Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des einwandfreien Nachweises der erforderlichen Sachkunde für eine prüfungsbefreite Zulassung nach dem vor dem Inkrafttreten des StBerG geltenden Recht.
Normenkette
AO § 107
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger prüfungsbefreit als Steuerberater zu bestellen ist. Persönliche Eignung und Zuverlässigkeit des Klägers sind nicht streitig. Die Frage, ob er die für einen Steuerberater erforderliche Sachkunde aufweist, ist noch nach altem, vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten - StBerG - (1. November 1961) geltendem Recht zu beurteilen.
Der Kläger hat eine zum Hochschulstudium berechtigende Abschlußprüfung abgelegt, einige Semester Rechtswissenschaft studiert, ist bei einem Amtsgericht, einem Rechtsanwalt, einem Notar, bei einem Haus- und Grundbesitzerverein (hinsichtlich Hypothekenumstellung) und in der Erbschaftsteuerstelle eines Finanzamts (FA) tätig gewesen, im Juni 1950 als Finanzanwärter in den Dienst der Finanzverwaltung eines Landes eingetreten und hat die Steuerinspektorenprüfung im Juli 1953 bestanden. Vom 1. August 1953 ab ist er als Sachbearbeiter des Veranlagungsdienstes und einer Umsatzsteuervergütungsstelle, vom 1. Februar 1957 als Amtsbetriebsprüfer verwendet worden. Außerdem hat er weiter studiert, und zwar Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, und 1955 den akademischen Grad eines Diplom-Kaufmanns erworben. Im Januar 1958 ist er auf eigenen Wunsch aus der Finanzverwaltung ausgeschieden und hat die Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen erhalten. In seiner Praxis hat er Mitte 1961 drei Angestellte beschäftigt; sein Umsatz hat 1960 rund 52.000 DM, 1961 rund 74.000 DM betragen.
1961 beantragte er bei der Oberfinanzdirektion (OFD), ihn prüfungsbefreit als Steuerberater zuzulassen. Die OFD lehnt den Antrag mit Entscheidung vom 7. Juli 1961 ab, der Finanzminister wies die Beschwerde zurück.
Auch die dagegen gerichtete Berufung, die jetzt als Klage anzusehen ist, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt den einwandfreien Nachweis der für den Beruf des Steuerberaters erforderlichen Sachkunde nicht für gegeben. Es führte hierzu insbesondere aus: Das Verlangen der Finanzverwaltungsbehörden, eine Steuerberaterprüfung abzulegen, könne nur dann eine unrichtige Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Sachkunde" und damit eine Rechtsverletzung darstellen, wenn ein Bewerber die in der Regel nur durch eine Prüfung zu erforschende und für den Beruf eines Steuerberaters notwendige vielseitige Sachkunde auf sonstige Weise einwandfrei, d. h. in einer über jeden Zweifel erhabenen Weise nachgewiesen habe. Beim Kläger sei das nicht der Fall. Der berufliche Werdegang des Klägers lasse seine Sachkunde nicht derart offenkundig erscheinen, daß in der Ablehnung der prüfungsbefreiten Zulassung durch die Finanzverwaltungsbehörden eine Rechtsverletzung zu erblicken wäre. Damit sei jedoch nichts über die tatsächlich vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers gesagt. Die erkennende Kammer halte es "für möglich, daß der Kläger über die für den Beruf eines Steuerberaters erforderliche Sachkunde verfügt". Es fehle jedoch an dem eindeutigen Nachweis dieser Sachkunde. "Weder die frühere Tätigkeit des Klägers in der Finanzverwaltung, noch die mit dem Prädikat "befriedigend" bestandene Steuerinspektorenprüfung bzw. Diplomprüfung für Kaufleute, noch seine Tätigkeit als Helfer in Steuersachen" seien geeignet, die für den Beruf eines Steuerberaters erforderliche Sachkunde einwandfrei darzutun.
Der Kläger begründet die von ihm eingelegte Rb., die nunmehr als Revision zu behandeln ist, u. a. damit, daß das FA an den einwandfreien Nachweis der für einen Steuerberater erforderlichen Sachkunde zu strenge Anforderungen gestellt und den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt habe. Die Steuerinspektorenprüfung hätte nicht geringer bewertet werden dürfen als die Steuerberaterprüfung. Das FG hätte auch nicht die vom Kläger bereits in der Vorinstanz geltend gemachten Gründe außer den Prüfungen außer acht lassen dürfen und den besonderen Umständen des Streitfalls Rechnung tragen müssen. Aus der vom Kläger dem Bundesfinanzhof (BFH) überreichten Bearbeitung zweier Steuerrechtsfälle ergebe sich, daß der Kläger, die ihm von seinen Mandanten übertragenen Sachen in qualifizierter Weise behandele. Der Kläger beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und zu erkennen, daß er prüfungsbefreit als Steuerberater zuzulassen ist.
Die Finanzverwaltungsbehörde hält den Nachweis der für einen Steuerberater erforderlichen Sachkunde nicht für erbracht und "somit nicht" für "offenkundig". Steuerinspektoren- und Steuerberaterprüfung seien nach Zweck und Wesensgehalt verschieden. Auch nach dem Gesamtbild sei der Nachweis für einen Steuerberater erforderlichen Sachkunde nicht erbracht. Die Behörde beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Zwar trifft es zu und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß das Bestehen der Steuerinspektorenprüfung und die Tätigkeit als Sachbearbeiter bzw. Amtsbetriebsprüfer als solche sowie der Erwerb des akademischen Grades des Diplom-Kaufmanns noch nicht den einwandfreien Nachweis der für einen Steuerberater erforderlichen Sachkunde erbringen. Jedoch weist der Kläger zutreffend darauf hin, daß die Vorinstanzen die Anforderungen, die an den "einwandfreien" Nachweis der Sachkunde eines Steuerberaters nach altem Recht zu stellen waren, überspannt haben. Der Senat vermag auch nicht der Auffassung des FG zu folgen, zu einer anderen Entscheidung bestehe schon deshalb keine Veranlassung, weil "viele mit dem Bf. vergleichbare ehemalige Angehörige der Finanzverwaltung bzw. Helfer in Steuersachen im Vertrauen auf die gesetzliche Regelung und die von der Rechtsprechung gebilligte Verwaltungspraxis darauf verzichtet" haben, "ihre prüfungsfreie Zulassung zu beantragen, bzw. sich der Steuerberaterprüfung unterzogen" haben; es sei auch mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren, bei der Entscheidung über einen kurz vor Verkündung des StBerG gestellten Antrag eines Helfers in Steuersachen auf prüfungsbefreite Zulassung als Steuerberater die "bisher an den Nachweis der" erforderlichen "Sachkunde gestellten Anforderungen zu mildern", weil sich aus dem seit dem 1. November 1961 geltenden StBerG der Wille des Gesetzgebers ergebe, eine prüfungsbefreite Zulassung als Steuerberater auf bestimmte, hier nicht in Betracht kommende Fälle zu beschränken. Denn einmal ist in keiner Weise dargetan, daß es sich um dem Streitfall "vergleichbare" Fälle handelte; zum anderen läge selbst dann, wenn in "vergleichbaren" Fällen andere ihre Rechte nach dem damaligen Stande der Rechtsprechung des BFH nicht wahrgenommen hätten, kein Grund vor, dem Kläger, der im Prozeßwege um sein Recht kämpft, dies zu verweigern. Der Gleichheitsgrundsatz wird also durch eine dem Kläger günstige Entscheidung nicht verletzt, auch nicht im Hinblick auf das die Rechtslage verschärfende StBerG, das erst am 1. November 1961 in Kraft getreten ist, dessen Vorschriften über die Steuerberaterprüfung und über die Voraussetzungen einer prüfungsbefreiten Bestellung als Steuerberater im Streitfall also noch nicht gelten.
Der Kläger macht weiter zutreffend geltend, die Vorinstanz gäbe selbst zu, daß sie es für möglich halte, daß der Bf. über die für den Beruf eines Steuerberaters erforderliche Sachkunde verfüge. Wenn die Vorinstanz die vom Kläger geltend gemachten Umstände noch nicht für ausreichend für den Sachkundenachweis hielt, so war sie nach §§ 204, 243 AO a. F. verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, gegebenenfalls den Kläger auch zu weiteren Nachweisen aufzufordern.
Die Vorentscheidung kann sonach nicht aufrechterhalten werden. Die nicht spruchreife Sache geht an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Dabei wird zu beachten sein:
Die Größe der Praxis und große Umsätze in ihr sind allerdings, wie dem FG zuzugeben ist, kein "einwandfreier" Nachweis für das Vorhandensein der für einen Steuerberater erforderlichen Sachkunde eines Bewerbers um prüfungsbefreite Bestellung als Steuerberater; es kommt in erster Linie auf die Art der Praxis und die qualifizierte Bearbeitung der Sachen an. Das Gesamtbild ist entscheidend. Dabei kann auch die Zusammensetzung des Mandantenkreises eines Bewerbers eine Rolle spielen. Setzt sich dieser aus größeren Firmen (auch Einzelfirmen) mit sehr erheblichen Umsätzen und Gewinnen zusammen, so kann das für den Bewerber sprechen, da bei solchen Firmen erfahrungsgemäß schwierige Rechtsfragen entstehen. Auch kann es von Bedeutung sein, wenn derartige Mandanten in erheblichem Umfang zu der Praxis des Bewerbers hinzukommen. Im Streitfall ist es nicht beachtlich, daß der Kläger Mandanten in verschiedenen Städten der Bundesrepublik hat. Gegebenenfalls anhand vom Kläger bereits benannter und etwa einiger weiter zu benennender Mandanten sowie der Unterlagen der für sie zuständigen Fä wird sich das FG in geeigneter Weise ein Bild von der Art der Bearbeitung durch den Kläger zu machen haben. Die zu den Revisionsakten vom Kläger eingereichten Unterlagen über einen von ihm bearbeiteten Vermögensteuerfall sind mit zu berücksichtigen. Nicht nur Schriftsätze in bei Steuergerichten anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren, sondern auch gute Bearbeitung sonstiger schwieriger Steuersachen, auch von Einspruchsschriftsätzen, kann eine qualifizierte Bearbeitung erweisen; das FG wird in dieser Hinsicht den Streitfall aufzuklären und zu würdigen haben. Daß der Kläger zwei seiner Angestellten während ihrer Tätigkeit bei ihm mit Erfolg zur Steuerbevollmächtigtenprüfung vorbereitet hat, spricht zwar für seine Tüchtigkeit, sagt aber noch nichts über seine Befähigung als Steuerberater aus. Bei der Beurteilung des Gesamtbildes wird aber nicht außer acht gelassen werden dürfen, daß dem Kläger bereits in der Beurteilung des Vorstehers des FA vom 8. November 1954 gute Auffassungsgabe und Geschick bescheinigt worden sind und daß er sich durch seine zeitweilige frühere Beschäftigung auch beim Gericht, bei einem Rechtsanwalt und bei einem Notar u. a. auch bürgerlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Kenntnisse und gewisse Erfahrungen auf derartigen Rechtsgebieten verschafft hat.
Fundstellen
Haufe-Index 412332 |
BStBl III 1966, 695 |
BFHE 1967, 20 |
BFHE 87, 20 |