Leitsatz (amtlich)
Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines während des finanzgerichtlichen Verfahrens erledigten Verwaltungsaktes ist nicht hinreichend mit dem bloßen Hinweis dargetan, durch eine solche Feststellung werde die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vor den ordentlichen Gerichten prozessual erleichtert.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zur Sicherung der Vorauszahlungen auf Körperschaftsteuer, Ergänzungsabgabe und Gewerbesteuer für die Jahre 1970 und 1971 von insgesamt 624 532 DM, die aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung in besonderen Bescheiden festgesetzt worden waren, mit Verfügung vom 26. November 1971 den Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) anordnen durfte.
Im ersten Rechtsgang hatte das FG die am 3. Dezember 1971 erhobene Klage gegen die Arrestanordnung abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH mit (nicht veröffentlichtem) Urteil vom 26. Oktober 1972 I R 34/72 die Vorentscheidung auf, weil das FG noch feststellen müsse, wann aus den Vorauszahlungsbescheiden erstmalig hätte vollstreckt werden können. Falls nämlich mit der Zwangsvollstreckung schon vor der Arrestanordnung hätte begonnen werden können, hätte es an den Voraussetzungen für eine Arrestanordnung gefehlt.
Das FG stellte im zweiten Rechtsgang fest, daß die einzelnen von der Klägerin geforderten Steuervorauszahlungen erst nach dem am 26. November 1971 angeordneten Arrest fällig geworden sind. nämlich am 10. Dezember 1971 und 3. Januar 1972. Mit Rücksicht darauf, daß das Arrestverfahren in das Beitreibungsverfahren übergeleitet worden war, beantragte die Klägerin festzustellen, daß die Arrestanordnung vom 26. November 1971 rechtswidrig gewesen sei. Ihren Vortrag zur Begründung dieses Antrags gibt das FG in dem Tatbestand seines Urteils wie folgt wieder: Die Klägerin halte nach wie vor die Arrestanordnung durch das FA für rechtswidrig. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit, weil hierdurch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die Finanzverwaltung vor den ordentlichen Gerichten prozessual erleichtert werde. Das ordentliche Gericht, das über eventuelle Schadenersatzansprüche zu befinden habe, sei an die finanzgerichtliche Entscheidung gebunden. Sie, die Klägerin, habe durch die Arrestanordnung einen Schaden insofern erlitten, als sie infolge der kreditschädigenden Arrestanordnungen erhebliche Gewinnminderungen habe hinnehmen müssen. Sie habe nur noch Kommissionsware zu höheren Preisen als vor dem Erlaß der Arrestanordnung kaufen können.
Das FG hielt den Antrag, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auszusprechen, daß die Anordnung des Arrestes rechtswidrig gewesen sei, für zulässig. Die Frage, ob ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung dann gegeben sei, wenn beabsichtigt werde, gegen die Behörde, die den erledigten Verwaltungsakt erlassen habe, vor dem ordentlichen Gericht einen Schadenersatzprozeß wegen Amtspflichtverletzung anzustrengen, werde in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Das FG bejahe dies, weil in den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zunächst eine Anfechtungsklage anhängig gewesen sei, so daß der Übergang zur Feststellungsklage schon aus prozeßökonomischen Erwägungen gerechtfertigt sei. Der Kläger solle nach dem Willen des Gesetzgebers das einmal begonnene Verfahren zu Ende führen können.
Das FG hielt den Feststellungsantrag aber nicht für begründet. Die Anordnung des Arrestes am 26. November 1971 sei zulässig gewesen, da an diesem Tage eine Vollstreckung aus den Vorauszahlungsbescheiden noch nicht möglich gewesen sei. Die Anordnung des Arrestes in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Klägerin sei auch rechtmäßig gewesen. Arrestanspruch und Arrestgrund seien, wie das FG im ersten Rechtsgang entschieden habe, gegeben gewesen. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde auf die Gründe dieses Urteils verwiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, zu deren Begründung sie ausführt, das FG habe die Frage, ob in der Anordnung des Arrestes ein Ermessensverstoß liege, überhaupt nicht geprüft. Darin liege ein Verfahrensverstoß (§ 102 FGO). Sie, die Klägerin, habe nämlich schon im ersten Rechtsgang vorgetragen, die Arrestanordnung laufe darauf hinaus, ihre Existenz in der Bundesrepublik Deutschland zu vernichten.
Die Entscheidung des FG sei auch nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO). Das FG habe, was die Begründetheit der Klage anbelange, auf sein im ersten Rechtsgang erlassenes Urteil verwiesen. Diese Gründe habe der BFH im ersten Rechtsgang deshalb nicht nachgeprüft, weil die erforderlichen Feststellungen hinsichtlich der Zulässigkeit der Arrestanordnung gefehlt hätten. In einem solchen Fall sei eine Bezugnahme auf die in einem früheren Verfahrensgang erlassene Entscheidung unzulässig.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung dem Klageantrag stattzugeben, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat entsprechend der Auflage des im ersten Rechtsgang erlassenen BFH-Urteils die Feststellungen nachgeholt, zu welchen genauen Zeitpunkten aus den hier in Rede stehenden Vorauszahlungsbescheiden erstmalig hätte vollstreckt werden können. Diese Zeitpunkte liegen nach dem Erlaß der Arrestanordnung. Durch die Überleitung des Arrestverfahrens in das Beitreibungsverfahren hat sich die Arrestanordnung erledigt, ohne daß es einer besonderen Erledigungserklärung seitens der Klägerin bedurft hätte. Die Klägerin hat dem dadurch Rechnung getragen, daß sie ihren Klageantrag dahin neu formulierte, festzustellen, daß die Arrestanordnung rechtswidrig gewesen ist. Ein solcher Antrag ist nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO statthaft. Der gerichtliche Anspruch, daß der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, setzt aber voraus, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Das FG hat im vorliegenden Fall ein derartiges Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht. Diese Auffassung vermag der erkennende Senat nicht zu teilen.
Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Rechtsschutzinteresse an dem gerichtlichen Ausspruch der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts mit dem Hinweis auf einen Schadenersatzprozeß anzuerkennen ist, hat sich das BVerwG wiederholt befassen müssen. Das BVerwG hat die Anerkennung des Feststellungsinteresses in ständiger Rechtsprechung im wesentlichen davon abhängig gemacht, daß ein solcher Prozeß bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und daß die verwaltungsgerichtliche Entscheidung für das zivilgerichtliche Urteil nicht unerheblich sein darf (vgl. insbesondere BVerwG-Urteile vom 22. November 1956 V C 58.55, BVerwGE 4, 177; vom 9. Oktober 1959 V C 165 u. 166.57, BVerwGE 9, 196). In dieser Rechtsprechung wird auf die Bindungswirkung einer verwaltungsgerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hingewiesen und ferner darauf, daß der Kläger durch diese Feststellung Klarheit darüber erhält, daß jedenfalls an diesem Punkte seine Schadenersatzklage nicht scheitern kann. Es wird aber ausdrücklich betont, daß sich der Kläger auf die Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Feststellung dann nicht berufen könne, wenn zu erkennen sei, daß ein Schadenersatzprozeß auch im Falle des Obsiegens in verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht durchgeführt werde oder offensichtlich aussichtslos sei. Zur Begründung seiner Auffassung führt das BVerwG an, wenn die bloße unsubstantiierte oder aus prozeßtaktischen Gründen aufgestellte Behauptung, einen Schadenersatzprozeß führen zu wollen, genügte, könnte in jedem Falle der Erledigung eines Verwaltungsaktes eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung durch Urteil erzwungen werden, weil ein Schadenersatzprozeß immer dann denkbar sei, wenn der Verwaltungsakt als rechtswidrig festgestellt werde. Das liefe dem Interesse, eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte zu verhindern, zuwider.
Der erkennende Senat läßt es dahingestellt, ob er der Rechtsprechung des BVerwG uneingeschränkt folgen könnte. Die Klägerin hat mit dem bloßen Hinweis, durch einen gerichtlichen Ausspruch nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO werde die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vor den ordentlichen Gerichten "prozessual erleichtert", ein Feststellungsinteresse nicht hinreichend dargetan. Sie hat damit - nur rein theoretisch - auf die Möglichkeit hingewiesen, welche Bedeutung eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts in einem anschließenden Haftungsprozeß haben kann. Sie hat weder konkret die Behauptung aufgestellt, diese Feststellung solle eine der Grundlagen für einen Schadenersatzprozeß schaffen, der sich auf § 945 ZPO oder § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG stützen könnte, noch hat sie einen derartigen Prozeß dem in Betracht kommenden Gegner angekündigt. Es bleibt offen, ob sie überhaupt beabsichtigt, einen derartigen Prozeß vor den ordentlichen Gerichten zu führen. Über die Erhebung einer Schadenersatzklage vor den ordentlichen Gerichten hätte sich die Klägerin schon deshalb schlüssig werden müssen, weil der Anspruch aus § 945 ZPO ebenso wie der Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG der dreijährigen Verjährung nach § 852 BGB unterliegt (Urteil des BGH vom 25. Mai 1959 III ZR 39/58, BGHZ 30, 123, BStBl I 1959, 608). Dem Lauf der Verjährungsfrist steht der Umstand, daß zwischen den Parteien über den durch die Arrestanordnung gesicherten Anspruch ein Rechtsstreit schwebt, nicht entgegen (Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 945 Anm. I, 3 b).
Bei dieser Sachlage hätte das FG schon wegen Fehlens eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung die Klage abweisen müssen. Es kommt daher auf die von der Klägerin vorgebrachten Revisionsrügen, das FG habe nicht nachgeprüft, ob das FA von seinem Anordnungsermessen den richtigen Gebrauch gemacht habe, oder das FG habe, was Arrestanspruch und Arrestgrund anbelange, unter Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO in unzulässiger Weise auf die finanzgerichtliche Entscheidung des ersten Rechtsgangs Bezug genommen, nicht an.
Die klageabweisende Entscheidung des FG stellt sich somit, wenn auch aus anderen Gründen, als richtig dar.
Die Revision der Klägerin war daher nach § 126 Abs. 4 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71555 |
BStBl II 1975, 857 |
BFHE 1976, 459 |