Leitsatz (amtlich)
1. Es ist kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darin zu erblicken, daß das FA im Verlaufe des Einspruchsverfahrens eine als unrichtig erkannte Rechtsauffassung aufgibt.
2. Die wirtschaftliche Eingliederung im Sinne einer Organschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die untergeordnete Gesellschaft berechtigt ist, Maschinen und Einrichtungsgegenstände auf eigene Kosten anzuschaffen, und von diesem Recht Gebrauch macht und daß die herrschende Gesellschaft keinen Grund hat, den Pachtvertrag mit der beherrschten Gesellschaft zu kündigen.
Normenkette
AO a.F. § 243 Abs. 3; UStG 1951 § 2 Abs. 2 Nr. 2; UStDB 1951 § 17 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob zwischen der Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) und der Firma A & Co. GmbH (im folgenden: GmbH) in den Jahren 1953 bis 1955 Organschaft oder Unternehmereinheit bestand.
Die Steuerpflichtige hatte bis zum ... eine Metallwarenfabrik betrieben. Ab ... stellte sie ihren Fabrikbetrieb ein. Durch Vertrag vom ... verpachtete sie die Wirtschaftsgüter ihres Anlagevermögens, bestehend aus ihren Grundstücken in X nebst den darauf befindlichen Gebäuden und Maschinen sowie beweglichen Gegenständen, an die durch notariellen Vertrag vom ... gegründete GmbH, die den Fabrikbetrieb fortsetzte. Die Steuerpflichtige war aufgrund des Pachtvertrages verpflichtet, etwaige Ersatzbauten zu erstellen und unbrauchbar gewordene Maschinen und Einrichtungen zu ersetzen. Die GmbH war berechtigt, Maschinen und Einrichtungsgegenstände aller Art, die sie zur Erweiterung, Rationalisierung oder Umstellung des Betriebes benötigte, auf eigene Kosten anzuschaffen. Durch Lizenzvertrag vom ... erteilte die Steuerpflichtige der GmbH die ausschließliche Lizenz für die Herstellung und den Vertrieb eines patentamtlich geschützten Geräts.
Gesellschafter der Steuerpflichtigen waren bis zum 31. Dezember ... die Brüder B, C und DA. Am 1. Januar ... trat EA als Gesellschafter in die Steuerpflichtige ein. An der GmbH sind seit ihrer Gründung im Juni ... alle vier Brüder mit einem Stammkapital von je 20 000 DM beteiligt. Geschäftsführer der GmbH sind aufgrund des Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom ... alle Gesellschafter.
Erstmalig mit Schreiben vom ... machte die Steuerpflichtige unter Hinweis auf das Urteil des Senats V 162/52 S vom 8. Februar 1955 (BFH 60, 294, BStBl III 1955, 113) geltend, daß zwischen ihr und der GmbH Unternehmereinheit bestehe und infolgedessen die von der GmbH an sie gezahlten Pacht- und Lizenzentgelte nicht der Umsatzsteuer unterlägen. Bei einer Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, nach dem Eintritt des EA in die Steuerpflichtige seien die Voraussetzungen für die Annahme einer Unternehmereinheit zwischen der Steuerpflichtigen und der GmbH erfüllt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schloß sich dieser Ansicht an. Das FA führte für die Veranlagungszeiträume 1953 bis 1955 Berichtigungsveranlagungen zugunsten der Steuerpflichtigen durch und ließ dabei die Innenumsätze zwischen den beiden Gesellschaften außer Ansatz.
Hiergegen erhob die Steuerpflichtige Einspruch. Sie hielt zwar das steuerliche Ergebnis (Rückvergütung der auf die Innenumsätze entfallenden Umsatzsteuern) für richtig, meinte aber, das FA hätte die Einzelveranlagungen der Steuerpflichtigen und der GmbH aufheben und die Unternehmereinheit als solche zur Umsatzsteuer heranziehen müssen. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Gleichzeitig verböserte das FA die Berichtigungsveranlagungen, indem es die Entgelte, die die GmbH an die Steuerpflichtige für die Verpachtungen und die Lizenzgewährung entrichtet hatte, wieder zur Umsatzsteuer heranzog. Das FA stellte sich hierbei - unter Änderung seiner bisherigen Rechtsauffassung - auf den Standpunkt, daß zwischen den beiden Gesellschaften ein Organschaftsverhältnis mit der Steuerpflichtigen als Muttergesellschaft und der GmbH als Tochtergesellschaft bestehe. Die hiergegen von der Steuerpflichtigen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.
Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. § 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), rügt die Steuerpflichtige,
a) daß ihr Recht auf Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben durch das Finanzgericht (FG) nicht berücksichtigt worden sei,
b) daß das FG zu Unrecht Unternehmereinheit abgelehnt und Organschaft angenommen habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision hat keinen Erfolg.
Zu a: Die Steuerpflichtige behauptet, sie sei dadurch getäuscht worden, daß das FA trotz Annahme einer Unternehmereinheit die getrennten Umsatzsteuerveranlagungen der beiden Gesellschaften für 1953 bis 1955 aufrechterhalten hat, statt die Unternehmereinheit als solche zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Es ist aber nicht erkennbar, wieso die Steuerpflichtige durch die Veranlagungen so, wie sie durchgeführt worden sind, benachteiligt wurde. Die Steuerpflichtige führt in ihrem Einspruchsschreiben vom ... selbst aus, die Steuerbescheide vom ... seien insofern richtig, als durch sie die auf die Pacht- und Lizenzentgelte entfallenden Umsatzsteuern zurückgewährt würden. Hiervon abgesehen enthalten die dem Senat vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür, daß das FA deswegen bei den getrennten Veranlagungen geblieben ist, um Vorteile, die die Steuerpflichtige bei der von ihr begehrten Veranlagung der Unternehmereinheit etwa hätte erzielen können, zu vereiteln. Das FA ist - wie sich aus den Akten ergibt - erst durch die OFD darauf hingewiesen worden, daß möglicherweise nicht Unternehmereinheit, sondern Organschaft vorliege. Das FA war, da infolge des Einspruchs der Steuerpflichtigen die Berichtigungsbescheide vom ... noch nicht rechtskräftig geworden waren, verpflichtet, der von der OFD aufgeworfenen Frage nachzugehen und im Falle der Bejahnung der Organschaft die Umsatzsteuerveranlagungen zum Nachteil der Steuerpflichtigen zu ändern (vgl. § 243 Abs. 3 AO a. F.). Mit einer solchen Änderung muß der Steuerpflichtige rechnen. Er kann nicht verlangen, daß die Finanzverwaltung von der im Gesetz vorgesehenen Änderungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht und an einer als unrichtig erkannten Rechtsauffassung festhält. Wenn - wie die Vorinstanzen angenommen haben - zwischen der Steuerpflichtigen und der GmbH Organschaft besteht, war das Vorgehen des FA, aufgrund des Artikels II des Kontrollratgesetzes (KRG) Nr. 15 die Steuerpflichtige mit den von der GmbH gezahlten Pacht- und Lizenzentgelten zur Umsatzsteuer heranzuziehen, richtig.
Zu b: Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Unternehmereinheit dann nicht anerkannt werden kann, wenn die GmbH zur Steuerpflichtigen nicht im Verhältnis der Nebenordnung, sondern im Verhältnis der Unterordnung steht. Ein solches Unterordnungsverhältnis (= Abhängigkeitsverhältnis) hat der Senat in ständiger Rechtsprechung u. a. dann angenommen, wenn die Gesellschafter einer Personengesellschaft eine Kapitalgesellschaft (sogenannte Betriebs-Kapitalgesellschaft) zu dem Zwecke gegründet haben, daß diese mit dem von der Personengesellschaft gepachteten Anlagevermögen das Unternehmen fortführt und der Personengesellschaft (sogenannte Besitz-Personengesellschaft) nur noch die Verwaltung des verpachteten Anlagevermögens obliegt (vgl. Urteile des BFH V 81/59 U vom 13. April 1961, BFH 73, 209, BStBl III 1961, 343, und V 27/60 U vom 6. Dezember 1962, BFH 76, 301, BStBl III 1963, 107). Das Eigentum am verpachteten Anlagevermögen verschafft der Besitz-Personengesellschaft (Verpächterin) gegenüber der Betriebs-Kapitalgesellschaft (Pächterin), sofern die übrigen Voraussetzungen der Organschaft gegeben sind, ein so großes Übergewicht, daß von einer Nebenordnung der Pächterin im Verhältnis zur Verpächterin nicht gesprochen werden kann. Das FG hat im Streitfalle die Voraussetzungen der Organschaft zu Recht bejaht. Die finanzielle Eingliederung der GmbH in die Steuerpflichtige zeigt sich darin, daß die Steuerpflichtige über ihre Gesellschafter alle Anteile der GmbH besitzt, die organisatorische Eingliederung darin, daß die geschäftsführenden Gesellschafter der Steuerpflichtigen zugleich Geschäftsführer der GmbH sind, die wirtschaftliche Eingliederung darin, daß beide Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit bilden.
Die Einwendungen der Steuerpflichtigen in der Revisionsbegründung greifen nicht durch.
Die Entstehung einer Organschaft wurde nicht dadurch ausgeschlossen, daß an der GmbH zur Zeit ihrer Gründung eine Person mehr beteiligt war als an der Steuerpflichtigen. Diese besaß über die Gesellschafter B, C und DA drei Viertel des Stammkapitals der GmbH und konnte infolgedessen deren Beschlüsse in ihrem Sinne beeinflussen. Infolge der Aufnahme des GmbH-Gesellschafters EA in die Steuerpflichtige am ... war in den Jahren 1953 bis 1955, auf die sich der Rechtsstreit bezieht und auf die es daher allein ankommt, die finanzielle Beherrschung der GmbH durch die Steuerpflichtige sogar vollkommen.
Ebenso wie die finanzielle war auch die organisatorische Eingliederung der GmbH in die Steuerpflichtige von Anfang an gegeben. Es ist nicht erforderlich, daß sämtliche Geschäftsführer der Tochtergesellschaft gleichzeitig geschäftsführende Gesellschafter der Muttergesellschaft sind. Im übrigen traf dieser Sachverhalt nach dem Eintritt des EA in die Gesellschaft für die Zeit ab 1953 zu. Die Steuerpflichtige irrt auch, wenn sie meint, die organisatorische Eingliederung sei zu verneinen, weil jeder Geschäftsführer allein vertretungsberechtigt sei. Sie übersieht hierbei, daß der Geschäftsführer nicht willenbildendes, sondern nur willenausführendes Organ der Gesellschaft ist. Die Gesellschafterversammlung kann die Geschäftsführer anweisen, die Geschäfte in der von ihr gewünschten Richtung zu führen.
Die Feststellung des FG, die GmbH habe von der Steuerpflichtigen alle zur Fortführung des Betriebs erforderlichen Anlagegegenstände pachtweise erhalten, ist nicht zu beanstanden. Es ist in den Tatsacheninstanzen von der Steuerpflichtigen nicht behauptet worden, sie habe für die Betriebsführung wichtige Anlagegüter zurückbehalten. Wenn die GmbH im Laufe der Zeit dem technischen Fortschritt entsprechende neue Maschinen selbst erworben hat - wie die Steuerpflichtige in der Revisionsbegründung behauptet -, so ändert dies nichts daran, daß in den Jahren 1953 bis 1955 für ihre Existenz notwendige Anlagegüter, insbesondere die Grundstücke mit den darauf befindlichen Gebäuden der Steuerpflichtigen gehörten. Nach der von den Prozeßbeteiligten genehmigten Niederschrift über den Erörterungstermin vor dem hauptamtlichen richterlichen Beisitzer des FG vom ... hat die Steuerpflichtige in dem fraglichen Zeitraum neue Betriebsgebäude, wichtige Herstellungs- und Fabrikationsmaschinen und Fahrzeuge angeschafft sowie Um- und Ausbauten in den bereits vorhandenen Gebäuden (Heizungsanlage, Wasch- und Toilettenanlage, Trennwände, Zwischentüren) durchgeführt. Die Mittel hierfür sind ihr darlehnsweise von der GmbH zur Verfügung gestellt worden. Aus diesen Tatsachen und aus der Lizenzgewährung hat das FG zu Recht auf die wirtschaftliche Eingliederung der GmbH in die Steuerpflichtige geschlossen. Die Steuerpflichtige kann mit der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Behauptung, die Angaben ihres Gesellschafters beim Erörterungstermin vom ... entsprächen zum Teil nicht den Tatsachen, der Gesellschafter habe sich geirrt, in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden.
Es kommt schließlich nicht darauf an, ob die Steuerpflichtige einen Grund hat, den Pachtvertrag mit der GmbH zu kündigen. Die bloße Möglichkeit hierzu gibt ihr eine Herrschaftsstellung, die eine Nebenordnung der beiden Gesellschaften ausschließt. Es ist nicht verständlich, warum in den Pachtverträgen und im Lizenzvertrag Kündigungen bzw. eine bestimmte Laufzeit vorgesehen waren, wenn die Aufhebung der Verträge keinesfalls in Betracht gekommen wäre. Außerdem hat der Senat entschieden, daß sich an der Abhängigkeit der Betriebs-Kapitalgesellschaft von der Besitz-Personengesellschaft auch dann nichts ändert, wenn das beiderseitige Recht, das Pachtverhältnis zu kündigen, auf viele Jahre hinaus ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des BFH V 126/62 U vom 28. Januar 1965, BFH 81, 678, BStBl III 1965, 243).... Da zwischen den beiden Gesellschaften in den Jahren 1953 bis 1955 eine Unternehmereinheit nicht bestand und die umsatzsteuerlichen Folgen der Organschaft in der fraglichen Zeit durch Artikel II KRG Nr. 15 aufgehoben waren, hat das FG die streitigen Pacht- und Lizenzentgelte zu Recht zur Umsatzsteuer herangezogen.
Fundstellen
BStBl II 1968, 421 |
BFHE 1968, 46 |