Leitsatz (amtlich)
Wird die Frist zur Begründung der Berufung oder der Revision um einen bestimmten Zeitraum verlängert und fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (Abweichung von RGZ 131, 337). Eine am 25. November eingelegte Berufung kann daher, falls ihre Begründungsfrist um einen Monat verlängert ist, noch am 27. Januar des folgenden Jahres und, wenn der 27. Dezember selbst ein Sonntag ist, noch am 28. Januar wirksam begründet werden.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2, § 554 Abs. 2, § 224 Abs. 3, § 222 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 02.02.1956) |
LG Aurich |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 2. Februar 1956 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Diesem wird auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
Die Beklagten haben am 25. November 1955 Berufung gegen das Teilurteil des Landgerichts vom 26. Mai 1955 eingelegt, das nach ihrer Behauptung nicht zugestellt ist. Am 20. Dezember 1955 haben sie beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern, da noch weitere Instruktionen für ihren Prozeßbevollmächtigten des zweiten Rechtszuges erforderlich seien. In ihrem Antrag haben sie darauf hingewiesen, daß der 25. und der 26. Dezember 1955 Feiertage seien, daß die Berufungsbegründungsfrist daher am 27. Dezember 1955 ablaufe, daß sie aber aus näher dargelegten Gründen nicht imstande seien, das Rechtsmittel bis zu diesem Tage zu begründen. Der Vorsitzende des Senats des Berufungsgerichts hat noch am 20. Dezember 1956 verfügt, daß die Frist zur Begründung um einen Monat verlängert werde. Diese Verfügung ist noch am selben Tage zur Zustellung an die Beklagten abgefertigt und ihnen am 21. Dezember 1955 zugestellt worden.
Am 26. Januar 1956 ist alsdann die Berufungsbegründung der Beklagten beim Berufungsgericht eingegangen. Dieses hat das Rechtsmittel der Beklagten durch Beschluß vom 2. Februar 1956 als unzulässig verworfene. Im Anschluß an RGZ 131, 337 hat es dabei die Auffassung vertreten, die Berufungsbegründungsfrist habe infolge ihrer Verlängerung zwei Monate betragen und sei mithin, da die Berufung am 25. November 1955 eingelegt worden sei, mit dem 25. Januar 1956 abgelaufen gewesen. Dieser Beschluß ist den Beklagten am 23. Februar 1956 zugestellt worden.
Am 7. März 1956 haben die Beklagten sofortige Beschwerde angelegt. Sie wollen die am Ende der ursprünglichen Frist liegenden Feiertage (25. und 26. Dezember 1955) bei der Berechnung der Gesamtfrist gemäß §222 Abs. 2 ZPO berücksichtigt haben.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§519 b Abs. 2, 547 Abs. 1, 577 ZPO zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Senat vermag der Auffassung des Reichsgerichts in RGZ 131, 337 (vgl. auch RGZ 131, 107) nicht zu folgen. Zwar ist seinem Grundgedanken durchaus zuzustimmen, daß die verlängerte Frist (dort Revisionsbegründungsfrist) mit der ursprünglichen Frist eine zusammenhängende Einheit bildet. Auf ihn hat auch der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in BGHZ 17, 153 [155] in anderem Zusammenhange bei Berechnung der Straftilgungsfrist gemäß §6 StraftilgG hingewiesen. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Frist beantwortet aber noch nicht die Frage, wie die verlängerte Frist zu berechnen ist. Hierzu bestimmt §224 Abs. 3 ZPO, daß im Falle der Verlängerung die neue Frist (im Sinn des Gedankengangs des Reichsgerichts: "Der neue Teil der einheitlichen Frist") von dem Ablauf der vorigen Frist (im Sinne des Reichsgerichts zu lesen: "des vorigen Teils der Frist") an berechnet wird, wenn nicht im einzelnen Falle ein anderes bestimmt ist. Der Lauf der ursprünglichen Frist (nach der Ausdrucksweise des Gesetzes "der vorigen Frist") zur Begründung einer Berufung oder Revision wird bereits im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels durch diesen und Kalenderlage entsprechend dem Gesetz bestimmt. Sie beträgt gemäß §519 Abs. 2 Satz 2 bzw. §554 Abs. 2 Satz 2 ZPO einen Monat und endet, wenn der letzte Tag dieses Zeitraumes auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt, mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (§222 Abs. 2 ZPO). Unzweifelhaft endete daher hier die ursprüngliche Frist, wie auch der angefochtene Beschluß nicht verkennt, mit dem Ablauf des 27. Dezember 1955, da das Rechtsmittel am 25. November 1955 eingelegt war und die am Ende der Monatsfrist liegenden Weihnachtsfeiertage ihre Verlängerung kraft Gesetzes um den nächstfolgenden Werktag auslösten. Mit der Einlegung der Berufung am 25. November 1955 war daher hier der "Ablauf der vorigen Frist" auf den 27. Dezember 1955 mit der Maßgabe festgelegt, daß er zwar durch Verlängerung der Begründungsfrist hinausgeschoben, nicht aber zurückverlegt werden konnte (§519 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 bzw. §554 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO). Ob die Parteien diese Frist gemäß §224 Abs. 1 ZPO abkürzen können, was z.B. Stein-Jonas-Schönke für theoretisch möglich hält (ZPO, 18. Aufl, §519 Anm. II 2 b), steht hier nicht in Frage. Wenn das Reichsgericht ausführt, infolge der Verlängerung trete eine Beendigung der ursprünglichen Frist tatsächlich nicht ein, so muß demgegenüber auf den Wortlaut des Gesetzes in §224 Abs. 3 ZPO ("Ablauf der vorigen Frist") verwiesen werden. Da eine Verlängerung der Frist nach allgemeiner Auffassung nur während ihres Laufes zulässig ist, kann im Falle ihrer Verlängerung ein Ablauf der ursprünglichen Frist nicht in Betracht kommen. Wenn das Gesetz trotzdem vom "Ablauf der vorigen Frist" spricht, so kann damit nur das fiktive Ende der Frist gemeint sein, falls diese nicht verlängert worden wäre. Dieser "Ablauf der vorigen Frist" wird aber, wie vorstehend dargelegt, bereits mit dem Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels unverkürzbar festgelegt und war hier der 27. Dezember 1955.
Diese gesetzliche Regelung kann nicht, wie es das Berufungsgericht will, damit abgetan werden, daß das Gesetz nicht ganz richtig gefaßt sei und noch aus einer Zeit stamme, in der man sich über das Wesen einer Fristverlängerung nicht genügend im klaren gewesen sei und es als möglich angesehen habe, auch eine schon abgelaufene Frist nachträglich noch zu verlängern. Der Wortlaut des Gesetzes ist nach Auffassung des Senats eindeutig und zwingt auch heute noch zu seiner Beachtung. Es braucht nur darauf hingewiesen zu werden, daß die Zivilprozeßordnung seit ihrem Erlaß wiederholt in neuer Fassung bekanntgemacht worden ist, ohne daß der Gesetzgeber Veranlassung genommen hat, den §224 Abs. 3 ZPO zu ändern. Das Bürgerliche Gesetzbuch andererseits enthält in §190 BGB eine im wesentlichen gleichlautende Bestimmung. Dabei ist dem Gesichtspunkt des Berufungsgerichts gegenüber darauf hinzuweisen, daß im Bereich des bürgerlichen Rechts noch heute eine Verlängerung der Frist nach ihrem Ablauf anerkannt wird (BGB RGRK, 10. Aufl, §190 Anm; Erman, BGB §190 Anm. 1; Palandt, BGB §190 Anm. 1; Soergel BGB 10. Aufl. §190 Anm. 1; Staudinger-Riezler, BGB, 10. Aufl. §190 Rand Nr. 1).
Wie auch das Berufungsgericht anführt, ist die Auffassung des Reichsgerichts nicht ohne Widerspruch geblieben (vgl. Jonas, JW 1931, 1798 und Reinberger, ZZP 57, 142) und hat auch Schönke auf die Bedenken hingewiesen (Stein-Jonas-Schönke, ZPO 18. Aufl. §224 Anm. III). Wenn sich das Schrift tum sonst dem Reichsgericht angeschlossen hat, so beschränkt sich dies im wesentlichen auf die Wiedergabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne selbständige Stellungnahme. Ebensowenig sieht sich der Senat an seiner vorstehenden Beurteilung dadurch gehindert, daß auch das Schrifttum zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu §§190, 193 BGB eine der Ansicht des Reichsgerichts entsprechende Auffassung vertritt. Wie dies z.B. bei Staudinger-Riezler (BGB, 10. Aufl. §190 Rand Nr. 3) zum Ausdruck kommt, ist diese wesentlich mit durch die Beurteilung der Bestimmungen des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches im älteren Schrifttum beeinflußt (vgl. die Verweisung a.a.O. auf Staub, AHGB, 5. Aufl, Art. 333 Anm. §3 und dessen Verweisung auf Puchelt, AHGB, 3. Aufl, Art. 333 Anm. 1 Abs. 3). Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß sich die Regelung dieses Gesetzes in zwei hier wesentlichen Punkten von den. Bestimmungen der Zivilprozeßordnung unterschied. Art. 330 bestimmte, wenn die Erfüllung innerhalb eines gewissen Zeitraumes geschehen sollte und der letzte Tag des Zeitraumes auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag fiel, nicht einen anderen Fristlauf, sondern einen Ersatztag als letzten Erfüllungstag. Insbesondere ordnete er an, daß in diesem Falle spätestens am nächstvorhergehenden Werktage erfüllt werden müsse. Wenn dann Art. 333 im Falle der Verlängerung der Frist die neue Frist im Zweifel am ersten Tage nach Ablauf der alten Frist beginnen ließ, so war es nur folgerichtig, die Verlängerung der Frist nicht vom Ablauf des Ersatztages für die Erfüllung, sondern des wirklichen Ablauftages der ursprünglichen Frist an au berechnen.
Die Auffassung des Reichsgerichts führt auch zu praktischen Schwierigkeiten, wenn die Verlängerung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels erst im Laufe des letzten Tages der ursprünglichen Frist wirksam wird. Mag man gegen die Bedenken von Reinberger (ZZP 57, 142), eine Verlängerung der Frist um nur einen Tag sei nach der Auffassung des Reichsgerichts nicht möglich oder doch inhaltlos, einwenden, daß ihnen keine erhebliche Bedeutung für die Praxis zukommt, so liegt es doch durchaus nicht fern, daß die Verlängerunsverfügung des Vorsitzenden erst am letzten Tag der Frist abgefertigt wird. Dabei kann erst an diesem Tage der Antrag des Rechtsmittelklägers gestellt worden sein oder der Vorsitzende ihm entsprochen haben. In diesem Falle kann auch nach Auffassung des Reichsgerichts kein Zweifel bestehen, daß der nächstfolgende Werktag Bestandteil der ursprünglichen Frist geworden ist, der dem Sonntag oder allgemeinen Feiertag als ihrem letzten Tag folgt. Im vorliegenden Falle würde das bedeuten, daß eine Fristverlängerung, die erst am 27. Dezember 1955 wirksam geworden wäre, zur Folge gehabt hätte, daß am 26. und 21. Dezember 1955 die Frist tatsächlich noch gelaufen wäre. Nach der Auffassung des Reichsgerichts müßte angenommen werden, entweder daß die Verlängerung nachträglich wieder zur Verkürzung der "vorigen Frist" i.S. des §224 Abs. 3 ZPO um die beiden Tage geführt hätte, die aber nach dem Gesetz bereits Bestandteil der ursprünglichen Frist geworden waren, oder daß bei solcher Gestaltung ein Lauf der neuen Frist abweichend vom allgemeinen Grundsatz erst vom 28. Dezember 1955 ab anzunehmen gewesen wäre. Die erste Möglichkeit erscheint mit dem Gesetz unvereinbar, die zweite praktisch untragbar. Insbesondere ist es nicht angängig und müßte es zu Unzuträglichkeiten führen, den Umfang einer Fristverlängerung darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt die Verlängerungsverfügung wirksam geworden ist. Eine solche unterschiedliche Beurteilung würde auch gerade die Partei schlechter stellen, die mit ihrem Verlängerungsantrag nicht bis zum letzten Tage der Frist wartet. Die Beklagten haben demgemäß ihre Berufung am 26. Januar 1956 noch rechtzeitig begründet. Die Verwerfung ihres Rechtsmittels wegen Versäumens der Frist des §519 Abs. 2 ZPO war daher unbegründet.
Fundstellen
Haufe-Index 3018534 |
BGHZ 21, 43 - 48 |
BGHZ, 43 |
NJW 1956, 1278-1279 (Volltext mit amtl. LS) |
JZ 1956, 535 |
ZZP 1956, 303-307 |