Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von Gewerbesteuermeßbescheiden gemäß § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977, um der Rechtsprechungsänderung hinsichtlich des Fehlens der subjektiven Gewerbesteuerpflicht der atypisch stillen Gesellschaft Rechnung zu tragen
Leitsatz (NV)
1. § 174 Abs. 4 AO 1977 ist nicht anzuwenden, wenn der aufgrund irriger Beurteilung eines Sachverhaltes ergangene und vom FA aufgehobene Steuerbescheid nichtig war.
2. Dritter i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 ist jeder, der in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegeben war. Er war an dem zur Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheides führenden Verfahren nicht nur dann beteiligt, wenn er Verfahrensbeteiligter i. S. des § 359 AO 1977 oder § 57 FGO war, sondern auch dann, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat, z. B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte.
3. Verwaltungsakte sind gemäß § 125 Abs. 1 AO 1977 nichtig, soweit sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Kein derartiger Fehler liegt vor, wenn dem Verwaltungsakt zwar eine unrichtige Rechtsauffassung zugrundeliegt, diese aber über längere Zeit und auch noch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes praktiziert wurde, ohne daß die h. M. in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur dies für rechtsfehlerhaft hielt.
Normenkette
GewStG 1978 § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 S. 3, § 11; AO 1977 § 78 Nr. 1, § 125 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 2, § 174 Abs. 4-5, § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 184 Abs. 1, § 359; FGO § 57
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- eine GmbH -- betrieb u. a. in den Erhebungszeiträumen 1977 bis 1980 (Streitjahre) ein Hotel. Sie hatte mit mehreren ihrer Gesellschafter Verträge geschlossen, durch die diese auch als atypisch stille Gesellschafter an dem Handelsgeschäft der Klägerin beteiligt waren. Die Klägerin gab für die Streitjahre jeweils Gewerbesteuererklärungen für sich selbst und für die zwischen ihr und den atypisch stillen Gesellschaftern bestehende stille Gesellschaft (GmbH & atypisch Still) ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erließ für die Streitjahre an die GmbH & atypisch Still adressierte Gewerbesteuermeßbescheide. Die Bescheide ergingen -- für einige Streitjahre nach einer Außenprüfung -- ohne Vorbehalt der Nachprüfung und wurden bestandskräftig. Außerdem erließ das FA an die Klägerin adressierte Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre, in denen es gemäß § 9 Nr. 2 bzw. § 12 Abs. 3 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen bzw. des Einheitswerts und der Hinzurechnungen um den Anteil der Klägerin am Gewinn der GmbH & atypisch Still bzw. den Wert der Beteiligung der Klägerin an dieser Gesellschaft kürzte und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf jeweils 0 DM festsetzte (Bescheide vom 24. April und 4. Juni 1982).
Nachdem der Verdacht entstanden war, die Klägerin erfasse nicht alle Betriebseinnahmen in ihrer den Steuererklärungen zugrunde gelegten Buchführung, durchsuchten am 14. Dezember 1982 Steuerfahnder die Geschäftsräume der Klägerin und gaben dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin die Eröffnung des Strafverfahrens bekannt. Die Fahnder teilten ihre den Verdacht bestätigenden Prüfungsfeststellungen dem FA mit (Prüfungsbericht vom 10. Juli 1985) und das FA erließ am 22. November 1985 an die GmbH & atypisch Still adressierte geänderte Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre. Die Einsprüche gegen die Änderungsbescheide wies es als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 1986). Nachdem dem FA das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. November 1985 VIII R 364/83 (BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311) bekanntgeworden war, hob es durch Verwaltungsakt vom 6. Juni 1986 die an die GmbH & atypisch Still gerichteten Bescheide vom 22. November 1985 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 1986 ersatzlos auf.
Am 4. August 1986 erließ das FA an die Klägerin als Steuerschuldnerin gerichtete geänderte Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre. Die Bescheide stützte es auf die Änderungsvorschriften der §§ 174 und 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie ergingen unter der Steuernummer der Klägerin und enthalten den Vermerk: "Der Festsetzung/Feststellung liegen die Ergebnisse der bei Ihnen durchgeführten Prüfung zugrunde (siehe Prüfungsbericht vom 10. 7. 85)." Der Einspruch der Klägerin gegen diese Bescheide war erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 7. September 1988). Während des anschließenden Klageverfahrens änderte das FA -- am 13. März 1991 -- die angefochtenen Bescheide für die Streitjahre 1978 bis 1980 gemäß § 35 b GewStG. Die Klägerin machte die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Klageverfahrens.
Die Klage war erfolglos.
Die Klägerin stützt die Revision sinngemäß auf Verletzung der §§ 169, 171, 173 und 174 AO 1977 und beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG), den Gewerbesteuermeßbescheid für 1977 vom 4. August 1986 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. September 1988 und die Gewerbesteuermeßbescheide für 1978 bis 1980 vom 13. März 1991 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Der erkennende Senat teilt nicht die Rechtsauffassung des FG, die Bescheide vom 4. August 1986 seien Erstbescheide gewesen und daher hätten für ihren Erlaß nicht die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift erfüllt sein müssen. Die Entscheidung des FG erweist sich aber im Ergebnis weitgehend als richtig, da die AO 1977 die Änderung der bestandskräftigen Gewerbesteuermeßbescheide vom 24. April und 4. Juni 1982 zuläßt.
Hinsichtlich der Höhe der festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge hat die Klage teilweise Erfolg. Das FA hat der Berechnung des Meßbetrages nach dem Gewerbeertrag 1977 nicht die für natürliche Personen und Gesellschaften i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG geltenden Steuermeßzahlen für den Gewerbeertrag, sondern die für andere Unternehmen geltende Steuermeßzahl zugrunde gelegt. Bei der Berechnung der Meßbeträge für die anderen Streitjahre hat es die Freibeträge für Gesellschaften i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG nicht berücksichtigt.
1. Die Bescheide vom 4. August 1986 waren keine Erstbescheide, sondern Änderungsbescheide. Sie änderten die an die Klägerin gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide vom 24. April und 4. Juni 1982. Diese betrafen ebenso wie die Bescheide vom 4. August 1986 den unter der Firma der Klägerin geführten Hotelbetrieb und richteten sich an die Klägerin als Steuerschuldnerin. Neben diesem Hotelbetrieb, an dem sich Gesellschafter der Klägerin als atypisch stille Gesellschafter beteiligt hatten, existierte kein von der Klägerin allein betriebenes gewerbliches Unternehmen. Anders wäre es nur, wenn sich die atypisch stillen Gesellschafter lediglich an bestimmten Geschäften oder Geschäftsbereichen des Hotelbetriebs beteiligt hätten (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 1995 I R 109/94, BFHE 179, 427). Einen entsprechenden Sachverhalt hat das FG jedoch nicht festgestellt und die Klägerin auch nicht vorgetragen.
Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung der Klägerin, es sei nicht erkennbar, ob durch die Bescheide vom 4. August 1986 die Bescheide vom 22. November 1985 oder die vom 24. April bzw. 4. Juni 1982 geändert worden seien und deshalb seien die Bescheide vom 4. August 1986 rechtswidrig. Nachdem das FA die Bescheide vom 22. November 1985 am 6. Juni 1986 ersatzlos aufgehoben hatte, war eine Änderung dieser Bescheide nicht mehr möglich. Dies war für die Klägerin auch klar erkennbar.
2. Das FA durfte gemäß § 174 Abs. 4 und 5 i. V. m. § 184 Abs. 1 AO 1977 die bestandskräftigen Bescheide vom 24. April bzw. 4. Juni 1982 ändern.
Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Abs. 4 AO 1977 ist nicht anzuwenden, wenn der aufgrund irriger Beurteilung eines Sachverhaltes ergangene und vom FA aufgehobene Steuerbescheid nichtig war (s. Senatsurteil vom 10. November 1993 I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327, m. w. N.).
Nach § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 besteht die Befugnis gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 auch Dritten gegenüber, wenn diese an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides führte, beteiligt waren. Dritter ist in diesem Zusammenhang jeder, der in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegeben war (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). Der Dritte war an dem zur Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheides führenden Verfahren nicht nur dann beteiligt, wenn er Verfahrensbeteiligter i. S. des § 359 AO 1977 oder § 57 FGO war, sondern auch dann, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat, z. B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte (s. § 78 Nr. 1 AO 1977; Senatsurteil vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764).
Auf Gewerbesteuermeßbescheide ist § 174 AO 1977 sinngemäß anzuwenden (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977).
3. Nach den für den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) waren am 4. August 1986 die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 für die Änderung der Gewerbesteuermeßbescheide vom 24. April und 4. Juni 1982 erfüllt.
a) Das FA hatte am 22. November 1985 an die GmbH & atypisch Still gerichtete Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre erlassen. Diesen Bescheiden lag die Rechtsansicht zugrunde, der unter der Firma der Klägerin geführte Hotelbetrieb sei von einer aus der Klägerin und den atypisch stillen Gesellschaftern als Mitunternehmern bestehenden Personengesellschaft betrieben worden und diese Gesellschaft sei Steuerschuldnerin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG 1978. Dementsprechend entschied das FA gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, Steuerschuldnerin sei die stille Gesellschaft und nicht die Klägerin. Am 6. Juni 1986 hatte das FA die Bescheide aufgehoben, nachdem sich diese Beurteilung des Sachverhaltes infolge des Urteils in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 als irrig erwiesen hatte.
b) Die Gewerbesteuermeßbescheide vom 22. November 1985 waren nicht nichtig.
Verwaltungsakte sind gemäß § 125 Abs. 1 AO 1977 nichtig, soweit sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Kein derartiger Fehler liegt vor, wenn dem Verwaltungsakt zwar eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde liegt, diese aber über längere Zeit und auch noch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes praktiziert wurde, ohne daß die herrschende Meinung in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur dies für rechtsfehlerhaft hielt (s. Senatsurteil in BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327).
Die Bescheide vom 22. November 1985 waren zwar fehlerhaft, da nach dem Urteil in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 eine atypisch stille Gesellschaft nicht Steuerschuldner i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG und daher auch nicht Adressatin eines Gewerbesteuermeßbescheides sein kann. Dieser Fehler war aber nicht derart schwerwiegend und offenkundig, daß er zur Nichtigkeit der Bescheide führte. Die Bescheide entsprachen hinsichtlich der Feststellung des Steuerschuldners und der Adressierung der Rechtsauffassung, die im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe von der Finanzverwaltung vertreten und praktiziert wurde. Eine davon abweichende herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bestand vor Veröffentlichung des Urteils in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 nicht. Noch im Urteil vom 22. Juni 1983 I R 55/80 (BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63) hatte der erkennende Senat die Ansicht vertreten, ein Gewerbesteuermeßbescheid dürfe an eine atypisch stille Gesellschaft gerichtet werden. Er hatte lediglich -- um Verwechslungen hinsichtlich der Steuerschuldner auszuschließen -- zusätzlich gefordert, die Mitunternehmer müßten einzeln bezeichnet werden und die Art ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbindung müsse im Bescheid zum Ausdruck kommen. Die Gewerbesteuermeßbescheide vom 22. November 1985 enthielten zwar nicht -- wie dies die Rechtsprechung schon früher für Grunderwerbsteuerbescheide gegenüber Personengesellschaften und Bescheide über die einheitliche Feststellung von Einkünften gefordert hatte (s. BFH-Urteile vom 29. November 1972 II R 42/67, BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372; vom 17. März 1970 II 65/63, BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598; vom 28. März 1979 I R 219/78, BFHE 128, 14, BStBl II 1979, 718) -- die nament liche Bezeichnung der einzelnen Mitunternehmer. Dies war aber kein schwerwiegender, zur Unwirksamkeit der Bescheide führender Fehler. Schwerwiegend wäre er nur, wenn er zu Verwechslungen hinsichtlich des Steuerschuldners hätte führen können. Das war im Streitfall ausgeschlossen. Aus der Adressierung der Bescheide ergab sich für die Klägerin als Empfängerin der Bescheide eindeutig, daß das FA die stille Gesellschaft als Steuerschuldner ansah und sich der Bescheid somit an diese Mitunternehmerschaft richtete.
c) Mit den Bescheiden vom 4. August 1986 zog das FA die sich aus dem Sachverhalt ergebenden richtigen steuerlichen Folgerungen, als es die an die Klägerin gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide vom 24. April und 4. Juni 1982 änderte und nunmehr entsprechend dem Urteil in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 auch die Gewinnanteile der atypisch stillen Gesellschafter als Teil des von der Klägerin zu versteuernden Gewerbeertrages und den Einheitswert des Hotelbetriebes als Teil des von der Klägerin zu versteuernden Gewerbekapitals erfaßte.
d) Die Klägerin war hinsichtlich der Bescheide vom 22. November 1985 Dritte i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977, da sie nach diesen Bescheiden nicht Steuerschuldnerin war.
Sie war an dem zur Aufhebung der Bescheide führenden Verfahren beteiligt. Der Einspruch gegen die Bescheide wurde unter dem Betreff "X- ... stille Gesellschaft" eingelegt. Er ist als ein Rechtsbehelf der Klägerin auszulegen, da die GmbH & atypisch Still als eine reine Innengesellschaft nicht fähig ist, selbst Beteiligte in einem Verfahren wegen Gewerbesteuer zu sein (vgl. BFH-Urteile in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311; vom 15. Dezember 1992 VIII R 42/90, BFHE 170, 345, BStBl II 1994, 702).
Das durch den Rechtsbehelf der Klägerin eingeleitete Einspruchsverfahren führte zur Aufhebung der Bescheide. Zwar wies das FA den Einspruch zunächst als unbegründet zurück. Diese Entscheidung wurde aber nicht bestandskräftig. Noch vor Eintritt der Bestandskraft hob das FA die Einspruchsentscheidung und die Bescheide auf. Die Aufhebung ist Folge des Einspruchs der Klägerin. Ohne den Einspruch wären die Bescheide bei Bekanntwerden des Urteils in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 bereits bestandskräftig und -- da sie nicht nichtig waren -- nicht aufzuheben gewesen.
e) Bei Erlaß der Bescheide vom 4. August 1986 waren die sich aus den Feststellungen der Steuerfahnder ergebenden Gewerbesteueransprüche 1977 bis 1980 noch nicht verjährt.
Die Steuerfahndungsprüfung begann mit der Durchsuchung der Geschäftsräume der Klägerin im Dezember 1982. Da die Klägerin die Gewerbesteuererklärung 1977 im Jahr 1978 abgegeben hatte, war zu diesem Zeitpunkt die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 auch für den Gewerbesteuermeßbetrag 1977 noch nicht abgelaufen (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Die Fahndungsprüfung diente u. a. dazu, die Besteuerungsgrundlagen der Gewerbesteuer für den unter der Firma der Klägerin geführten Hotelbetrieb zu ermitteln. Es handelte sich um eine Prüfung bei der Klägerin, da die Klägerin Schuldnerin der Gewerbesteuer ist (s. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1990 VII R 18/88, BFH/NV 1991, 721). Unerheblich ist, daß die Fahnder und die Klägerin seinerzeit möglicherweise die Vorstellung hatten, Schuldnerin der Gewerbesteuer sei nicht die Klägerin, sondern die GmbH & atypisch Still. Diese sich später als rechtsirrig erweisende Vorstellung ändert nichts daran, daß die Prüfung im Dezember 1982 beim tatsächlichen Steuerschuldner begann und dieser vom Prüfungsbeginn sofort Kenntnis erlangte.
Die Prüfung führte gemäß § 171 Abs. 5 i. V. m. § 184 Abs. 1 AO 1977 zur Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist. Die Hemmung bestand bei Erlaß der Bescheide vom 4. August 1986 noch. Die zunächst aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung erlassenen Steuerbescheide vom 22. November 1985 waren nicht unanfechtbar geworden, da die Klägerin gegen sie Einspruch eingelegt und das FA sie vor Eintritt der Bestandskraft der Einspruchsentscheidung aufgehoben hatte.
4. Die Änderung der Bescheide vom 24. April und 4. Juni 1982 verstößt nicht gegen § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977.
Nach dieser Vorschrift -- die auch für Steuermeßbescheide gilt (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) -- darf bei der Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuer(meßbetrags)festsetzung von den Finanzbehörden angewandt worden ist. Die Rechtsprechung hat sich i. S. des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 geändert, wenn ein im wesentlichen gleichgelagerter Sachverhalt anders entschieden wurde als bisher (s. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421).
Durch das Urteil in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 hat sich zwar die BFH-Rechtsprechung gegenüber dem Urteil in BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63 geändert. Bei Erlaß der Bescheide vom 24. April und 4. Juni 1982 kann das FA aber die später geänderte Rechtsprechung noch nicht angewandt haben, da das Urteil in BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63 erst im Jahr 1983 erging (s. Senatsurteil in BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764).
5. Die angefochtenen Bescheide waren entsprechend dem Tenor zu ändern. Das FA hat die einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge zu hoch festgesetzt.
Bei der Berechnung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages 1977 hat es nicht die für natürliche Personen und Gesellschaften i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG geltenden gestaffelten Steuermeßzahlen für den Gewerbeertrag (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 GewStG in der im Erhebungszeitraum 1977 geltenden Fassung), sondern die für andere Unternehmen geltende Steuermeßzahl von 5 v. H. angewandt. Bei der Festsetzung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge 1978 bis 1980 hat es den Gewerbeertrag nicht um den Freibetrag für natürliche Personen und Gesellschaften i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG gekürzt. Dies ist rechtsfehlerhaft, da die atypisch stille Gesellschaft eine Gesellschaft i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG ist (s. Senatsurteil in BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327). Werden diese Fehler korrigiert, ergeben sich die im Tenor festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge ...
Fundstellen
Haufe-Index 421393 |
BFH/NV 1996, 797 |
BFH/NV 1996, 798 |