Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung künstlerischer Darbietungen innerhalb der EG
Leitsatz (amtlich)
1. Ficht ein Vergütungsschuldner einen gegen ihn gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990 ergangenen Haftungsbescheid an, so ist der Vergütungsgläubiger, auf den sich die Inanspruchnahme aus dem Haftungsbescheid bezieht, zu dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht notwendig beizuladen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Die Haftung des Vergütungsschuldners gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990 wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Besteuerungsrecht für die von dem Vergütungsgläubiger erzielten Einkünfte nach Maßgabe des betreffenden Doppelbesteuerungsabkommens dem Ansässigkeitsstaat zusteht und Deutschland daher diese Einkünfte nicht besteuern darf.
3. Ein beschränkt Steuerpflichtiger mit Einkünften gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG 1990 n.F. unterliegt im Anmeldungszeitraum 1993 dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Sätze 3, 5 und 6 EStG 1990 n.F. mit seinen Bruttoeinnahmen. Nur wenn der beschränkt Steuerpflichtige Ausgaben hat, welche unmittelbar mit der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind, und wenn diese Ausgaben dem Vergütungsschuldner mitgeteilt werden, sind die Ausgaben bereits im Rahmen des Abzugs- bzw. eines ggf. nachfolgenden Haftungsverfahrens zu berücksichtigen. Soweit § 50a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG 1990 n.F. dies ausschließt, verstößt die Vorschrift gegen Gemeinschaftsrecht und ist sie deswegen in normerhaltender Weise zu reduzieren (Anschluss an EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 Rs. C-290/04 "Scorpio", IStR 2006, 743).
Normenkette
EStG 1990 § 1 Abs. 4, § 50a Abs. 5, § 50d Abs. 1, § 50a Abs. 4; DBA NLD Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 Nrn. 1-2, 5, Art. 5; AO §§ 162, 191; FGO § 60 Abs. 1, 3, § 121 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Es handelt sich um jenes Revisionsverfahren, das dem Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 28. April 2004 I R 39/04 (BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878) sowie dem anschließenden Urteil des EuGH vom 3. Oktober 2006 Rs. C-290/04 "FKP Scorpio Konzertproduktionen" (Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 743) zugrunde lag:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland (Inland). Sie veranstaltete im Inland Konzerte mit einer Popmusikergruppe. Deren künstlerische Darbietungen wurden ihr von ihrem als E firmierenden Vertragspartner zur Verfügung gestellt. E war eine nicht zur Musikergruppe gehörende natürliche Person, die in den Niederlanden ansässig war, im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dort auch keine Betriebsstätte unterhielt.
In den streitgegenständlichen Anmeldungszeiträumen, dem ersten und dem dritten Quartal 1993, zahlte die Klägerin E für die erbrachten Leistungen insgesamt 438 600 DM. Einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1990 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 --EStG 1990-- (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) unterließ sie, obwohl E keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 EStG 1990 vorgelegt hatte.
Nachdem die seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzbehörde von diesem Sachverhalt erfahren hatte, forderte sie durch Haftungsbescheid vom 21. März 1997 gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990 i.V.m. § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) von der Klägerin die Zahlung von insgesamt 70 395,30 DM. Bei der Berechnung des Haftungsbetrags ging die Finanzbehörde davon aus, dass die Klägerin für die betreffende Leistung eine Bruttovergütung von insgesamt 469 302 DM (= 438 600 DM Nettovergütung zuzüglich 7 v.H. Umsatzsteuer) geschuldet habe und der Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 Sätze 3, 5 und 6 EStG 1990 15 v.H. der Bruttovergütung (= 16,05 v.H. der Nettovergütung) hätte betragen müssen. Allerdings wurde die abgegoltene Leistung im Haftungsbescheid nicht dem E, sondern einem anderen Vergütungsempfänger (der X-Inc., USA) zugeordnet.
Auf den Einspruch der Klägerin hin änderte der inzwischen zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Haftungsbescheid vom 21. März 1997 in der Weise, dass er nunmehr E als Gläubiger der betreffenden Vergütung bezeichnete und statt der ursprünglich geltend gemachten Haftung für Körperschaftsteuer eine Haftung für Einkommensteuer geltend machte. Im Übrigen wies das FA den Einspruch jedoch in diesem Punkt zurück. Auch die daraufhin erhobene Klage war erfolglos, da die Klägerin weiterhin keine Freistellungsbescheinigungen des (seinerzeitigen) Bundesamtes für Finanzen (BfF) gemäß § 50d Abs. 3 EStG 1990 vorgelegt hatte, nach denen sie den Steuerabzug hätte unterlassen dürfen. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 26. Juli 2001 II 377/00, das auch andere Haftungsansprüche wegen eines unterlassenen Steuerabzugs betrifft, ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 1553 veröffentlicht.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt, das FG-Urteil und den Haftungsbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.
Im Laufe des Revisionsverfahrens ist bekannt geworden, dass es sich bei E um einen in den Niederlanden ansässigen niederländischen Staatsangehörigen handelt. E hat während des Revisionsverfahrens mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 seine Beiladung zum Revisionsverfahren gemäß § 60 Abs. 3, hilfsweise gemäß § 60 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt. Zugleich hat er mitgeteilt, am 27. Dezember 2006 gegen den streitgegenständlichen, ihm gegenüber nicht bekannt gegebenen Haftungsbescheid des seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin zuständigen Finanzamts vom 21. März 1997 Einspruch eingelegt zu haben. Im Rahmen dieses Einspruchsverfahrens hat er (erstmals) seine Betriebsausgaben im Zusammenhang mit den Auftritten der Musikergruppe mitgeteilt.
Die Klägerin hat daraufhin beantragt, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung über den Beiladungsantrag zum Ruhen zu bringen.
Entscheidungsgründe
II. Das durch Beschluss des Senats in BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878 gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO ausgesetzte Revisionsverfahren ist durch Senatsbeschluss vom 22. November 2006 fortgeführt worden. Der Aussetzungsgrund war entfallen, nachdem der EuGH durch Urteil in IStR 2006, 743 über die ihm vom Senat durch jenen Senatsbeschluss in BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878 nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (EG) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen entschieden hat.
III. Der Antrag des E auf Beiladung ist abzulehnen.
1. Eine --auch im Revisionsverfahren grundsätzlich mögliche (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO)-- sog. notwendige Beiladung des E gemäß § 60 Abs. 3 FGO scheidet für die im Streitfall in Rede stehende Konstellation aus.
a) Gegenstand des Rechtsstreits ist der gegen die Klägerin als Vergütungsschuldnerin gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990 ergangene Haftungsbescheid. E als (möglicher) Vergütungsgläubiger ist zwar prinzipiell berechtigt, diesen Bescheid aus eigenem Recht anzufechten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700; vom 25. November 2002 I B 69/02, BFHE 201, 114, BStBl II 2003, 189; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 50a Rz 46, jeweils m.w.N.; abgrenzend Senatsurteil vom 28. Januar 2004 I R 73/02, BFHE 205, 174, BStBl II 2005, 550). Der Haftungsbescheid enthält jedoch ebenso wenig wie die gemäß § 50a Abs. 4 EStG 1990 vom Vergütungsschuldner abzugebende Steueranmeldung eine Steuerfestsetzung gegen den Vergütungsgläubiger. In der Haftungsschuld realisiert die Finanzbehörde vielmehr (nur) die (eigene) Entrichtungssteuerschuld des Vergütungsschuldners auf Anmeldung und Abführung der Abzugssteuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG 1990.
b) Der sog. notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) des Vergütungsgläubigers und Steuerschuldners zu diesem Verfahren bedarf es infolgedessen nicht; die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Eine Beiladung ist nur dann notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789) ist das nur dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere in Fällen, in denen das, was einen Prozessbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, zwangsläufig umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muss (s. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Rz 19, m.w.N.). Ein solches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit (vgl. zu diesem Erfordernis: BFH-Beschluss vom 23. Januar 2004 VII B 184/03, BFH/NV 2004, 795) ist in der hier in Rede stehenden Verfahrenskonstellation aber nicht gegeben. Denn in dem vorliegenden Klage- und Revisionsverfahren über die Inhaftungnahme der Klägerin als Vergütungsschuldnerin kann durchaus anders entschieden werden als in einem etwaigen Freistellungs- oder Erstattungsverfahren des E (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 15. Mai 1997 VII B 5/97, BFH/NV 1997, 867; vom 29. Juli 2004 VI B 174/02, BFH/NV 2004, 1547). Für die Inanspruchnahme als Schuldner und als Haftungsschuldner sind unterschiedliche Voraussetzungen gegeben, die jedenfalls teilweise nicht im Zusammenhang miteinander stehen und die keine wechselseitigen Bindungswirkungen auslösen (s. im Einzelnen BFH-Beschluss vom 7. Februar 1980 VI B 97/79, BFHE 129, 310, BStBl II 1980, 210; Senatsbeschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778; vgl. auch BFH-Urteil vom 29. Juni 1973 VI R 311/69, BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780). Soweit die Haftung des Vergütungsschuldners sich auf die Höhe der Vergütung des Vergütungsgläubigers auswirkt, ist der Vergütungsgläubiger --je nach Verfahrensstadium-- auf das Freistellungs- oder Erstattungsverfahren zu verweisen, in welchem er seine Rechte eigenständig durchsetzen kann.
Dass der BFH in seinem Urteil in BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780 die notwendige Beiladung des Arbeitgebers als Haftungsschuldner in einem allein vom Arbeitnehmer als Steuerschuldner durchgeführten Anfechtungsverfahren gegen den gegen den Arbeitgeber ergangenen Haftungsbescheid bejaht hat, erzwingt nichts anderes. Denn in jener Verfahrenslage war der Arbeitgeber Adressat des angefochtenen Bescheides und der rechtsmittelführende Arbeitnehmer lediglich Drittbetroffener; die Entscheidung über jenes Rechtsmittel wirkte also unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber. Entgegen der Annahme des E ist diese Unterscheidung unabhängig davon, ob der Drittbetroffene gebietsansässig oder gebietsfremd ist. Eine Beschneidung speziell von Rechten Gebietsfremder ist folglich nicht gegeben und gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten sind nicht betroffen.
2. Die von E hilfsweise beantragte sog. einfache Beiladung gemäß § 60 Abs. 1 FGO kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (§ 123 Abs. 1 Satz 1 FGO).
IV. Die Revision ist unbegründet.
1. Natürliche Personen, die --wie im Streitfall E-- im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1990 beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG 1990 haben. Zu den inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG 1990 gehören Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch künstlerische Darbietungen im Inland oder durch hiermit zusammenhängende Leistungen erzielt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990). Solche Leistungen hat E im Streitfall erbracht.
2. Die Einkommensteuer wird bei beschränkt Steuerpflichtigen im Wege des Steuerabzugs erhoben (§ 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990). Der Steuerabzug beträgt 15 v.H. des vollen Betrags der Einnahmen; Abzüge für Betriebsausgaben und Steuern sind nicht zulässig (§ 50a Abs. 4 Sätze 3, 5 und 6 EStG 1990). Zu den Einnahmen gehört auch die Umsatzsteuer für die von dem beschränkt einkommensteuerpflichtigen Unternehmer im Inland erbrachten Leistungen. Das gilt nach der Rechtsprechung des Senats (s. Senatsurteile vom 30. Mai 1990 I R 57/89, BFHE 161, 97; vom 8. Mai 1991 I R 14/90, BFH/NV 1992, 291) unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Vergütungsgläubiger gezahlt hat oder ob auf Grund der sog. Nullregelung des § 52 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV) von der Entrichtung des Steuerbetrags und seiner Geltendmachung als Vorsteuer abgesehen wurde.
3. Der Einkommensteueranspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Gläubiger der Vergütung zufließt; in diesem Zeitpunkt hat der Schuldner der Vergütung den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers, der Steuerschuldner ist, vorzunehmen (§ 50a Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG 1990). Der Vergütungsschuldner hat die innerhalb eines Kalendervierteljahrs einbehaltene Steuer jeweils bis zum 10. Tag des dem Kalendervierteljahr folgenden Monats an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen und haftet für die Einbehaltung und Abführung der Steuer (§ 50a Abs. 5 Sätze 3 und 5 EStG 1990).
Sind die Einkünfte in Deutschland nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) nicht oder nur zu einem niedrigeren Steuersatz als dem des § 50a Abs. 4 Satz 3 EStG 1990 zu besteuern, darf der Vergütungsschuldner den Steuerabzug unterlassen oder nach dem niedrigeren Steuersatz vornehmen, wenn das BfF auf Antrag bescheinigt hat, dass die Voraussetzungen des DBA dafür vorliegen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 EStG 1990). Fehlt eine derartige Bescheinigung (sog. Freistellungsbescheinigung), sind die Vorschriften über den Steuerabzug sowie die Inhaftungnahme auch dann anzuwenden, wenn die betreffenden Einkünfte nach einem DBA nicht oder nur zu einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden dürfen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1990). Daher ist es dem Vergütungsschuldner im Haftungsverfahren verwehrt, sich auf die Rechte des Vergütungsgläubigers aus dem DBA zu berufen (§ 50d Abs. 1 Satz 4 EStG 1990).
Die Haftung der Klägerin wird somit nicht dadurch ausgeschlossen, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete (DBA-Niederlande) das Besteuerungsrecht für die von E erzielten inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb dem Ansässigkeitsstaat (= Niederlande) zusteht und Deutschland daher diese Einkünfte nicht besteuern darf (Art. 20 Abs. 1 DBA-Niederlande). Aufgrund der Regelung in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1990 verliert der Vergütungsgläubiger jedoch nicht seine Rechte auf Steuerfreistellung oder niedrigere Besteuerung nach dem DBA. Ihm ist vielmehr auf Antrag die einbehaltene und abgeführte Steuer in dem sich aus dem Abkommen ergebenden Umfang zu erstatten (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1990).
4. Die Klägerin ist ihrer Einbehaltungs-, Anmeldungs- und Abführungspflicht nicht nachgekommen. Sie hat das Entgelt für die künstlerischen Darbietungen der Musikergruppe, die ihr in den streitgegenständlichen Anmeldungszeiträumen von E zur Verfügung gestellt worden ist, brutto ausbezahlt. Sie ist deswegen nach Maßgabe der geschilderten Regelungslage zu Recht durch Haftungsbescheid (vgl. § 191 der Abgabenordnung --AO--) in Anspruch genommen worden. Dieses ist im Übrigen weder der Form noch der Höhe nach von der Klägerin in substantiierter Weise angegriffen worden und bleibt aus revisionsrechtlicher Sicht auch insoweit unbeanstandet.
5. Der Umstand, dass es sich bei E um die Einzelfirma eines in den Niederlanden wohnenden niederländischen Staatsangehörigen handelt, ändert an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides auch vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung des Gemeinschaftsrechts nichts.
a) Zwar könnte E dadurch, dass er der Abzugssteuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG 1990 in Höhe von 15 v.H. der Bruttovergütung unterfällt, schlechter gestellt sein als ein vergleichbarer unbeschränkt Steuerpflichtiger. Denn ein solcher Steuerpflichtiger ist keinem vergleichbaren Steuerabzug unterworfen. Überdies bestimmt sich bei ihm die Höhe der Einkommensteuer unter Abzug von Ausgabenpositionen.
Wie der EuGH in seinem Urteil in IStR 2006, 743 entschieden hat, bleiben jedoch das Steuerabzugsverfahren, dem beschränkt steuerpflichtige Künstler unterworfen sind, sowie ein sich ggf. anschließendes Haftungsverfahren gegenüber dem Vergütungsschuldner jedenfalls bis zur Geltung der Richtlinie 2002/94/EG der Kommission vom 9. Dezember 2002 zur Festlegung ausführlicher Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 76/308/EWG über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit bestimmten Abgaben, Zöllen, Steuern und sonstigen Maßnahmen --EG-Beitreibungsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG Nr. L 337, 41) i.V.m. dem Gesetz zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie (EG-Beitreibungsgesetz) i.d.F. vom 3. Mai 2003 (BGBl I 2003, 654) und damit auch für die streitgegenständlichen Besteuerungszeiträume aus Sicht des EG-Rechts unbeanstandet. Der EuGH hat das Abzugsprinzip --als "angemessene Weise (…), (um) die Effizienz dieser Erhebung zu gewährleisten" (Tz. 35 und 38 des Urteils)-- ausdrücklich als "verhältnismäßiges Mittel zur Beitreibung steuerlicher Forderungen des Besteuerungsstaates" angesehen und als solches nicht in Frage gestellt (Tz. 37 des Urteils).
Hatte der beschränkt Steuerpflichtige allerdings Ausgaben, welche unmittelbar mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind (zur Abgrenzung von Ausgaben in nur mittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang s. EuGH-Urteil vom 15. Februar 2007 Rs. C-345/04 "Centro Equestre da Lezíria Grande Lda.", IStR 2007, 212), so sind diese Ausgaben regelmäßig bereits im Rahmen des Abzugs- sowie des Haftungsverfahrens zu berücksichtigen, vorausgesetzt, sie wurden dem Vergütungsschuldner mitgeteilt. Eine nationale Regelung, die dem entgegensteht, verstößt gegen Art. 59 und Art. 60 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV-- (jetzt Art. 49 EG und Art. 50 EG). Weitere --nur mittelbar mit jener Tätigkeit zusammenhängende-- Betriebsausgaben sind hingegen "gegebenenfalls in einem anschließenden Erstattungsverfahren" zu berücksichtigen (Tz. 51 des Urteils in IStR 2006, 743).
b) § 50a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG 1990 ist nach Maßgabe dieser --aufgrund des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht verbindlichen-- Auslegung von Art. 59 und Art. 60 EGV durch den EuGH in gemeinschaftsrechtskonformer Weise zu verstehen: Dem Vergütungsschuldner mitgeteilte Aufwandspositionen sind in dem vorgenannten Umfang bereits bei Vornahme des Steuerabzugs oder in einem ggf. nachfolgenden Haftungsverfahren zu berücksichtigen. Ansonsten bleibt es für den Vergütungsgläubiger bei dem Erfordernis, ein Freistellungs- oder Erstattungsverfahren einzuleiten und innerhalb dieses Verfahrens seine beschränkte Steuerpflicht zu klären. Ein Grund dafür, das Abzugs- und Haftungsverfahren wegen dessen vorbehaltloser tatbestandlicher Orientierung an der geleisteten Bruttovergütung innerhalb der Europäischen Gemeinschaften gänzlich unangewandt zu lassen, besteht hingegen nicht (ebenso Entscheid des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 2006 2006/14/0109, Beilage zur Österreichischen Steuerzeitung 2007, 117). Es genügt, den Tatbestand des Gesetzes in normerhaltender Weise zu reduzieren, die einschlägigen Regelungen aber als solche weiter anzuwenden. Eine weiter gehende Rechtswirkung kommt dem prinzipiellen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht nicht zu.
c) Im Streitfall ist nicht erkennbar oder geltend gemacht, dass E der Klägerin irgendwelche konkreten und spezifizierten Aufwandspositionen im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den ihr zur Verfügung gestellten Leistungen der Musikergruppe mitgeteilt hätte. Die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin auf Bruttobasis des geleisteten Entgelts war deswegen aus Sicht des E nicht zu beanstanden. Für eine seitens der Klägerin eingeforderte Schätzung einschlägiger Betriebsausgaben (gemäß § 162 AO) bestand für das FA mangels entsprechender Anhaltspunkte keine Veranlassung. Das dazu von der Klägerin angeführte Urteil des EuGH vom 22. März 2007 Rs. C-383/05 "Raffaele Talotta" (IStR 2007, 368) besagt nichts Gegenteiliges: Dort ging es um die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Anwendung einer Mindestbemessungsgrundlage nach belgischem Steuerrecht bei beschränkt Steuerpflichtigen, wovon für die hier zu beurteilende Situation unter Beachtung der sich aus den EuGH-Urteilen in IStR 2006, 743 sowie in IStR 2007, 212 ergebenden Grundsätze gerade keine Rede sein kann. Denn dem Steuerschuldner ist es hiernach unbenommen, seine Erwerbsaufwendungen mitzuteilen, entweder vorab zur Berücksichtigung im Abzugsverfahren oder aber im Nachhinein im Rahmen eines Erstattungsbegehrens.
Ob sich an diesem Ergebnis etwas ändern würde, falls entsprechende Aufwandspositionen im Vorwege mitgeteilt worden wären, kommt es infolgedessen nicht an. Insbesondere kann dahinstehen, ob es sich auswirkt, wenn --wie das dem Revisionsverfahren beigetretene BMF vorträgt (vgl. nunmehr auch dessen Schreiben vom 5. April 2007, BStBl I 2007, 449)-- der (abgeltende) Abzugssteuersatz von 15 v.H. vom Gesetzgeber nach der Regelungskonzeption des § 50a Abs. 4 Satz 3 EStG 1990 tatsächlich auf der Basis eines typisierten und unterstellten Aufwands von 70 v.H. bestimmt worden ist. Die zwischenzeitliche Mitteilung von Betriebsausgaben im Zusammenhang mit den Auftritten der Musikergruppe durch E kann im Rahmen des Revisionsverfahrens jedenfalls nicht mehr berücksichtigt werden.
6. Der erneuten Anrufung des EuGH bedarf es nach alledem nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415). Die aufgezeigte Gemeinschaftsrechtslage ist jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt zwischenzeitlich eindeutig. Sie entspricht den Aussagen des Urteils des EuGH in IStR 2006, 743 und war damit bereits Gegenstand einer Auslegung durch diesen.
Fundstellen
Haufe-Index 1813080 |
BFH/NV 2007, 2419 |
BStBl II 2008, 95 |
BFHE 2008, 89 |
BFHE 218, 89 |
BB 2007, 2436 |
DB 2007, 2516 |
DStR 2007, 1951 |
DStRE 2007, 1464 |
HFR 2007, 1205 |