Leitsatz (amtlich)
Steuerbevollmächtigte, die als Liquidatoren von juristischen Personen tätig werden, handeln nicht in Ausübung ihres Berufs.
Normenkette
AO § 109 Abs. 2; StBerG § 2 Abs. 1, § 22
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Steuerbevollmächtigter, war ab 31. Juli 1962 Liquidator der X-GmbH (GmbH). Die GmbH wurde am 4. Mai 1966 im Handelsregister gelöscht. Im Januar 1967 machte der Beklagte und Revisionskläger (das FA) nach einer Betriebsprüfung eine Körperschaftsteuernachforderung für 1961 in Höhe von 12 673 DM, Körperschaftsteuer für den Liquidationszeitraum 1962/63 in Höhe von 44 334 DM, Umsatzsteuer für 1962 in Höhe von 627,12 DM und Vermögensteuer für 1961 bis 1966 in Höhe von 360 DM geltend, insgesamt 57 994,12 DM. Der Kläger teilte dem FA mit, daß für die Tilgung der Steuerschulden keine ausreichenden Mittel vorhanden seien. Das FA nahm daraufhin den Kläger gemäß § 109 Abs. 1 AO durch Haftungsbescheid vom 7. März 1967 in Anspruch. Es wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG hat ausgeführt: Der Kläger hafte schon deshalb nicht, weil er in Ausübung seines Berufs als Steuerbevollmächtigter gehandelt habe und kein berufsgerichtliches Verfahren zur Feststellung der vom FA behaupteten Pflichtverletzung stattgefunden habe (§ 109 Abs. 2 AO, § 119 Abs. 3 StBerG a. F.). Der BFH habe einem Rechtsanwalt das Haftungsprivileg des § 109 Abs. 2 AO auch dann zugestanden, wenn dieser als Konkursverwalter tätig werde (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1957 V 167/55 U, BFHE 65, 573, BStBl III 1957, 453). Gleiches gelte für einen Steuerbevollmächtigten, der eine wirtschaftsberatende, gutachtliche oder treuhänderische Tätigkeit wahrnehme (§ 22 Abs. 3 Nr. 3 StBerG). Eine treuhänderische Tätigkeit sei auch die Wahrnehmung eines Liquidatorenamts (Nr. 6 der Richtlinien für das berufsgerechte Verhalten der Steuerbevollmächtigten - Standesrichtlinien -). Der Gesetzgeber des StBerG habe es bewußt vermieden, die in § 22 StBerG angesprochenen, mit dem Beruf eines Steuerbevollmächtigten zu vereinbarenden Tätigkeiten als nebenberufliche Tätigkeiten zu kennzeichnen. Diese Tätigkeiten könnten sogar innerhalb der Gesamttätigkeit des Steuerbevollmächtigten überwiegen (Begründung zu § 30 Abs. 3 des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 128).
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts: Das FG habe unter Verletzung seiner Sachaufklärungspflicht festzustellen unterlassen, daß die Bestellung des Klägers zum Steuerbevollmächtigten am 8. Juni 1970 erloschen sei. Überdies habe das FG § 109 Abs. 2 AO unrichtig ausgelegt. Die Tätigkeit als Liquidator gehöre nicht zum Berufsbild des Steuerbevollmächtigten, das abschließend in § 2 Abs. 1 StBerG beschrieben sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Nach § 106 Abs. 1 AO haben Liquidatoren bei Wegfall eines Steuerpflichtigen (u. a. durch Auflösung einer juristischen Person) dafür zu sorgen, daß Mittel zur Bezahlung der vorher entstandenen Steuerschulden zurückgehalten und die Steuerschulden bezahlt werden. Sie haften, soweit durch schuldhafte Verletzung dieser Pflichten Steueransprüche verkürzt werden (§ 109 Abs. 1 AO). Steuerbevollmächtigte haben für Handlungen, die sie in Ausübung ihres Berufs vorgenommen haben, nur einzustehen, wenn eine Verletzung ihrer Berufspflicht im berufsgerichtlichen Verfahren festgestellt wird (§ 109 Abs. 2 AO). § 109 Abs. 2 AO ist erst durch § 162 Nr. 21 FGO mit Wirkung vom 1. Januar 1966 auf Steuerbevollmächtigte ausgedehnt worden. Soweit die vom FA behauptete Pflichtverletzung des Klägers vor dem 1. Januar 1966 liegen sollte, galt indes noch der mit Inkrafttreten der FGO aufgehobene § 119 Abs. 3 StBerG, wonach § 109 Abs. 2 AO auf Steuerbevollmächtigte sinngemäß Anwendung fand.
Die Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid setzt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht die Durchführung eines berufsgerichtlichen Verfahrens voraus. Soweit Steuerbevollmächtigte als Liquidatoren von juristischen Personen tätig werden, handeln sie nicht in Ausübung ihres Berufs. Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld umzusetzen (so § 70 GmbHG für die Liquidation einer GmbH). Hingegen ist Inhalt der Tätigkeit der Steuerbevollmächtigten, seine Auftraggeber in Steuersachen zu beraten, sie zu vertreten und ihnen bei der Bearbeitung ihrer Steuerangelegenheiten und bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten Hilfe zu leisten (§ 2 Abs. 1 StBerG). Derartige Tätigkeiten fallen bei einer Liquidation nur am Rande an.
Zwar ist die Liquidatorentätigkeit eines Steuerbevollmächtigten mit seinem Beruf vereinbar (§ 22 Abs. 3 Nr. 3 StBerG, Nr. 6 der Standesrichtlinien). Indessen kennzeichnen die in § 22 Abs. 3 StBerG angeführten Tätigkeiten den Beruf des Steuerbevollmächtigten nicht. § 22 Abs. 3 StBerG ist im Zusammenhang mit § 22 Abs. 2 Satz 1 StBerG zu lesen, wonach sich Steuerbevollmächtigte jeder Tätigkeit zu enthalten haben, die mit ihrem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufs nicht vereinbar ist. Daraus ergibt sich, daß die mit dem Beruf oder dessen Ansehen zu vereinbarenden Tätigkeiten gerade nicht den Beruf ausmachen. Es ist nur deswegen davon abgesehen worden, diese Tätigkeiten als nebenberuflich zu bezeichnen, weil Verbindungen der steuerberatenden Berufe mit den verwandten freien Berufen des Wirtschaftsprüfers, vereidigten Buchprüfers, Rechtsanwalts usw. nicht behindert werden sollten und es unschädlich sein sollte, falls diese Berufe im Rahmen der Gesamttätigkeit überwiegen. Abgesehen hiervon sollten die steuerberatenden Berufe auch nach den Vorstellungen des Gesetzgebers hauptberuflich ausgeübt werden (Begründung zu § 30 Abs. 2 des Entwurfs eines Steuerberatungsgesetzes, a. a. O.).
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Haftungsprivileg des § 109 Abs. 2 AO mit dem BFH-Urteil V 167/55 U auf Rechtsanwälte angewandt werden kann, die als Konkursverwalter tätig werden. Die Konkursverwaltertätigkeit und die Liquidatorentätigkeit sind nicht miteinander vergleichbar. Der Konkursverwalter handelt kraft eines ihm übertragenen Amtes im Rahmen eines gerichtlichen Vollstreckungsverfahrens, das der Befriedigung der Gläubiger an dem gesamten der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögen des Gemeinschuldners dient (§§ 1, 6 Abs. 2 der Konkursordnung - KO -; Urteile des Reichsgerichts vom 30. März 1892 Rep. V 255/91, RGZ 29, 29, 36 f. vom 21. Februar 1928 VII 369/27, RGZ 120, 189, 192). Der Liquidator hingegen ist - wie vorher der Geschäftsführer - gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, dessen Aufgaben vom Gesellschaftsrecht bestimmt sind (§§ 66 ff. GmbHG; Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz § 68 Abs. 2).
Unentschieden bleiben kann auch, ob § 109 AO überhaupt nicht anwendbar ist, wenn - wovon eine vom FG bezeichnete Literaturmeinung ausgeht - sich Steuerbevollmächtigte auf die Vertretung in Steuerangelegenheiten beschränken (Kühn-Kutter, Reichsabgabenordnung, 10. Aufl., § 109 Anm. 1). Selbst wenn diese Auffassung richtig und sonach das Haftungsprivileg für Angehörige der steuerberatenden Berufe weitgehend gegenstandslos sein sollte, wäre eine andere Auslegung des § 109 Abs. 2 AO nicht möglich.
Auf die Verfahrensrüge kommt es danach nicht mehr an.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang auf die weiteren Einwendungen des Klägers gegen den angegriffenen Haftungsbescheid einzugehen und dazu die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 70603 |
BStBl II 1973, 832 |
BFHE 1974, 171 |