Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlaufhemmung für die Festsetzung der Investitionszulage?
Leitsatz (amtlich)
Für die erstmalige Festsetzung der Investitionszulage besteht eine Anlaufhemmung weder nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 noch nach § 170 Abs. 3 AO 1977. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO 1977 greift indes für die Aufhebung oder Änderung von unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführten Festsetzungen der Investitionszulage mit der Folge ein, dass der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 nicht vor dem Ablauf der durch § 170 Abs. 3 AO 1977 verlängerten Änderungsfrist wegfällt.
Normenkette
AO 1977 § 155 Abs. 4, § 164 Abs. 2, 4, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1-3; FGO § 44 Abs. 1; InvZulG 1991 § 4 S. 1, § 7 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
FG Mecklenburg-Vorpommern |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Apotheke in X (Fördergebiet). Sie beantragte mit Antrag vom 22. Juni 1992 für das Kalenderjahr 1991 eine Investitionszulage in Höhe von 22 812 DM nach einer Bemessungsgrundlage von 190 096 DM. Darin enthalten waren u.a. Anschaffungskosten für eine "Küche" in Höhe von 7 500 DM und eine Einbruchmeldeanlage in Höhe von 9 600 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte die Investitionszulage mit Bescheid vom 10. Juli 1992 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung antragsgemäß fest. Im Anschluss an Beanstandungen des Landesrechnungshofs vom 26. November 1996 erließ das FA unter dem 18. Dezember 1996 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Investitionszulagenbescheid und setzte die Investitionszulage für 1991 auf 20 760 DM herab. Es versagte nunmehr die Investitionszulage für die Alarmanlage (1 152 DM) und für die "Küche" (900 DM).
Mit Schreiben vom 6. Januar 1997 legte die Klägerin gegen den geänderten Bescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Unter Hinweis auf Tz. 93 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 28. August 1991 IV B 3 -InvZ 1010- 13/91 (BStBl I 1991, 768, 777) vertrat die Klägerin die Auffassung, der Vorbehalt der Nachprüfung sei nach § 164 Abs. 4 AO 1977 entfallen. Bereits zum 31. Dezember 1995 sei nämlich die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 abgelaufen gewesen.
Mit Bescheid vom 24. Januar 1997 lehnte das FA den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 1997 Einspruch ein und teilte außerdem mit, dass sie ihren Einspruch gegen den Investitionszulagen-Änderungsbescheid für 1991 vom 18. Dezember 1996 aufrechterhalte.
Den gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 1997 als unbegründet zurück. Mit Schriftsatz vom 25. Februar 1997 erhob die Klägerin Klage. Dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Investitionszulagen-Änderungsbescheides für 1991 gab das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 13. August 1997 statt. Während des Klageverfahrens wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 1997 den gegen den Investitionszulagen-Änderungsbescheid für 1991 eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
Das FG gab der Klage statt. Es führt u.a. aus, den ursprünglichen Investitionszulagenbescheid für 1991 habe das FA weder nach § 164 Abs. 2 AO 1977 noch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ändern dürfen. Der Vorbehalt der Nachprüfung sei gemäß § 164 Abs. 4 AO 1977 entfallen, weil die vierjährige Festsetzungsfrist bereits am 31. Dezember 1995 gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO 1977 abgelaufen gewesen sei. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO 1977 greife nicht ein. Diese Vorschrift enthalte eine Sonderregelung allein für die spätere Änderung, Aufhebung oder Berichtigung nach § 129 AO 1977. Im Rahmen des § 164 Abs. 4 AO 1977 gehe es indes nicht um solche Vorgänge. Vielmehr laufe für den Vorbehaltsbescheid die "normale" vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 AO 1977. § 164 Abs. 4 AO 1977 betreffe nur die Festsetzungsfrist für die erstmalige Festsetzung, nicht hingegen diejenige für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung (vgl. zur Unterscheidung Baum in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 170 Rz. 12; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 170 AO 1977 Rz. 26; Hartmann in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 170 AO 1977 Rdnr. 21). Die Regelung in § 170 Abs. 3 AO 1977 laufe bei einer solchen Auslegung auch nicht "ins Leere". Sie erfasse alle Änderungen, die nicht vom Bestand eines entsprechenden Änderungsvorbehaltes abhingen.
Eine Änderungsbefugnis des FA lasse sich auch nicht aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 herleiten, da dem FA im Zeitpunkt der Antragstellung die für eine zutreffende rechtliche Beurteilung der Alarmanlage und der "Küche" maßgebenden Tatsachen bekannt gewesen seien. Das FA habe die Änderung lediglich infolge einer geänderten rechtlichen Beurteilung vorgenommen.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§§ 164 Abs. 4 Satz 1, 170 Abs. 3 AO 1977).
Bei der Prüfung, ob der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist weggefallen sei, müsse die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO 1977 berücksichtigt werden. § 164 Abs. 2 AO 1977 stelle eine Änderungsnorm i.S. von § 170 Abs. 3 AO 1977 dar. Sowohl §§ 164, 165 AO 1977 als auch die §§ 172 f. AO 1977 ließen eine Durchbrechung der materiellen Bestandskraft zu. Es sei auch kein sachlicher Grund erkennbar, warum auf § 164 AO 1977 beruhende Änderungen anders als Änderungen aufgrund der §§ 172 ff. AO 1977 im Rahmen des § 170 Abs. 3 AO 1977 zu behandeln seien.
Die Berechnung der Festsetzungsfrist im Rahmen des § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 umfasse die Regelungen zur Festsetzungsverjährung in den §§ 169 bis 171 AO 1977. Nach § 164 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 seien lediglich die darin ausdrücklich genannten besonderen Bestimmungen zur Festsetzungsverjährung nicht anzuwenden. Danach sei die Festsetzungsverjährung im Streitfall erst zum 31. Dezember 1996 abgelaufen gewesen und der Investitionszulagen-Änderungsbescheid für 1991 vom 18. Dezember 1996 zu Recht auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt worden.
Dieser Änderungsbescheid sei auch inhaltlich zu Recht ergangen. Die Alarmanlagen seien als wesentliche Gebäudebestandteile nicht zulagenbegünstigt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Februar 1993 IX R 85/88, BFHE 170, 547, BStBl II 1993, 545). Die einzelnen Möbelstücke der Küche gehörten zu den ebenfalls nicht zulagenfähigen geringwertigen Wirtschaftsgütern. Die Aufwendungen für die Spüle und den Herd gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes bzw. bei Ersatz für schon vorher vorhandene Gebäudebestandteile zu den Erhaltungsaufwendungen (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1990 IX R 104/85, BFHE 160, 29, BStBl II 1990, 514).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Entgegen der Ansicht des FG hat das FA den Investitionszulagen-Änderungsbescheid für 1991 zu Recht nach § 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AO 1977 erlassen.
Das FG hat ausgehend von seiner abweichenden Rechtsauffassung jedoch keine Feststellungen zu den im Änderungsbescheid von der Gewährung einer Investitionszulage ausgenommenen Wirtschaftsgütern ―Alarmanlage und Kücheneinrichtung― getroffen, sodass der erkennende Senat nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Investitionszulagenbescheides entscheiden kann.
1. Zutreffend hat das FG die Klage als zulässig beurteilt.
Zwar war im Streitfall die Einspruchsentscheidung über den gegen den Investitionszulagen-Änderungsbescheid vom 18. Dezember 1996 eingelegten Einspruch und mit der Klage angefochtenen Bescheid im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht ergangen. Dieser Mangel ist indes dadurch geheilt worden, dass das beklagte FA während des finanzgerichtlichen Verfahrens über den Einspruch durch zurückweisende Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 1997 entschieden und die Klägerin die Klage aufrecht erhalten hat.
Der ganz oder zumindest teilweise erfolglose Abschluss des Vorverfahrens stellt eine Sachentscheidungsvoraussetzung dar, ohne deren Vorliegen ―abgesehen von den Sonderregelungen in den §§ 45, 46 FGO― kein Sachurteil ergehen kann. Allerdings genügt es, wenn diese Sachentscheidungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG vorliegen (BFH-Urteil vom 14. Juli 1992 VIII R 86/89, BFH/NV 1993, 38, 39). Die Klage wächst dann in die Zulässigkeit hinein (grundlegend BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521, ständige Rechtsprechung; Hübschmann/Hepp/ Spitaler, a.a.O., § 44 FGO, Rz. 100 ff., m.w.N.).
2. a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 sind die für die Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO 1977 auf die Investitionszulage entsprechend anwendbar. § 155 Abs. 4 AO 1977 bestimmt, dass die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden sind. Wird eine Steuervergütung ―wie die Investitionszulage― nur auf Antrag festgesetzt (§ 6 InvZulG 1991), so beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) grundsätzlich nach § 170 Abs. 1 AO 1977 mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. der Anspruch entstanden ist. Der Anspruch auf Investitionszulage entsteht nicht mit der Verwirklichung eines einzelnen Investitionstatbestandes (vgl. auch die Regelung in § 4 Satz 1 InvZulG 1991), sondern erst mit Ablauf des Kalenderjahres (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1999 III R 33/97, BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208).
b) Eine Anlaufhemmung besteht für die erstmalige Festsetzung der Investitionszulage weder nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 noch nach § 170 Abs. 3 AO 1977. Es besteht nämlich keine Pflicht zur Abgabe einer Erklärung bzw. eines Antrags auf Investitionszulage (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977; allgemein dazu BFH-Beschlüsse vom 27. April 1994 VIII B 119/93, BFH/NV 1995, 82, 83, m.w.N. zur Einkommensteuer; vom 4. Mai 1994 XI R 79/90, BFH/NV 1995, 83, zur Umsatzsteuer).
Dagegen beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung einer Festsetzung der Investitionszulage oder für deren Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag auf Investitionszulage gestellt worden ist. Dies beruht darauf, dass es sich bei der Investitionszulage um eine Steuervergütung handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Juli 1990 IX B 138/89, BFH/NV 1991, 159, unter Ziff. 3 der Gründe) die nur auf Antrag festgesetzt wird.
Die Anlaufhemmung dient grundsätzlich dem Zweck, der Finanzbehörde für die Änderung einer fehlerhaften Festsetzung auch dann noch ausreichende Zeit zu verschaffen, wenn der Antrag erst später gestellt worden ist (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 150; BFH-Beschluss in BFH/NV 1991, 159, unter Ziff. 3 der Gründe; BFH-Urteile vom 9. März 1990 VI R 87/89, BFHE 160, 202, BStBl II 1990, 608; vom 28. November 1990 VI R 115/87, BFHE 163, 536, BStBl II 1991, 488, 490, jeweils zum Beginn der Festsetzungsfrist im Falle des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich).
Bis zum In-Kraft-Treten des InvZulG 1999 (vgl. jetzt § 5 Abs. 3 InvZulG 1999; dazu Stuhrmann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 1999, § 5 InvZulG Rz. 1) galt für die Stellung des Antrags auf Gewährung einer Investitionszulage eine bis zum 30. September des auf die Beendigung der Investition folgenden Kalenderjahres laufende Ausschlussfrist (vgl. zu § 6 Abs. 1 InvZulG 1991 BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 III R 58/95, BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237, unter Ziff. 2 der Gründe, ständige Rechtsprechung). Damit war es zwar durch die Antragsfrist dem Antragsteller verwehrt, den Zeitraum der normalen, vierjährigen Festsetzungsverjährung für eine Antragstellung weitergehend auszunutzen. Indes war auch der Antrag auf Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs, für den der BFH (vgl. Urteil in BFHE 160, 202, BStBl II 1990, 608) die Anlaufhemmung ebenfalls bejaht hat, in vergleichbarer Weise bis spätestens zum 30. September des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahres zu stellen (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ―EStG― in den bis zum Kalenderjahr 1987 geltenden Fassungen).
Maßgebend für den Beginn der Frist nach § 170 Abs. 3 AO 1977 ist der Eingang des Antrages bei der Finanzbehörde (BFH-Beschluss in BFH/NV 1991, 159, unter Ziff. 3 d der Entscheidungsgründe, m.w.N.). Die Regelung des § 170 Abs. 3 AO 1977 hat zur Folge, dass die Festsetzungsfrist für die erstmalige Festsetzung und diejenige für eine Aufhebung oder Änderung der ursprünglichen Festsetzung getrennt zu berechnen ist (BFH-Urteil in BFHE 160, 202, BStBl II 1990, 608, unter Ziff. 3 der Entscheidungsgründe; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 170 AO 1977 Rz. 12 und 26; Hartmann in Beermann, a.a.O., § 170 AO 1977 Rz. 21; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 164 Rz. 58 und § 170 Rz. 17; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 170 AO 1977 Tz. 19; Rüsken/ Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 170 Rz. 26; Baum in Koch/ Scholz, a.a.O., § 170 Rz. 12, und das die Investitionszulage betreffende Beispiel unter Rz. 14; Pump/Lohmeyer, Abgabenordnung, § 170 Rz. 21; Schöll/Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 170 Rz. 13).
c) Nach § 164 Abs. 4 AO 1977 entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind ―ausschließlich― die Regelungen in § 169 Abs. 2 Satz 2 und § 171 Abs. 7, 8 und 10 AO 1977 insoweit nicht anwendbar (vgl. dazu allgemein BFH-Urteile vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478, und vom 14. April 1999 XI R 15/99, BFH/NV 1999, 1311).
Für die Berechnung der danach maßgebenden Festsetzungsfrist werden dementsprechend mit Ausnahme der in § 164 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 ausgenommenen Regelungen grundsätzlich die Bestimmungen über die Festsetzungsfrist, insbesondere also über die Anlaufhemmung (§ 170 AO 1977) und über die Ablaufhemmung (§ 171 AO 1977) angewendet (vgl. Baum in Koch/Scholz, a.a.O., § 164 Rz. 33; Wörner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 60).
Weder aus § 164 Abs. 4 AO 1977 noch aus § 170 Abs. 3 AO 1977 lässt sich irgendein Anhaltspunkt dafür herleiten, dass bei der Berechnung der Festsetzungsfrist im Rahmen des § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 allein an die für die erstmalige Festsetzung geltende "normale" Festsetzungsfrist anzuknüpfen wäre. § 164 Abs. 4 AO 1977 betrifft gerade nicht die erstmalige Festsetzung, sondern soll eine Änderung oder Aufhebung eines bereits erlassenen Vorbehaltsbescheides ermöglichen (vgl. auch Baum in Koch/Scholz, a.a.O., § 170 Rz. 12). Im Gegenteil wird der Regelung in § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 lediglich eine deklaratorische Bedeutung beigemessen, weil eine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides bzw. Vergütungsbescheides mit Ablauf der Festsetzungsfrist ohnehin ausscheidet (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 164 AO 1977 Rz. 41). § 164 Abs. 4 AO 1977 dient, wie ausgeführt, nicht der erstmaligen Steuerfestsetzung, sondern soll die gegenüber der Reichsabgabenordnung kürzeren Fristen für die Festsetzung von Steuern zugunsten der Verwaltung durch die Vorbehaltsfestsetzung kompensieren (vgl. auch Begründung des Regierungsentwurfs zu § 164 AO 1977 bei Mittelsteiner/Schaumburg, Abgabenordnung 1977, 2. Aufl.; Trzaskalik, Steuer- und Wirtschaft 1993, 371, 373, m.w.N.).
Diesen, den Regelungen in § 164 Abs. 4 und § 170 Abs. 3 AO 1977 zugrunde liegenden gesetzgeberischen Zwecken liefe eine Auslegung zuwider, die die Anlaufhemmung gerade für den Regelfall der Vorbehaltsfestsetzung von Investitionszulagen ausschließen wollte (vgl. Maier, Deutsches Steuerrecht 1977, 214; BMF-Schreiben in BStBl I 1991, 768 Tz. 88).
Die Regelung der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bezweckt als zentrale Vorschrift der AO 1977 eine rasche Steuererhebung bzw. ―entsprechend dem Zweck der Fördergesetze― eine möglichst zügige Gewährung von Investitionszulagen. Sie soll dafür den Steuerfall offen halten und sowohl zugunsten des Fiskus als auch zugunsten des Steuerpflichtigen eine jederzeitige Änderung der Vorbehaltsfestsetzung in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht ermöglichen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. August 1998 V R 77/96, BFHE 186, 468, unter Ziff. II. 3. der Gründe, m.w.N.; vom 5. Dezember 1996 III B 4/95, BFH/NV 1997, 617, unter Ziff. 4. der Gründe).
Die Ausführungen des BMF im Schreiben in BStBl I 1991, 768, Tz. 93 zu § 170 Abs. 3 AO 1977 geben lediglich die Gesetzeslage wieder. Weder diese Interpretation noch die Erläuterung im Anwendungserlass zur AO 1977 vom 24. September 1987 (BStBl I, 664) zu § 170 AO 1977 unter Ziff. 3 enthalten Aussagen zur Berechnung der Festsetzungsfrist im Rahmen des § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977; ebenso wenig die Erläuterungen unter Ziff. 7 zu § 164 AO 1977 im Anwendungserlass.
3. a) In Anwendung dieses rechtlichen Maßstabs hat das FA zu Recht den Investitionszulagen-Änderungsbescheid für 1991 vom 18. Dezember 1996 auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 gestützt.
Der Anspruch auf Investitionszulage für das Streitjahr 1991 war mit dessen Ablauf entstanden. Der Beginn der für die erstmalige Festsetzung dieses Anspruchs geltenden vierjährigen Festsetzungsfrist (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1991 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, war hinsichtlich der auf § 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AO 1977 gestützten Änderung des Erstbescheides nach § 170 Abs. 3 AO 1977 indes bis zum Ablauf des Antragsjahres 1992 gehemmt. Die für die Änderung geltende vierjährige Festsetzungsfrist lief danach erst zum 31. Dezember 1996 ab.
b) Der Senat kann indes mangels entsprechender Feststellungen des FG nicht abschließend prüfen, ob das FA die Investitionszulage für die Alarmanlage und für die Kücheneinrichtung zu Recht zurückgefordert hat. Zur zulagenrechtlichen Behandlung von Alarmanlagen verweist der Senat auf sein Urteil vom 28. Oktober 1999 III R 55/97 (BFHE 190, 539, BStBl II 2000, 150, m.w.N). Ob die Kücheneinrichtung als Betriebsvorrichtung einer Apotheke in Betracht kommen kann, richtet sich im Übrigen nach den vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen, wonach insbesondere die als Betriebsvorrichtung zu qualifizierende Anlage dem Gewerbe nicht ausschließlich dienen muss. Vielmehr genügt es, dass die Anlage dem Betrieb als Hauptzweck dient (vgl. BFH-Beschluss vom 8. November 1999 III B 53/99, BFH/NV 2000, 485, m.w.N.; BFH-Urteil vom 6. August 1989 III R 28/97, BFHE 187, 124, BStBl II 2000, 144, unter Ziff. II. 2. der Entscheidungsgründe, m.w.N.).
Zur Frage der Anschaffung oder Herstellung von gemäß § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991 nicht zulagenbegünstigter geringwertiger Wirtschaftsgüter nimmt der Senat auf das zu einer aus genormten Teilen zusammengesetzten Schreibtischkombination ergangene Urteil vom 21. Juli 1998 III R 110/95 (BFHE 186, 572, BStBl II 1998, 789) Bezug sowie zur ertragsteuerlichen Beurteilung einer Einbauküche auf das Urteil des BFH vom 13. März 1990 IX R 104/85 (BFHE 160, 29, BStBl II 1990, 514, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 575638 |
BFH/NV 2001, 954 |
BStBl II 2001, 432 |
BFHE 194, 331 |
BFHE 2002, 331 |
BB 2001, 1081 |
DB 2001, 1540 |
DStR 2001, 842 |
DStRE 2001, 608 |
DStZ 2001, 513 |
HFR 2001, 777 |