Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verwertungsbefugnis ohne Substanzbeteiligung
Leitsatz (NV)
1. Im Unterschied zu § 1 Abs. 1 Nr. 6 und 7 GrEStG verlangt die Verwertungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GrEStG eine Beteiligung an der Grundstückssubstanz. Die bloße Möglichkeit zur Verfolgung eines eigenen wirtschaftlichen Interesses von der Art, den Grundstückskäufer zum Abschluss weiterer Verträge zu bestimmen, ergibt keine Substanzbeteiligung am Grundstück.
2. Verschafft der Grundstückseigentümer einem Bauunternehmen die Möglichkeit, das Grundstück mit dem noch zu erstellenden Gebäude als einheitlichen Erwerbsgegenstand anzubieten, erfüllt dies in der Person des Bauunternehmers nicht den Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Nrn. 6-7, Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Rat der Stadt … fasste im Juli 2001 folgenden Beschluss:
"Die Stadt … gewährt der Firma X-GmbH … eine Option für die in beiliegendem Lageplan markierten Grundstücke … bis zum 31. Dezember 2002. Die Verwaltung wird ermächtigt, einzelne Bauplätze an die Firma X-GmbH oder auch an die jeweiligen Einzelbauherren zum Preis von 350 DM/qm direkt zu veräußern, sobald Käufer vorhanden sind und die Planung mit dem Amt für Stadtentwicklung, Abteilung Stadtplanung, inhaltlich abgestimmt ist. Die erforderliche Neuvermessung der Grundstücke in Einzelhausbauplätze geht zu Lasten der Stadt … ."
Bei der X-GmbH handelt es sich um die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin). Sie überplante das Gebiet und bot im Gemeindeblatt vom März 2002 schlüsselfertige Doppelhaushälften inklusive Grundstück in diesem Gebiet zu einem Festpreis an. In der Zeit von Anfang März bis Ende Juli 2002 schloss die Stadt mit von der Klägerin geworbenen Interessenten sieben Grundstückskaufverträge über einzelne Bauplätze zum Preis von jeweils 350 DM/qm ab. Ein achter Kaufvertrag kam erst im Dezember 2003 zustande. In den Kaufverträgen hieß es, es sei vorgesehen, dass die Käufer die Bebauung der erworbenen Grundstücke von der Klägerin durchführen lassen. Der Stadt stand ein Wiederkaufsrecht u.a. für den Fall zu, dass die Käufer das Grundstück nicht jeweils innerhalb einer bestimmten Zeit durch die Klägerin bebauen. Sämtliche Käufer schlossen sodann mit der Klägerin Bauverträge über die Errichtung der Doppelhaushälften.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zog die Käufer jeweils bestandskräftig für den Erwerb fertig bebauter Grundstücke zur Grunderwerbsteuer heran. Aufgrund des Stadtratsbeschlusses nahm er zusätzlich in der Person der Klägerin einen Erwerbsvorgang gemäß § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) an, bei dem eine Gegenleistung fehle. Er ließ daher für die acht Bauplätze Grundstückswerte feststellen und setzte mit Bescheid vom 22. August 2003 --bemessen nach der Summe dieser Werte von 543 000 €-- Grunderwerbsteuer in Höhe von 9 717,10 € gegen die Klägerin fest. In den Erläuterungen zu dem Bescheid führte das FA aus, die Klägerin habe als Projektanbieterin "den wirtschaftlichen Vorteil aus der Verwertungsbefugnis" gezogen, indem sie die Möglichkeit zur Bebauung der Grundstücke erlangt habe.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Es war der Ansicht, zwar habe die Klägerin aufgrund des Stadtratsbeschlusses die Möglichkeit erhalten, das betroffene Gebiet zu bebauen; diese Möglichkeit und der für die Klägerin daraus zu erzielende Gewinn stellten jedoch noch keine "Verwertung der wesentlichen Substanz eines Grundstücks dar". Der Klägerin sei lediglich "eine auf bestimmte Bereiche beschränkte Nutzung" der Grundstücke eingeräumt worden.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 2 GrEStG. Das FG habe verkannt, dass der Klägerin ermöglicht worden sei, die Grundstücke mit Billigung der Eigentümerin zu verändern --nämlich zu bebauen--, ohne selbst Eigentümer geworden zu sein. Damit habe sie eine der Eigentümerin vergleichbare Stellung erlangt. Die Klägerin sei letztlich wie eine Zwischenerwerberin aufgetreten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hatte hinsichtlich der streitbefangenen Grundstücke keine Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG erlangt.
1. Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen Rechtsvorgänge der Grunderwerbsteuer, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Die Verwertungsbefugnis kann sich dabei --ebenso wie beim Eigentümer-- aus zwei Möglichkeiten der Verwertung ergeben, nämlich aus dem Recht zur Nutzung und aus dem Recht, das Grundstück wie ein Zwischenerwerber auf eigene Rechnung zu veräußern (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Oktober 1990 II R 55/88, BFH/NV 1991, 556, 557, sowie vom 10. März 1999 II R 35/97, BFHE 188, 444, BStBl II 1999, 491). Da die Verwertung auf eigene Rechnung zu erfolgen hat, verlangen beide Möglichkeiten der Verwertung eine Beteiligung an der Substanz des Grundstücks. Bei der vorwiegend rechtlichen Verwertungsmöglichkeit durch Veräußerung erfolgt die Beteiligung an der Substanz des Grundstücks durch Teilhabe am Erlös (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juni 1975 II R 86/67, BFHE 117, 89, BStBl II 1976, 27), bei wirtschaftlicher Verwertungsbefugnis durch Nutzung muss die Substanzbeteiligung durch Wertbeteiligung in anderer Weise erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 27. August 1975 II R 52/70, BFHE 117, 96, BStBl II 1976, 30).
2. Im Streitfall hat die Klägerin durch den Stadtratsbeschluss vom Juli 2001 keine derartige Verwertungsbefugnis erlangt. Dabei kann auf sich beruhen, ob die Klägerin überhaupt --wie das FA meint-- bereits unmittelbar aus dem Stadtratsbeschluss subjektive Rechte herleiten kann und damit eine Rechtsposition, wie sie für beide in § 1 Abs. 2 GrEStG genannten Arten der Verwertung --nämlich sowohl der rechtlichen als auch der wirtschaftlichen-- erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1980 II R 26/75, BFHE 130, 420, BStBl II 1980, 522). Selbst wenn sich die Klägerin unmittelbar auf den Stadtratsbeschluss hätte berufen können oder aber wenn die zuständige Stelle der Stadtverwaltung mit der Klägerin eine dem Ratsbeschluss entsprechende Vereinbarung getroffen hätte, hätte sie keine Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG erlangt. Es fehlte an einer Beteiligung an der Substanz bzw. dem Wert des Grundstücks. Die Klägerin war am Verkaufserlös der Stadt nicht beteiligt. Die Stadt hat auch nicht etwa die Baugrundstücke verbilligt abgegeben, um der Klägerin zu ermöglichen, in die Vergütung für ihre Bauleistungen einen Teil des Grundstückswerts einzukalkulieren. Die Reservierung der Grundstücke für von der Klägerin geworbene Kaufinteressenten hätte ihr zwar die Bebauung gesichert; darin läge aber keine Beteiligung an der jeweiligen Grundstückssubstanz.
Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass das Interesse der Klägerin, die Grundstücke zu bebauen, bei Vorliegen eines zivilrechtlich rechtsformwirksamen abtretbaren Verkaufsangebots der Stadt an die Klägerin ausgereicht hätte, sie bei Abtretung des Angebots und dessen Annahme durch einen von ihr geworbenen Käufer als Zwischenhändlerin i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG anzusehen. Die Anforderungen an einen Zwischenhändler i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG sind nämlich andere als diejenigen an einen Zwischenerwerber i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG, der befugt ist, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Im Unterschied zu § 1 Abs. 1 Nr. 6 und 7 GrEStG verlangt die Verwertungsmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG eine Beteiligung an der Grundstückssubstanz; die bloße Möglichkeit zur Verfolgung eines eigenen wirtschaftlichen Interesses von der Art, den Grundstückskäufer zum Abschluss weiterer Verträge zu bestimmen, begründet noch keine Substanzbeteiligung am Grundstück (vgl. Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 1 Rz 254). Soweit das FA ausgehend von bebauten Grundstücken als Erwerbsgegenständen die von der Klägerin erzielten Werkvergütungen als Teilhabe an der Grundstückssubstanz wertet, übersieht es, dass erst die Klägerin die Gebäude den Grundstücken hinzugefügt hat. Die Grundsätze zum einheitlichen Erwerbsgegenstand in den Fällen, in denen die Veräußererseite aus dem bisherigen Grundstückseigentümer als Verkäufer und einem mit diesem nicht identischen Bauunternehmer besteht, lassen sich nicht, wie vom FA vertreten, auf § 1 Abs. 2 GrEStG übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2219411 |
BFH/NV 2009, 1833 |
HFR 2010, 377 |