Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung von Einkünften
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, daß bei der Zurechnung von Einkünften eines Steuerpflichtigen § 101 BGB zu berücksichtigen ist. Das gilt auch im Verhältnis zwischen dem Vertragserben und dem Beschenkten.
Orientierungssatz
1. Werden im Weg der Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung durch beeinträchtigende Schenkungen (§ 2287 BGB) Wertpapiere und Sparguthaben übertragen, die die während der Dauer der Bereicherung angefallenen Kapitalerträge einschließen, stellen die Erträge im Zeitpunkt der Herausgabe beim Anspruchsberechtigten Einkünfte aus Kapitalvermögen dar.
2. Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt. Der Nutzungsüberlassung liegt im Regelfall ein Rechtsverhältnis zugrunde. Aber auch bei einer vom Schuldner erzwungenen Kapitalüberlassung ist von einer entgeltlichen Kapitalüberlassung auszugehen. Dem Besteuerungstatbestand der Einkünfte aus Kapitalvermögen liegen auch Tätigkeitselemente zugrunde.
Normenkette
EStG § 20; BGB §§ 101, 818, 2287; EStG § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.03.1987; Aktenzeichen X K 174/86) |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden.
Die Klägerin war durch Ehe- und Erbvertrag ihrer Adoptiveltern als Alleinerbin des länger lebenden Elternteils eingesetzt worden. Nachdem der Adoptivvater, der zugleich leiblicher Vater der Klägerin war, im Jahr 1975 verstorben war, übertrug die Adoptivmutter ohne Gegenleistung erhebliche Vermögenswerte, darunter auch Wertpapiere und Sparbücher bei schweizerischen Banken, auf X. Nach dem Tod der Adoptivmutter am 3.Juni 1980 wurde die Klägerin als deren Alleinerbin festgestellt.
X verweigerte die Herausgabe der ihm von der Erblasserin geschenkten Werte. Die Klägerin erhob daraufhin Klage auf Herausgabe der Schenkungen einschließlich Auskunft über gezogene Nutzungen und Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenden Betrags seit dem Tod der Adoptivmutter. Das Verfahren endete am 29.November 1982 durch einen gerichtlichen Vergleich. In ihm verpflichtete sich X, die Schweizerische Y-Bank anzuweisen, die Konten zum 31.Dezember 1982 abzurechnen und auf die Klägerin zu übertragen sowie ihr die Sparhefte auszuhändigen. Die Klägerin verpflichtete sich ihrerseits, an X 1/5 des sich aus der Abrechnung ergebenden Betrags zu zahlen. Der Klägerin wurden aufgrund des Vergleichs 4/5 des in der Schweiz angelegten Vermögens mit Wirkung vom 31.Dezember 1982 übertragen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) vertrat in dem geänderten und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 1982 vom 11.September 1985 die Auffassung, daß die anteiligen Zinserträge für die Zeit vom 3.Juni 1980 bis 31.Dezember 1982 in Höhe von 18 637 DM (4/5 des gesamten Zinsertrags) bei der Klägerin als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln seien. Die Klägerin ist der Ansicht, daß sie vor dem 1.Januar 1983 keine Nutzungen aus dem im Eigentum des X befindlichen Kapitalvermögen bezogen habe. Die Zinsen bis zu diesem Zeitpunkt habe X erhalten; er müsse sie daher auch versteuern.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führt aus, der Teilbetrag von 18 637 DM, der von der gesamten Vergleichssumme betragsmäßig unstreitig auf Nutzungen entfällt, die der Beschenkte während der Zeit vom 3.Juni 1980 bis 31.Dezember 1982 aus den geschenkten Wertpapieren und Sparbüchern gezogen hat, sei bei der Klägerin im Streitjahr den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zuzurechnen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 406 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 20 EStG. Das FG weiche zu Unrecht vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9.März 1982 VIII R 160/81 (BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540) ab. Die Kläger halten es nicht für zulässig, das Anlageverhalten des die Einkunftsquelle wirtschaftlich und rechtlich beherrschenden X nachträglich ihnen als eigenes Verhalten hypothetisch zuzurechnen. Der dem Vergleich zugrunde liegende schuldrechtliche Bereicherungsanspruch könne eine Besteuerung bei den Klägern nicht begründen. Mit dem Vergleich wollten die Beteiligten lediglich ihre Ansprüche außer Streit stellen und vorhandenes Vermögen verteilen. Dies aber erschließe keine Einkunftsquelle, sondern sei steuerlich unbeachtliche Vermögensverwendung. Das Urteil des FG führe auch insoweit zu einem widersprüchlichen Ergebnis, als es eine Ungleichbehandlung der zugeflossenen Kapitalerträge beinhalte. Einerseits würden die vor dem Jahr 1980 zugeflossenen Zinsen als steuerfreier Vermögenszufluß behandelt, andererseits die Zinserträge seit dem Tod der Erblasserin im Jahr 1980 als steuerpflichtige Einnahmen zugerechnet. Es müsse auch der Umstand berücksichtigt werden, daß eine anteilige Zinszurechnung bei der Klägerin nur deshalb möglich sei, weil der Beschenkte nicht über das Vermögen verfügt habe und damit keine Entreicherung eingetreten sei.
Die Kläger beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und die strittigen Zinsen bei den Klägern nicht als Einnahmen aus Kapitalvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es hält daran fest, daß die strittigen Zinsen den Klägern als Einnahmen aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteile vom 24.April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539; vom 22.August 1990 I R 69/89, BFHE 162, 263, BStBl II 1991, 38). Zutreffend führt der I.Senat des BFH in BFHE 162, 263, BStBl II 1991, 38 aus, daß der Nutzungsüberlassung im Regelfall ein Rechtsverhältnis zugrunde liegt. Die Kapitalüberlassung braucht allerdings nicht auf einem Vertrag zu beruhen. Auch bei einer vom Schuldner erzwungenen Kapitalüberlassung geht der BFH von einer entgeltlichen Kapitalüberlassung aus (BFH-Urteile vom 29.September 1981 VIII R 39/79, BFHE 134, 281, BStBl II 1982, 113; vom 8.April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557). Dem Besteuerungsgegenstand der Einkünfte aus Kapitalvermögen liegen ―wie bei den anderen Einkunftsarten― auch Tätigkeitselemente zugrunde.
2. Einkünfte aus Kapitalvermögen bezieht nicht nur derjenige, der ursprünglich Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlassen hat, sondern auch dessen Nachfolger in dem Rechtsverhältnis, das der Überlassung des Kapitals zur Nutzung zugrunde liegt, soweit ihm die Einnahmen aus Kapitalvermögen gebühren (ständige Rechtsprechung des BFH, Beschluß des Großen Senats vom 29.November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 438, BStBl II 1983, 272, 274; Urteile vom 9.März 1982 VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540; vom 22.Mai 1984 VIII R 316/83, BFHE 141, 255, BStBl II 1984, 746; vom 10.Dezember 1985 VIII R 15/83, BFHE 145, 538, 539, BStBl II 1986, 342, 343; vom 18.Dezember 1986 I R 52/83, BFHE 149, 440, 445, BStBl II 1988, 521, 524). Bestehen die Früchte einer Sache oder eines Rechts in Zinsen, Gewinnanteilen oder anderen regelmäßig wiederkehrenden Erträgen, so gebührt dem Berechtigten nach § 101 Nr.2 Halbsatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), sofern nicht ein anderes bestimmt ist, ein der Dauer seiner Berechtigung entsprechender Teil der Früchte.
An der Berücksichtigung des § 101 BGB im Steuerrecht ist im Schrifttum Kritik geübt worden (u.a. Heinicke, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft ―DStJG― Bd.10, 99, 129; Voß, Der Betrieb ―DB― 1985, 1159; Seibold, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1990, 165, 170). Die Vorschrift schaffe keine Rechtsgrundlage für die Zurechnung von Früchten, sondern regle nur schuldrechtliche Ausgleichsansprüche aufgrund einer allgemeinen Gläubigerstellung. Die Vertragspartner müßten versuchen, einen Ausgleich im Weg der Kaufpreisvereinbarung zu finden.
Der Senat hält daran fest, daß § 101 BGB bei der Zurechnung von Einnahmen aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen ist. Die Vorschrift ermöglicht nicht nur im bürgerlichen Recht, sondern auch im Einkommensteuerrecht einen angemessenen Ausgleich bei der Zurechnung von Einnahmen zwischen mehreren Fruchtziehungsberechtigten.
Vereinbarungen nach § 101 BGB setzen stets voraus, daß die Beteiligten fruchtziehungsberechtigt sind. Es sind Regelungen, die zwischen mehreren Berechtigten getroffen werden. Jeder Beteiligte überläßt ―auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen bezogen― zeitlich versetzt Kapital gegen Entgelt zur Nutzung. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Sach- und Rechtslage grundlegend von den Fällen, in denen ein Kapitalertrag oder eine Anwartschaft auf einen Kapitalertrag an einen Dritten abgetreten wird, der nie Stammrechtsinhaber war. Hierauf ist bereits in BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540 unter II. 4. b) hingewiesen worden.
3. Die Berücksichtigung von § 101 BGB führt im Streitfall zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Beteiligten. Die Vorschrift ist auch im Verhältnis zwischen dem Vertragserben und dem Beschenkten anwendbar, wenn der Beschenkte aufgrund von § 2287 i.V.m. § 818 BGB an den Vertragserben Nutzungen herauszugeben hat, weil der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat.
Nach dem Ehe- und Erbvertrag der Adoptiveltern der Klägerin war diese Alleinerbin des länger lebenden Elternteils. Bis zum Tod der Adoptivmutter am 3.Juni 1980 standen der Klägerin die bis dahin zufließenden Zinsen nicht zu. Zinsen gebührten ihr vielmehr erst von diesem Zeitpunkt an. Dementsprechend erfaßt der Bereicherungsanspruch nach § 2287 BGB auch nur Zinsen, die nach dem Erbanfall am 3.Juni 1980 zufließen.
Der Anspruch der Klägerin wurde durch den gerichtlichen Vergleich vom 29.November 1982 bestätigt. In ihm verpflichtete sich X, die Schweizerische Y-Bank anzuweisen, die Konten zum 31.Dezember 1982 abzurechnen und auf die Klägerin zu übertragen sowie ihr die Sparhefte auszuhändigen. Die Klägerin verpflichtete sich ihrerseits, an X 1/5 des sich aus der Abrechnung ergebenden Betrags zu bezahlen.
Der Senat hält es für sachgerecht, daß der Klägerin die ihr zugeflossenen anteiligen Zinsen für die Zeit vom 3.Juni 1980 bis 31.Dezember 1982 zugerechnet und von ihr versteuert werden, denn sie ist in den Genuß der Nutzungen aus der Kapitalüberlassung für diese Zeit gelangt. Die von der Klägerin vertretene Auffassung, X müsse an ihrer Stelle die Zinsen versteuern und könne die Rückzahlung der Zinsen nicht einkommensmindernd berücksichtigen, weil es sich um eine steuerlich unbeachtliche Vermögensverwendung handle, wird der Sach- und Rechtslage nicht gerecht. X sind die Zinsen für die Zeit vom 3.Juni 1980 bis 31.Dezember 1982 insoweit nicht verblieben. Sie erhöhten nicht seine Leistungsfähigkeit, so daß es auch nicht gerechtfertigt ist, die Zinsen bei X zur Einkommensteuer heranzuziehen.
4. Anhaltspunkte, daß im Streitfall das Steuergesetz durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden sollte (§ 42 der Abgabenordnung ―AO 1977―), sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 63702 |
BFH/NV 1991, 50 |
BStBl II 1991, 574 |
BFHE 164, 357 |
BFHE 1992, 357 |
BB 1991, 1546 |
BB 1991, 1546-1547 (LT) |
DB 1991, 1552-1553 (LT) |
DStR 1991, 841 (KT) |
HFR 1991, 709 (LT) |
StE 1991, 230 (K) |