Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteilsbegründung im Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
Die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt und die daraus folgende Berechnung der verkürzten Steuern ist Rechtsanwendung, die dem Strafrichter obliegt, nicht den als Zeugen gehörten Ermittlungsbeamten oder Beamten der Finanzverwaltung. Auch die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen obliegt dem Tatrichter. Die Verweisung auf Betriebsprüfungsberichte oder die Übernahme der Ermittlungsergebnisse in das Urteil ist ebenso unzureichend wie die Wiedergabe von Aussagen, die Finanzbeamte als Zeugen in der Hauptverhandlung zur Behandlung steuerlicher Fragen gemacht haben. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern in der Lage ist, ein Geständnis abgelegt hat.
Normenkette
AO 1977 § 370; StPO § 267 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 04.04.2005; Aktenzeichen 56 (2/03) - 35 Js 146/01) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 4. April 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 28 Fällen verurteilt und gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie eine Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 30 EUR verhängt. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Angeklagte 1999 bis 2001 als Unternehmensberater an Steuerhinterziehungen anderweitig Verfolgter beteiligt, die für ihre Unternehmen unrichtige Steuererklärungen eingereicht oder erforderliche Umsatz- und Lohnsteueranmeldungen nicht abgegeben hatten; hierdurch ist in dem auch dem Angeklagten zugerechneten Tatzeitraum ein Steuerschaden von mehr als 840.000 DM entstanden.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Der Generalbundsanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. November 2005 folgendes ausgeführt:
„Dem Rechtsmittel kann mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts der Erfolg nicht versagt werden. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Feststellungen lückenhaft sind und an durchgreifenden Darstellungsmängeln leiden, so dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht möglich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Tatrichter für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern in der Lage ist, ein Geständnis abgelegt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss wistra 2001, 266 und zuletzt Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 368/05 jeweils m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, in dem lediglich getrennt nach Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung für den Zeitraum von September 1999 bis Dezember 2000 die monatlichen Hinterziehungsbeträge festgestellt worden sind (UA S. 9/10), nicht. Von weiteren Feststellungen zum Schaden und insbesondere zu seiner Berechnung hat das Landgericht auf Grund einer verfahrensbeendenden Absprache Abstand genommen (UA S. 18). Diese hatte zum Inhalt, dass dem Angeklagten ‚für den Fall einer geständigen Einlassung’ eine maximale Strafobergrenze von zwei Jahren, verbunden mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 30 Euro in Aussicht gestellt wurde (UA S. 16). Die daraufhin vom Verteidiger des Angeklagten für diesen verlesene und aus dessen Sicht ‚als geständige Einlassung wertbare Erklärung’ (UA S. 16) des Beschwerdeführers hatte indes zum Inhalt, dass sich der Angeklagte ‚nur aus prozessökonomischen Gründen des Strafverfahrens’ gegen die näher bezeichneten Steuerhinterziehungen ‚nicht weiter verteidigen’ werde, er zur Schadenshöhe keine Angaben machen könne und sich vorbehalten würde, im Rahmen eines Finanzgerichtsverfahrens auf einem anderen Sachverhalt zu beharren und diesen vorzutragen, so dass dem Strafurteil keine Beweiskraft zukommen könne (UA S. 12). Da dieser Erklärung ein Geständnis nicht entnommen werden kann, der Angeklagte Umfang und Höhe der hinterzogenen Steuern gerade nicht eingeräumt und sich auch sonst nicht zur Sache eingelassen hat (UA S. 11), liegt ein Ausnahmefall, in dem auf die Darstellung der Besteuerungsgrundlagen und der steuerlichen Berechnungen verzichtet werden konnte, nicht vor. Ein bloßer Verurteilungskonsens reicht auch nach einer Verständigung als Basis für eine Verurteilung mit tragfähigem Schuldspruch nicht aus (vgl. Senatsbeschluss wistra 2004, 274). Dass die ehemaligen Mitangeklagten ‚zugestanden (haben), das betriebene Zahlenwerk einer Prüfung unterzogen und gegen das wiedergegebene Rechenwerk nichts zu erinnern zu haben’ (UA S. 15), führt zu keiner anderen Bewertung hinsichtlich der Darstellungsanforderungen in dem angefochtenen Urteil.
Die Sache bedarf daher der Prüfung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter, so dass es darauf, ob die von der Revision angebrachten Verfahrensbeanstandungen – soweit sie überhaupt gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben worden sein sollten – und die weiteren sachlichrechtlichen Einzelangriffe hätten Erfolg haben können, nicht mehr ankommt.”
Der Senat schließt sich dem an und bemerkt ergänzend:
Das pauschal erklärte Einverständnis des Angeklagten mit der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung macht – entgegen der offenbar von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vertretenen Auffassung – die Feststellung eines konkreten Steuerschadens nicht entbehrlich. Dem bisherigen Verteidigungsverhalten kann, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, keinesfalls ein Geständnis entnommen werden. In einem solchen Fall hat der Tatrichter auch die Berechnung des Steuerschadens nachvollziehbar in den Urteilsgründen darzustellen.
Soweit das Landgericht darauf verweist, „das Zahlenwerk” finde „zudem seine Stütze in den detaillierten Berechnungen des Finanzamts für Steuerfahndung, die auch die Kammer nachvollzogen hat”, geben die Urteilsausführungen erneut Anlass zu dem Hinweis, dass die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt Rechtsanwendung ist; dies gilt auch für die daraus folgende Berechnung der verkürzten Steuern. Diese Rechtsanwendung obliegt dem Strafrichter, nicht den als Zeugen gehörten Ermittlungsbeamten oder Beamten der Finanzverwaltung (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 10 m.w.N.). Auch die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen obliegt dem Tatrichter. Die Verweisung auf Betriebsprüfungsberichte oder die Übernahme der Ermittlungsergebnisse in das Urteil ist ebenso unzureichend wie die Wiedergabe von Aussagen, die Finanzbeamte als Zeugen in der Hauptverhandlung zur Behandlung steuerlicher Fragen gemacht haben (vgl. BGH aaO; Harms in Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter 2002 S. 451 ff.).
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 1489918 |
BFH/NV Beilage 2006, 380 |
Inf 2006, 212 |
NStZ 2006, 634 |
wistra 2006, 110 |
GuT 2006, 95 |
StV 2006, 419 |
StraFo 2006, 113 |
BFH/NV-Beilage 2006, 380 |