Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Geschlechtsverkehr gegen Entgelt ist keine Tätigkeit im Sinne des § 15 Ziff. 1 und keine Leistung im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG.
Normenkette
EStG § 15 Nr. 1, § 22 Ziff. 3
Tatbestand
Die Bgin., die eine Witwenpension bezieht, ist von dem Finanzamt für die Jahre 1951 bis 1957 auch mit sonstigen Einkünften im Sinne des § 22 EStG zur Einkommensteuer herangezogen worden. Bei einer Fahndungsprüfung ergab sich, daß die Bgin. in den erwähnten Jahren, wenn man Lebenshaltungskosten von jährlich 3.000 DM zugrunde legt, Einnahmen von 92.000 DM und einen Vermögenszuwachs von 71.000 DM gehabt hatte, die auf Zuwendungen beruhen, die die Bgin. von einer Vielzahl von Freunden, vornehmlich amerikanischen und französischen Offizieren, für die Gestattung des außerehelichen Beischlafs erhalten hatte.
Das Finanzamt sah in den Zuwendungen sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Berufung der Bgin. ließ das Finanzgericht diese Zuwendungen bei der Einkommensteuer unberücksichtigt. Nach Auffassung des Finanzgerichts können Zuwendungen dieser Art nicht in die Einkunftsarten des EStG eingeordnet werden, weil sowohl der Begriff "Gewerbebetrieb" als auch der Begriff "sonstige Einkünfte" im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG einen Austausch wirtschaftlicher Leistungen voraussetzen. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Auslegung des § 22 Ziff. 3 EStG. Darunter falle jede "Leistung", d. h. jedes "Tun oder Unterlassen", weil es sich bei dem Tatbestandsmerkmal "Leistung" um einen wertneutralen Begriff handle. Auf jeden Fall hätte aber das Finanzgericht prüfen müssen, ob nicht die Verbrauchsbesteuerung anzuwenden gewesen sei.
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, meint, Zuwendungen der streitigen Art könnten unter § 15 Ziff. 1 EStG oder unter § 22 Ziff. 3 EStG fallen. Es könne bei Frauen, die sich selbständig und nachhaltig gegen Entgelt Männern preisgäben, angenommen werden, daß sie sich selbständig und nachhaltig betätigten. Dies gelte besonders für Frauen, die im Sinne des § 181 a StGB gewerbsmäßig Unzucht trieben, sich also einem individuell nicht bestimmten Kreise von Männern gegen Entgelt geschlechtlich preisgäben (Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 6. und 7. Auflage, § 181 a Anm. 2). Oft sei auch eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu bejahen. In wohl allen größeren Städten gebe es Plätze, an denen Frauen sich zahlungsbereiten Männern anböten (vgl. § 361 Ziff. 6 bis 6 c StGB). Dieses Anbieten sei nach außen hin erkennbar und jedenfalls den interessierten Kreisen bekannt. Die Besatzungszeit habe dem Typ von Frauen zur Verbreitung geholfen, die sich ihrem "Freund" gegen Entgelt preisgäben. Daß der Gelderwerb im Vordergrund stehe, ergebe sich daraus, daß die Bekanntschaften jeweils nur von kurzer Dauer seien und eine Männerbekanntschaft der anderen folge. Auch in diesen Fällen sei eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr anzunehmen, weil die Frauen und ihre Tätigkeit in eingeweihten Kreisen bekannt seien. Wenn kein Gewerbebetrieb vorliege, so könne doch § 22 Ziff. 3 EStG z. B. dann in Betracht kommen, wenn die entgeltliche Preisgabe nicht nachhaltig erfolge oder die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr trotz nachhaltiger entgeltlicher Preisgabe nicht feststellbar sei. Die Anwendung des § 22 Ziff. 3 EStG erfordere einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt. Es sei unerheblich, ob die Leistung "erlaubt" sei. Es dürfe aber, wenn nicht auch die sonstigen Merkmale eines Gewerbebetriebes vorlägen, kaum möglich sein, den erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt festzustellen. Gebe sich eine Frau nachhaltig und unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr geschlechtlich preis, so mache es keine Schwierigkeiten, in einer Zuwendung ihrer Partner ein Entgelt für die Gestaltung des Geschlechtsverkehrs zu sehen. Fehle es jedoch an der Nachhaltigkeit oder an der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, z. B. bei der ausgehaltenen Freundin, so sei es kaum möglich, zu entscheiden, ob in einer Zuwendung ein Entgelt für die geschlechtliche Preisgabe oder eine belohnende (remuneratorische) Schenkung zu sehen sei. Je mehr die persönlichen Gefühle für eine intime Beziehung ausschlaggebend seien, desto schwieriger werde die Feststellung, ob ein Leistungsaustausch vorliege.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Einnahmen, deren Besteuerung streitig ist, unterliegen nur dann der Einkommensteuer, wenn sie in eine der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG eingeordnet werden können. Hier können nur die Einkunftsarten "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" (ß 15 EStG) und "sonstige Einkünfte" (Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG) in Betracht kommen. Die Bezüge der Bgin. fallen aber, wie das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum angenommen hat, unter keine dieser beiden Einkunftsarten.
Dem Finanzamt ist zuzugeben, daß eine Besteuerung nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, "daß ein Verhalten (ein Tun oder ein Unterlassen), das den steuerpflichtigen Tatbestand erfüllt oder einen Teil des steuerpflichtigen Tatbestands bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt" (ß 5 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes). Es ist auch nicht zu bestreiten, daß es unbefriedigend ist, Einnahmen aus gewerbsmäßiger Unzucht einkommensteuerfrei zu belassen, während Frauen mit dem Entgelt aus anständiger Arbeit zur Einkommensteuer herangezogen werden. Davon ist offenbar der Reichsfinanzhof in dem Urteil IV 33/43 vom 8. April 1943 (Grundwerk zur Steuerrechtsprechung in Karteiform, EStG 1938/1939, § 22 Ziff. 3, Rechtsspruch 10) ausgegangen, wenn er feststellt, daß "kein triftiger Grund vorliegt, Einkünfte aus eigener gewerbsmäßiger Unzucht von der Einkommensteuer frei zu lassen". Der Grundsatz, daß Sittenwidrigkeit oder Strafbarkeit eines Tuns die Besteuerung nicht ausschließt, kann aber nicht allein die Besteuerung begründen. Voraussetzung für die Besteuerung ist vielmehr, daß der Gesetzgeber einen entsprechenden Steuertatbestand geschaffen hat. Daran aber fehlt es hier.
Eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Ziff. 1 EStG setzt, wie der Bundesminister der Finanzen zutreffend ausführt, eine selbständige, nachhaltige und auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit voraus, die sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt (ß 1 Abs. 1 GewStDV 1955).
Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 16/31 vom 4. März 1931 (RStBl 1931 S. 528) ist die sogenannte "gewerbsmäßige Unzucht keine gewerbliche Betätigung im Sinne des Einkommensteuerrechts. Dem entspricht, daß der Reichsfinanzhof bereits in dem Urteil V A 323/22 vom 23. März 1923 (RStBl 1923 S. 196) ausgesprochen hat, daß eine Frau, die gewerbsmäßige Unzucht betreibt, keine Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts erbringt. In dem Urteil IV 33/43 a. a. O. hat der Reichsfinanzhof dagegen Einkünfte im Sinne von § 22 Ziff. 3 EStG angenommen. Dieser Auffassung ist der Oberste Finanzgerichtshof in dem amtlich nicht veröffentlichten Urteil IV 16/47 vom 9. März 1948 beigetreten.
Der Senat nimmt mit der früheren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs an, daß jedenfalls die Gestattung des Beischlafs für sich allein keine Tätigkeit im Sinne des § 15 EStG oder keine Leistung im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG ist. Man muß zwar die Begriffe "Tätigkeit" und "Leistung" dem Sinn und Zweck des Einkommensteuerrechts entsprechend weit fassen und darunter grundsätzlich jedes Tun, Unterlassen oder Dulden rechnen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann. In den Fällen der hier in Betracht kommenden Art ist es - außer vielleicht bei der sogenannten gewerbsmäßigen Unzucht - aber oft schon zweifelhaft, ob der erhaltene Betrag wirklich ein "Entgelt" ist. Nach Auffassung des Senats kann aber der Geschlechtsverkehr überhaupt nicht als eine einkommensteuerlich beachtliche "Leistung" angesehen werden. Dies ist auch die Auffassung des IV. Senats, der keinen Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 EStG, § 2 GewStG annehmen will, wie er auf die Anfrage des erkennenden Senats bestätigt hat. Der Senat verkennt nicht, daß es als ungerecht erscheinen kann, die hier streitigen Einnahmen unbesteuert zu lassen, wenn Bezüge aus ehrlicher Arbeit besteuert werden. Das berechtigt aber den Senat nicht, den Kreis der vom Gesetzgeber geschaffenen Steuertatbestände zu erweitern. Der Gesetzgeber hat eindeutig nur solche Einnahmen zur Einkommensteuer heranziehen wollen, die unter eine der sieben Einkunftsarten gebracht werden können. Diese Voraussetzung hat die jüngere Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Obersten Finanzgerichtshofs unter Abweichung von der älteren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nach Auffassung des Senats zu Unrecht als erfüllt angesehen. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Begrenzung der Einkommensteuer auf bestimmte Einkunftsarten auch sonst zu Ergebnissen führen kann, die auf den ersten Blick überraschen. Das gilt z. B. für mühelose Spekulationsgewinne, die einkommensteuerlich nicht erfaßt werden, wenn die Frist des § 23 EStG verstrichen ist.
Mit dem Finanzgericht ist danach anzunehmen, daß die Bgin. mit den streitigen Einnahmen zu Unrecht zur Einkommensteuer herangezogen worden ist.
Auch die Rüge des Vorstehers des Finanzamts, daß das Finanzgericht hätte prüfen müssen, ob die Heranziehung der Bgin. unter dem Gesichtspunkt der Verbrauchsbesteuerung (ß 48 EStG) gerechtfertigt sei, greift nicht durch. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 48 EStG erfüllt sind. Die Frage der Verbrauchsbesteuerung, die im Ermessen des Finanzamts steht, kann jedenfalls nicht erst im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemacht werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410499 |
BStBl III 1962, 465 |
BFHE 1963, 537 |
BFHE 75, 537 |