Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Beeinträchtigung des Wohnwerts der Wohnung durch eine freiberufliche Praxis steht der Bewertung als Einfamilienhaus nicht entgegen
Leitsatz (NV)
1. Wohngrundstücke sind dadurch gekennzeichnet, daß sie, wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt.
2. Wird ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es auch dann als Einfamilienhaus, wenn durch die Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Mitbenutzung in diesem Sinn kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt.
3. Eine Mitbenutzung des Wohngrundstücks zu anderen als Wohnzwecken, die dem Begriff des Einfamilienhauses entgegensteht, muß in einer Weise nach außen hervortreten, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt. Auf die Frage, ob der Wohnwert der Wohnräume des Wohngrundstücks durch die Mitbenutzung beeinträchtigt wird, kann es dabei nicht ankommen.
Normenkette
BewG § 75 Abs. 1, 5 S. 4
Tatbestand
Die Klägerin hat das mit einem Wohnhaus bebaute Anwesen in . . . erworben. Nach erheblichem Umbau des Erdgeschosses, in dem sich früher ein Laden mit anschließender Wohnung befunden hatte, vermietete sie die dort befindlichen Räume an ihren Ehemann zum Betrieb einer Anwaltskanzlei. Außerdem benutzt sie selbst ein Zimmer im Dachgeschoß des Hauses als Büroraum für die Verrichtung von Arbeiten im Interesse der Praxis ihres Ehemannes. Der Praxisbetrieb erstreckt sich auf rd. 1/3 des Nutzraumes des Hauses. Auf der rechten Seite des mehrstöckigen Hauses befindet sich die Hofeinfahrt, die am hinteren Ende durch ein Hoftor mit darin befindlicher Tür verschlossen ist. Die linke Wand der Hofeinfahrt ist - von vorne nicht sichtbar - durchbrochen worden; einige Stufen führen zum Eingang des Praxisbereichs. Der Wohnbereich wird durch die Hoftür erreicht, ist aber auch durch eine Tür von der Praxis aus erreichbar. Auf die Anwaltspraxis verweist äußerlich nur ein ca. 40 x 40 cm großes Schild neben der Hofeinfahrt hin.
Mit Art- und Wertfortschreibungsbescheid vom 26. März 1987 stellte das Finanzamt (FA) auf den 1. Januar 1982 mit Wirkung ab 1. Januar 1983 die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert auf 54 700 DM fest.
Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens begehrt die Klägerin mit der Klage, unter Aufhebung des Fortschreibungsbescheids vom 26. März 1987 sowie der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung das FA zu verpflichten, das Grundstück als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage nach Durchführung eines Augenscheintermins stattgegeben. Zwar erlaube das äußere Erscheinungsbild des Anwesens keine Antwort auf die Frage nach dem Charakter des Grundstücks. Entscheidend sei aber der Eindruck, den man im Inneren des Gebäudes gewinne. Der Praxisteil mit rd. 1/3 der Fläche nehme nicht nur das ganze Erdgeschoß ein, sondern überlagere auch den ganzen Wohnwert; denn er führe zu persönlicher Behinderung der dort wohnenden Familie, weil in den Bürozeiten ein Spielen der Kinder in Haus und Garten stören würde bzw. die Familienangehörigen sich im Garten nicht unbelästigt von Bürogeräuschen aufhalten könnten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt das FA, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Abweisung der Klage.
1. Das FG-Urteil ist aufzuheben, weil das FG unzutreffend davon ausgegangen ist, die von ihm angenommene Überlagerung des Wohnwertes durch den Praxisbetrieb führe zu einer die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigenden Mitbenutzung des Wohngrundstückes zu anderen als Wohnzwecken.
Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nr. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 des Bewertungsgesetzes - BewG -) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt: Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit nur zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Ist ein Wohngrundstück weder ein Einfamilien- noch ein Zweifamilienhaus, stellt sich kraft entsprechenden Vorbehalts in § 75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. z. B. Senatsurteil vom 12. November 1986 II R 48/85, BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104, m. w. N.).
Wird ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen (vgl. § 96 BewG) Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich einmal den Begriff der ,,Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.
a) ,,Mitbenutzung" i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135, m. w. N.).
b) Ein Grundstück, das zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinn nicht ein von der Verkehrsanschauung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß die Mitbenutzung des (Wohn-)Grundstücks zu anderen als Wohnzwecken, die dem Begriff des Einfamilienhauses entgegensteht, nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt (vgl. zuletzt in BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135, m. w. N.). Auf die Frage, ob der Wohnwert der Wohnräume des Wohngrundstückes durch die Mitbenutzung beeinträchtigt wird, kann es dabei nicht ankommen. Denn diese Beeinträchtigung ist der Mitbenutzung zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken immanent und folglich nach § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kein geeignetes Merkmal zur Beantwortung der Frage, ob die Eigenart als (bewertungsrechtliches) Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird.
2. Die Sache ist spruchreif; der Senat entscheidet deshalb in der Sache selbst. Die Klage ist abzuweisen. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtsmäßig. Das Grundstück der Klägerin enthält nur eine Wohnung. Die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken überwiegt flächenmäßig bei weitem nicht die Nutzung zu Wohnzwecken. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) tritt die Mitbenutzung des (Wohn-)Grundstücks zu freiberuflichen Zwecken nach außen nicht - jedenfalls nicht prägend - in Erscheinung.
Fundstellen
Haufe-Index 417657 |
BFH/NV 1991, 511 |