvermögens machen, wenn es bei objektiver Beurteilung bestimmt und geeignet ist, dem Betrieb zu dienen und ihn zu fördern. Die Steuerpflichtigen haben diese Voraussetzungen in zweifelhaften Grenzfällen darzutun. Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb vollkommen wesensfremd sind und bei denen jede sachliche Beziehung zum Betrieb fehlt, sind kein Betriebsvermögen. Es können insbesondere im Wege des gewillkürten Betriebsvermögens nicht Einkunftsarten verändert werden, wenn es an der inneren Verknüpfung mit dem Betrieb fehlt (siehe auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 115/59 U vom 6. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 2, Slg. Bd. 70 S. 2).
Der Sachverhalt im Streitfall unterscheidet sich von dem der Sache VI 10/60 S dadurch, daß A. die Aktien, die zu seinem privaten Vermögen gehörten, in den Betrieb einbrachte, während in der Sache VI 10/60 S der Steuerpflichtige im Rahmen des Betriebs erworbenes und nicht entnommenes Geld in Wertpapieren anlegte, um, wie er behauptete, Betriebsmittel für die Anschaffung von betrieblichen Wirtschaftsgütern anzusammeln und bis zu der Anschaffung das Bargeld wirtschaftlich sinnvoll anzulegen. Im Streitfall ging es aber nicht nur um eine andere Anlage von betrieblichen Wirtschaftsgütern, sondern um Wirtschaftsgüter, die von außen in den Betrieb hereingegeben wurden.
Soweit die Bfin. die betriebliche Veranlassung der Einlage damit begründet, daß zur Vermeidung einer Nachversteuerung die zu hohen Entnahmen des Gesellschafters A. hätten ausgeglichen werden müssen (§ 10a EStG), steht kein betriebliches Interesse im Spiel, sondern nur das Interesse des Gesellschafters an der Senkung seiner Einkommensteuer. Es kann in dieser Beziehung keinen Unterschied machen, ob A. statt der Wertpapiere Geld eingelegt hätte. Nachdem A. durch zu hohe Entnahmen die Nachversteuerung ausgelöst hatte, konnte er dieser Rechtsfolge nicht dadurch ausweichen, daß er ohne unmittelbares betriebliches Bedürfnis Wirtschaftsgüter - seien es Wertpapiere oder Geld - einbrachte. Werden Wirtschaftsgüter dem Betrieb entnommen, weil sie für den Betrieb ohne Bedeutung sind, so kann der Vorgang nicht dadurch rückgängig gemacht werden, daß gleichartige Wirtschaftsgüter später wieder zugeführt werden. Die Entscheidung IV 107/55 U, a. a. O., auf die sich das Finanzgericht beruft, kann nicht herangezogen werden. Sie befaßt sich in erster Linie mit der Frage der Steuerumgehung (§ 6 StAnpG), nicht aber mit der hier streitigen Frage, ob das eingelegte Geld Betriebsvermögen werden konnte; das war damals offenbar nicht bestritten.
Die Bgin. begründet das betriebliche Interesse an der Einlage auch mit der Verpflichtung gegenüber ihrer Auftraggeberin, der X- AG, und der Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern, das Betriebsvermögen auf einem Stand von 100 000 DM zu halten. Das Finanzgericht hat diese Behauptungen bisher nicht geprüft. Die Bgin. hat ihre Behauptung durch Tatsachen zu belegen. Bei der rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung, die den behaupteten Abreden zukommen würde, können sie als ernsthaft nur anerkannt werden, wenn sie schriftlich abgeschlossen wurden. Es bedarf auch der Aufklärung, ob und warum A., wenn er sich gegenüber der Auftraggeberin und seinem Mitgesellschafter verpflichtet hatte, im Laufe des Jahres das behauptete Mindestkapital durch hohe Entnahmen unterschreiten durfte. Ferner ist festzustellen, ob nachher das behauptete Mindestkapital gehalten wurde, oder ob es nicht im Jahre 1953, insbesondere durch die Entnahme der vorher eingelegten Wertpapiere, wiederum unterschritten wurde. Schließlich ist zu prüfen, ob und welche betrieblichen Erwägungen A. dazu führten, die Ende 1952 eingelegten Wertpapiere im Juli 1953 durch andere zu ersetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 409758 |
BStBl III 1960, 485 |
BFHE 1961, 629 |
BFHE 71, 629 |
BB 1960, 1315 |
DB 1960, 1442 |