Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an der zuletzt im Urteil III R 6/70 vom 9. Juli 1971 (BFH 103, 217, BStBl II 1971, 795) vertretenen Auffassung fest, daß die Steuerschuld für die veranlagte Körperschaftsteuer bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens als Betriebsschuld nach § 62 Abs. 1 BewG a. F. in Verbindung mit § 53a BewDV a. F. bzw. nach §§ 103 Abs. 1, 105 BewG 1965 nur in der Höhe abgezogen werden kann, die sich aus der einheitlichen Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 KStG 1958 ergibt.
Normenkette
BewG 1965 §§ 4-7, 103 Abs. 1, § 105; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 4; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 5; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 6; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 7; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 62 Abs. 1; BewDV a.F. § 53a; StAnpG §§ 3-4; KStG 1958 § 19 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1-2
Tatbestand
Das FA ließ bei den Einheitswertfeststellungen des Betriebsvermögens der Klägerin auf die Stichtage vom 1. Januar 1963, 1. Januar 1964, 1. Januar 1965, 1. Januar 1966 und 1. Januar 1967 durch den zusammengefaßten, auf § 222 AO gestützten Bescheid vom 13. Oktober 1969 die an den einzelnen Stichtagen noch zu zahlenden Körperschaftsteuerschulden, soweit sie auf die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen entfielen, nur mit 15 v. H. zum Abzug zu. Der Einspruch, mit dem die Klägerin den Abzug der Körperschaftsteuerschulden mit 51 v. H. beantragte, hatte keinen Erfolg.
Auch die Klage wurde abgewiesen. Das FG schloß sich der Auffassung des Senats in dem Urteil III 340/61 U vom 17. April 1964 (BFH 79, 405, BStBl III 1964, 380) an. § 4 StAnpG sage entgegen der Auffassung der Klägerin zu dieser Frage nichts aus. Dem Abzug der Körperschaftsteuerschuld mit 51 v. H. stehe auch entgegen, daß die Klägerin mit einer Belastung in dieser Höhe an den einzelnen Stichtagen nicht ernstlich habe rechnen müssen.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des FG-Urteils (und der Einspruchsentscheidung) die Körperschaftsteuer mit 51 v. H. zum Abzug zuzulassen. Es wird Verletzung des bestehenden Rechts gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Wenn es richtig wäre, daß die Körperschaftsteuerschuld am Stichtag in der Höhe entstehe, in der sie endgültig festzustellen sei, dann liege vom Stichtag an eine unabänderliche Schuld vor. Im Schrifttum werde aber bei der Kommentierung des § 4 StAnpG eingeräumt, daß es keine Unabdingbarkeit der Steuerschuld gebe. Aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG könne man die einmalige und unabänderliche Entstehung der Steuerschuld nicht herleiten. Sie sage nur etwas über den Zeitpunkt aus; dieser sei jedoch nur eine Komponente für die Bestimmung der Steuerschuld. Es sei bisher auch nicht überzeugend dargetan, daß die Folgerungen des FG aus der Ratio legis herzuleiten seien. Wenn das FG das Vorliegen einer auflösenden Bedingung mit der Begründung ablehne, daß die §§ 4 bis 7 BewG an die bürgerlichrechtliche Gestaltung anknüpften, so lasse sich daraus nur folgern, daß Steuerschulden im Sinne dieser Vorschrift überhaupt keine bedingten Schulden sein könnten. Aus § 4 StAnpG gehe doch hervor, daß es bedingte Steuerschulden geben müsse. Folgerichtig müsse geprüft werden, was eine bedingte Steuerschuld sei. Im Schrifttum sei diese Frage dahin geklärt, daß bedingte Steuerschulden solche seien, deren Wirksamkeit von einem ungewissen, nach der Entstehung des Steueranspruchs liegenden Ereignis abhänge. Im Streitfall sei die Ermäßigung der Körperschaftsteuer auf 15 v. H. abhängig von dem in aller Regel erst nach dem Stichtag gefaßten Beschluß der Gesellschaft über die Gewinnausschüttung. Die Ermäßigung der Körperschaftsteuer hänge, vom Stichtag aus gesehen, also von einem in der Zukunft liegenden ungewissen Ereignis ab. Am Stichtag sei die Grundlage für eine Steuer von 51 v. H. des Einkommens gegeben, diese Grundlage werde durch die spätere Beschlußfassung der Gesellschafter über die Dividende geändert. Das FG-Urteil setze sich auch in Widerspruch zu § 3 Abs. 1 StAnpG. Der gesetzliche Tatbestand für die Berechnung der Körperschaftsteuer nach verschiedenen Tarifen sei am Stichtag nicht vollständig erfüllt. Es müsse das Merkmal der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen hinzutreten. Die steuerliche Behandlung dieser Fälle sei im StAnpG nicht ausdrücklich geregelt. Es seien folgende Überlegungen am Platze: § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG bestimme, daß Veranlagungen zurückzunehmen oder zu ändern seien, wenn ein Tatbestandsmerkmal, das der Veranlagung zugrunde gelegen habe, nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen sei. Diese Bestimmung stelle eine ganz konsequente Fortentwicklung des in § 3 Abs. 1 StAnpG vorangegangenen Grundsatzes über die Entstehung der Steuerschuld dar. Steuerbelastungen und Steuerbefreiungen könnten nur dann Bestand haben, wenn der gesetzliche Sachverhalt für diese steuerlichen Folgen vollständig erfüllt sei. Wenn der Sachverhalt später "verstümmelt" und mit Wirkung für die Vergangenheit unvollständig werde, sei die Steuerfestsetzung sogar dann zu korrigieren, wenn sie rechtskräftig sei; das heißt, daß die Steuerfestsetzung zu jedem Zeitpunkt nur in dem Umfang vorgenommen und eine Steuerbefreiung nur dann ausgesprochen werden dürfe, wenn der für diese steuerlichen Folgen vom Gesetzgeber festgelegte Tatbestand ganz und gar erfüllt sei. Das müsse auch für die Ermäßigung einer Steuer gelten. Die Steuerschuld ermäßige sich also auf 15 v. H., sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Steuer knüpfe, d. h. sobald die Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung vorliege. Zu der These der Einheitlichkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG sei zu bemerken, daß es richtig sei, daß es nur eine einzige Körperschaftsteuerschuld gebe, die in Höhe der Summe der zwei Posten bestehe, 51 v. H. des nicht ausgeschütteten und 15 v. H. des ausgeschütteten Einkommens. Es sei nicht ersichtlich, wie man aufgrund der Annahme, daß der Körperschaftsteuersatz von 15 v. H. erst mit der Beschlußfassung wirksam werde, zu einer uneinheitlichen Handhabung des Tarifs kommen könnte. Wenn das FG der Verwaltung und der Rechtsprechung das Recht zugestehe, nachträgliche Sachverhaltsgeschehnisse auf den Stichtag zu fingieren, so handele es sich um eine Sachverhaltsfiktion, durch die die Begründung des Urteils zu einer Scheinbegründung herabgesetzt werde. Man könne auch nicht damit argumentieren, daß die volle Körperschaftsteuerschuld am Stichtag keine ernst zu nehmende Belastung bedeute, weil dabei vorausgesetzt werde, daß der Vorstand am Stichtag bereits übersehen könne, daß der Gewinn zu einer Dividendenausschüttung ausreichen werde, und daß er weiter davon ausgehen könne, daß die Hauptversammlung seinem Vorschlag, eine Dividende auszuschütten, auch folgen werde.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Der Senat hat die im Urteil III 340/61 U (a. a. O.) vertretene Rechtsauffassung, daß die Körperschaftsteuerschuld nur in der Höhe als Betriebsschuld abgezogen werden kann, in der sie bei der Veranlagung unter Berücksichtigung des ermäßigten Steuersatzes von 15 v. H. für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen festgesetzt wird, in dem Urteil III R 6/70 vom 9. Juli 1971 (BFH 103, 217, BStBl II 1971, 795) erneut bestätigt. Er ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG nur eine Tarifvorschrift ist, die auf die Entstehung der Körperschaftsteuerschuld mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG keinen Einfluß hat. Der Senat sieht auch im Streitfall trotz der Einwendungen der Klägerin, die sich in erster Linie gegen diesen Ausgangspunkt der beiden Urteile richten, keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Er teilt nicht die Meinung der Klägerin, daß es sich bei der Körperschaftsteuerschuld um eine bedingte Steuerschuld handele, die zunächst in Höhe von 51 v. H. entstehe, allerdings auflösend bedingt durch die erst nach dem Bewertungsstichtag liegende Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung. Der Senat hat schon in den beiden genannten Entscheidungen die Meinung vertreten, daß § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG keine aufschiebende oder auflösende Bedingung enthalte. Er hat sich zur Begründung darauf berufen, daß unter Bedingungen im Sinne der §§ 4 bis 7 BewG nur rechtsgeschäftlich vereinbarte Bedingungen zu verstehen seien. Der Senat verbleibt bei dieser Auffassung. Sie ist nicht, wie die Klägerin meint, zum ersten Mal in einem Urteil des II. Senats II 272/58 U vom 11. Januar 1961 (BFH 72, 440, BStBl III 1961, 162) ausgesprochen worden; der Senat hat sie auch schon in früheren Urteilen vertreten (vgl. z. B. Urteil des BFH III 43/50 S vom 25. Oktober 1951, BFH 56, 91, BStBl III 1952, 37), und sie entspricht seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil III R 94/70 vom 27. August 1971, BFH 103, 445, BStBl II 1972, 100). Der Senat hat auch Bedenken, mit der Klägerin eine bedingte Steuerschuld im Sinne des § 4 StAnpG in dem Sinne anzunehmen, daß am Schluß des Veranlagungszeitraums die Körperschaftsteuerschuld in Höhe von 51 v. H., allerdings in Höhe von 36 v. H. der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen auflösend bedingt durch die Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung, entsteht. Die Bedenken rühren daher, daß in § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG nur von der zu veranlagenden Körperschaftsteuer als solcher die Rede ist, nicht von ihrer durch den gespaltenen Körperschaftsteuersatz in § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG beeinflußten Höhe. Daraus ist zu entnehmen, daß die Körperschaftsteuer nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG dem Grunde nach bereits am Schluß des Veranlagungszeitraums entstanden ist. Ungewiß bleibt nur ihre Höhe. Das ist etwas anderes, als wenn die Steuerschuld auch dem Grunde nach erst dann entstehen soll, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt oder nicht eintritt (für einen solchen Fall vgl. das BFH-Urteil II 165/64 vom 5. März 1968, BFH 92, 43, BStBl II 1968, 416). Es handelt sich vielmehr um einen Fall, in dem die Entscheidung darüber, in welcher Höhe die Steuer festzusetzen ist, noch in bestimmten Punkten von einer späteren Entschließung des Steuerpflichtigen abhängt. In diesen Fällen entsteht die Steuerschuld dem Grunde nach schon vor dieser Entschließung (so auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. I Anm. 2a Abs. 10 zu § 3 StAnpG und Anm. 1b Abs. 7 vor § 97 AO). Auch aus § 3 Abs. 1 StAnpG kann entgegen der Auffassung der Klägerin nichts dafür entnommen werden, daß die Körperschaftsteuerschuld zunächst in Höhe von 51 v. H. entsteht. Abgesehen davon, daß § 3 Abs. 5 StAnpG nur "Beispiele und Ergänzungen" zu § 3 Abs. 1 StAnpG enthält, ist zu bedenken, daß das Tatbestandsmerkmal, an dessen Verwirklichung das Gesetz die Steuer knüpft, bei der Körperschaftsteuer die Erzielung von Einkommen im Veranlagungszeitraum ist. Auch daraus ergibt sich, daß die Körperschaftsteuerschuld am Schluß des Veranlagungszeitraums bereits dem Grunde nach entstanden ist, und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe sie unter Berücksichtigung der einheitlichen Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG bei der Veranlagung festzusetzen ist. Der Senat braucht jedoch nicht abschließend zu der Frage einer bedingten Steuerschuld im Sinne des § 4 StAnpG Stellung zu nehmen. Er ist mit dem FG der Meinung, daß sich auch dann, wenn man das Vorliegen einer bedingten Steuerschuld im Sinne des § 4 StAnpG bejahte, am Ergebnis nichts ändern würde. Denn für eine Anwendung der §§ 4 bis 7 BewG, insbesondere des § 7 Abs. 1 und 2 BewG, wäre auch dann kein Raum. Diese Vorschriften könnten, wie schon oben ausgeführt wurde, nur dann angewendet werden, wenn die Steuerschuld durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zu einer bedingten Steuerschuld geworden wäre. Das wäre aber nicht der Fall. Die auflösende Bedingung, nämlich der Eintritt des Ermäßigungsgrundes, wäre eine vom Gesetzgeber angeordnete Bedingung. Welche steuerliche Wirkung der Eintritt dieser Bedingung hätte, wäre allein dem § 4 StAnpG zu entnehmen. Aus § 4 Abs. 2 StAnpG geht klar hervor, daß der Gesetzgeber diesen Eintritt der Bedingung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld zurückwirken lassen will. Auch wenn man, wie es die Klägerin will, auf diesen Fall § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG anwendete, würde sich nichts anderes ergeben, weil diese Vorschrift den § 4 Abs. 2 StAnpG für entsprechend anwendbar erklärt.
Da man nach den obigen Ausführungen auch dann zu demselben Ergebnis käme, zu dem der Senat aufgrund anderer Überlegungen in den beiden Urteilen III 340/61 U und III R 6/70 (a. a. O.) gekommen ist, wenn man den Hauptargumenten der Klägerin folgt, erübrigt es sich, auf die sonstigen Einwendungen einzugehen, mit denen sich die Klägerin gegen einzelne Punkte in der Begründung dieser Urteile wendet. Der Senat weist nur zu dem Einwand der Klägerin, es sei am Bewertungsstichtag noch völlig ungewiß, ob und in welcher Höhe eine Gewinnverteilung vorgenommen werde, auf das Urteil des BGH II ZR 208/55 vom 24. Januar 1957 (BGH 23, 150) hin. In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof erstens entschieden, daß Vorstand und Aufsichtsrat einer AG einen einmal festgestellten Jahresabschluß nicht willkürlich ändern können. Er hat darüber hinaus entschieden, daß der Aktionär, soweit Gesetz und Satzung den festgestellten Gewinn nicht von der Verteilung ausschließen, mit der Feststellung eines einen Gewinn ausweisenden Jahresabschlusses einen Gewinnanspruch erlangt, der bis zum Verteilungsbeschluß gesellschaftlicher Natur ist und dem einzelnen Aktionär nur mit seiner Zustimmung genommen werden kann. Schließlich hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Hauptversammlung, die lediglich über die Gewinnverteilung zu beschließen hat, den festgestellten Reingewinn nur insoweit von der Gewinnverteilung ausschließen kann, als sie hierzu durch Gesetz oder Satzung ermächtigt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 413257 |
BStBl II 1972, 693 |
BFHE 1972, 110 |