Leitsatz (amtlich)
Bestandskräftige Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern sind im Regelfall zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt geworden sind.
Orientierungssatz
1. Eine unmittelbare Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 auf Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern scheidet zwar aus. Diese Bestimmung enthält aber eine Wertentscheidung des Gesetzgebers, die das HZA bei seiner Ermessensentscheidung nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu berücksichtigen hat (vgl. Urteil des FG Münster vom 27.4.1978 IV 412/78 Z).
2. Eine Berichtigung von Bescheiden über Zölle und Verbrauchsteuern nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 setzt voraus, daß die betreffenden Bescheide materiell unrichtig sind. Die Ablehnung der Änderung solcher Bescheide ist im Regelfall nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage war, die für die Berichtigung vorgebrachten Gründe im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid geltend zu machen. Mit dieser Begründung kann das HZA die Berichtigung nur dann nicht ablehnen, wenn vom Steuerpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. NV: Die VO (EWG) Nr. 1430/79 (Erstattung oder Erlaß von Eingangsabgaben oder Ausfuhrabgaben) ist auf eine vor ihrem Inkrafttreten (1.7.1980) getroffene Verwaltungsentscheidung nicht anwendbar (vgl. EuGH-Urteil vom 27.5.1982 Rs. 113/81).
Normenkette
AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 2; EWGV 1430/79
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte --vertreten durch die Spedition D-- am 10. und 11.Februar 1977, vier Sendungen von Erdölrohren zum freien Verkehr abzufertigen. Die Zollstelle entsprach dem Antrag, legte der Zollwertbemessung die in den Wertanmeldungen angemeldeten Rechnungspreise zugrunde und erhob die entsprechenden Eingangsabgaben (Zoll 39 595,43 DM, Einfuhrumsatzsteuer 48 196,46 DM). Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin etwa ein Jahr später u.a. mit der Begründung, die Zollanmeldung sei irrtümlich für sie als Zollbeteiligte und als Zollwertanmelderin abgegeben worden und der angesetzte Zollwert habe nicht dem tatsächlichen Wert entsprochen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) lehnte die Änderung der Bescheide mit Bescheid vom 17.März 1978 ab und wies den dagegen eingelegten Rechtsbehelf mit Einspruchsentscheidung vom 9.Juni 1978 zurück.
Ihre dagegen eingelegte Klage begründete die Klägerin im wesentlichen wie folgt: Die Rohre müßten als Rückwaren eingangsabgabenfrei bleiben. Sie habe die Rohre nicht gekauft und könne daher nicht als Zollwertanmelderin auftreten. Die von der Spedition der Zollwertanmeldung beigefügten Belege seien keine Rechnungen, sondern nur Begleitpapiere gewesen, die auch nur pro forma-Beträge enthalten hätten; die Zollwertanmeldungen seien daher rechtsungültig. Die Bescheide seien zwar bestandskräftig, müßten aber wegen neuer Tatsachen und Beweismittel geändert werden; an dem nachträglichen Bekanntwerden treffe sie, die Klägerin, kein grobes Verschulden, da sie selbst erst später davon Kenntnis erlangt habe.
++/ Die Klägerin beantragte vor dem Finanzgericht (FG), die genannten Bescheide und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, den Einfuhrzoll in den genannten Bescheiden auf insgesamt 28 956,56 DM festzusetzen. /++
Das FG wies die Klage ab.
++/ Mit ihrer Revision macht die Klägerin folgendes geltend: Zollantrag und Zollanmeldung widersprächen in der gestellten Form den Verhältnissen des Einfuhrfalles. Das wahre Kaufgeschäft gehe aus der Zollanmeldung nicht hervor. Die in § 11 Abs.3 ZG bestimmte Frist betreffe lediglich Willenserklärungen, nicht jedoch Wissenserklärungen wie die Zollanmeldung. Die falschen Daten seien zu berichtigen. Über ihren Beweisantrag, daß die Spedition nicht bevollmächtigt gewesen sei, die Zollwertanmeldung abzugeben, habe das Gericht nicht entschieden. Die Feststellung des FG, sie hätte die Möglichkeit gehabt, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist die im Klageverfahren vorgebrachten Einwände geltend zu machen, sei nach dem dem FG bekannten Sachverhalt nicht begründbar. Erst durch ein Schreiben vom 14.Juni 1977 habe sie Kenntnis darüber erlangt, daß die Zollwertanmeldung fehlerhaft gewesen sei. Die wahren Umstände des Einfuhrfalles seien ihr innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht bekannt gewesen und sie habe sie auch nicht erkennen können. Dem FG sei diese zeitliche Abfolge der Informationsvermittlung bekannt gewesen. Überdies habe das FG die Verordnung (EWG) Nr.1430/79 (VO Nr.1430/79) des Rates vom 2.Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 175 vom 12.Juli 1979) zu Unrecht nicht berücksichtigt. Die Rückwareneigenschaft der Rohre sei dem FG während der mündlichen Verhandlung eingehend erläutert und nachgewiesen worden. Sie habe ihren Antrag ausdrücklich mit Bezug auf § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 gestellt. Das FG habe sich jedoch mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt. /++
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
++/ Die VO Nr.1430/79 vermittelt entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Rechtsanspruch im Sinne des Klageantrags. Diese Verordnung ist auf eine vor ihrem Inkrafttreten (1.Juli 1980) getroffene Verwaltungsentscheidung nicht anwendbar (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 27.Mai 1982 Rs.113/81, EuGHE 1982, 1957, 1965). /++
Das FG hat die Bedeutung der Regelung des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 für die Ermessensentscheidung des HZA nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 verkannt.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, daß § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 allein, d.h. unter Außerachtlassung der Regelung des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977, keine Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin darstellt.
Nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 steht es im Ermessen des HZA, Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern aufzuheben oder zu ändern (vgl. Urteile des Senats vom 31.März 1981 VII R 1/79, BFHE 133, 13, BStBl II 1981, 507, und vom 27.Mai 1982 VII R 30/80, BFHE 136, 433). Die Ablehnung der Änderung solcher Bescheide ist im Regelfall nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage war, die für die Berichtigung vorgebrachten Gründe im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid geltend zu machen. Mit dieser Begründung kann das HZA die Berichtigung nur dann nicht ablehnen, wenn vom Steuerpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte (BFHE 133, 13, BStBl II 1981, 507). Hier liegt kein Fall im letztgenannten Sinne vor.
Die Steuerbescheide vom 10. und 11.Februar 1977 entsprechen in vollem Umfang den Zollanträgen und den Zollanmeldungen der Klägerin sowie den von der Klägerin beigefügten Begleitpapieren. Es kann dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin ein Jahr später vorgetragenen Tatsachen belegen, daß die Bescheide materiell unrichtig sind. Jedenfalls war es Sache der Klägerin --wenn sie schon unzutreffende Anmeldungen abgegeben hatte--, sich die erforderliche Kenntnis von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit zumindest während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist zu verschaffen. In einem Fall wie dem vorliegenden, wo der Grund für die etwaige Unrichtigkeit des Bescheids allein im Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen liegt und die Verwaltung selbst keine entsprechenden Erkenntnismöglichkeiten besaß, kann billigerweise erwartet werden, daß der Steuerpflichtige spätestens innerhalb der Rechtsbehelfsfrist seine Angaben richtigstellt.
Der Einwand der Klägerin, sie habe erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von der Unrichtigkeit der von ihr abgegebenen Zollwertanmeldung erfahren und habe diese Unrichtigkeit vorher auch nicht erkennen können, vermag der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Wie oben ausgeführt, stellt die Ablehnung der Berichtigung bestandskräftiger Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide im Regelfall keinen Ermessensverstoß dar. Eine Ausnahme ist nur gerechtfertigt, wenn ein Verfahren nach der Regel zu einem deutlich unbilligen Ergebnis führt. Daran aber fehlt es hier, weil die angebliche Unrichtigkeit allein von der Klägerin zu vertreten war.
2. Das FG hat jedoch zu Unrecht ohne weitere Begründung ungeprüft gelassen, ob die angefochtenen Verwaltungsakte deswegen Fehler aufweisen, weil sie sich nicht an den Kriterien des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 orientiert haben.
Ob § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 auf Bescheide, die Zölle und Verbrauchsteuern betreffen, anzuwenden ist, ist streitig (verneinend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 172 AO 1977 Anm.6 und § 173 AO 1977 Anm.1; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 172 AO 1977 Anm.1; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, § 173 Anm.2, Rdnr.1 a; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2.Aufl., § 172 Anm.3; Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 7.Aufl., S.80; anderer Auffassung v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 173 AO 1977 Anm.4; Förster in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2.Aufl., § 173 Anm.3; Novak, Bedeutung des § 173 AO 1977 für Zölle und Verbrauchsteuern, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1978, 314; vgl. auch Urteile in BFHE 133, 13, 17, BStBl II 1981, 507, und in BFHE 136, 433, 437, in denen der Senat die Frage offengelassen hat ebenso wie das FG Münster im Urteil vom 27.April 1978 IV 412/78 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1978, 466). Der Senat folgt der Auffassung, daß eine unmittelbare Anwendung des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 auf Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern ausscheidet.
Für diese Auffassung spricht der Wortlaut des § 172 Abs.1 AO 1977. Die Verwendung des Wortes "nur" in dieser Vorschrift zusammen mit dem nur für die Bescheide, die nicht Zölle und Verbrauchsteuern betreffen, gültigen Hinweis in § 172 Abs.1 Nr.2 d AO 1977 auf die Anwendbarkeit sonstiger, die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden zulassender Vorschriften spricht dafür, daß die Frage der Abänderbarkeit von Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden abschließend in § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 geregelt werden sollte (vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 172 AO 1977 Anm.6). Diese Folgerung ist allerdings nicht zwingend; denn jedenfalls enthält der Wortlaut des § 173 Abs.1 AO 1977 keinen ausdrücklichen Hinweis, aus dem sich eine Einschränkung dieser Regelung auf Steuerbescheide entnehmen ließe, die nicht Bescheide über Zölle oder Verbrauchsteuern sind.
Der Senat gelangt zu seiner Auffassung im wesentlichen durch eine Auslegung nach Systematik, Sinn und Zweck der §§ 172 ff. AO 1977. Wie der Senat im Urteil in BFHE 133, 13, 14, BStBl II 1981, 507 ausgeführt hat, besteht bei Bescheiden über Zölle und Verbrauchsteuern ein erhöhtes Bedürfnis, etwaige Fehler sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen korrigieren zu können. Grund dafür ist die kurze einjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs.2 Nr.1 AO 1977) und die größere potentielle Fehlerhaftigkeit dieser Bescheide infolge des nur summarischen Verfahrens bei ihrem Erlaß. Es wäre nicht sinnvoll, an die Abänderbarkeit solcher Bescheide nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit ebenso strenge Anforderungen zu stellen wie bei Steuerbescheiden, die gewöhnlich nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage ohne unmittelbaren Zeitdruck ergehen. Mit Rücksicht darauf hat der Gesetzgeber die Regelung des § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 erlassen; er hat Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide mit geringerer Bestandskraft ausgestattet als andere Steuerbescheide.
Daraus sind Folgerungen für die Anwendbarkeit des § 173 Abs.1 AO 1977 zu ziehen. Es ist zunächst davon auszugehen, daß die Einschränkung der Abänderbarkeit zuungunsten des Steuerpflichtigen, die sich aus § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ergibt, für Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide nicht gelten soll. Das folgt aus der Entstehungsgeschichte des § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Wie der Senat im Urteil in BFHE 133, 13, 15, BStBl II 1981, 507 unter Hinweis auf die Materialien zur AO 1977 ausgeführt hat, wollte der Gesetzgeber der AO 1977 die Regelung der Reichsabgabenordnung (AO) für die Abänderbarkeit unanfechtbar gewordener Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide nicht grundsätzlich ändern, also auch nicht in Abweichung von der Regelung des § 223 AO i.S. des § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 einschränken. Die letztgenannte Vorschrift muß also dahin ausgelegt werden, daß sie nur auf Steuerbescheide anzuwenden ist, die nicht Zoll- oder Verbrauchsteuerbescheide sind. Bei dem offensichtlichen Zusammenhang, den die Regelungen der beiden Nummern des § 173 Abs.1 AO 1977 haben, ist dann aber auch deutlich, daß der Gesetzgeber die Regelung der Nr.2 ebenfalls nicht auf Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide unmittelbar angewendet wissen wollte.
Dies wird durch eine weitere Erwägung bestätigt. Die höhere potentielle Fehlerhaftigkeit von Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden erfordert eine leichtere Abänderbarkeit dieser Bescheide auch zugunsten des Steuerpflichtigen. Es wäre daher nicht sinnvoll, wenn Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern zugunsten des Steuerpflichtigen nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 geändert werden könnten. Es muß vielmehr eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen grundsätzlich auch dann möglich sein, wenn die unrichtige Festsetzung auf anderen Umständen als auf erst nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen oder Beweismitteln beruht (vgl. die einschlägige Rechtsprechung des Senats, aufgeführt in BFHE 136, 433, 436 ff.). Diese Möglichkeit wäre aber ausgeschlossen, ginge man von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 auf diese Bescheide aus; denn dieser Bestimmung ist nach der Systematik der Vorschriften über die Bestandskraft von Steuerbescheiden im Umkehrschluß zu entnehmen, daß andere Umstände eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist nicht rechtfertigen (wenn nicht die Voraussetzungen anderer einschlägiger Vorschriften, z.B. § 175 AO 1977, erfüllt sind).
Die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 bedeutet jedoch nicht, daß diese Vorschrift für die Ermessensentscheidung des HZA nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 bedeutungslos ist. Der Senat ist vielmehr mit dem FG Münster (EFG 1978, 466; vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 172 AO 1977 Anm.6) der Meinung, daß diese Bestimmung eine Wertentscheidung des Gesetzgebers enthält, die das HZA bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat. Wenn der Gesetzgeber schon für Steuerbescheide mit höherer Bestandskraft eine Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 vorschreibt, muß dies erst recht gelten bei den Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden, deren Bestandskraft, wie ausgeführt, geringer ist. Dafür spricht auch, daß sich die leichtere Abänderbarkeit dieser Bescheide in den meisten Fällen zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirkt; es wäre daher unangemessen, dem Steuerpflichtigen nicht auch einen Anspruch auf Änderung solcher Bescheide unter den Voraussetzungen --sinngemäß-- des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 zuzubilligen.
Das HZA hat daher im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 die Kriterien des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 zu berücksichtigen. Einer Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen unter den in der letztgenannten Vorschrift genannten Voraussetzungen steht also nicht schon leichte Fahrlässigkeit des Steuerpflichtigen entgegen, wie dies im Regelfall bei Anwendung der Grundsätze gelten würde, die der Senat für die Ermessensentscheidung nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 aufgestellt hat. Das HZA wird allerdings bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall grobe Fahrlässigkeit vorliegt, in Betracht ziehen müssen, daß, wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 133, 13, 16, BStBl II 1981, 507 ausgeführt hat, wegen der Art und Weise des Zustandekommens von Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden der Steuerpflichtige verstärkt Anlaß zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Bescheide innerhalb der Rechtsbehelfsfrist hat. Fehlt es aber an grobem Verschulden, so wird im Regelfall nur eine Berichtigung des betreffenden Bescheides zugunsten des Steuerpflichtigen ermessensfehlerfrei sein.
3. Eine Aufhebung der Vorentscheidung wegen der Nichtbeachtung der Regelung des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 müßte unterbleiben, wenn sich die Vorentscheidung aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erwiese. Das wäre der Fall, wenn die Steuerbescheide, deren Berichtigung die Klägerin begehrt, keine materiellen Fehler aufwiesen; denn eine Berichtigung nach § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 setzt jedenfalls voraus, daß die betreffenden Bescheide materiell unrichtig sind (vgl. auch Urteil des Senats vom 6.Juli 1976 VII R 98/73, BFHE 120, 2). Das HZA ist in seiner Einspruchsentscheidung von der materiellen Richtigkeit der betreffenden Bescheide ausgegangen. Der Senat kann jedoch über diese Frage nicht selbst entscheiden, da es insoweit an Feststellungen der Vorinstanz fehlt. Aus dem gleichen Grund ist dem Senat auch eine Entscheidung darüber nicht möglich, ob das HZA ohne Rechtsfehler davon ausgegangen ist, daß der Klägerin ein grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 zur Last fällt.
Fundstellen
Haufe-Index 61210 |
BFHE 146, 18 |
BFHE 1986, 18 |
DB 1986, 1808-1808 (S) |
DStR 1986, 512-513 (ST) |
HFR 1986, 397-398 (ST) |