Entscheidungsstichwort (Thema)
Dreijähriges Verbleiben eines Transportmittels in Berlin: Nichteinhalten der Dreijahresfrist als rückwirkendes Ereignis, Beginn der Festsetzungsfrist, Maßgeblichkeit von 183 Berlintagen - Auswahlermessen des FA bei der Bekanntgabe im Falle mehrerer Bevollmächtigter - Rechtmäßigkeit eines mit einer falschen Befugnisnorm begründeten Bescheids - Änderungssperre nach § 173 Abs.2 AO 1977 nicht auf andere Änderungsvorschriften anwendbar
Leitsatz (amtlich)
Die Nichteinhaltung der Verbleibensvoraussetzungen bei der Investitionszulage (hier: mindestens dreijähriges Verbleiben eines Wirtschaftsgutes in einem Betrieb oder in einer Betriebstätte in Berlin) stellt ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 19 Abs.7 und 8 BerlinFG i.V.m. § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 dar. Wird die Voraussetzung des Verbleibens in Berlin in mehreren der erforderlichen Verbleibensjahre nicht eingehalten, beginnt die Festsetzungsfrist am Ende eines jeden Kalenderjahres, in dem dieses Ereignis eingetreten ist, jeweils neu zu laufen.
Orientierungssatz
1. Das FA hat sein Auswahlermessen hinsichtlich der Person des Bekanntgabeempfängers rechtmäßig ausgeübt, wenn es einen Änderungsbescheid an einen von mehreren bestellten Bevollmächtigten bekanntgibt. Es ist nicht verpflichtet, an den zuletzt bestellten Bevollmächtigten --der auch bereits gegenüber dem FA für den Steuerpflichtigen tätig geworden ist-- bekanntzugeben oder zuzustellen.
2. Für die Rechtmäßigkeit eines Bescheides ist grundsätzlich nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es reicht insoweit aus, wenn der Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine --ggf. andere-- Befugnisnorm gedeckt war.
3. Ein Transportmittel ist nicht in einem Betrieb oder in einer Betriebsstätte in Berlin "verblieben", wenn es nicht mindestens 183 Tage pro Jahr in Berlin verwendet wird, dort ruht oder im Verkehr von und nach Berlin eingesetzt wird.
4. Die Änderungssperre nach § 173 Abs.2 AO 1977 bezieht sich nur auf beabsichtigte Änderungen nach § 173 Abs.1 AO 1977, nicht aber auf Änderungen nach anderen Änderungsvorschriften.
Normenkette
AO 1977 § 121 Abs. 1, § 122 Abs. 1 S. 3, § 173 Abs. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2, Abs. 2, § 80; BerlinFG § 19 Abs. 2 Fassung 1978-12-22, § 7 Fassung 1978-12-22, § 8 Fassung 1978-12-22
Tatbestand
Der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einem 1979 gegründeten Speditionsunternehmen in Berlin (damals West), wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 19. April 1982 antragsgemäß eine 10 %ige Investitionszulage in Höhe von ... DM nach § 19 Abs.1 Satz 3 Nr.1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) vom 22. Dezember 1978 für die Anschaffung einer Schreibmaschine sowie von drei Transportmitteln im Jahre 1981 gewährt. Die Firma der Klägerin lautete zu diesem Zeitpunkt "X-GmbH". Der Antrag vom 18. Januar 1982, in dem vordruckmäßig u.a. auf die Pflicht des Antragstellers zur Mitteilung eines etwaigen Wegfalls der sog. Verbleibensvoraussetzungen hingewiesen wurde, war von dem damaligen Geschäftsführer H unterschrieben worden.
Im Anschluß an eine 1983 durchgeführte Betriebsprüfung erließ das FA am 27. Juli 1984 einen auf § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid, in dem die Investitionszulage für 1981 unter Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht vom 7. Dezember 1983 wegen unterbliebener Lieferung eines Fahrzeugs auf ... DM herabgesetzt wurde. Der Änderungsbescheid war an die Klägerin unter ihrer nunmehrigen Firma "Y-GmbH" zu Händen des Steuerberaters F adressiert. Dieser hatte dem FA im März 1980 eine Verfahrensvollmacht der "X-GmbH" vorgelegt, die auch Zustellungen einschloß. Gegen den Änderungsbescheid wurde kein Einspruch eingelegt. Der Rückforderungsbetrag von ... DM wurde am 27. Juli 1984 bezahlt.
Mit weiterem auf § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid vom 7. Oktober 1987 setzte das FA die Investitionszulage für 1981 auf ... DM (Förderung der Anschaffung der Schreibmaschine) herab und forderte ... DM mit der Begründung zurück, die beiden zunächst begünstigten Transportmittel (LKW mit Aufbau sowie Pritschenanhänger, beide am 30. November 1981 angeschafft) seien nicht überwiegend im Berlinverkehr eingesetzt worden. Zur Begründung verwies es u.a. auf die Antwort der Klägerin auf sein Erörterungsschreiben vom 13. August 1987 sowie auf einen Kraftfahrzeugsteuerprüfungsbericht des Finanzamtes für Erbschaftsteuer und Verkehrsteuern vom 11. Juni 1985. Nach diesem Bericht ergaben sich für den o.g. Pritschenanhänger, der lediglich in Verbindung mit dem o.g. LKW mit Aufbau eingesetzt wurde, nur folgende sog. Berlintage (Tage, an denen sich der Anhänger in Berlin befand oder im Verkehr von und nach Berlin eingesetzt wurde):
1. März 1982 bis 29. November 1982: 15 Berlintage;
30. November 1982 bis 29. November 1983: 68 Berlintage;
30. November 1983 bis 12. Oktober 1984: 63 Berlintage.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren erhobenen Klage insoweit statt als es die Investitionszulage unter Änderung des Bescheids vom 7. Oktober 1987 wiederum auf ... DM festsetzte. Soweit die Klägerin darüber hinaus beantragt hatte, die Investitionszulage wegen unwirksamer Bekanntgabe des ersten Änderungsbescheids auf ... DM festzusetzen, wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, daß der erste Änderungsbescheid vom 27. Juli 1984 aufgrund seiner Bekanntgabe an den Bevollmächtigten F wirksam sei. Da für F eine schriftliche Empfangsvollmacht aus dem Jahre 1980 vorgelegen habe, die nicht widerrufen worden sei, habe die Behörde mit der Adressierung und Übermittlung des Bescheids an diesen von ihrem Auswahlermessen nach § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 rechtmäßigen Gebrauch gemacht. Daß für die Klägerin mittlerweile ein anderer steuerlicher Berater tätig gewesen sei, sei unschädlich, da Steuerpflichtige mehrere Bevollmächtigte haben könnten. Seien mehrere Bevollmächtigte bestellt, genüge die Zustellung (Bekanntgabe) an einen von ihnen (Hinweise auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- und des Bundesfinanzhofs --BFH--).
Der zweite Änderungsbescheid vom 7. Oktober 1987 sei dagegen mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren, innerhalb derer Bescheidänderungen z.B. nach § 173 AO 1977 möglich seien, sei schon am 31. Dezember 1986 abgelaufen (Hinweis auf § 19 Abs.7 BerlinFG i.V.m. §§ 155 Abs.4, 169 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 Satz 1 Nr.2 sowie 170 Abs.2 Nr.1 AO 1977). Eine Verlängerung dieser Frist gemäß § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 komme nicht in Betracht, da hier keine Steuer verkürzt worden sei, sondern allenfalls ein Subventionsbetrug i.S. von § 264 des Strafgesetzbuchs (StGB) vorliege. In einer entsprechenden Anwendung des § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 läge eine die Klägerin belastende und daher unzulässige Analogie. Das Urteil des BFH vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74 (BFHE 120, 324, BStBl II 1977, 223) sei auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragbar, da die Entscheidung zum Wohnungsbau-Prämiengesetz ergangen sei, welches die entsprechende Anwendung der Straftatbestände aus der Abgabenordnung alter Fassung einschließlich der für die Steuerpflichtigen günstigen Regelung über die Selbstanzeige ausdrücklich angeordnet habe. Eine vergleichbare Bestimmung fehle aber im BerlinFG.
§ 19 Abs.8 BerlinFG, der durch § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 zu ergänzen sei, sei ebenfalls nicht anwendbar. Zwar gingen die Beteiligten wohl übereinstimmend davon aus, daß die fraglichen beiden Transportmittel bereits im Jahre 1982 dem Erfordernis der räumlichen Bindung an den Einsatzort Berlin nicht genügt hätten. Dies hätte jedoch schon im Rahmen der 1983 durchgeführten Betriebsprüfung aufgedeckt werden können, so daß nunmehr die Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977 zu beachten sei. Durch einen Subventionsbetrug werde diese Sperre nicht aufgehoben. Auf die Nutzung der Fahrzeuge im Jahre 1984 , welches von der Betriebsprüfung nicht erfaßt sei, komme es nicht an. Entscheidend sei, daß der Anspruch auf Investitionszulage bereits 1982 erloschen sei und deshalb nicht erneut im Jahre 1984 habe erlöschen können.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 169 Abs.2, 173 Abs.2 und 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 und trägt dazu im wesentlichen vor: Die Festsetzungsfrist sei wegen der Nichtanzeige des Wegfalls der Verbleibensvoraussetzung, welche mindestens einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. des § 378 AO 1977 gleichkomme, analog § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 frühestens am 31. Dezember 1987 abgelaufen, so daß der Erlaß eines Änderungsbescheids noch möglich gewesen sei. Die Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977 greife nicht ein, da die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage erst 1982, also in einem späteren Jahr als dem Prüfungszeitraum 1981, weggefallen seien und es nach § 194 Abs.1 Satz 2 AO 1977 zulässig sei, im Rahmen einer Außenprüfung Schwerpunkte zu setzen und sich auf die Untersuchung bestimmter Sachverhalte zu beschränken.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, auch soweit ihr das FG stattgegeben hat (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).Das FG hat zwar zutreffend die Wirksamkeit und Bestandskraft des ersten Änderungsbescheids vom 27. Juli 1984 bejaht. Es hat aber zu Unrecht die Rechtmäßigkeit des weiteren Änderungsbescheids vom 7. Oktober 1987 verneint.
1. Das FA hat bei der Bekanntgabe des Änderungsbescheids vom 27. Juli 1984 das ihm nach § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 eröffnete Auswahlermessen hinsichtlich der Person des Bekanntgabeempfängers (Vertretener oder Bevollmächtigter, vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 122 AO 1977 Rz.21 ff., m.w.N.) rechtmäßig ausgeübt. Die Bekanntgabe gegenüber dem Steuerberater F war wirksam, da dem FA für ihn eine schriftliche Vollmacht zur Vertretung in Steuerangelegenheiten vorlag, die auch Zustellungen einschloß und die zwischenzeitlich nicht widerrufen worden war. Daß vor Absendung des Bescheids bereits ein anderer Bevollmächtigter gegenüber dem FA für die Klägerin tätig geworden war, ist nach der zutreffenden Ansicht des FG unschädlich, da Steuerpflichtige mehrere Bevollmächtigte haben können. Sind aber mehrere Bevollmächtigte bestellt, so genügt die Zustellung (Bekanntgabe) an einen von ihnen (vgl. BVerwG-Beschluß vom 21. Dezember 1983 1 B 152/83, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 2115, m.w.N.).
2. Der Änderungsbescheid vom 7. Oktober 1987 ist durch die Bestimmungen des BerlinFG i.V.m. der AO 1977 gedeckt. Gemäß § 19 Abs.7 Satz 1 BerlinFG sind die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO 1977 auf die Investitionszulage nach dem BerlinFG grundsätzlich entsprechend anzuwenden. Zu diesen Vorschriften rechnen i.V.m. §§ 1 und 155 Abs.4 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung (jetzt § 155 Abs.6 AO 1977) auch die §§ 172 ff. AO 1977 (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 1986 III R 150/82, BFHE 148, 573, BStBl II 1987, 307; Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 172 AO 1977 Tz.5 k).
Es kann offenbleiben, ob --wie das FA meint-- der angefochtene Änderungsbescheid --auch-- auf § 19 Abs.7 BerlinFG i.V.m. § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 gestützt werden konnte. Es braucht ferner nicht entschieden zu werden, ob die Nichtanzeige des Wegfalls der Verbleibensvoraussetzungen gemäß § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG (mindestens dreijähriges Verbleiben eines Wirtschaftsguts in einem Betrieb oder in einer Betriebstätte in Berlin) den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, so daß sie entsprechend § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist führen könnte. Entgegen der Rechtsmeinung des FG ergibt sich jedenfalls aus § 19 Abs.7 und 8 i.V.m. § 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 eine Rechtsgrundlage für den angefochtenen Änderungsbescheid. Unerheblich ist, daß das FA den Bescheid auf eine andere Änderungsvorschrift (§ 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977) gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit eines Bescheides ist grundsätzlich nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es kommt allein darauf an, ob der Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine Befugnisnorm gedeckt war (vgl. BFH-Urteil vom 14. September 1993 VIII R 9/93, BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2).
3. Die Nichteinhaltung der Verbleibensvoraussetzung i.S. von § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG stellt ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 dar (vgl. Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, § 19 Rz.350). Dies ergibt sich auch aus § 175 Abs.2 1.Alternative AO 1977 i.V.m. § 19 Abs.7 Satz 1 BerlinFG (Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung/Steuervergütung, die nach dem Gesetz für eine bestimmte Zeit gegeben sein muß). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die Verbleibensvoraussetzungen hinsichtlich der beiden 1981 angeschafften Transportmittel sowie des dazugehörigen Aufbaus auf dem LKW wegen ihres nicht überwiegenden und/oder nicht regelmäßigen Einsatzes im Berlinverkehr in jedem der drei maßgeblichen Jahre nicht eingehalten worden sind. Dabei sind die Beteiligten zutreffend von der BFH-Rechtsprechung ausgegangen, wonach ein Transportmittel nicht in einem Betrieb oder in einer Betriebstätte in Berlin "verbleibt", wenn es insbesondere nicht mindestens 183 Tage pro Jahr in Berlin verwendet wird, dort ruht oder im Verkehr von und nach Berlin eingesetzt wird (vgl. BFH-Urteile vom 14. Januar 1986 VII R 184/82, BFHE 146, 275, BStBl II 1986, 494; vom 3. Mai 1990 VII R 51/89, BFH/NV 1991, 194; s.a. Senatsurteil vom 23. Mai 1990 III R 76/87, BFHE 161, 281, BStBl II 1990, 1013, m.w.N.). Angesichts der unstreitig geringen Zahl der sog. "Berlintage" ist die Verbleibensvoraussetzung des § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG in keinem der drei maßgeblichen Jahre nach der Anschaffung der Investitionsgüter erfüllt.
4. Der Berücksichtigung dieses Sachverhalts und damit auch dem Erlaß des Rückforderungsbescheids vom 7. Oktober 1987 steht § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 nicht entgegen. Die Änderungssperre nach dieser Vorschrift bezieht sich nur auf beabsichtigte Änderungen i.S. des § 173 Abs.1 AO 1977 (vgl. BFH-Urteile vom 14. September 1993 VIII R 9/93, BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2; vom 2. Mai 1990 VIII R 20/86, BFH/NV 1991, 219 --unter Abschn.4 der Entscheidungsgründe-- und vom 29. April 1987 I R 118/83, BFHE 149, 508, BStBl II 1988, 168; vgl. auch Tipke/ Kruse, a.a.O., § 173 AO 1977 Tz.34; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 173 Anm.16; Frotscher in: Schwarz, Abgabenordnung, § 173 Rz.109).
5. Die Festsetzungsfrist gemäß § 19 Abs.7 Satz 1 BerlinFG i.V.m. § 169 AO 1977 war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 7. Oktober 1987 noch nicht abgelaufen. Gemäß § 175 Abs.1 Satz 2 AO 1977 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt. Im Streitfall ist das maßgebliche Ereignis (Nichteinhaltung der Verbleibensvoraussetzung i.S. des § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG), wie von der Betriebsprüfung festgestellt, erstmals im Jahre 1982 eingetreten. Aber auch später hat es sich noch verwirklicht; auch in den Jahren 1983 und 1984 wurden die Fahrzeuge nicht überwiegend im Berlinverkehr eingesetzt. Damit begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf der jeweiligen Kalenderjahre neu zu laufen und endete somit für das am 30. November 1984 abgelaufene 3. Jahr nach der Anschaffung erst am 31. Dezember 1987.
Die Regelung in § 175 Abs.1 Satz 2 AO 1977, wonach die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das Ereignis eintritt, bedeutet nicht, daß bei einer späteren Wiederholung eines solchen Ereignisses --oder auch beim Eintritt eines anderen Ereignisses i.S. von § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977-- die Festsetzungsfrist nicht erneut in Lauf gesetzt wird. Ein Investor, bei dem das FA z.B. erst für das dritte Jahr nach der Anschaffung bzw. Herstellung eine zweckwidrige Verwendung des Wirtschaftsgutes feststellt, kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe das Wirtschaftsgut schon von Anbeginn, d.h. seit der Anschaffung bzw. Herstellung, zweckwidrig verwendet und ein Rückforderungsanspruch sei deshalb bereits nach Ablauf von vier Jahren seit Ablauf des Anschaffungs- bzw. Herstellungsjahrs, in dem die zweckwidrige Verwendung erstmals vorgenommen wurde, verjährt. Diese Erwägung wird auch durch die Rechtsprechung des BVerwG zu § 48 Abs.4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bestätigt, wonach die Frist für den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes erst dann zu laufen beginnt, wenn die Behörde alle für die Rücknahmeentscheidung bedeutsamen Tatsachen kennt, auch wenn sie ggf. erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt bekanntwerden und die zunächst bekannten Tatsachen schon für eine Rücknahmeentscheidung genügt hätten (Beschluß vom 20. Mai 1988 7 B 79/88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1988, 822; ebenso Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4.Aufl., § 48 Rz.166; a.A. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6.Aufl., § 48 Rz.99).
6. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben und die Klage der Klägerin in vollem Umfang abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 65998 |
BFH/NV 1997, 195 |
BStBl II 1997, 269 |
BFHE 181, 547 |
BFHE 1997, 547 |
BB 1997, 771-772 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1997, 759 (Leitsatz) |
DStR 1997, 577-579 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 393 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 609 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 378-379 (Leitsatz) |
StE 1997, 209 (Kurzwiedergabe) |