Leitsatz (amtlich)
Eine Klage, die sich gegen den Widerruf eines Erlasses nach § 50 Abs. 6 EStG 1975 wendet, kann nicht als gegen die Steueranmeldung gemäß § 73 e EStDV gerichtet angesehen werden. Die Frage, ob der Steuerschuldner diese Steueranmeldung anfechten kann, war nicht zu entscheiden.
Normenkette
EStG 1975 § 50 Abs. 6, § 50a Abs. 5; EStDV § 73 e
Verfahrensgang
Tatbestand
Der in X (Österreich) wohnende Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt dort eine Konzertagentur. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) veranstaltete er ... 1975 Gastspiele der Schweizer ... ... Oper und des Städtischen Sinfonieorchesters ... (Rumänien) in B. Die ausführenden Künstler und Ensembles waren hierfür nur gegenüber dem Kläger vertraglich verpflichtet. Der Kläger hatte seinerseits mit dem Theater der Stadt B Verträge über die Durchführung der Veranstaltungen geschlossen.
Vor Beginn der Gastspiele hatte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) beantragt, ihm eine "Freistellung nach § 50 a Abs. 4 EStG" zu gewähren. Das FA "genehmigte" zunächst "unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs", daß die Schweizer ... Oper und das Städtische Sinfonieorchester ... (Rumänien) für die Veranstaltungen in B "vom Steuerabzug nach § 50 a EStG 75 freigestellt" werden, "da kulturpolitische Bedeutung angenommen wird und Gegenseitigkeit gewährleistet ist (§ 50 Abs. 6 EStG 1975)". Später widerrief das FA diese Bescheide. Die Beschwerde wurde von der Oberfinanzdirektion (OFD) mit Entscheidung vom 15. Dezember 1975 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beschwerdeentscheidung führt aus, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Billigkeitsregelung des § 50 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG 1975).
Die Bäder- und Kurverwaltung der Stadt B behielt von dem dem Kläger geschuldeten Entgelt einen Einkommensteuerbetrag von X DM (15 v. H.) ein und setzte diesen Betrag in ihrer am 9. Januar 1976 beim FA eingegangenen Anmeldung über nach § 50 a Abs. 4 EStG 1975 einbehaltene Beträge für das IV. Vierteljahr 1975 an. Sie entrichtete die Summe an das FA.
Der Kläger erhob beim FG Klage und beantragte, das FA zu verpflichten, den ablehnenden Bescheid bzw. den Widerruf einer Freistellungsbescheinigung nach § 50 Abs. 6 EStG 1975 zurückzunehmen und ihm die einbehaltenen' Steuerabzugsbeträge von X DM zu erstatten.
Das FG lud den Vorstand der Bäder- und Kurverwaltung B bei und entschied, daß die Steuerfestsetzung aufgrund der Anmeldung der Bäder- und Kurverwaltung geändert und die Einkommensteuer um X DM herabgesetzt werde; das FA sei verpflichtet, diesen Betrag an den Kläger zu erstatten.
Der erkennende Senat hat auf die Beschwerde des FA mit Beschluß vom 14. November 1979 I B 77/79 die Revision gegen das Urteil des FG zugelassen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§§ 49, 50 a EStG 1975).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, weil sie dem Klageantrag einen ihm nicht zukommenden Inhalt beigemessen und damit über das tatsächliche Klagebegehren nicht entschieden hat. Das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 1975 VI ZR 251/74, Neue Juristische Wochenschrift 1975, 2013).
2. Das FG hat den Klageantrag dahin ausgelegt, "daß der Kläger eine Änderung des in der Entgegennahme der Steueranmeldung der Bäder- und Kurverwaltung B ... über einbehaltene Steuern nach § 50 a Abs. 4 EStG für das IV. Kalendervierteljahr 1975 liegenden Bescheides und den Anspruch der Verpflichtung des Beklagten, den vom Entgelt des Klägers einbehaltenen Betrag zurückzuerstatten, begehrt".
Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger zur Anfechtung dieses Bescheides befugt gewesen wäre, wie das FG unter Heranziehung einer zum Lohnsteuerhaftungsverfahren ergangenen Entscheidung meint (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juni 1973 VI R 311/69, BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780 ), oder ob dieser Bescheid nur vom Vergütungsschuldner anzufechten wäre (vgl. BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1967 VI B 72/67, BFHE 91, 138, BStBl II 1968, 287 ).
a) Da die Steueranmeldung des Vergütungsschuldners am 9. Januar 1976 beim FA eingegangen ist und die Klageschrift das Datum vom 12. Januar 1976 trägt (beim FG eingegangen am 14. Januar 1976), wäre auf der Grundlage der Rechtsauffassung des FG allenfalls eine Sprungklage (§ 45 FGO) gegen die Steueranmeldung denkbar. Soweit das FG das BFH-Urteil vom 18. März 1970 I R 176/69 (BFHE 99, 14, BStBl II 1970, 556 ) heranzieht, übersieht es, daß nach dem Sachverhalt dieser Entscheidung ein (falsches) außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt worden ist, während im Streitfall die Beschwerdeentscheidung vom 15. Dezember 1975 die richtige Entscheidungsform ist und bezüglich der Steueranmeldung vom 9. Januar 1976 kein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren vorliegt.
b) Die Klage läßt nicht erkennen, daß die Steueranmeldung vom 9. Januar 1976 angefochten werden sollte (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO). Soweit das FA verpflichtet werden sollte, die einbehaltenen Steuerabzugsbeträge an den Kläger zu erstatten, ist dieser Antrag auch im Zusammenhang mit dem Erlaßbegehren nach § 50 Abs. 6 EStG 1975 verständlich, die (nunmehr) vom Vergütungsschuldner abgeführte Steuer dem Vergütungsgläubiger (Kläger) zu erstatten (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 1958 III 178/55 U, BFHE 66, 475, BStBl III 1958, 184 ). Nach § 50 Abs. 6 EStG 1975 kann das FA die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen erlassen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist. Die streitigen Verwaltungsentscheidungen, insbesondere auch die Beschwerdeentscheidung, befassen sich mit den Voraussetzungen des § 50 Abs. 6 EStG 1975. Die Klage hat einen bestimmten Verwaltungsakt zum Gegenstand. Es ist nicht möglich, die Klage - wie es das FG tut - aus Gründen der Prozeßökonomie als gegen einen anderen Verwaltungsakt gerichtet anzusehen. Damit kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Sprungklage (§ 45 FGO) gegeben gewesen wären.
c) Der Senat versteht das mit der Klage vom 12. Januar 1976 geltend gemachte Erstattungsbegehren nicht als Leistungsklage. Diese Klage hätte nicht ohne Vorverfahren erhoben werden dürfen, da die geforderte Leistung einen (Erstattungs-)Antrag voraussetzt (§ 150 der Reichsabgabenordnung), dem sich ein ablehnender Bescheid und ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren anschließen können (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 44 Anm. 4, § 40 Anm. 5).
3. Nach Auffassung des FG ist der Kläger mit den streitigen Einkünften in der Bundesrepublik Deutschland nicht steuerpflichtig. Es bleibt dem Kläger überlassen, ob er diese Auffassung gegenüber den Finanzbehörden geltend machen will. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht diese Frage, sondern die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen über den Widerruf des Erlasses nach § 50 Abs. 6 EStG 1975. Das FG hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung dieses Klagebegehren nicht rechtlich und tatsächlich geprüft. Die Sache ist daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 426024 |
BStBl II 1985, 5 |
BFHE 1985, 32 |