Entscheidungsstichwort (Thema)
Anpassung des Klagebegehrens im Revisionsverfahren bei Ergehen eines Änderungsbescheids aus anderen Gründen
Leitsatz (NV)
- Greift das FA ein stattgebendes Urteil des FG (hier: Berücksichtigung von Aufwendungen für ein Arbeitszimmer im Haus des anderen Ehegatten) mit der Revision an und erlässt es während des Revisionsverfahrens aus anderen Gründen einen Änderungsbescheid zu Gunsten des Klägers (hier: Berücksichtigung eines höheren Kinderfreibetrages nach § 53 EStG), so kann der Kläger eine Herabsetzung der Einkommensteuer unter den vom FA festgesetzten Betrag erreichen.
- Einer Zurückverweisung nach § 127 FGO bedarf es nicht, wenn die Sache spruchreif ist. Dies ist der Fall, wenn der vom FG festgestellte Sachverhalt ausreicht, um abschließend prüfen zu können, ob der Änderungsbescheid, der Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist, rechtmäßig ist.
Normenkette
FGO §§ 127, 123 S. 2, § 68
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute, die im Streitjahr 1985 ein im Alleineigentum des Klägers stehendes Einfamilienhaus bewohnten. Die Anschaffungskosten des Gebäudes, die von der Klägerin mitfinanziert wurden, betragen nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten 200 520 DM. Ein Raum des Hauses (rd. 10 v.H. der Wohnfläche) wurde von der Klägerin für deren berufliche Zwecke als häusliches Arbeitszimmer genutzt.
Der Kläger machte bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung u.a. die erhöhten Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 9 000 DM statt 10 000 DM geltend. Die Klägerin ihrerseits machte bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit die auf das Arbeitszimmer entfallenden Kosten einschließlich anteiliger erhöhter AfA nach § 7b EStG in Höhe von 1 000 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) kürzte antragsgemäß die AfA um den auf das Arbeitszimmer entfallenden Anteil bei den Einkünften des Klägers; er berücksichtigte jedoch diesen Anteil der AfA nicht bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, mit der die Kläger zusätzliche Werbungskosten (AfA) der Klägerin in Höhe von 1 000 DM und ―erstmals und zwischen den Beteiligten unstreitig― erhöhte Kinderfreibeträge für zwei Kinder nach § 54 EStG beantragt hatten. Die Klägerin habe Aufwendungen auf das Einfamilienhaus des Klägers getätigt, die prozentual höher seien als der auf das Arbeitszimmer entfallende Kostenanteil (rd. 10 v.H.). Bei wirtschaftlicher Betrachtung sei es geboten, der Klägerin die AfA-Befugnis hinsichtlich der auf das Arbeitszimmer entfallenden Herstellungskosten zuzubilligen. Dies entspreche dem objektiven Nettoprinzip und damit den vom Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschluss vom 30. Januar 1995 GrS 4/92 (BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281) dargelegten Grundsätzen. Auch wenn die Kläger keine Vereinbarungen bezüglich der Nutzung des Arbeitszimmers getroffen hätten, bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Klägerin zumindest im Umfang der getragenen Kosten eine Nutzungsbefugnis an dem für berufliche Zwecke genutzten Arbeitszimmer zustehe und damit die Kostenbeteiligung aus beruflichen Gründen erfolgt sei.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG i.V.m. § 7b und § 7 Abs. 4 EStG. Der Grundgedanke des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281 lasse sich nicht auf den Sachverhalt des Streitfalles übertragen, da dort ein Miteigentümer Baulichkeiten auf dem gemeinsamen Grundstück errichtet und unentgeltlich für betriebliche Zwecke genutzt habe. Vorliegend sei die Klägerin nicht Miteigentümerin. Es sei daher davon auszugehen, dass die eigenen Aufwendungen der Klägerin der Herstellung des Gebäudes insgesamt gedient hätten. Bezweifelt werde nicht die grundsätzliche Abziehbarkeit eigenen Aufwandes, sondern die Annahme des FG, die von der Klägerin selbst getragene Finanzierung sei für berufliche Zwecke aufgewendet worden. Fragwürdig sei die Auffassung des FG, bei Ehegatten, die Aufwendungen auf ein Wirtschaftsgut des Ehepartners getätigt hätten, bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ihnen zumindest im Umfang der getragenen Kosten eine Nutzungsbefugnis zustehe. Selbst wenn man ein Nutzungsrecht annähme, wären die Aufwendungen der Klägerin aber jedenfalls nicht direkt dem Arbeitszimmer, sondern dem gesamten Gebäude zuzuordnen. Deshalb könnten allenfalls nur rd. 10 v.H. der insgesamt von der Klägerin getragenen Aufwendungen als ein abschreibungsfähiges Nutzungsrecht angesehen werden.
Der Senat hat das Verfahren wegen Einkommensteuer 1985 vom Verfahren VI R 78/95 (Einkommensteuer 1984) abgetrennt (§ 73 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Mit Bescheid vom 20. September 2000 hat das FA die durch § 53 EStG (in der Fassung des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) festgesetzten Kinderfreibeträge berücksichtigt und die Einkommensteuer 1985 auf 21 852 DM herabgesetzt. Die Kläger haben den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§ 68 FGO).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Einkommensteuer 1985 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten (AfA) in Höhe von 1 000 DM herabzusetzen.
Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2001 hat das FA die Revision zurückgenommen. Die Kläger haben der Rücknahme nicht zugestimmt (vgl. § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO). Über die Revision des FA muss deshalb sachlich entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1992 XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl II 1992, 969).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Die Revision des FA führt zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war noch der Einkommensteuerbescheid 1985 vom 20. Juli 1988. An dessen Stelle trat während des Revisionsverfahrens der nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Bescheid vom 20. September 2000. Dieser Bescheid ist gegenüber der früheren Steuerfestsetzung ein neuer Verwaltungsakt, der den Regelungsgehalt des vorangegangenen Bescheides in sich aufgenommen und ihn zugleich der Höhe nach verändert hat (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Die Kläger haben den neuen Bescheid wirksam nach §§ 123 Satz 2, 68 FGO a.F. (in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens erklärt. Da dem FG-Urteil noch der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1988 zugrunde liegt, ist es durch die während des Revisionsverfahrens geänderte Steuerfestsetzung gegenstandslos geworden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Juni 1999 II R 57/96, BStBl II 1999, 789; vom 23. Februar 1999 VIII R 42/97, BFH/NV 1999, 1113; vom 22. April 1997 IX R 67/95, BFH/NV 1998, 170; vom 21. Dezember 1993 VIII R 13/89, BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734).
Mit der Aufhebung der Vorentscheidung fallen allerdings die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht weg (BFH-Urteile vom 30. November 1994 XI R 84/92, BFH/NV 1995, 665; vom 12. Dezember 1990 I R 127/88, BFH/NV 1992, 104; vom 20. Juli 1988 II R 164/85, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955; Rüsken in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 127 FGO Rz. 7).
2. Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 FGO in der Sache selbst. Eine Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO ist nicht geboten, weil die Sache spruchreif ist (vgl. hierzu BFH- Urteil vom 27. April 1995 V R 120/89, BFH/NV 1996, 87). Vorliegend wird der Streitstoff durch die Änderung des ursprünglichen Bescheides nicht berührt. Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob der Änderungsbescheid vom 20. September 2000 rechtmäßig ist (BFH-Urteile vom 17. April 1996 X R 143/93, BFH/NV 1996, 769, und in BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955).
Die Klage ist begründet. Mit Urteil vom 12. Mai 2000 VI R 78/95 (vgl. auch Senatsurteil vom 12. Mai 2000 VI R 77/95, BFH/NV 2000, 1202) hat der erkennende Senat für das Streitjahr 1984 entschieden, dass den Klägern die begehrte AfA zusteht. Für das Streitjahr 1985 gilt nichts anderes. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das angeführte Urteil Bezug.
3. Die Einkommensteuer 1985 ist folglich unter Ansatz weiterer Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 1 000 DM herabzusetzen.
Hierbei ist von dem nach § 68 FGO a.F. zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemachten Änderungsbescheid auszugehen. Die Steuerfestsetzung des Senats unterschreitet diejenige der Vorentscheidung, obwohl nur das FA Revision eingelegt hat. Damit hält sich der Senat jedoch im Rahmen des Antrags des FA, die Klage abzuweisen (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 16. Februar 1993 IX R 63/88, BFHE 170, 543, BStBl II 1993, 659, 661; vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89, BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589, 591; vom 27. Oktober 1992 IX R 66/91, BFHE 170, 214, BStBl II 1993, 591, 593). Denn die Klage richtet sich (nunmehr) gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 20. September 2000, über den im Revisionsverfahren erstmals zu entscheiden ist. Dies folgt aus den §§ 123, 68 FGO a.F. Diese Vorschriften eröffnen im Interesse der Prozessökonomie dem Kläger die Möglichkeit, einen während des Revisionsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid nicht gesondert mit Einspruch und Klage anzufechten, sondern ihn in das Revisionsverfahren überzuleiten. Zu diesem Zweck lässt § 123 FGO a.F. ausnahmsweise im Revisionsverfahren eine Klageänderung zu (vgl. Geist, Finanz-Rundschau 1989, 229, 231). Der Kläger darf sein dem neuen Verfahrensgegenstand entsprechendes geändertes Begehren in der Revisionsinstanz durch einen entsprechenden, bestimmten Antrag geltend machen.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2000 begehrten die Kläger weiterhin den Abzug weiterer Werbungskosten (AfA) in Höhe von 1 000 DM. Auf Grund des Antrags nach § 68 FGO a.F. richtet sich dieses Begehren nunmehr gegen den Änderungsbescheid vom 20. September 2000, der die Kinderfreibeträge nach § 53 EStG berücksichtigt hat. Darin liegt sinngemäß zugleich eine nach § 123 FGO a.F. zulässige Klageerweiterung mit dem Ziel, die Einkommensteuer niedriger als in der Vorentscheidung festzusetzen.
4. Danach ergibt sich folgende Steuerberechnung: …
Fundstellen
Haufe-Index 604605 |
BFH/NV 2001, 1291 |
DStRE 2001, 1130 |