Leitsatz (amtlich)
Es entspricht einer sachgemäßen Ermessensausübung, die Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG für den Erwerb eines Gebäudes auch dann zu gewähren, wenn das Gebäude zu einer im Zonenrandgebiet belegenen Betriebsstätte gehörte, die stillgelegt oder von der Stillegung bedroht war, der Betrieb aber im übrigen fortbesteht.
Normenkette
ZRFG § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in... einen Viehhandel und eine Großchlächterei. Im Streitjahr 1972 erwarb sie von der X-AG die Schachtanlage "Y". Diese gehörte zu einer Reihe von Schachtanlagen, die in den Jahren 1965 bis 1970 von der X-AG stillgelegt worden waren. Die X-AG hat ihre betriebliche Tätigkeit im Jahre 1976 eingestellt. Die bis dahin noch in Betrieb befindlichen Schachtanlagen wurden zur Weiterführung an die Z-AG verpachtet. Die X-AG wurde in eine Vermögensverwaltungsgesellschaft umgewandelt.
Die Klägerin baute die erworbene Schachtanlage in eine Großschlächterei um.
Für das Streitjahr beantragte die Klägerin eine Sonderabschreibung nach § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG) vom 5. August 1971 (BGBl I, 1237, BStBl I, 370) in Höhe von 30 v. H. der auf die Betriebsgebäude der Schachtanlage entfallenden Anschaffungskosten (350 200 DM) sowie der zusätzlichen Umbaukosten (22 629,98 DM).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) gab diesem Antrag nur hinsichtlich der Umbaukosten statt. Die Gewährung einer Sonderabschreibung auf die Anschaffungskosten der Betriebsgebäude lehnte das FA ab (Bescheid vom 3. März 1976). Es begründete seinen Bescheid damit, daß nach dem Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 18. August 1971 (BStBl I 1971, 386) im Fall des Erwerbs eines Gebäudes die Sonderabschreibungen nach dem ZRFG nur dann zu gewähren sind, wenn das Gebäude vor dem Erwerb zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehört hat, dessen Stillegung gedroht hat oder der stillgelegt worden ist und das Gebäude seit der Stillegung leergestanden hat. Diese Voraussetzungen seien bei dem im Streitfall erworbenen Gebäude nicht erfüllt gewesen. Denn es sei nicht der Betrieb der bisherigen Eigentümerin, der X-AG, stillgelegt worden, sondern lediglich der zu ihrem Betriebsvermögen gehörende Schacht "Y".
Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 2. März 1976 hatte keinen Erfolg (Beschwerdebescheid vom 8. September 1978).
Mit ihrer Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Vorschrift des § 3 ZRFG enthalte einen Ermessensrahmen, innerhalb dessen die Verwaltung die Gewährung von Sonderabschreibungen auch von Voraussetzungen abhängig machen könne, die im Gesetz selbst nicht genannt seien (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553, und vom 27. Juli 1977 I R 169/74, BFHE 123, 327, BStBl II 1978, 10). Die in den Richtlinien des BMWF enthaltene Regelung, nach der bei abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens die Gewährung der Sonderabschreibung grundsätzlich auf solche Fälle zu beschränken ist, in denen Gebäude errichtet oder Gebäude aus stillgelegten oder von Stillegung bedrohten Betrieben erworben werden, sei mit den Förderungszielen des ZRFG vereinbar. Das FA habe diese Richtlinien im Streitfall zutreffend gehandhabt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Es sei kein einleuchtender Grund erkennbar, warum es für die Gewährung der Sonderabschreibung ausreiche, wenn ein erworbenes Gebäude zu einem stillgelegten Betrieb gehört habe, warum es aber nicht genüge, wenn das erworbene Grundstück lediglich zu einer Betriebsstätte gehört habe, die stillgelegt worden sei. Eines der Ziele des ZRFG sei es, noch funktionsfähige Gebäude nutzbar zu erhalten und damit das Zonenrandgebiet zu fördern. Dieses Ziel werde auch erreicht, wenn ein erworbenes Gebäude lediglich zu einer stillgelegten Betriebsstätte gehört habe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und der Klage auf die Gewährung von Sonderabschreibungen in Höhe von 111 848 DM stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Nach § 3 Abs. 1 ZRFG kann bei Steuerpflichtigen, die in einer gewerblichen Betriebsstätte im Zonenrandgebiet Investitionen vornehmen, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen dieses Gebiets ergeben, auf Antrag zugelassen werden, daß bei den Steuern vom Einkommen einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuern mindern, schon zu einem früheren Zeitpunkt berücksichtigt werden; insbesondere dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens Sonderabschreibungen gewährt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 ZRFG).
Entscheidungen der Finanzbehörden über die Gewährung von Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG sind Ermessensentscheidungen. Die Vorschrift des § 3 ZRFG enthält einen Ermessensrahmen, innerhalb dessen die Finanzbehörden die Gewährung von Sonderabschreibungen auch von Voraussetzungen abhängig machen können, die im Gesetz selbst nicht genannt werden, sofern sich dies als sachgerechte Ermessensausübung darstellt (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juli 1980 IV R 117/77, BFHE 131, 356, BStBl II 1980, 762, und vom 28. Oktober 1981 I R 156/78, BFHE 134, 335, BStBl II 1982, 88).
2. Soweit eine Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ist im finanzgerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Im Rahmen dieser Würdigung ist auch der Inhalt von Verwaltungsvorschriften zu überprüfen, mit denen eine einheitliche Handhabung des Ermessens durch die Verwaltung sichergestellt werden soll (Urteil in BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553).
3. Die zur Anwendung des § 3 ZRFG ergangenen Verwaltungsvorschriften (Schreiben des BMWF vom 18. August 1971, F/IV B 2-S 1915-73/71, BStBl I 1971, 386, Abschn. I Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2) sehen -- soweit hier einschlägig -- in Abschn. I Nr. 2 Abs. 1 folgendes vor:
"Sonderabschreibungen kommen in Betracht
1....
2. für im Zonenrandgebiet belegene abnutzbare unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die vom Steuerpflichtigen zum ausschließlichen oder fast ausschließlichen eigenbetrieblichen Gebrauch errichtet oder erworben worden sind. Im Fall des Erwerbs eines Gebäudes ist die Sonderabschreibung jedoch nur dann zu gewähren, wenn das Gebäude vor dem Erwerb zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehörte, dessen Stillegung drohte oder der stillgelegt worden ist, und das Gebäude seit der Stillegung leergestanden hat."
Bei Beurteilung der Frage, ob die genannten Vorschriften ermessensgerecht sind, ist zunächst davon auszugehen, daß die Richtlinien die Gewährung von Sonderabschreibungen bei abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens grundsätzlich auf solche Fälle beschränkt sehen wollen, in denen Gebäude errichtet werden. Diese Regelung ist mit den Förderungszielen des ZRFG vereinbar und daher sachgerecht; denn die "Errichtung" von (neuen) Gebäuden oder Gebäudeteilen ist in aller Regel besser geeignet, die vom Gesetzgeber gewünschte Investitionstätigkeit im Zonenrandgebiet zu fördern als der "Erwerb" bereits vorhandener Gebäude (Urteile in BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553; BFHE 131, 356, BStBl II 1980, 762, und in BFHE 134, 335, BStBl II 1982, 88). -- Auch die als Ausnahme von dieser Regel aufzufassende Richtlinienbestimmung, nach der der Erwerb eines bereits gebrauchten Gebäudes begünstigungsfähig ist, wenn das Gebäude vor dem Erwerb zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehörte, dessen Stillegung droht oder der stillgelegt worden ist, steht mit den Förderungszielen in Einklang und ist daher als sachgerecht anzusehen. Zwar läßt sich dem Text der Vorschrift nicht entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen diese Ausnahmevorschrift erlassen wurde. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die Stillegung eines Betriebs in der Regel die Vernichtung wirtschaftlicher Werte und den Verlust von Arbeitsplätzen mit sich bringt. Durch die steuerliche Förderung des Erwerbs von Gebäuden aus einem stillgelegten oder von einer Stillegung bedrohten Betrieb können unter Umständen gewerblich genutzte Gebäude ihrer Zweckbestimmung entsprechend erhalten bleiben; außerdem besteht die Möglichkeit, daß anstelle der verlorengegangenen Arbeitsplätze neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Deshalb soll derjenige, der bereits vorhandene Gebäude aus stillgelegten oder von der Stillegung bedrohten Betrieben zur gewerblichen Nutzung erwirbt, in ähnlicher Weise gefördert werden wie derjenige, der ein neues Gebäude erstellt (vgl. hierzu auch Urteil in BFHE 134, 335, BStBl II 1982, 88; Sauer, Finanz-Rundschau 1978, 186).
Nicht vom Wortlaut der Richtlinien erfaßt ist der Fall, daß das erworbene Gebäude aus einer stillgelegten oder von der Stillegung bedrohten Betriebsstätte (§ 16 des Steueranpassungsgesetzes, § 12 der Abgabenordnung) stammt, während der Betrieb als solcher nicht stillgelegt worden ist und auch nicht von der Stilllegung bedroht ist. Nach Ansicht des Senats muß auch dieser Fall begünstigungsfähig sein. Denn die Erwägungen, die für die Begünstigung von Gebäudeerwerbungen aus stillgelegten oder von der Stillegung bedrohten Betrieben maßgebend sind (Erhaltung von gewerblich genutzten Gebäuden, Schaffung von Arbeitsplätzen), sprechen auch für die Begünstigung von Gebäudeerwerbungen aus einer stillgelegten oder von der Stillegung bedrohten Betriebsstätte. Es handelt sich insoweit um wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte. Es entspricht deshalb einer sachgerechten Ermessensausübung, die beiden Sachverhalte auch bei der Gewährung von Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG gleichzubehandeln (vgl. BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553).
4. Geht man hiervon im Streitfall aus, so hätte das FA den Erwerb des zur Schachtanlage "Y" gehörenden Betriebsgebäudes zu den begünstigungsfähigen Erwerbsvorgängen zählen müssen. Es handelt sich bei der Schachtanlage um eine von der Betriebsleitung stillgelegte Betriebsstätte der X-AG. Das miterworbene Gebäude stand seit der Stillegung leer.
Der Senat kann allerdings nicht im Sinne des von der Klägerin gestellten Antrags durcherkennen. Denn dies würde voraussetzen, daß der Klägerin ein Rechtsanspruch auf die beantragte Vergünstigung zusteht. Ein solcher Rechtsanspruch käme jedoch nur dann in Betracht, wenn der für die Gewährung der Vergünstigung bestehende Ermessensspielraum der Verwaltung unter den gegebenen Umständen so eingeengt wäre, daß jede andere Entscheidung als die Gewährung der beantragten Sonderabschreibung als Ermessensverstoß anzusehen wäre (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; BFH-Urteil vom 5. Mai 1977 IV R 116/75, BFHE 122, 283, BStBl II 1977, 639). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Es wäre denkbar, daß es ermessensgerechte Gründe gibt, die der Gewährung der Vergünstigung entgegenstehen. Es könnten z. B. die Voraussetzungen der Prosperitätsklausel (§ 3 Abs. 4 ZRFG) gegeben sein. Damit das FA erneut über den Antrag der Klägerin entscheiden kann, sind der Beschwerdebescheid der Oberfinanzdirektion vom 8. September 1978 und der Bescheid vom 3. März 1976, soweit er die Ablehnung des Antrags auf Sonderabschreibung enthält, aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 74684 |
BStBl II 1983, 587 |
BFHE 1983, 499 |