Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bestehen die Anschaffungskosten des Veräußerers eines Grundstücks in einer Leibrente und hat der Erwerber diese Leibrente in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen, so kann der Kapitalwert der Leibrente in beiden Fällen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelt werden.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 4
Tatbestand
Der Bf. hat im Jahre 1960 ein Mietwohngrundstück erworben. Den Hauptteil des Kaufpreises bilden die den beiden Veräußerinnen eingeräumten Leibrenten und lebenslänglichen Wohnungs- und Benutzungsrechte. Bereits im Jahre 1961 hat der Bf. das Grundstück weiterveräußert. Der Erwerber hat die den beiden früheren Eigentümerinnen gegenüber bestehenden Verpflichtungen des Bf. übernommen und darüber hinaus an den Bf. 34 000 DM bar gezahlt.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 betrachtete das Finanzamt die Veräußerung als ein Spekulationsgeschäft im Sinne von § 23 EStG. Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns setzte es den Kapitalwert der lebenslänglichen Leistungen sowohl für die Anschaffungskosten als auch für den Veräußerungspreis nach § 16 Abs. 2 BewG an. Der Bf. will dagegen den Kapitalwert versicherungsmathematisch berechnet wissen. Der Einspruch blieb im Streitpunkt erfolglos.
Die Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg. Für die Entscheidung, so führte das Finanzgericht aus, komme es allein darauf an, wie die von dem Bf. übernommenen Leibrentenverpflichtungen bei der Gegenüberstellung des Veräußerungspreises und der Anschaffungskosten zu bewerten seien. Entgegen der Auffassung des Bf. seien die nach § 16 Abs. 2 BewG errechneten Kapitalwerte maßgebend. Die allgemeinen Bewertungsvorschriften der §§ 2 bis 17 BewG seien nach § 1 BewG für alle Steuern maßgebend, soweit ein Steuergesetz ihre Anwendung nicht ausdrücklich oder stillschweigend dadurch ausschließe, daß es für seinen Bereich die Bewertung selbständig regele. Eine solche Sonderbestimmung sei zwar § 6 EStG. Diese Vorschrift regele aber ausdrücklich nur die Bewertung von Wirtschaftsgütern, die einem Betriebsvermögen dienten. Für die Bewertung anderer Wirtschaftsgüter habe das EStG keine eigenen Bestimmungen, so daß insoweit § 1 BewG anzuwenden sei. Da der Erwerb und die Veräußerung des Grundstücks und die hieraus entstandenen Leibrentenverpflichtungen das Privatvermögen des Bf. beträfen, seien die Verpflichtungen nach § 16 Abs. 2 BewG zu bewerten (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs VI 162/61 S vom 11. Oktober 1963, BStBl 1964 III S. 8, Slg. Bd. 78 S.20).
Mit seiner Rb. wehrt sich der Bf. gegen die Höhe des Spekulationsgewinns. Nach seiner Auffassung beträgt der Gewinn nicht 27 450 DM, sondern nur 16 105 DM.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß die Vorschriften des Ersten Teils des BewG nach § 1 dieses Gesetzes grundsätzlich für alle "Steuern des Reichs und der Länder" gelten, soweit sich nicht aus den Steuergesetzen selbst etwas anderes ergibt. Dem Finanzgericht ist auch zuzugeben, daß die Bewertungsvorschrift des § 6 EStG nur für die Bewertung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens gilt.
Trotzdem ist dem Finanzgericht nicht darin beizutreten, daß der Kapitalwert von Leibrenten, die die Anschaffungskosten im Sinne des § 23 Abs. 4 EStG bilden, mit dem nach §§ 15 und 16 BewG sich errechnenden Wert anzusetzen ist. Der Begriff "Anschaffungskosten" in § 23 Abs. 4 EStG ist mit dem Begriff "Anschaffungskosten" in § 6 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 EStG identisch. Bestehen die Anschaffungskosten ganz oder zum Teil aus einer Leibrente, so ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 EStG nicht, wie der Kapitalwert dieser Leibrente zu ermitteln ist. Der Kapitalwert ist aber jedenfalls nicht nach §§ 15 und 16 BewG zu ermitteln, sondern nach versicherungsmathematischen Grundsätzen, wenn die Beteiligten diese Art der Berechnung ihren Vereinbarungen zugrunde gelegt haben. Es kann dahingestellt bleiben, wieweit im Rahmen des § 6 EStG zur Vereinfachung die Bewertung nach §§ 15 und 16 BewG zulässig sein mag. Die Ermittlung des Kapitalwerts einer Leibrente ist auf jeden Fall nur im Weg der Schätzung möglich. Sowohl die Ermittlung nach §§ 15 und 16 BewG als auch die Ermittlung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen führt nur zu Schätzungswerten. Im allgemeinen führt aber die Schätzung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu genaueren Annäherungswerten als die groberen Durchschnittswerte nach §§ 15 und 16 BewG. Im wirtschaftlichen Verkehr pflegt man deshalb bei der Bestimmung des Werts von Leibrenten die versicherungsmathematischen Grundsätze anzuwenden. Auch einkommensteuerrechtlich ist diese Bewertungsmethode anzuwenden, wenn die Beteiligten selbst sie ihren überlegungen zugrunde gelegt haben oder wenn sie darauf bestehen, daß diese Schätzungsmethode als die exaktere bei der Besteuerung angewendet wird.
Diese Grundsätze, die für § 6 Abs. 1 EStG gelten, müssen auch bei § 23 Abs. 4 EStG angewendet werden, der, wie gesagt, denselben Begriff der Anschaffungskosten hat und bei dem es auch um die Ermittlung eines "Gewinnes" geht. Die für die Ermittlung eines Gewinnes der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Ziff. 1 bis 3 EStG geltenden Grundsätze finden zwar auf die Ermittlung des Gewinnes aus einem Spekulationsgeschäft keine Anwendung (vgl. § 2 Abs. 4 Ziff. 2 und § 23 Abs. 4 EStG). Immerhin wird aber auch hier das Ergebnis einer Veräußerung erfaßt, wie es normalerweise wohl bei den Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Ziff. 1 bis 3 EStG, nicht jedoch bei den übrigen Einkunftsarten der Fall ist.
Wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, hat der Senat in dem Urteil VI 162/61 S (a. a. O.) entschieden, daß der Kapitalwert von Leibrenten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von außerbetrieblichen Grundstücken als Kaufpreis vereinbart werden, mit dem nach §§ 15 und 16 BewG sich ergebenden Wert zu schätzen sind. Dieser sich nach §§ 15 und 16 BewG ergebende Wert kann aber nicht unter allen Umständen maßgebend sein. Damals ging es darum, für die Berechnung der Absetzung für Abnutzung eine für alle Beteiligten möglichst einfach Lösung zu finden. In dem Streitfall geht es jedoch darum, einen aus der Veräußerung sich ergebenden Gewinn richtig zu ermitteln. Wenn es auch in beiden Fällen nur um die Ermittlung der Anschaffungskosten geht und es naheliegt, die Frage einheitlich zu beantworten, ist jedoch zu beachten, daß es sich in dem einen Fall um Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und in dem anderen Fall um einen Spekulationsgewinn handelt. Wenn auch in dem ersten Fall zweifellos eine für alle Beteiligten einfache Lösung erstrebenswert ist, so kann es doch dem Steuerpflichtigen nicht verwehrt sein, die versicherungsmathematische Berechnung zu wählen, wenn sie zu einem wirtschaftlich genaueren Ergebnis und zu einer milderen Besteuerung führt.
Das angefochtene Urteil, das von anderen Grundsätzen ausging, war danach aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das Finanzgericht zur nochmaligen Entscheidung zurückzuverweisen. Das Finanzgericht hat nunmehr die Werte nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 411741 |
BStBl III 1965, 663 |
BFHE 1966, 454 |
BFHE 83, 454 |
BB 1965, 1302 |
DB 1965, 1653 |