Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 des 3. Vermögensbildungsgesetzes auf neugegründete Unternehmen
Leitsatz (NV)
§ 14 Abs. 1 3. Vermögensbildungsgesetz ist im Gründungsjahr einer Kapitalgesellschaft anwendbar, wenn sie bei Beginn ihrer Geschäftstätigkeit, frühestens bei Beginn der KSt-Pflicht, nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigte.
Normenkette
3. VermBG § 14 Abs. 1; BerlinFG § 21 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für das Streitjahr 1983 eine Steuerermäßigung nach § 14 des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (3. VermBG) in der Fassung vom 30. September 1982 (BGBl I 1982, 1369, BStBl I 1982, 821) zusteht.
Die Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 1. März 1983 mit Wirkung zum 2. Januar 1983 gegründet. Die Eintragung im Handelsregister erfolgte am 22. März 1983. Die Klägerin übernahm ab 2. Januar 1983 ihre Betriebsgrundlagen mit Ausnahme des Betriebsgrundstücks von der bisherigen Einzelfirma eines ihrer Gesellschafter. Mit Wirkung vom gleichen Tage übernahm sie ferner die Arbeitnehmer der Einzelfirma. Bei Übernahme des Betriebs betrug die Zahl der Beschäftigten . . . .
Im Streitjahr erbrachte die Klägerin ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen in Höhe von . . . DM. In der Körperschaftsteuererklärung 1983 machte sie eine Steuerermäßigung gemäß § 14 des 3. VermBG in Höhe von 3000 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte diese im Körperschaftsteuerbescheid 1983 vom 19. Juli 1985 ab, da die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Gründung mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückgewiesen, da die Klägerin bei ihrer Gründung bereits mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 14 des 3. VermBG.
Das Gesetz begünstige alle Unternehmen, die am 1. Oktober des Vorjahres nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt hätten. Die Klägerin erfülle alle Voraussetzungen. Der Wortlaut des Gesetzes sei eindeutig. Im übrigen könne eine vermeintliche Gesetzeslücke nur durch den Gesetzgeber geschlossen werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Klägerin steht im Streitjahr 1983 kein Anspruch auf eine Steuerermäßigung gemäß § 14 Abs. 1 des 3. VermBG zu.
a) Gemäß § 14 des 3. VermBG können Steuerpflichtige, die ihren Arbeitnehmern bestimmte vermögenswirksame Leistungen erbringen, die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer um 15 v. H. der Summe der vermögenswirksamen Leistungen höchstens um 3 000 DM ermäßigen. Voraussetzung für die Gewährung der Steuerermäßigung ist, daß der Steuerpflichtige am 1. Oktober des dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Kalenderjahres insgesamt nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt hat (§ 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG).
2. Das Gesetz enthält entgegen der Auffassung der Klägerin keine klare Regelung für Gesellschaften, die am 1. Oktober des vorangegangenen Jahres noch nicht bestanden.
Aus § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG ist eindeutig nur zu entnehmen, daß Unternehmen, die am Stichtag mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigten, keine Steuerermäßigung beanspruchen können. Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß aus diesem Wortlaut abzuleiten sei, daß eine am Stichtag noch nicht existierende Gesellschaft die Steuerermäßigung im Folgejahr stets erhalten könne, da sie am Stichtag jedenfalls nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe. Aus dem Wortlaut könnte jedoch auch entnommen werden, daß der Gesetzgeber von der Existenz des Steuerpflichtigen am Stichtag ausging und daß für später entstandene Gesellschaften keine Steuervergünstigung gewährt werden sollte.
3. Die erkennbaren Ziele des Gesetzgebers sprechen gegen einen Ausschluß aller neu gegründeten Gesellschaften von den Vergünstigungen des § 14 Abs. 1 des 3. VermBG. Die übrigen Regelungen des Gesetzes sprechen vielmehr dafür, daß der Gesetzgeber alle Unternehmen begünstigen wollte, die im Veranlagungszeitraum vermögenswirksame Leistungen erbrachten und die Größenmerkmale des Gesetzes nicht überschritten.
4. Es besteht jedoch für neugegründete Unternehmen eine Regelungslücke. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG wurde aus § 14 Abs. 1 Satz 6 des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (2. VermBG) vom 1. Juli 1965 (BGBl I 1965, 585, BStBl I 1965, 346) übernommen. Die letztere Vorschrift sollte nach der Begründung des Entwurfs des 2. VermBG gewährleisten, daß die Vergünstigung ,,vor allem für mittelständische Unternehmen fühlbar wird" (BTDrucks IV/2814 S. 9). Der Gesetzgeber wollte nur Unternehmen begünstigen, die eine gewisse Arbeitnehmerzahl nicht überschritten. § 14 Abs. 1 des 2. VermBG ist nach der Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks IV/2814 S. 9) rechtstechnisch dem § 21 des Berlinhilfegesetzes (BHG) vom 19. August 1964 (BGBl I 1964, 675, BStBl I 1964, 509) nachgebildet. Anders als im BHG hat der Gesetzgeber jedoch begünstigte und nicht begünstigte Unternehmen nicht nach der durchschnittlichen Arbeitnehmerzahl im Veranlagungszeitraum, sondern nach der Zahl der an einem Stichtag des Vorjahres beschäftigten Arbeitnehmer voneinander abgegrenzt.
Mit diesem Stichtagskriterium sollte nicht das dem BHG und dem 2. VermBG gemeinsame Prinzip geändert werden, die Vergünstigung auf kleinere Unternehmen zu beschränken. Es sollte lediglich dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden, zeitlich vor der Vereinbarung vermögenswirksamer Leistungen die angestrebte Steuerermäßigung abschätzen zu können (vgl. Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 14 des 3. VermBG Anm. 13). Der Gesetzgeber versuchte, ein für die Praxis einfacheres Kriterium zu schaffen als im BHG, das eine Beurteilung erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zuließ. Dabei ist die Möglichkeit eines im Vorjahr noch nicht existierenden Steuerpflichtigen offensichtlich übersehen worden, zumal die Vergünstigung in erster Linie natürliche Personen betraf, bei denen diese Frage nicht auftrat.
5. Soweit ein Gesetz Regelungslücken aufweist, die als planwidrige Unvollkommenheit anzusehen sind, ist die Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen zur Lückenausfüllung berechtigt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Januar 1984 VI R 194/80, BFHE 140, 246, BStBl II 1984, 315; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 120). Ist der Gesamtplan des Gesetzgebers klar ersichtlich, so können ungewollte Unvollständigkeiten des Gesetzes durch Schließung der Lücken behoben werden. Bringt der bloße Gesetzeswortlaut das teleologische Konzept eines Gesetzes nur bruchstückhaft oder lückenhaft zum Ausdruck, liegt die Vervollkommnung des unvollständigen Gesetzestextes zu einem stimmigen Konzept im Auftrag der Rechtsanwendung (Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 13 ff.). Mit der entsprechenden Lückenausfüllung wird dem Gesetzgeber nicht der Vorrang streitig gemacht.
6. Das FG hat zutreffend angenommen, daß anstelle des auf neugegründete Gesellschaften nicht anwendbaren Stichtags im Vorjahr ein Hilfsstichtag zu wählen ist (vgl. insoweit FG Münster, Urteil vom 13. September 1979 III/II 2711/77 F, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 206).
a) Ohne Stichtagsregelung könnte die Beschäftigtenzahl nur entsprechend der Durchschnittsregelung des § 21 BHG geprüft werden. Diese erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums mögliche Prüfung wollte der Gesetzgeber jedoch durch das Stichtagskriterium des 2. und 3. VermBG vermeiden. Aus diesem Grunde muß die Gesetzeslücke durch eine Stichtagsregelung ausgefüllt werden.
b) Als Stichtag ist der Beginn der Geschäftstätigkeit, frühestens der Beginn der Körperschaftsteuerpflicht anzusetzen. Nur ein früherer Stichtag entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die Steuervergünstigungen bereits vor Abschluß der Vereinbarungen über die vermögenswirksamen Leistungen überschaubar zu machen. Diesem Ziel entspricht ein Stichtag, der dem tatsächlichen Geschäftsbeginn der Gesellschaft möglichst nahekommt, jedoch nicht vor dem Beginn der Körperschaftsteuerpflicht liegt.
c) Im Streitfall begann die Körperschaftsteuerpflicht der Klägerin am 2. Januar 1983. Wird ein Gründungsvertrag zivilrechtlich auf einen Zeitpunkt vor Abschluß des Vertrages zurückbezogen, so kann diese Rückbeziehung steuerlich anerkannt werden, wenn die Rückwirkung nur eine kurze Zeitspanne umfaßt und die Anerkennung der Rückwirkung nach den Umständen des Falles vertretbar erscheint (BFH-Urteile vom 5. Dezembr 1963 IV 432/62, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 426; vom 1. Oktober 1969 I R 120/67, BFHE 97, 27, BStBl II 1969, 742; vom 24. Januar 1979 I R 202/75, BFHE 128, 33, BStBl II 1979, 581; vom 9. April 1981 I R 157/77, BFHE 134, 404, BStBl II 1982, 362; vgl. auch Herrmann / Heuer / Raupach, a. a. O., § 1 KStG Anm. 86).
Im Sinne dieser Rechtsprechung kann der Zeitraum von zwei Monaten zwischen der Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und dem zurückbezogenen Geschäftsbeginn der Klägerin steuerlich noch anerkannt werden. In einem solchen Fall beginnt die Körperschftsteuerpflicht bereits mit dem Tag der zurückbezogenen Wirksamkeit des Gründungsvertrages.
d) Dementsprechend hat das FG zutreffend auf die Zahl der am 2. Januar 1983 bei der Klägerin tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt. Da diese Zahl über 50 lag, steht der Klägerin kein Anspruch auf Steuerermäßigung nach § 14 Abs. 1 des 3. VermBG zu.
Fundstellen
Haufe-Index 416975 |
BFH/NV 1991, 564 |