Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Zusage der Klagerücknahme
Leitsatz (NV)
Sagt eine anwaltlich vertretene GmbH als Teil einer tatsächlichen Verständigung mit den Finanzbehörden die Rücknahme der Klage zu, um dadurch die außergerichtliche Beilegung zahlreicher nach einer Steuerfahndungsprüfung entstandener Streitigkeiten mit den Finanzbehörden und die Einstellung eines Steuerstrafverfahrens gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer zu erreichen, ist sie nur dann nicht an die Zusage gebunden, wenn sich ergibt, daß die an der Verständigung mitwirkenden entscheidungsbefugten Finanzbeamten mit dem zuständigen Staatsanwalt zusammenwirkten, um nach damaligem Erkenntnisstand unhaltbare Steueransprüche durchzusetzen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1; BGB § 242; StPO § 153a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine zur Firmengruppe des B gehörende GmbH. Sie war u. a. in den Jahren 1980 bis 1984 Organgesellschaft des Einzelunternehmens ihres Gesellschafter-Geschäftsführers B. Mit Verwaltungsakt vom 1. April 1986 ordnete das für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzamt X eine Außenprüfung bei der Klägerin für den Prüfungszeitraum 1. Januar 1980 bis einschließlich 1. Januar 1985 an. Mit der Prüfung wurde die Großbetriebsprüfungsstelle bei der Oberfinanzdirektion (OFD) beauftragt. Die Prüfung begann am 22. April 1986. Gleichzeitig wurde mit Außenprüfungen bei anderen zur Firmengruppe des B gehörenden Unternehmen und bei B und seiner Ehefrau begonnen. Im Verlauf der Prüfungen entstand beim Prüfer der Verdacht, die Eheleute B hätten Steuerstraftaten begangen. Er informierte die Steuerfahndungsstelle. Diese leitete am 25. Juni 1986 ein Strafverfahren gegen B ein.
Am 9. September 1986 legte die Klägerin gegen die Prüfungsanordnung Beschwerde ein. Sie machte geltend, die Beauftragung der Großbetriebsprüfungsstelle verstoße gegen den Grundsatz der funktionalen Zuständigkeit des FA X und der OFD.
Mit Wirkung zum 1. Oktober 1986 richtete Nordrhein-Westfalen Finanzämter für Großbetriebsprüfung ein, darunter auch den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --). Er teilte durch Verwaltungsakt vom 14. Oktober 1986 der Klägerin mit, er werde anstelle der bisher vorgesehenen prüfenden Stelle die laufende Betriebsprüfung fortführen. Auch gegen diesen Verwaltungsakt legte die Klägerin Beschwerde ein. Zur Begründung trug sie u. a. vor: Die durch die Prüfungshandlungen der Großbetriebsprüfungsstelle gewonnenen Erkenntnisse seien rechtswidrig erlangt. Auch für eine Fortführung der Prüfung durch das FA fehle die Rechtsgrundlage.
Am 22. Dezember 1986 teilte das FA der Klägerin mit, die Ermittlungen bei den Unternehmen der Firmengruppe B würden im Strafverfahren von dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (FA Steufa) weitergeführt und abgeschlossen werden.
Durch Beschwerdeentscheidungen vom 2. April 1987 wies die OFD die Beschwerden der Klägerin gegen die Prüfungsan ordnung vom 1. April 1986 und den Ver waltungsakt vom 14. Oktober 1986 (sog. ergänzende Prüfungsanordnung) als unbegründet zurück. Die Klägerin erhob daraufhin am 20. Mai 1987 beim Finanzgericht (FG) Klage. Während des Klageverfahrens schloß das FA Steufa die Ermittlungen ab.
Im Mai 1991 kam es zwischen B und dem FA X zu einer tatsächlichen Verständigung zur Erledigung des gesamten Steuerfalles. Inhalt für Verständigung war u. a. die Zusage des B als Geschäftsführer der Klägerin, die Klage vom 20. Mai 1987 zurückzunehmen. Die Klägerin hielt die Zusage nicht ein. Sie erhob außerdem Klage wegen der vom FA X im Anschluß an die Steuerfahndungsprüfung und die Verständigung vom Mai 1991 erlassenen Steuerbescheide und machte geltend, die tatsächliche Verständigung sei unter unzulässigem Druck zustande gekommen. Das FG gab der Klage vom 20. Mai 1987, mit der die Klägerin die Feststellung der Rechtwidrigkeit der Prüfungsanordnung und der ergänzenden Prüfungsanordnung begehrt, statt.
Das FA stützt die Revision auf Verletzung von Verfahrensrecht.
Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um die Zulässigkeit der Klage zu beurteilen.
1. a) Nach den tatsächlichen und unstreitigen Feststellungen des FG hat Rechtsanwalt S, der frühere Prozeßbevollmächtigte der Klägerin und steuerlicher Berater ihres Gesellschafter-Geschäftsführers B, in Vollmacht und mit Billigung des B dem FA X im Mai 1991 zugesagt, die Klägerin werde die Klage gegen das FA wegen der Betriebsprüfungsanordnungen zurücknehmen. Das FG hat die Zusage als unwirksam angesehen, weil sie unter der Drohung zustande gekommen sei, die Staatsanwaltschaft werde andernfalls das Steuerstrafverfahren gegen B nicht nach § 153 a der Strafprozeßordnung (StPO) einstellen. Aus der Unwirksamkeit der Zusage hat das FG hergeleitet, die Fortführung des Klageverfahrens sei keine unzulässige Rechtsausübung, die zur Unzulässigkeit der Klage führe.
b) Zutreffend hat das FA geltend gemacht, das FG hätte von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) aufklären müssen, wie es zu der Zusage gekommen sei. Erst wenn die Umstände, die zur Vereinbarung vom Mai 1991 führten, geklärt sind, kann beurteilt werden, ob die Zusage durch den Einsatz unzulässiger Mittel erreicht wurde und die Klägerin daher ausnahmsweise nicht nach Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --; s. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 72 Rz. 4, m. w. N.) an die dem FA X zugunsten des FA erteilten Zusage gebunden ist.
Für das FG bestand auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag des FA Anlaß, den Sachverhalt insoweit weiter aufzuklären. Die Zusage war Teil einer Vereinbarung, der eine mehrere Jahre dauernde Steuerfahndungsprüfung vorausging und die zur außergerichtlichen Erledigung des gesamten Steuerfalles B führen sollte. Die dem FG von der Klägerin vorgelegten Schriftstücke lassen zwar erkennen, daß die Vereinbarung auch geschlossen wurde, um eine Einstellung der Steuerstrafverfahren gegen B und den jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, den Steuerberater H, zu erreichen. Eines dieser Schriftstücke (das Schreiben des Verteidigers des H vom 31. Januar 1991 an seinen Mandanten) enthält zudem den Hinweis, der zuständige Staatsanwalt mache den kurzfristigen Abschluß des Strafverfahrens davon abhängig, daß im Besteuerungsverfahren mit der Finanzverwaltung Einvernehmen erzielt werde. Die Schriftstücke lassen aber auch deutlich erkennen, daß S als damaliger Berater des B und Prozeßbevollmächtigter der Klägerin intensiv mit den Finanzbehörden und dem zuständigen Staatsanwalt über die einvernehmliche Erledigung des Steuerfalles B und die Einstellung des Strafverfahrens verhandelt hat und im Verlaufe dieser Verhandlungen im Wege einer tatsächlichen Verständigung zahlreiche streitige Feststellungen des Betriebsprüfers oder des Steuerfahnders von den Finanzbehörden fallen gelasssen wurden. Dies zeigt, daß die Verknüpfung der Einstellung der Steuerstrafverfahren gegen B und H mit der Einigung über die Besteuerung der Firmengruppe des B und der Eheleute B und der Rücknahme der in Zusammenhang mit den Prüfungsanordnungen stehenden Klagen die betroffenen Steuerpflichtigen nicht daran hinderte, mit Erfolg Einwendungen gegen die Feststellungen und Wertungen des Betriebsprüfers oder Steuerfahnders geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, daß die Verknüpfung die Entschließungsfreiheit des B in unstatthafter Weise beeinträchtigte, lassen sich den Schriftstücken und den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entnehmen.
c) Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit geklärt wird, wie es zu der Zusage der Klagerücknahme gekommen ist. Die Zusage bindet die Klägerin nur dann nicht, wenn sich ergibt, daß Rechtsanwalt S sie machte, weil die an der tatsächlichen Verständigung mitwirkenden und entscheidungsbefugten Finanzbeamten des FA X mit dem zuständigen Staatsanwalt zusammenwirkten, um nach damaligem Erkenntnisstand unhaltbare Steueransprüche gegen B, seine Unternehmen oder seine Ehefrau durchzusetzen.
2. Sollte die Klägerin nicht an die Zusage gebunden sein, wird das FG noch aufzuklären haben, ob den nach Abschluß der Fahndungsprüfung erlassenen Änderungsbescheiden -- soweit sie an die Klägerin bzw. ihren Organträger gerichtet sind und auf von der Klägerin verwirklichten und bei den vorangegangenen Veranlagungen bzw. Feststellungen nicht berücksichtigten Sachverhalten beruhen -- ausschließlich das Ermittlungsergebnis der Steuerfahndungsprüfung zugrunde liegt. Sollte dies zu bejahen sein, wäre die Klage mangels Feststellungsinteresses (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) unzulässig.
Fundstellen
Haufe-Index 421858 |
BFH/NV 1997, 765 |