Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der Körperbehinderung durch einen Schwerbehindertenausweis
Leitsatz (NV)
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß Körperbehinderte, die in ihrer Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v.H. gemindert sind, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Pauschbetrages nach § 33 b Abs. 2 und 3 EStG durch einen Schwerbehindertenausweis nachweisen müssen. § 65 Abs. 1 EStDV, der dies vorschreibt, verstößt insbesondere nicht gegen das Grundgesetz.
Normenkette
EStG § 33b Abs. 2-3; EStDV § 65 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1; SchwbG § 3 Abs. 5
Tatbestand
Die im Jahre . . . geborene Tochter der Kläger und Revisionskläger (Kläger) leidet seit ihrem 6. Lebensjahr an einer krankhaften Veränderung des Kieferknochens und an einer durch eine Entwicklungsstörung hervorgerufenen Schädigung des Knochengerüsts, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule und der Hüftgelenke. Im Streitjahr 1977 befand sich die Tochter noch in der Berufsausbildung.
Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung 1977 wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung ihrer Tochter - bei einer angenommenen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 v.H. - einen Pauschbetrag für Körperbehinderte in Höhe von 2 070 DM und Kraftfahrzeugkosten in Höhe von 960 DM (= 3 000 km x 0,32 DM pro km) als außergewöhnliche Belastung geltend. Einen Schwerbehindertenausweis legten sie nicht vor, obwohl sie aus den Veranlagungen der Vorjahre wußten, daß die begehrten Steuervergünstigungen im Streitjahr davon abhängig gemacht werden würden.
Das damals zuständige Finanzamt (FA) A berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr die außergewöhnliche Belastung der Kläger nicht, weil diese die Höhe der Erwerbsminderung ihrer Tochter nicht durch einen Schwerbehindertenausweis nachgewiesen hätten und auch die Geh- und Stehbehinderung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der Einspruch wurde von dem inzwischen zuständig gewordenen FA B - dem Beklagten und Revisionsbeklagten (anschließend FA genannt) - als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit der vom VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zugelassenen Revision rügen die Kläger insbesondere, § 65 der Einkommensteuer - Durchführungsverordnung 1977 (EStDV 1977) überschreite in grundgesetzwidriger Weise den vom Gesetzgeber durch § 33 b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG 1977) eröffneten Regelungsrahmen. Weiter habe das FG den Umstand, daß ihre, der Kläger, Tochter wegen der mit dem Kieferleiden verbundenen Wachstumsstörungen nur eine Körpergröße von . . . m erreicht habe, überhaupt nicht gewürdigt.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und das FA anzuweisen, das Einspruchsverfahren weiterzuführen und dabei alle Beweismittel zu berücksichtigen, die außerhalb eines Verfahrens liegen, mit dem ihre Tochter die Feststellung betreiben müßte, sie sei als schwerbehindert i.S. des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) anzuerkennen. Hilfsweise stellen die Kläger die das FA anweisenden Anordnungen in das Ermessen des Gerichts bzw. beantragen nochmals hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Kläger für die Inanspruchnahme des Pauschbetrages nach § 33 b EStG 1977 sowie den Abzug von Kraftfahrzeugkosten die MdE ihrer Tochter gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1977 durch einen Ausweis nach § 3 Abs. 5 SchwbG hätten nachweisen müssen.
1. Eine andere Nachweisform kommt im Streitfall nach dem Wortlaut der Regelung und dem Willen des Verordnungsgebers nicht in Betracht.
Soweit nach § 65 Abs. 2 EStDV 1977 als Nachweis ,,auch die vor dem 20. Juni 1976 ausgestellten amtlichen Ausweise für Schwerkriegsbeschädigte, Schwerbeschädigte oder Schwerbehinderte sowie die . . . erteilten Bescheinigungen, . . ." genügen, handelt es sich lediglich um eine Übergangsregelung, die den am 20. Juni 1976 in Kraft getretenen Änderungen des SchwbG Rechnung trägt. Durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. c des Achten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes -- Achtes Anpassungsgesetz KOV (8. AnpG-KOV) - vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1976, 1481) trat an die Stelle der bisher üblichen Bescheinigungen nach § 3 Abs. 4 SchwbG 1974 ein besonderer Ausweis, der sog. Schwerbehindertenausweis. Als Folge dieser Gesetzesänderung wurde sodann u.a. durch Art. 1 Nr. 8 Buchst. b der Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer - Durchführungsverordnung 1975 vom 20. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3610, BStBl I 1976, 739) in § 65 EStDV (1977) ein neuer Absatz 2 eingefügt. Er sollte nach der amtlichen Begründung (siehe dazu BRDrucks 692/76 S. 9) die Übergangsregelung in dem bisherigen § 65 Abs. 1 Satz 3 EStDV an jene des Art. 3 des 8. AnpG-KOV anpassen. Daraus auf weitere Ausnahmen von der Regel des § 65 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1977 zu schließen, hält der Senat nicht für zulässig. Einmal handelt es sich bei den in § 65 Abs. 2 EStDV 1977 genannten Nachweisen auch um amtliche Bescheinigungen. Zum anderen würde die Absicht des Gesetzgebers, durch § 3 Abs. 5 SchwbG eine einheitliche Grundlage für die Inanspruchnahme aller Vergünstigungen für Schwerbehinderte zu schaffen (siehe hierzu z.B. Wilrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 3 Rdnr. 3 a), unterlaufen. Schließlich bliebe auch unberücksichtigt, daß die Feststellungen gemäß § 3 Abs. 1 bis 4 SchwbG von sachkundigen Personen nach einheitlichen Grundsätzen und Richtlinien getroffen werden und so der (allgemeinen) Steuergerechtigkeit mehr gedient ist, als wenn die Finanzbehörden in Einzelfällen nur hin und wieder auch über medizinische Sachverhalte zu urteilen hätten.
2. § 65 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1977 hat in § 33 b Abs. 6 EStG 1977 eine ausreichende Rechtsgrundlage.
Der BFH hat die Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 EStG 1960 bis 1974 für das Verlangen auf Vorlage der in § 65 Abs. 3 Nr. 1 EStDV 1960 bis 1974 genannten Ausweise und Bescheinigungen in ständiger Rechtsprechung für ausreichend angesehen (siehe insbesondere Urteile vom 30. November 1966 VI 313/64, BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457, und vom 25. April 1968 VI R 199/67, BFHE 92, 442, BStBl II 1968, 606). Er hat dabei insbesondere auf den - auch vom FG hervorgehobenen - Vereinfachungsgedanken bei der vom Verordnungsgeber verlangten bestimmten Form dieses Nachweises abgestellt.
Diese Rechtslage hat sich zwar seit Erlaß des Einkommensteuerreformgesetzes (EStRG) 1974 dadurch geändert, daß nunmehr - ab Erlaß des EStG 1975 - die Voraussetzungen für die Gewährung von Pauschbeträgen für Körperbehinderung im EStG selbst, und zwar in § 33 b des z.B. im Streitfall maßgebenden EStG 1977 festgelegt worden sind. Der Gesetzgeber hat dort lediglich die Frage des Nachweises der Körperbehinderung und der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht selbst geregelt, sondern dies durch Ermächtigung in dem für den Streitfall maßgebenden § 33 b Abs. 6 EStG 1977 dem Verordnungsgeber überlassen, der von dieser Ermächtigung in § 65 EStDV 1977 Gebrauch gemacht hat. Genügte nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, aber bisher schon die allgemein gehaltene Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 EStG 1960 bis 1974 den Erfordernissen des Art. 80 des Grundgesetzes (GG), so muß dies erst recht für die Ermächtigung in § 33 b Abs. 6 EStG 1977 gelten, die speziell und ausdrücklich (nur noch) zur Frage des Nachweises der Körperbehinderung und der MdE erging.
3. Die für den Streitfall maßgebende Regelung in § 65 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1977 ist auch frei von Grundrechtsverstößen.
a) Das Verlangen, der Behinderung durch Vorlage eines sog. Schwerbehindertenausweises nachzuweisen, verletzt den Behinderten insbesondere nicht in seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) oder seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG).
Die Menschenwürde ist beeinträchtigt, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird (so z.B. Dürig in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Rdnr. 28). Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet (insbesondere i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die freie Entfaltung der im Menschen angelegten Fähigkeiten und Kräfte (vgl. hierzu Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., Art. 2, Rdnr. 3 letzter Absatz).
Es ist nicht ersichtlich, inwieweit § 3 SchwbG oder ihm folgend § 65 Abs. 1 EStDV 1977 gegen diese Grundsätze verstoßen könnten. Ziel des SchwbG ist - im Gegenteil - die umfassende Rehabilitation aller Behinderten (siehe hierzu näher z.B. Thieler, Die Anerkennung als Schwerbehinderter, 1984, Abschn. II 1 d, S. 7/8; Jung/Cramer, Schwerbehindertengesetz, Kommentar, 2. Aufl., Einführung B, S. 6 ff.). Der Schwerbehindertenausweis (anstelle der früheren Bescheinigungen) wurde durch das 8. AnpG-KOV eingeführt aus der Notwendigkeit heraus, für die verschiedensten Vergünstigungen einheitliche Grundlagen zu schaffen (Wilrodt/Neumann, a.a.O., § 3 Rdnr. 3 a). Die ihm zukommende umfassende Nachweisfunktion schützt die Intimssphäre des Behinderten eher als sie sie verletzt. Zudem werden die der Ausstellung des Ausweises zugrunde liegenden Feststellungen (nach § 3 Abs. 1 bis 4 SchwbG) von Personen mit der nötigen spezifischen Sachkunde getroffen. Dritte, auch Behörden, sind an diese Feststellungen ohne weitere eigene Nachprüfungsmöglichkeit gebunden (siehe hierzu z.B. das Urteil des Senats vom 13. Dezember 1985 III R 204/81, BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245; auch Rewolle-Dörner, Schwerbehindertengesetz, Kommentar, Stand 1. Januar 1986, § 3 Abschn. V, dritter Absatz, sowie Wilrodt/Neumann, a.a.O., § 3 Rdnr. 32).
Die Nachweispflicht in § 65 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1977 widerspricht auch nicht dem Grundsatz, daß es nach § 3 SchwbG allein Sache des Behinderten ist, ein entsprechendes Feststellungsverfahren einzuleiten und daran anschließend ggf. die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises zu beantragen. Die Finanzbehörden haben keine Möglichkeit, die Kläger oder deren Tochter zur Vorlage des Ausweises nach § 3 Abs. 5 SchwbG zu zwingen. Den Klägern geht im Fall der Vorlageverweigerung - worauf auch schon das FG hingewiesen hat - nicht einmal die Möglichkeit verloren, die infolge der Behinderung der Tochter tatsächlich angefallenen Kosten steuermindernd geltend zu machen. Sie müßten sich dann lediglich die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG anrechnen lassen und die erforderlichen Nachweise führen. Darauf hätten sie sich auch bereits für das Streitjahr einstellen können, da sie nach den Feststellungen des FG aufgrund der Veranlagungen für die Vorjahre wußten, daß das FA die Gewährung des Pauschbetrages nach § 33 b EStG im Streitjahr von den nach § 65 Abs. 1 EStDV 1977 zu führenden Nachweisen abhängig machen würde.
b) Soweit die Kläger dem Schwerbehindertenausweis eine die Einstellungschancen auf dem freien Arbeitsmarkt vermindernde Wirkung beimessen und damit möglicherweise einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG rügen wollen, übersehen sie die lediglich deklaratorische Bedeutung dieses Ausweises (siehe dazu auch Wilrodt/Neumann, a.a.O., § 3 Rdnr. 37 ff., sowie Jung/Cramer, a.a.O., § 3 Rdnr. 21). Hinzu kommt im Streitfall noch, daß die Behinderung der Tochter nach dem Vortrag der Kläger im Revisionsverfahren (wegen ihrer geringen Körpergröße offenkundig sein soll.
Ungeachtet dessen, daß das FG insoweit keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat und andererseits die Kläger keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), könnte nach Auffassung des Senats auch bei sog. offenkundigen Körperbehinderungen nicht auf die Vorlage der in § 65 Abs. 1 EStDV 1977 geforderten Nachweise verzichtet werden. Denn es bliebe den Finanzbehörden - abgesehen von im Einzelfall durchaus möglichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen offenkundigen und nicht offenkundigen Behinderungen - immer noch die Qualifizierung nach dem Grad der Behinderung überlassen. Für die Beurteilung solcher, in erster Linie medizinischer Sachverhalte fehlt den Finanzbehörden jedoch die erforderliche Sachkunde.
4. Ist demnach der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit der Tochter nicht nachgewiesen, kann auch kein Abzug der geltend gemachten Kraftfahrzeugkosten (siehe hierzu grundsätzlich das BFH-Urteil vom 1. August 1975 VI R 158/72, BFHE 116, 378, BStBl II 1975, 825) in Betracht kommen.
5. Nach alledem können auch die von den Klägern gestellten Hilfsanträge keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 423403 |
BFH/NV 1987, 32 |