Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisions- und der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
1. Krankheit ist jedenfalls dann ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie plötzlich und in einer Schwere auftritt, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr möglich macht, einen Dritten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.
2. Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten, wann die Revisionsbegründungsfrist beginnt, wenn wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist Wiedereinsetzung gewährt wird.
Die Unklarheit der Rechtslage bildet einen Grund zur Wiederseinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen einen über einen Betrag von 37 147 DM lautenden Bescheid auf Rückforderung von Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Ergänzungsabgabe 1970 und 1971 nur in Höhe eines Betrages von 6 457 DM stattgegeben. Das Urteil des FG wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde vom 10. März 1982 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 12. Mai 1982, beim FG eingegangen am 14. Mai 1982, legte der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten gegen das Urteil des FG Revision ein, rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts, beantragte wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Revision. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte er folgendes aus:
Den Kläger habe das Urteil des FG wegen seiner schweren Erkrankung nach Herzinfarkt und Schlaganfall mit Lähmung der linken Körperhälfte erst am 7. Mai 1982 erreicht, obgleich der Prozeßbevollmächtigte es durch Anschreiben vom 18. März 1982 mit der Frage, ob Revision eingelegt werden solle, rechtzeitig an den Kläger übersandt habe. Der Prozeßbevollmächtigte sei bereits früher angewiesen worden, Rechtsmittel nur auf spezielle Weisung des Klägers einzureichen. Die an den Kläger persönlich gerichtete Post sei wegen der Anordnung des Chefarztes des . . . Hospitals dem Erkrankten nicht ausgehändigt, sondern gesondert verwahrt worden, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arzt ihm dies erlaubt habe. Das sei der 6. Mai 1982 gewesen. Nachdem der Kläger die Entscheidung des FG gelesen und als unrecht empfunden habe, habe er am 10. Mai 1982 veranlaßt, Revision einzulegen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Der Prozeßbevollmächtigte sei über die plötzliche Erkrankung des Klägers nicht informiert gewesen. Er sei in der Zeit vom 27. März bis 19. April 1982 im Ausland in Urlaub gewesen und habe anschließend so viele Termine wahrzunehmen gehabt, daß es ihm nicht aufgefallen sei, daß der Kläger sich über längere Zeit in Schweigen gehüllt habe. Die Ehefrau des Klägers, welche die an den Kläger gerichtete Post nicht geöffnet habe, habe auch nichts von der Entscheidung des FG gewußt. Sie habe ohne Ausnahme die ärztlichen Anordnungen befolgt, da ihr allein daran gelegen gewesen sei, daß der Kläger überlebe. Mit steuerlichen und rechtlichen Angelegenheiten des Klägers sei die Ehefrau des Klägers nicht betraut gewesen und werde auch nicht damit betraut. Sie sei auch mit der Materie nicht vertraut, da sie den Kläger erst nach einer früheren Scheidung geheiratet und sie sich um die Ereignisse aus der vorangegangenen Ehe nicht gekümmert habe und auch nicht habe kümmern sollen.
. . .
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
1. Der Kläger hat die Frist zur Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) versäumt. Wegen der Fristversäumnis ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO).
a) Der Kläger hat die Frist ohne sein Verschulden nicht eingehalten. Er hat glaubhaft gemacht, daß er sich die Entscheidung darüber, ob Revision einzulegen sei, selbst vorbehalten habe. Dagegen ist nichts einzuwenden. An diese Weisung war der Prozeßbevollmächtigte im Innenverhältnis gebunden, auch wenn er nach außen befugt war, rechtswirksam Revision einzulegen. Der Kläger hat zur Überzeugung des erkennenden Senats glaubhaft gemacht, daß er während des Laufs der Revisionsfrist infolge einer schweren Erkrankung gehindert war zu entscheiden, ob die Revision eingelegt werden solle. Krankheit ist jedenfalls dann ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie so plötzlich und in einer Schwere eintritt, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr möglich macht, einen Dritten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Dem FA ist zwar darin zuzustimmen, daß der genaue Tag, an dem der Kläger den Schlaganfall erlitten hat, weder vorgetragen noch sonst zweifelsfrei erkennbar ist. Immerhin ist ärztlich bekundet, daß sich der Kläger seit 15. März 1982 bis 6. Mai 1982 nicht mit betrieblichen und steuerlichen sowie (sonstigen) rechtlichen Belangen befassen konnte. Der Senat hält diesen Vortrag für ausreichend, um ein Verschulden des Klägers an der Fristversäumung zu verneinen.
b) Auch den Prozeßbevollmächtigten trifft kein Verschulden am Fristablauf. Man kann dem Prozeßbevollmächtigten nicht vorwerfen, daß er das Schreiben erst am 18. März 1982 an den Kläger übersandt hat. Denn dies geschah so rechtzeitig, daß aus der Sicht des Prozeßbevollmächtigten damit gerechnet werden konnte, der Kläger werde seine Entscheidung über die Einlegung der Revision noch zu einem Zeitpunkt treffen, der ausreichend Spielraum lasse, Revision einzulegen. Der Prozeßbevollmächtigte konnte die Erkrankung des Klägers, die seit 15. März 1982 seine Entscheidungsfähigkeit ausschloß, nicht vorhersehen. Im übrigen hat der Kläger glaubhaft und ohne Widerspruch des FA dargelegt, daß das Büro des Prozeßbevollmächtigten auch während seines Urlaubs voll handlungsfähig war, da ein Vertreter gerichtlich bestellt worden war.
2. Geht man davon aus, daß die Revisionsfrist am 13. April 1982 abgelaufen war, so wäre im Regelfall die Begründungsfrist am 13. Mai 1982 abgelaufen gewesen. Die Revisionsbegründung ging jedoch gleichzeitig mit der Revision und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erst am 14. Mai 1982 beim FG ein. Sie wäre also bei regulärem Fristablauf um einen Tag verspätet eingereicht worden. Allerdings ist die Frage, wann die Begründungsfrist beginnt, wenn wegen Versäumung der Einlegungsfrist Wiederseinsetzung gewährt wird, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten. Z. B. beginnt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Frist für die Revisionsbegründung mit Zustellung des Wiedereinsetzungsbeschlusses (Beschluß vom 30. November 1970 GrS 1.69, BVerwGE 36, 340 = Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1971, 172 = Neue Juristische Wochenschrift 1971, 294). Demgegenüber soll nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Dezember 1971 VII R 108/69 (BFHE 104, 184, BStBl II 1972, 224) die Frist ohne Rücksicht auf die Versäumung der Revisionsfrist laufen. Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu entscheiden. Denn angesichts der Rechtsunklarheit müßte dem Kläger auch insoweit wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden. Weder dem Kläger noch seinem Prozeßbevollmächtigten kann die Unklarheit der Rechtslage, verursacht durch unterschiedliche Rechtsauffassungen Oberster Bundesgerichte, zur Last gelegt werden. Da die Revision in dem am 14. Mai 1982 beim FG eingegangenen Schriftsatz begründet worden ist, kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413708 |
BFH/NV 1987, 246 |