Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung über die Verbuchung geleisteter Zahlungen auf bestimmte Steuerschulden oder Säumniszuschläge stellt keinen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Die Frage, ob bestimmte Schulden erloschen sind oder nicht, kann endgültig nur im Wege des Abrechnungsverfahrens nach § 125 AO oder, falls bereits Zahlung erfolgt ist, im Wege des Erstattungsverfahrens nach §§ 150 ff. AO geklärt werden.
Normenkette
AO a.F. §§ 123, 125, 150 ff., § 237
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger unterhielt seit Januar 1957 einen Zwischenmeisterbetrieb für Damenoberbekleidung. In den Jahren 1958 bis 1961 ergaben sich Rückstände auf eine Reihe von Abgaben, die der Revisionskläger nicht rechtzeitig entrichtet hatte. Dabei handelte es sich u. a. um Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz-, Kirchen-, Lohn- und Lohnsummensteuern sowie Säumniszuschläge. Die Lohnsteuerforderungen betrafen Haftungsansprüche gegen den Revisionskläger als Arbeitgeber. Im Zusammenhang mit zahlreichen Vollstreckungsmaßnahmen des Revisionsbeklagten wurden dem Revisionskläger mehrfach die noch offenen Rückstände, aufgegliedert nach den einzelnen Steuern usw., mitgeteilt. Am 11. Februar 1966 beantragte der Revisionskläger die Übersendung eines Kontoauszuges über gezahlte Steuern, Gebühren, Zuschläge und Strafen ab 1. Januar 1958. Dieser Auszug wurde ihm unter dem gleichen Datum übersandt. Er beantragte daraufhin mit Schreiben vom 10., 15. und 16. März 1966 unter Berufung auf das Urteil des BFH I 256/59 U vom 17. Januar 1964 (BFH 79, 385, BStBl III 1964, 371), die auf Säumniszuschläge für die verschiedenen Steuern gebuchten und im einzelnen angegebenen Zahlungen auf Lohnsteuer bzw. Lohnkirchensteuer umzubuchen. Zur Begründung trug er vor, durch unrichtige Verbuchung seien Lohnsteuerrückstände entstanden, die zu einer Bestrafung geführt hätten; die sich aus den beantragten Umbuchungen ergebenden Überzahlungen seien zu erstatten, da die Säumniszuschläge inzwischen verjährt seien.
Der Revisionsbeklagte lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, eine Überprüfung der Verbuchungen habe Mängel nicht erkennen lassen. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die OFD Berlin mit der Begründung zurück, der Revisionskläger habe weder einen Erstattungsanspruch geltend gemacht noch einen Abrechnungsbescheid verlangt. Deshalb sei lediglich untersucht worden, ob dem FA ein Buchungsfehler unterlaufen sei. Ein solcher habe nicht festgestellt werden können. Das FA habe sich an die von dem Revisionskläger bezeichnete Entscheidung des BFH gehalten und ihn auch von den einzelnen Verbuchungen unterrichtet.
Mit der Klage trug der Revisionskläger vor, wenn ein Steuerpflichtiger bei einer Zahlung keine Verbuchungsanweisung gebe, so könne diese bei richtiger Auslegung des BFH-Urteils vom 17. Januar 1964 auf eine Säumniszuschlagsschuld erst verrechnet werden, wenn überhaupt keine fälligen Steuerschulden des Steuerpflichtigen mehr offenstünden. Er beantragte, die Verfügung des Revisionsbeklagten und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben und den Revisionsbeklagten anzuweisen, die wieder im einzelnen aufgeführten Beträge an verbuchten Säumniszuschlägen auf im einzelnen aufgeführte Lohnsteuerrückstände in der Zeit von Januar 1958 bis Februar 1962 umzubuchen.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das FG hielt sie für zulässig. Grundsätzlich sei zwar davon auszugehen, daß für Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA über das Erlöschen bestimmter Zahlungsverpflichtungen das Abrechnungsverfahren dienen solle (§ 125 AO). Das FA sei jedoch rechtlich nicht gehindert, über die Frage der Verrechnung nach § 123 AO eine verbindliche Entscheidung in der Form eines Verwaltungsaktes zu erlassen.
Das FG hielt die Klage jedoch nicht für begründet. Es betrachtete die vom FA vorgenommenen Verrechnungen auch ohne Erlaß förmlicher Verwaltungsakte als rechtsverbindlich, weil dem Revisionskläger die Verrechnung der einzelnen Zahlungen auf bestimmte Steuerschulden bekannt gewesen sei. Es könne einem Steuerpflichtigen nicht zugestanden werden, daß er jahrelang gegen die ihm bekanntgewordenen Verrechnungen seitens des FA keine Einwendungen erhebe und erst dann eine Umbuchung verlange, wenn auf diese Weise Schulden, die nach Auffassung des FA durch Verrechnung (Zahlung) erloschen gewesen seien, nun plötzlich durch Verjährung erloschen sein sollten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Das FG und die Verwaltungsbehörden haben eine verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit bestimmter Buchungsmaßnahmen des FA getroffen. Dies erscheint indessen nicht zulässig. Nach § 125 AO hat das FA dem Steuerpflichtigen auf Antrag einen schriftlichen Bescheid (Abrechnungsbescheid) zu erteilen, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist. Diese Vorschrift sieht, nachdem das Steuerfestsetzungsverfahren abgeschlossen ist, für die im Steuererhebungsverfahren zu treffende Entscheidung, ob und inwieweit festgestellte Steueransprüche erloschen sind, ein ganz bestimmtes Verfahren vor. Der Senat ist der Auffassung, daß über das Erlöschen von Steueransprüchen verbindlich nur in einem Verfahren nach § 125 AO entschieden werden und daß eine gerichtliche Klärung nur im Anschluß an ein solches Verfahren erfolgen kann.
Für den Bereich des Steuerfestsetzungsverfahrens etwa hat der BFH im Urteil IV R 59/69 vom 6. Mai 1971 (BFH 102, 493, BStBl II 1971, 664) wegen der Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO nicht die sogenannte Zweigleisigkeit anerkannt. Er hat es deshalb abgelehnt, daß die Entscheidung über eine solche Billigkeitsmaßnahme mit der förmlichen Beschwerde angegriffen und daß nach Ergehen der Beschwerdeentscheidung ein selbständiges Gerichtsverfahren durchgeführt werden kann. Er hat demgegenüber die Auffassung vertreten, daß die Billigkeitsentscheidung Bestandteil der im Steuerfestsetzungsverfahren vom FA vorzunehmenden Prüfungen ist und infolgedessen nur im Rahmen des Einspruchsverfahrens angegriffen werden kann (sogenannte Eingleisigkeit).
Entsprechende Überlegungen müssen nach Auffassung des Senats für das Steuererhebungsverfahren gelten. Dies schließt zwar nicht aus, daß ein Steuerpflichtiger von dem FA Kontoauszüge erbitten und daß er mit dem FA über die zutreffende Verbuchung einzelner Zahlungen Verhandlungen führen kann. Eine Entscheidung mit Bestandskraft oder eine gerichtliche Klärung dieser Fragen kann aber nur über die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 125 AO (oder, falls die Steuern schon entrichtet sind, über ein Erstattungsverfahren nach §§ 150 ff. AO) herbeigeführt werden. Auch für das Steuererhebungsverfahren muß wie für das Steuerfestsetzungsverfahren an der Eingleisigkeit festgehalten werden. Die Verhandlungen des Revisionsklägers mit seinem FA sind nicht anders zu beurteilen wie etwa Verhandlungen im steuerlichen Veranlagungsverfahren über die Behandlung bestimmter Bewertungsfragen. Führt in solchen Fällen der Steuerpflichtige gegen eine ihm erteilte Auskunft des FA Beschwerde, so handelt es sich nicht um eine formelle Beschwerde im Sinne des § 230 Abs. 1 AO (§ 237 Abs. 1 AO a. F.), sondern um eine formlose Dienstaufsichtsbeschwerde, nach deren Bescheidung nicht etwa das gerichtliche Verfahren eingeleitet werden kann.
Die Auffassung des Senats, daß auch im Steuererhebungsverfahren Entscheidungen über das Bestehen oder Erlöschen von Steueransprüchen nur eingleisig getroffen werden können, schließt nicht aus, daß in anderen Verfahren, wie etwa in Arrest-, Stundungs- und Beitreibungsverfahren auch zu diesen Fragen Stellung genommen werden müßte. Eine endgültige Klärung kann jedoch, wie bereits in dem Urteil des BFH II 176/52 U vom 6. Oktober 1954 (BFH 59, 432, BStBl III 1954, 375) ausgeführt worden ist, nur im Wege des Abrechnungsverfahrens nach § 125 AO bzw. des Erstattungsverfahrens nach §§ 150 f. AO, falls bereits Zahlung erfolgt sein sollte, herbeigeführt werden.
Im Streitfall waren die Voraussetzungen für die Erteilung eines Abrechnungsbescheides im Sinne des § 125 AO erfüllt. Es bestanden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Revisionskläger als für die Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer Haftenden, der insoweit einem Steuerpflichtigen gleichzustellen ist, und dem FA darüber, ob die Zahlungsverpflichtung des Revisionsklägers für einbehaltene Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer erloschen ist. Der Revisionskläger hatte dem FA auch substantiiert mitgeteilt, inwieweit er ein Erlöschen dieser Ansprüche behauptet. Wenn er nicht die förmliche Erteilung eines Abrechnungsbescheides begehrte, sondern die Umbuchung verlangte, so kann diese unrichtige Bezeichnung seines Begehrens nicht als schädlich angesehen werden. Es kam dem Revisionskläger ersichtlich darauf an, die von ihm aufgeworfenen Fragen einer endgültigen Klärung zuzuführen; dies aber konnte nur als ein Antrag auf Einleitung des dafür vorgesehenen Verfahrens, also als Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheides, aufgefaßt werden.
Da das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, war das Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Senat hebt auf die Klage auch die Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD auf, da die Verfügung des FA nicht als förmlicher Bescheid ergehen durfte. Das FA wird nunmehr einen förmlichen Abrechnungsbescheid im Sinne des § 125 AO zu erteilen haben, gegen den der Einspruch mit anschließendem gerichtlichen Verfahren gegeben ist.
Fundstellen
Haufe-Index 70249 |
BStBl II 1973, 89 |
BFHE 1973, 272 |