Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlassen gleichartiger Veredelungsprodukte

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Überlassen im Sinne des § 8 UStDB 1951 ist zu verneinen, wenn der Unternehmer die Veredelungsprodukte sogleich vom Auftraggeber kauft und der Auftraggeber zwischenzeitlich keinenunmittelbaren Besitz erlangt.

 

Normenkette

UStDB 1951 § 8; UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nrn. 4, 5b, § 7 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige (Berufungsführerin und Revisionsklägerin), der u.a. eine Kokerei gehört, schloß 1953 mit der X-AG einen Werklohnverkokungsvertrag. Danach sollte die Steuerpflichtige Kokskohle der X-AG im Werklohn verkoken und der X-AG "gleichartige produkte, wie sie bei der Verkokung in ihrer Kokerei anfallen, überlassen". Zur gleichen Zeit vereinbarten die Steuerpflichtige und die X-AG, daß die X-AG die Geschäfte der Kokerei unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB führen sollte.Der Werklohnverkokungsvertrag wurde 1953 und 1954 mit der Besonderheit durchgeführt, daß die X-AG die ihr überlassenen Kokereiprodukte (Koks, Teer, Benzol, Gas und Ammoniak) zunächst selbstkontrahierend an die Steuerpflichtige verkaufte und dann zum gleichen Preis im Namen der Steuerpflichtigen an Dritte. Die Steuerpflichtige gibt an, von den An- und Verkäufen nicht gewußt zu haben. Die X-AG, die die Kokerei auch steuerlich betreute, sah in der Verkokung einen Sonderfall der Leistung nach § 8 UStDB 1951 und versteuerte für die Steuerpflichtige lediglich den Werklohn; die Verkäufe der Kokereiprodukte an Dritte behandelte sie als steuerfreie Lieferungen nach § 4 Nr. 4, 5b UStG 1951, ausgenommen die Ammoniakverkäufe, die sie mit 1v.H. nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 versteuerte.

Das Finanzamt (FA) - Berufungsgegner und Revisionsbeklagter - vertrat nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, ein Sonderfall der Leistung sei wegen des anschließenden Ankaufs der überlassenen Produkte zu verneinen; die Steuerpflichtige habe schon an der angelieferten Kokskohle Verfügungsmacht erlangt. Das FA besteuerte demgemäß in einem Berichtigungsbescheid die Koks-, Gas- und Ammoniakverkäufe mit 4v.H. (Steuerpflichtige als Herstellerin). Es beließ hingegen die Teer- und Benzolverkäufe weiterhin steuerfrei (besonders zugelassene Bearbeitung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 UStDB 1951) und kürzte die Umsätze um die Verkokungslöhne.

Die Sprungberufung blieb erfolglos. Mit der Rechtsbeschwerde, die als Revision zu behandeln ist, macht die Steuerpflichtige geltend: Nicht sie, sondern die X-AG habe an die Dritten geliefert. Die An- und Verkäufe dürften ihr nicht zugerechnet werden, weil sie von ihnen nichts gewußt habe. Die Rechtslage sei vergleichbar mit dem Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) V 205/60 U vom 28. März 1963 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 77 S. 75 - BFH 77, 75 -, BStBl III 1963, 344).

Auch sei zu berücksichtigen, daß die An- und Verkäufe zum gleichen Preis wirtschaftlich sinnlos gewesen seien. Sie hätte, sofern sie Kokskohle erworben hätte, einen Ertrag erzielen können, der die Verkokungslöhne erheblich überstiegen hätte. Würden ihr aber die Verkäufe an Dritte als Lieferungen zugerechnet, dürfte die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht dazu führen, die bürgerlich-rechtliche Gestaltung zu negieren. Sie habe in diesem Falle nicht die Kohle, sondern erst die Kokereiprodukte gekauft und erworben. Der BFH habe in dem Urteil V 157/60 U vom 31. Januar 1963 (BFH 76, 544, BStBl III 1963, 198) den zivilrechtlichen Bearbeitungsvertrag umsatzsteuerrechtlich anerkannt. Der Abschluß des Verkokungsvertrags sei für sie sinnvoll gewesen, weil sie an dem Verkauf von Kokereiprodukten nicht interessiert gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zu Recht ist das Finanzgericht (FG) davon ausgegangen, daß die Steuerpflichtige und nicht die X-AG die Kokereiprodukte an Dritte lieferte. Die X-AG verkaufte die Gegenstände im Namen und für Rechnung der Steuerpflichtigen und übertrug den Dritten die erfügungsmacht.

Die Steuerpflichtige kann demgegenüber nicht einwenden, sie habe von den Lieferungen nichts gewußt und billige sie nicht. Sie muß sich die Handlungen der X-AG zurechnen lassen. Sie hatte die X-AG ermächtigt, sie gegenüber Dritten zu vertreten. Die Billigung der Lieferungen lag schon in der Übertragung der Kokereigeschäftsführung. Die X-AG hielt sich im Rahmen ihrer Befugnisse, als sie die Kokereiprodukte für die Steuerpflichtige kaufte und verkaufte. Die Bezugnahme der Steuerpflichtigen auf das Urteil des Senats V 205/60 U vom 28. März 1963 (a.a.O.) geht fehl. In diesem Urteil ist zwar ausgesprochen, daß einem Unternehmer eine Bearbeitung nicht zugerechnet werden kann, wenn sie ohne sein Wissen und gegen seinen Willen durch einen beauftragten Dritten erfolgt. Dieser Rechtssatz ist aber im Zusammenhang mit dem beurteilten Sachverhalt zu sehen. Der beauftragte Dritte hatte die Bearbeitungen entgegen den ausdrücklichen Weisungen des Unternehmers vorgenommen. Im vorliegenden Falle hatte sich die X-AG im Rahmen ihres Auftrags gehalten. Sie hatte eine allgemeine Geschäftsführungsbefugnis, ohne daß ihr der An- und Verkauf der Verkokungsprodukte untersagt worden wäre.

Die An- und Verkäufe mögen wirtschaftlich überflüssig gewesen sein. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es nicht, Lieferungen der Verkokungsprodukte zu verneinen. Die Umsatzbesteuerung kann nicht darauf Rücksicht nehmen, ob die gewählten Gestaltungen wirtschaftlich sinnvoll und zweckmäßig sind. Eine derartige Prüfung würde die Steuerbehörden und -gerichte überfordern. Die Unternehmer müßten sich eine Wertung ihrer Motive und Handlungen gefallen lassen. Letztlich würde der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ausgehöhlt. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise führt zu keiner anderen Beurteilung. Sie dient neben einer Auslegung der Steuergesetze nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt zwar auch der Beurteilung von Sachverhalten nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sie kann aber nicht dazu führen, tatsächliche Vorgänge völlig zu negieren.

2. Zutreffend hat das FG angenommen, daß die Koks-, Gas- und Ammoniaklieferungen mit 4v.H. zu versteuern sind. Die Steuerpflichtige kann weder Steuerfreiheit für die Kokslieferungen nach § 4 Nr. 4 UStG 1951 noch den ermäßigten Steuersatz von 1v.H. für die Ammoniaklieferungen in Anspruch nehmen, weil sie den Koks und das Ammoniak nicht erworben hat. Steuerfreiheit für die Gaslieferungen nach § 4 Nr. 5b UStG in der bis zum 31. März 1965 geltenden Fassung entfällt, weil es sich um die ersten Lieferungen im Inland handelt.

Die Steuerpflichtige erlangte bereits vor der Verkokung Verfügungsmacht über die angelieferte Kokskohle. Die Übergabe erfolgte nicht im Rahmen eines Werkleistungsvertrags; es sollten nicht die aus der übergebenen Kohle gewonnenen Kokereiprodukte zurückgegeben werden, sondern "gleichartige Produkte". Eine Übergabe ohne Verschaffung der Verfügungsmacht könnte nur dann bejaht werden, wenn die Verkokung als Sonderfall der Leistung nach § 8 UStDB 1951 gelten könnte. Dies ist nicht der Fall.

Die Anwendung des § 8 UStDB 1951 setzt u. a. voraus, daß der Unternehmer dem Auftraggeber anstelle des herzustellenden Gegenstands einen gleichartigen Gegenstand überläßt. Der Übergabe des Stoffes durch den Auftraggeber muß die Rückgabe von Veredelungsprodukten durch den Unternehmer gegenüberstehen. Daran fehlt es. Die X-AG verkaufte die Kokereiprodukte sogleich an die Steuerpflichtige. Die Steuerpflichtige war unmittelbare Besitzerin der Kokskohle geworden und blieb unmittelbare Besitzerin der Kokereiprodukte. Der Ankauf der Gegenstände macht die vorangegangene "Überlassung" zu einem lediglich formalen Vorgang. Das Überlassen nach § 8 UStDB 1951 setzt wie das Liefern nach § 3 Abs. 1 UStG 1951 eine Übertragung der Verfügungsmacht voraus; dies folgt daraus, daß die Hingabe der Stoffe und das Überlassen "gleichartiger" Veredelungsprodukte ohne die in § 8 UStDB 1951 entsprechend der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und BFH getroffene Regelung umsatzsteuerrechtlich als zwei Lieferungen (Tausch) zu behandeln wären. Der Senat hat aber für die Lieferung ausgesprochen, daß durch einen bloßen Verkauf bei gleichzeitiger Vereinbarung eines Rückkaufs ohne Besitzerwechsel die Verfügungsmacht nicht übertragen wird (Urteil V 230/64 vom 26. Oktober 1967, BFH 90, 379, BStBl II 1968, 110). Dieser Grundsatz gilt auch für das Überlassen nach § 8 UStDB 1951, wobei unerheblich ist, ob der Rückkauf sofort oder in einem geringen zeitlichen Abstand vereinbart worden sein sollte.

Zu dem gleichen Ergebnis führt die Überlegung, daß nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Erwerb eines bearbeiteten Gegenstands und die vorangegangene Bearbeitung, die der Abnehmer für den Veräußerer durchführt, einheitlich als Erwerb eines unbearbeiteten Gegenstands zu beurteilen sind (BFH-Urteile V 264/55 U vom 26. September 1957, BFH 65, 513, BStBl III 1957, 429; V 288/58 U vom 18. Oktober 1962, BFH 75, 774, BStBl III 1962, 547; V 169/63 vom 20. Oktober 1966, BFH 87, 283, BStBl III 1967, 159). Eine Aufspaltung ist allerdings anzuerkennen, wenn für den Abschluß eines besonderen Bearbeitungsvertrags wirtschaftlich beachtliche Gründe vorliegen und der Liefergegenstand im Zeitpunkt der Bearbeitung nicht genügend konkretisiert war (BFH-Urteil V 157/60 U, a.a.O.). Die Steuerpflichtige kann nicht damit gehört werden, sie seilediglich an einer Lohnverkokung interessiert gewesen. Sie muß sich, wie dargelegt, die Handlungen der geschäftsführenden X-AG zurechnen lassen. Die X-AG hatte durch die Ankäufe der Kokereiprodukte, die sie für die Steuerpflichtige tätigte, ihr Interesse an einer Ausnutzung der Kokerei durch Eigenverkokung bekundet. Der Liefergegenstand war bei Beginn der Bearbeitung (Verkokung) ausreichend konkretisiert. Die X-AG hatte sich nicht an einem Teil der gelieferten Kokskohle ein Verfügungsrecht vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 603647

BFHE 1970, 222

BFHE 98, 222

HFR 1970, 297

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