Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungsverjährung vor Klageerhebung
Leitsatz (NV)
1. Durch den Eintritt der Zahlungsverjährung entfällt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die (Anfechtungs-)Klage gegen einen Steuerbescheid, mit dem u. a. Zahlungsverjährung geltend gemacht wird, wenn das FA im Einspruchs- und Klageverfahren die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids behauptet und den Eintritt der Zahlungsverjährung bestritten hat.
2. Die Wirksamkeit einer Unterbrechungshandlung ist jeweils nach den für den konkreten Unterbrechungstatbestand geltenden Kriterien zu beurteilen.
3. Eine Unterbrechung der Verjährung durch Aussetzung der Vollziehung tritt nur ein, wenn ein durch Bekanntgabe wirksam gewordener entsprechender Verwaltungsakt vorliegt.
4. Eine vor Erlaß eines Steuerbescheides gegebene Zusage der Verwaltung, dessen Vollziehung später auszusetzen, bewirkt keine Unterbrechung der Verjährung.
Normenkette
AO 1977 §§ 47, 118, 122, § 228 ff., §§ 229, 231-232, 361 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte durch zwei Bescheide vom 26. April 1983 gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Grunderwerbsteuer fest. Die Bescheide wurden dem Steuerberater A, den die Klägerin sowie weitere Investoren eines Bauherrenmodells zu ihrer Vertretung bevollmächtigt hatten, für die Klägerin bekanntgegeben.
Mit Schreiben vom 25. Mai 1983 legte A für die von ihm vertretenen Investoren, u. a. auch für die Klägerin, Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide.
Das FA, das bereits vor der Festsetzung der streitigen Grunderwerbsteuer eine Aussetzung der Vollziehung der Bescheide in Aussicht gestellt hatte, verfügte am 1. Juni 1983 die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide und bezog sich dabei auf den Antrag des A vom 25. Mai 1983. Die Aktenverfügung enthält keinen Hinweis auf den Tag der Aufgabe zur Post.
Die Einspruchsverfahren ruhten zunächst wegen eines Musterprozesses. Nachdem dieser entschieden war, wies das FA durch Entscheidung vom 8. Juli 1991 die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin u. a. geltend machte, die Steueransprüche seien wegen Eintritts der Zahlungsverjährung erloschen, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, Zahlungsverjährung sei im Streitfall nicht eingetreten. Vielmehr sei die Verjährung durch die verfügte Aussetzung der Vollziehung nach § 231 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unterbrochen worden. Zwar lasse sich der Zugang der Aussetzungsverfügung bei A nicht feststellen. Die für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung erforderliche Außenwirkung sei aber durch die vom FA gegebene Zusage, für die Dauer des Musterverfahrens Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, hergestellt worden. Auch könne sich die Klägerin nach Treu und Glauben auf den Eintritt der Zahlungsverjährung nicht berufen. Die Aussetzung der Vollziehung sei vom FA zugesagt und dann planmäßig in die Tat umgesetzt worden. Dies hätten A sowie die Klägerin schon daraus erkennen können, daß das FA während der ganzen Zeit die festgesetzten Beträge nicht angemahnt und keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet habe.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Gerügt werden Verfahrensmängel sowie Verstöße gegen materielles Recht.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Grunderwerbsteuerbescheide und die sie bestätigenden Einspruchsentscheidungen aufzuheben, hilfsweise beantragt sie festzustellen, daß nach Eintritt der Zahlungsverjährung der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung. Soweit mit der Klage auch die ursprünglichen Steuerfestsetzungen angegriffen werden, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
1. Zutreffend hat das FG die Zulässigkeit der Klage bejaht. Durch den -- von der Klägerin mit Klage und Revision behaupteten -- Eintritt der Zahlungsverjährung i. S. von § 228 AO 1977 entfällt im Streitfall nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Zwar wird ein Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung mit Eintritt der Zahlungsverjährung und dem dadurch bewirkten Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 232 AO 1977) regelmäßig im Ergebnis gegenstandslos (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH vom 26. April 1990 V R 90/87, BFHE 160, 348, BStBl II 1990, 802, 804, und BFH-Beschluß vom 25. März 1993 V B 73/92, BFH/NV 1994, 437; vgl. auch BFH-Urteil vom 10. Mai 1974 III 284/64, BFHE 112, 449, BStBl II 1974, 620). Im Streitfall hat das FA jedoch mit der Einspruchsentscheidung sowie noch im Klage- und Revisionsverfahren den Eintritt der Zahlungsverjährung bestritten und damit seinen aus den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheiden abgeleiteten Zahlungsanspruch uneingeschränkt aufrechterhalten. Insoweit ist die Klägerin weiterhin beschwert. Es kann ihr bei dieser Verfahrenskonstellation prozeßrechtlich nicht verwehrt sein, mit der Klage die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide geltend zu machen und sich in diesem Zusammenhang auch auf Zahlungsverjährung zu berufen.
2. Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, weil das FG verkannt hat, daß der durch die angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide festgesetzte Steueranspruch wegen Eintritts der Zahlungsverjährung erloschen ist (§§ 47 und 232 AO 1977) und die Einspruchsentscheidung, mit der das FA über die Sache entschieden hat, aus diesem Grunde nicht mehr hätte ergehen dürfen.
a) Die Zahlungsverjährung für die durch Bescheid vom 26. April 1983 festgesetzte Grunderwerbsteuer begann mit Ablauf des Jahres 1983 (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO 1977). Im Streitfall ist mithin mit Ablauf des Jahres 1988 die Zahlungsverjährung eingetreten.
Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Zahlungsverjährungsfrist sei nach § 231 Abs. 1 AO 1977 unterbrochen worden. Als Grund für eine Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 AO 1977 kommt im Streitfall lediglich eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht. Die Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 AO 1977 erfolgt durch Verwaltungsakt i. S. von § 118 AO 1977, der zu seiner Wirksamkeit der Bekanntgabe bedarf (§ 122 AO 1977). Eine Unterbrechung der Verjährung durch eine Aussetzung der Vollziehung tritt daher nur ein, wenn ein die Aussetzung der Vollziehung gewährender, durch Bekanntgabe wirksam gewordener Verwaltungsakt vorliegt. Denn die Wirksamkeit einer Unterbrechungshandlung ist jeweils nach den gerade für diesen Unterbrechungstatbestand geltenden Kriterien zu beurteilen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 23. April 1991 VII R 37/90, BFHE 164, 392, BStBl II 1991, 742 -- für den Vollstreckungsaufschub -- sowie vom 17. Oktober 1989 VII R 77/88, BFHE 158, 310, BStBl II 1990, 44 -- für eine Vollstreckungsmaßnahme --).
Ausgehend von den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, liegt im Streitfall kein durch Bekanntgabe wirksam gewordener Verwaltungsakt vor, mit dem die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden ist. Das FG konnte einen Zugang der Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung beim Bevollmächtigten der Klägerin nicht feststellen.
Da die Aussetzung der Vollziehung nicht durch wirksamen Verwaltungsakt gewährt wurde, konnte durch die Verfügung vom 1. Juni 1983 keine Unterbrechung der Zahlungsverjährung nach § 231 AO 1977 eintreten. Auch aus dem BFH-Urteil in BFHE 164, 392, BStBl II 1991, 742, ergibt sich insoweit nichts anderes.
b) Entgegen der Auffassung des FG kann eine Unterbrechung der Verjährung nicht bewirkt worden sein, durch eine vor Erlaß des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids gegebene Zusage der Verwaltung, dessen Vollziehung später auszusetzen. Der Katalog der Unterbrechungstatbestände in § 231 Abs. 1 AO 1977 ist abschließend. Die Zusage, eine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, steht dieser selbst nicht gleich, noch hat sie deren Rechtswirkung. Die vor Erlaß des Steuerbescheids gegebene Zusage auf spätere Gewährung der Aussetzung der Vollziehung hat nicht deren verwaltungsverfahrensmäßige Wirkung. Der Suspensiveffekt der Aussetzung der Vollziehung tritt erst durch deren Anordnung ein. Aus der Zusage läßt sich allenfalls ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ableiten. Durch die Zusage auf spätere Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung wurde daher im Streitfall die Zahlungsverjährung nicht unterbrochen.
c) Unzutreffend nimmt das FG auch an, daß die Klägerin nach Treu und Glauben gehindert sei, sich auf die fehlende wirksame Bekanntgabe der Aussetzungsverfügung und damit auf den Eintritt der Zahlungsverjährung zu berufen. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können nach Treu und Glauben verwirkt werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Beteiligten am Steuerschuldverhältnis, mithin auch für den Steuerpflichtigen. Durch bloße Untätigkeit -- auch über längere Zeiträume -- wird jedoch regelmäßig noch keine Verwirkung herbeigeführt. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Betroffene nach Treu und Glauben zu einer bestimmten Handlung verpflichtet gewesen wäre und dies unterlassen hat. Eine derartige Handlungspflicht nach Treu und Glauben bestand jedoch für die Klägerin im Streitfall nicht. Sie hatte ihr durch den Antrag auf Gewährung von Aussetzung der Vollziehung dokumentiertes Ziel, von einer Erhebung oder gar zwangsweisen Beitreibung der Steuer bis zum Ausgang des Musterprozesses zunächst abzusehen, faktisch erreicht. Aus ihrer Sicht bestand kein Anlaß, auf einer förmlichen durch Verwaltungsakt dokumentierten Gewährung von Aussetzung der Vollziehung zu bestehen. Es wäre eine Überspitzung des Grundsatzes von Treu und Glauben, vom Steuerpflichtigen in einem derartigen Fall zu verlangen, daß er von sich aus das FA auf die fehlende förmliche Gewährung von Aussetzung der Vollziehung und die deswegen drohende Zahlungsverjährung hinweist.
Die durch den angefochtenen Steuerbescheid festgesetzte Grunderwerbsteuer ist mithin durch Zahlungsverjährung erloschen. Die Verjährung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 232 AO 1977, Rz. 4, m. w. N.). Dies gilt im Festsetzungsverfahren ebenso wie im Abrechnungs- oder Vollstreckungsverfahren (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 232 AO 1977, Rz. 3). Im Streitfall ist die Zahlungsverjährung während des Einspruchsverfahrens gegen den die Steuer festsetzenden Verwaltungsakt eingetreten. Durch den Eintritt der Verjährung war das Einspruchsverfahren im Ergebnis gegenstandslos geworden. Das FA hätte den Einspruch gegen die Steuerfestsetzung nicht mehr als unbegründet zurückweisen dürfen, denn eine sachentscheidende Einspruchsentscheidung hätte nicht mehr ergehen dürfen.
3. Die Sache ist spruchreif. Die Einspruchsentscheidung durfte wegen der Erledigung der Hauptsache nicht mehr ergehen; sie ist deshalb aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die eingetretene Zahlungsverjährung macht die Grunderwerbsteuerbescheide selbst nicht (nachträglich) rechtswidrig. Der Rechtsstreit um ihre Rechtmäßigkeit wird jedoch gegenstandslos, da das FA aus der angefochtenen Steuerfestsetzung keine Rechtsfolgen mehr ziehen kann. Damit ist der Rechtsstreit, soweit er die Steuerfestsetzung zum Gegenstand hat, (im Ergebnis) in der Hauptsache erledigt.
Fundstellen
Haufe-Index 421464 |
BFH/NV 1996, 865 |