Leitsatz (amtlich)
1. Eine rechtsfähige Stiftung im Sinne des bürgerlichen Rechts ist keine Personenvereinigung im Sinne des § 4 KVStG.
2. § 1 Abs. 2 StAnpG, wonach bei der Auslegung der Steuergesetze auch die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen ist, kann jedenfalls insoweit, als es sich um die Begründung der Steuerpflicht handelt, nur in dem Sinne verstanden werden, daß sich der das Gesetz Auslegende im Rahmen des möglichen Wortsinnes zu halten hat.
Normenkette
KVStG 1959 § 4; StAnpG § 1 Abs. 2
Tatbestand
Das FA - Revisionsbeklagter - zog die Revisionsklägerin - eine AG - durch den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid zur Gesellschaftsteuer heran. Der Steuerfestsetzung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Auf Grund von Darlehensverträgen vom 31. Dezember 1959 und vom 31. März 1960 gewährte die Unterstützungskasse der X-AG der Revisionsklägerin zwei Darlehen in Höhe von je 1 Million DM. Die X-AG ist mit einer Beteiligung von rund 90 % Hauptaktionär der Revisionsklägerin. Diese ist Organgesellschaft der X-AG; es besteht ein Gewinn- und Verlustübernahmevertrag. Die Unterstützungskasse der X-AG ist eine von der AG im Jahre 1937 errichtete rechtsfähige Stiftung im Sinne des BGB. Sie hat den Zweck, Betriebsangehörige der AG und deren Hinterbliebene in Notfällen oder bei Arbeitsunfähigkeit durch einmalige und laufende Beihilfen zu unterstützen. Ihr Vermögen wird u. a. aus steuerrechtlich anerkannten Zuweisungen der X-AG gebildet. Das Stiftungsvermögen wird durch den Verwaltungsrat verwaltet. Dieser besteht aus dem Betriebsführer, zwei bis fünf Mitgliedern des Aufsichtsrats und zwei Betriebsangehörigen der X-AG. Die Beschlüsse des Verwaltungsrates werden von dessen Vorsitzenden nach Anhörung der übrigen Mitglieder gefaßt. Wird für Beschlüsse des Verwaltungsrates keine Übereinstimmung erzielt, muß abgestimmt werden; bei Abstimmungen zählt die Stimme des Vorsitzenden doppelt.
Der Einspruch und die Berufung blieben erfolglos. Das FG war der Ansicht (EFG 1962 S. 263 Nr. 279), der Gesetzgeber wolle den Begriff Personenvereinigung im Sinne des § 4 KVStG als jeden nach bürgerlichem Recht nur denkbaren Zusammenschluß von Personen oder als den Zusammenschluß zum Zwecke der Bildung einer rechtlich verselbständigten Vermögensmasse verstanden wissen.
Mit der Revision wird geltend gemacht, § 4 KVStG dürfe nicht auf Fälle der vorliegenden Art ausgedehnt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Es braucht nicht geprüft zu werden, ob es sich bei den im Streit befangenen Darlehen um solche handelt, durch die eine nach Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt wurde (§ 3 Abs. 1 KVStG). Die Steuerpflicht kann nicht darauf gestützt werden, die Darlehen seien von Gesellschaftern oder von Personenvereinigungen im Sinne des § 4 KVStG gewährt worden. Darlehensgeber war eine rechtsfähige Stiftung im Sinne der §§ 80 ff. BGB; eine solche Stiftung ist keine Personenvereinigung in dem erwähnten Sinne.
I.
Aus § 4 KVStG ergibt sich, daß die Steuerpflicht nach den §§ 2 Nr. 2 bis 6 und 3 KVStG auch dann besteht, wenn die in diesen Bestimmungen umschriebenen Tatbestände nicht durch Gesellschafter, sondern durch Personenvereinigungen verwirklicht werden, an denen die Gesellschafter als Mitglieder oder Gesellschafter beteiligt sind.
1. Nach dem Wortsinn, dem der Senat in seiner neueren Rechtsprechung entscheidende Bedeutung beigemessen hat (Urteile II 19/58 S vom 22. November 1962, BFH 76, 179, BStBl III 1963, 64; II 197/61 U vom 12. Februar 1964, BFH 79, 116, BStBl III 1964, 274; II 215/61 vom 23. März 1966, BFH 86, 402), kann Personenvereinigung nur ein Rechtsgebilde sein, das auf einem Zusammenschluß einer Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen beruht (vgl. Mirre-Dreutter, Köperschaftsteuergesetz, § 8, Anm. 2; vgl. auch Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 12 S. 71 [74]). Der Zusatz "an denen die Gesellschafter als Mitglieder oder Gesellschafter beteiligt sind" stellt klar, daß es sich um einen Zusammenschluß zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes handeln muß. Da das Gesetz keine entsprechende Einschränkung enthält, ist der Schluß gerechtfertigt, daß sich § 4 KVStG sowohl auf rechtsfähige als auch auf nichtrechtsfähige Personenvereinigungen bezieht.
2. Eine rechtsfähige Stiftung im Sinne des bürgerlichen Rechts ist keine Personenvereinigung. Sie beruht nicht auf dem Zusammenschluß einer Mehrheit von Personen (vgl. Denecke in Kommentar der Reichsgerichtsräte zum BGB, 11. Aufl., § 80 BGB Anm. 1) mit dem Ziel, einen gemeinsamen Zweck zu erreichen. Im gleichen Sinne definiert Siebert in Soergel-Siebert, BGB, 9. Aufl., vor § 80 BGB Randziffern 5 und 8 (mit Nachweisen) die Stiftung als eine mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Einrichtung, die nicht Personenverband sei und deren Aufgabe darin bestehe, den bei der Errichtung gesetzten dauernden Zweck mit Hilfe einer Vermögensausstattung zu erreichen. Eine Beteiligung als Gesellschafter oder als Mitglied an einer Stiftung ist definitionsgemäß unmöglich (vgl. Staudinger-Coing, BGB, 11. Aufl., Vorbemerkung 2 zu §§ 80 bis 89 BGB; Kinnebrock, Kapitalverkehrsteuergesetz, 3. Aufl., § 5 Anm. III 3 am Ende).
II.
Das Ergebnis der Wortauslegung des § 4 KVStG kann im Streitfall nicht durch eine ausdehnende Auslegung mit Rücksicht auf den Zweck der Bestimmung in Frage gestellt werden (vgl. hierzu die unter I, 1 angeführten Entscheidungen des Senats). Mit § 4 KVStG wird - ebenso wie dies bei dem ihm entsprechenden § 7 KVStG 1922 der Fall war - der Zweck verfolgt, Steuerumgehungen zu vermeiden (Urteil II 19/58 S a. a. O.). Der Steuerpflicht soll nicht dadurch ausgewichen werden könne, daß die Leistung oder das Darlehen durch eine Einrichtung bewirkt bzw. gewährt wird, auf die der der empfangenden Gesellschaft angehörende Gesellschafter als Mitglied oder als Gesellschafter Einfluß ausüben kann; diesen Zweck bringt das Gesetz in § 4 KVStG auch mit der Überschrift "Doppelgesellschafter" zum Ausdruck.
Zwar ergibt sich aus der amtlichen Begründung zu § 4 KVStG 1934 (RStBl 1934, 1460, 1466), daß bei der Schaffung des KVStG 1934 davon ausgegangen wurde, § 4 KVStG sei entsprechend der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zu § 7 KVStG 1922 einer "über den in ihm behandelten Regelfall" hinausgehenden Auslegung fähig. Diese Auffassung ist weder mit dem Wortlaut der Bestimmung vereinbar, noch deckt sie sich mit dem durch den Wortsinn und durch die amtliche Überschrift des § 4 KVStG zum Ausdruck gebrachten Zweck. Der vom Gesetzgeber mit dem Erlaß einer Vorschrift verfolgte Zweck ist für die Auslegung jedoch nur insoweit maßgebend, als er im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist (BVerfGE 13, 261, 268).
III.
Die angefochtene Entscheidung kann auch nicht mit Rücksicht auf die Änderung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung im Wege der Lückenausfüllung bestehenbleiben. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich die dem § 4 KVStG zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse in dem Sinne gewandelt haben, daß im Wirtschaftsleben nach Erlaß des Gesetzes Gestaltungsformen gefunden und gebräuchlich wurden, die - ohne unter § 6 StAnpG zu fallen - den vom Gesetz mit Steuer belegten wirtschaftlichen Erfolg ermöglichen, ohne indessen die im Gesetz fixierten Tatbestandsmerkmale zu erfüllen. In § 1 AO wird der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung zum Ausdruck gebracht (vgl. hierzu Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 115 ff.; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. § 1 AO Anm. 13); diese Norm spricht u. a. von der Erfüllung des Tatbestandes, an den das Gesetz die Steuer knüpft. Die Fixierung der Tatbestandsmerkmale, die eine Steuer auslösen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
§ 1 Abs. 2 StAnpG, wonach bei der Auslegung der Steuergesetze auch die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen ist, kann jedenfalls insoweit, als es sich um die Begründung einer Steuerpflicht handelt, nur in dem Sinne verstanden werden, daß sich der das Gesetz Auslegende im Rahmen des möglichen Wortsinnes zu halten hat. Wird dieser Rahmen der Auslegung im engeren Sinne nicht mehr eingehalten, sondern das Gesetz im Wege der Rechtsfortbildung ergänzt, so liegt in Wahrheit eine Ausweitung des Steuertatbestandes durch den Auslegenden vor. Die Ausweitung des im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Tatbestandes über den Wortsinn hinaus ist jedoch nicht statthaft. Es ist dem Gesetzgeber vorbebalten, den Kreis der steuerbaren Tatbestände zu bestimmen (vgl. hierzu BVerfGE 13, 318, 328 unter III 3). In diesen dem Gesetzgeber vorbehaltenen Bereich würden die Verwaltung und die Gerichte eingreifen, wenn sie einen Steuertatbestand über die im Gesetz - durch den möglichen Wortsinn begrenzt - zum Ausdruck gebrachten Wertvorstellungen hinaus ausweiten. Dies wäre weder mit dem Rechtsstaatsprinzip, noch mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der die Exekutive auf die Ausführung der Gesetze beschränkt, vereinbar (BVerfGE 13, 153, [161], vgl. auch BVerfGE 13, 318 [328]).
IV.
Da das FG nach der hier vertretenen Rechtsauffassung den § 4 KVStG zu Unrecht angewandt hat, muß seine Entscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Revisionsbeklagte hat im Verfahren vor dem FG ausgeführt, ohne die Vorschrift des § 4 KVStG 1959 hätte er die Steuerfestsetzung u. a. auf § 6 StAnpG gestützt. Das FG brauchte sich von seinem Standpunkt aus mit dieser Frage nicht auseinanderzusetzen. Da die bisherigen - auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 4 KVStG gerichteten - tatsächlichen Feststellungen des FG die Anwendung des § 6 StAnpG nicht rechtfertigen können, jedoch die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das FA seinen bisherigen Sachvortrag insoweit ergänzt, muß die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 412858 |
BStBl II 1968, 216 |
BFHE 1968, 132 |